…und dennoch – Predigt zu Jeremia 20,7-11a von Berenike Brehm
20,7-11a

…und dennoch – Predigt zu Jeremia 20,7-11a von Berenike Brehm

I Ich kann nicht mehr. Ich mag nicht mehr. Katerstimmung in der Kirche. Die Jugend bleibt aus, die Pfarrstellen werden weniger. Man sieht so wenig von dem, was man investiert. Die Kirche scheint auf dem absteigenden Ast zu sein. Ermüdung macht sich breit. Und mit ihr kommen diese Fragen: Warum mache ich das Ganze überhaupt? Bringt das eigentlich noch was? Ich kann nicht mehr. Ich mag nicht mehr. Katerstimmung auch in ganz anderen Bereichen. Alles wächst einem über den Kopf. Zeit und Kraft gehen einem aus. So viel hat man gegeben: Ist für pflegebedürfte Angehörige dagewesen. Tag für Tag. Oder hat sich für ein politisches Ziel eingesetzt. Und man fragt sich: Wie lange kann, ja, wie lange will ich das noch?Ich kann nicht mehr. Ich mag nicht mehr. Vielleicht sagst du das. Vielleicht sage ich das. Vielleicht sagen Sie das. Der Prophet Jeremia hat es gesagt. Ganz laut. Und: Er hat es zu Gott gesagt. Ich kann nicht mehr. Ich mag nicht mehr. Katerstimmung beim Propheten Jeremia.

II Wir hören den heutigen Predigttext aus dem Buch Jeremia,

Kapitel 20,7-11a:

Herr, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich. Denn sooft ich rede, muss ich schreien; »Frevel und Gewalt!« muss ich rufen. Denn des Herrn Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich. Da dachte ich: Ich will seiner nicht mehr gedenken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, verschlossen in meinen Gebeinen. Ich mühte mich, es zu ertragen, aber konnte es nicht. Denn ich höre, wie viele heimlich reden: »Schrecken ist um und um!« »Verklagt ihn!« »Wir wollen ihn verklagen!« Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: »Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.« Aber der Herr ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen.

III Jeremia kann und mag nicht mehr. Schon vier laute Klagen hat Jeremia deswegen zum Himmel geschickt. Jetzt klagt er zum fünften Mal. Denn Jeremia hadert mit seinem Auftrag. Nie wollte er Prophet werden. Doch dann hat Gott ihn einfach losgeschickt. Jeremia hat sich zwar gewehrt, aber es kam, wie Gott es wollte.

Und jetzt klagt Jeremia. Klar und laut. Jetzt klagt Jeremia Gott an. Ganz direkt und persönlich. Er wirft ihm vor, dass er ihm keine Wahl gelassen hat, dass er ständig den Buhmann spielen und den Finger in die Wunde legen muss. Und als ob das noch nicht genug wäre: Durch sein Predigen ändert sich noch nicht mal etwas. Im Gegenteil: Die anderen verschwören sich gegen ihn.

Jeremia ist wütend und frustriert. Doch diese ganze Wut und Enttäuschung frisst er nicht in sich hinein. Er schleudert sie Gott entgegen. Man kann sagen: Welche Frechheit! Was nimmt Jeremia sich da eigentlich raus? Und man kann sagen: Welch Vertrauen! Wie kommt es, dass Jeremia trotz allem Zweifel bei Gott bleibt?

Weil da dieses Feuer in mir ist, sagt Jeremia. Deshalb mache ich weiter. Trotz und inmitten allen Klagens. Denn da ist diese Leidenschaft in mir. Diese Leidenschaft, die mich antreibt, und die meinen eigenen Klagen ins Wort fällt. Die mich ermutigt, mich inmitten aller Widrigkeiten zu Gott zu bekennen. Die mir in aller Mutlosigkeit ein „und dennoch“ abringt. Deswegen mache ich dennoch weiter.

IV Jeremia zeigt eindrücklich: Glauben heißt „und dennoch“ sagen. Dennoch bleiben, dennoch weitermachen. Mit Gott leben bedeutet nicht, mit einem Bein schon im Paradies stehen. Oder: Alles wird besser und einfacher, wenn man glaubt. Nein, mit Gott leben bedeutet, mit beiden Beinen in dieser Welt stehen. Glauben bedeutet, dass manches auch schwerer wird. Denn an all den Ungerechtigkeiten dieser Welt leiden Glaubende doppelt. Zum einen daran, dass es sie überhaupt gibt. Zum anderen daran, dass es sie in einer von Gott geliebten Welt gibt, dass Gott sie zulässt.

Glaube ist was für die, die immer glücklich sein wollen, sagen manche Heilsversprechen. Wer nur genug glaubt, dessen Probleme lösen sich in Luft auf – das hört man immer wieder. Doch ich muss euch und Sie mit Jeremia enttäuschen: Glaube ist etwas für die, die es aushalten, dass Gott, nicht alles so wendet, wie wir wollen. Denn an Jesus Christus glauben, heißt an den glauben, der wünschte, dass der Kelch an ihm vorrübergeht, und der dennoch nicht verschont wurde. Der durch Leid und Tod gegangen ist. Der es überwunden hat, ja, aber der es zuvor aushalten musste.

Andere sagen: Glauben ist etwas für die, die etwas zum Festhalten brauchen. Damit ihr Leben leichter zu ertragen wird. Glaube ist was für die Schwachen, sagte etwa Friedrich Nietzsche. Und ich sage mit Jeremia: Glauben ist etwas für die Starken. Für die, die die Spannungen aushalten. Für die, die nicht aufgeben. Für die, die trotz allem bei Gott bleiben. Glaube ist Opium für das Volk, sagte etwa Karl Marx. Und ich sage mit Jeremia: Glaube ist wie ein High-Energy-Drink. Er lässt uns hellwach werden. Er lässt uns unermüdlich arbeiten. Er lässt uns sich einsetzen. Dafür, dass sich etwas ändert in der Welt.

V Dennoch bleiben. Bei Gott. Ihm das eigene Leben hinhalten. Das bedeutet Glauben. Diese Fragen aushalten lernen: Wenn Gott die Welt geschaffen hat - Warum dann so fehleranfällig? Wenn Gott uns so sehr liebt - Wieso müssen wir dann Leid erfahren? Mit diesen Fragen Gott gehen, das bedeutet Glauben für Jeremia. Nicht fliehen, sondern mit Gott ringen. Ihm all die Verzweiflung hinhalten, und auch die Wut und die Trauer. All die dunklen Gefühle. All das, was nicht auszuhalten ist.

Und dennoch bleiben. Bei Gott. Und in der Welt. Ihm das eigene Leben hinhalten – und: das eigene Leben einsetzen. Weil da dieses Feuer in einem brennt. Weil die Wahrheit nicht schweigen lässt. Und für sie auch Anfeindungen aushalten. Anfeindungen, die unweigerlich entbrennen, wenn wir unbequeme Wahrheiten aussprechen. Das bedeutet Glauben für Jeremia. Sich dennoch einsetzen. Auch auf die Gefahr hin Spott und Hohn aushalten zu müssen. So wie Greta Thunberg, die derbe Hasskommentare unter ihren Posts lesen muss. So wie all die Jugendlichen, die jeden Freitag auf die Straße gehen, und denen so viel Hochmut von Politikern entgegengebracht wird.

Denn Glauben heißt „und dennoch“ sagen. Dennoch nicht von Gott lassen. Dennoch sich engagieren. Trotz Katerstimmung. Weil Gott mich nicht loslässt. Dieser Gott, der stärker ist als alle Mutlosigkeit und Kraftlosigkeit. Stärker als alle Anfeindungen und Gefahren. Und erst recht stärker als schwindende Mitgliederzahlen oder Pfarrpläne. In diesem Vertrauen „und dennoch“ sprechen, inmitten der Klage Gott bekennen – das ist Glaube. Amen.

Es folgt das apostolische Glaubensbekenntnis