Verantwortung von Christen im und für den Staat? - Predigt zu Römer 13,1-7 von Andreas Pawlas
13,1-7

1Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet. 2Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes; die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu. 3Denn vor denen, die Gewalt haben, muss man sich nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes; so wirst du Lob von ihr erhalten. 4Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst: Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht das Strafgericht an dem, der Böses tut. 5Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. 6Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht. 7So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.

 

Liebe Gemeinde,

Im Zeitalter der Wutbürger,da hat dieses Bibelwort wahrhaft keine Konjunktur. Denn Thema dieser unserer Zeit scheint nicht nur Unzufriedenheit zu sein, sondern grenzenlose Wut gegen diesen Staat, gegen seine Institutionen und gegen alle seine Vertreter. Mir ist im Überblick über die vergangene Jahrzehnte noch nie wie heutzutage zu Ohren gekommen, dass derart Menschen in öffentlichem Auftrag wie etwa Feuerwehrleute oder Rettungsfahrer bei ihren Einsätzen mit Gewalt und Pöbeleien rechnen müssen, oder dass auch Ärzte in ihren Praxen Handgreiflichkeiten ausgesetzt sind, dass Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit niedergestochen werden oder dass ehrenamtliche Bürgermeister bis in ihr zu Hause verfolgt werden.

Dabei soll in keiner Weise in Abrede gestellt werden, dass so manche öffentliche Probleme wirklich diskussionswürdig sind. Wie viel gibt es da berechtigt kritisch zu sagen etwa zu solchen Projekten wie Stuttgart 21, zu G7, G20 oder dem Hambacher Forst, zu Autobahn- oder Stromtrassenführungen, zur Braunkohlenförderung oder Feinstaubbelastung, zum Umgang mit Flüchtlingen oder Asylsuchenden - und das selbst, wenn die Verwaltungsverfahren formalrechtlich einwandfrei abgewickelt sind.

Dabei dürfen wir stolz und dankbar dafür sein, dass in unserem Lande alle Meinungsäußerungen dazu erlaubt und geschützt sind, was ja keinesfalls überall auf dieser Welt so ist. Allerdings fühlen sich bei uns manche aufrechte Mitmenschen im Recht, alles gegebenenfalls mit Gewalt einfordern und durchsetzen zu dürfen, was ihnen als ihr gutes Recht erscheint.

Sollte es da nun irgendeinen Ton geben, der aus blinder Wut wecken könnte? Sollte es da nun irgendein gutes Argument geben, das blinden Zorn über so manche zweifelsohne berechtigte Problemlage in ein gemeinsames Suchen nach hilfreichen Lösungen verwandeln könnte?

Was für ein wirklich hilfloses Instrument scheint da die Predigt über das Wort Gottes zu sein. Außerdem ist ja wohl kaum damit zu rechnen, dass viele Vertreter des aufgebrachten „Volkszorns“ ihren Weg in den Gottesdienst finden, um Worte aus einem ganz anderen Raum zu hören, als aus ihrem eigenen Resonanzraum, in dem sie ja alles so rasend macht.

Dennoch darf diese verzwickte Situation kein Hinderungsgrund dafür sein, sich in der Predigt unter Gottes Wort zu stellen, und sich dadurch genau Rechenschaft zu geben, was es mit diesem so vielgestaltigen Wesen auf sich hat, das in Zeiten des Heiligen Apostels „Obrigkeit“ genannt wird und heute so kurz und knapp „Staat“.

Was besonders auffällt, ist, dass der Apostel in diesem Bibelwort nicht zu der Frage Stellung nimmt, welche Staatsform denn die angemessene, die gerechte oder die von Gott gewollte ist. Denn er redet weder von Demokratie noch Diktatur, weder über Kaisertum oder Adelsherrschaft, noch über Räterepublik oder Stammesherrschaft. Und das, obwohl doch wegen dieser Frage Revolutionen, Aufstände, Putsche durch das Land gefegt sind und viele viele Menschen ihr Leben verloren haben.

Hat Paulus das etwa nicht vor Augen,wo es so etwas in ähnlicher Form durchaus schon zu seinen Zeiten gab? Außerdem ist es noch gar nicht so lange her, dass von respektablen Theologen mit großer Resonanz eine „Theologie der Revolution“ propagiert und von so manchen sogar als der eigentliche Kern des Evangeliums angesehen wurde: Menschen, die sich nachdrücklich als Christen verstanden, verließen alle geordneten Verhältnisse und gingen in den Dschungel um Revolution zu machen. Sie vergossen Blut und ihr Blut wurde vergossen. Ein Massaker folgte dem Nächsten. Musste in den Ohren dieser Engagierten damals der Satz des Heilige Apostels „Es ist keine Obrigkeit außer von Gott“ nicht wie reiner Hohn klingen?

Und ist davon abgesehen dieses Bibelwort nicht tatsächlich manches Mal missbraucht worden zur Legitimation schlimmster staatlicher Herrschaft? Und mögen dabei nicht tragischerweise treue Menschen im Vertrauen auf dieses Bibelwort und mit besten Wissen und Gewissen ihr Blut für ein solches Staatswesen und seine Obrigkeit vergossen haben?

Dabei ist doch dem Apostel Paulus die Tatsache, dass Blut vergossen wurde, überhaupt nicht fremd. Vor allem aber, wie sollte man vergessen können, dass unser Herr Jesus Christus selbst durch staatliche Autorität gefoltert und hingerichtet wurde. Und keinesfalls darf vergessen werden, wie schnell die erste Christenheit bitter verfolgt und ebenso ihr Blut vergossen wurde. Auf Stephanus als den ersten Märtyrer, der durch staatliche Instanzen verfolgt und verurteilt wurde, folgten viele viele weitere Märtyrer bis in die heutige Zeit. Deshalb muss doch gefragt werden, wieso nun Paulus dazu kommen kann, nicht Revolution zu predigen, sondern: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat.“

Allerdings will Paulus hier keine aktuellen Herrschaftsfragen diskutieren, so wichtig und berechtigt solche Fragen auch sein mögen. Sondern er nimmt hier, wie in den ganzen anderen Abschnitten dieses Briefes an die Römer sehr grundsätzlich und für alle Zeiten Stellung. Und darum ist hier keine Debatte etwa um Staatsformen gefragt, die sich ja im Zeitverlauf ändern können, sondern hier geht es, nachdem die Gegenwart des lebendigen Gottes auf dieser Welt durch Jesus Christus für jedermann erfahrbar geworden ist, um die sehr grundsätzliche Frage, wie sich der Christenmensch in dieser vorläufigen und vergehenden Welt verhalten soll und darf.

Und hat es da nicht tatsächlich Sinn, dieses: „Es ist keine Obrigkeit außer von Gott“? Denn wozu sollte die ganze Struktur eines „oben“ und „unten“, alle Möglichkeiten einer Macht der einen über die anderen dienen, wenn nicht der mit dem Schöpfungsgedanken mitgegebenen Aufgabe des Schutzes, der Ordnung und der Fürsorge. Nicht mehr und nicht weniger. Allein dazu sind den zu dieser Aufgabe Berufenen entsprechende Machtmittel anvertraut, eben das „Schwert“, wie Paulus sagt. Und genau und allein in der Erfüllung dieser Aufgabe sind die dazu Berufenen tatsächlich Gottes Diener, als sie sich hierbei nicht einen Spass machen, oder ihre Machtgelüste befriedigen dürfen, sondern nach Gottes Willen einen Beitrag dazu leisten, dass diese Schöpfung nicht im Chaos versinkt. Und genau deshalb haben sich alle nicht dazu berufenen ihnen unterzuordnen - wohlgemerkt nicht weil sie nicht die Macht haben, nicht weil sie bestraft werden können,und sich so eine Macht an ihnen willkürlich austoben könnte, sondern auch um des Gewissens willen, weil man eben von der Richtigkeit dieser Ordnungsfunktion überzeugt ist.

Und daraus folgt dann natürlich auch die ganze Thematik des Steuer- und Zollzahlens, des Respekts und der Ehrerbietung. Ja bestimmt, denjenigen, auf denen diese schwierigen Aufgaben, die Ordnung im Lande zu wahren, lasten, denen gebührt keinesfalls Widerstand, sondern Respekt und Ehrerbietung. Und dann wird es auch nicht so sein, dass man sich vor solcher Obrigkeit fürchten muss - wenn man eben Gutes tut. Denn wen sollten die Übeltäter sonst fürchten, wenn nicht genau diese Personen, denen der Auftrag erteilt ist, für Schutz, Ordnung und Fürsorge in der Gesellschaft einzutreten? Wer sollte sonst das Strafgericht vollziehen an denen, die Böses tun, wenn nicht genau diese Berufenen? Oder sollten wir etwa davon ausgehen dürfen, dass es auf dieser Welt keine Übeltäter mehr gibt? Bitte!? Wie könnte das realistisch sein?

Insofern steht zweifelsohne dem Heiligen Apostel Paulus deutlich vor Augen: die Situation, dass es keine Übeltäter mehr gibt, die wird erst am Ende aller Zeiten im Reiche Gottes erreicht sein. Bis dahin ist es eben unsere Aufgabe, in dieser gebrochenen und unvollkommenen Welt zu leben und in unserem Alltag und Sonntag Gott die Ehre zu geben.

Ich weiß, dass für manchen die Vorstellung wirklich deprimierend ist, in einer gebrochenen und unvollkommenen Welt leben zu sollen. Ich weiß, dass das gerade für junge Menschen, die so viel gute Pläne haben, unerträglich erscheint, wo sie doch aus so viel gutem Willen endlich alles besser und vollkommen machen möchten. Und ganz bestimmt sind sie es wert, dass man ihnen beisteht und hilft und ihr Leiden an der Unvollkommenheit aller Verfügungsberechtigten und die Berechtigung ihrer Kritik versteht.

Aber könnte es nicht sein, dass die wichtigste und schwierigste Aufgabe im Blick auf das Staatswesen sein muss, eben genau in dieser unvollkommenen Welt etwas sehr grundsätzlich zu prüfen, nämlich, ob etwa zu entdecken sein sollte, ob ein Staatswesen so grundsätzlich verdorben ist, wie etwa der Nationalsozialismus nach der Erkenntnis der Verschwörer des 20. Juli 1944. Und wenn das so sein sollte,welchen Grund wollte man dann anführen, nicht so wie sie gegen ihn und seine Vertreter anzukämpfen oder sogar sein Leben einzusetzen?

Oder sollte etwa zu entdecken sein, dass ein Staatswesen zwar unvollkommen ist, Fehler hat und nicht immer nur Gutes macht, weil dort eben auch fehlbare Menschen am Werke sind, aber nicht grundsätzlich verdorben ist? Und was müsste das anderes heißen, als dass es sich bei Fehlern des Staates zwar um Übles oder Ärgerlichkeiten handelt, die möglichst korrigiert werden müssen, bei den aber die eigene Existenz nicht untergeht, falls das nicht gelingt.

Und müsste jetzt etwa im Sinne solcher Prüfung ernsthaft behauptet werden, dass das Leben völlig verdorben würde, wenn z.B. Stuttgart 21 gebaut würde, weshalb man nun Gewalt gegen den Staat ausüben müsste? Das kann ich mir nicht vorstellen! Dennoch bleibt die Aufgabe, derart immer wieder neu zu prüfen und zu unterscheiden, dauerhaft jedem verantwortungsvollen Christen persönlich auferlegt. Und solange wir uns darauf ausrichten können, dass dass Reich Gottes erst noch kommt und noch nicht in seiner Vollkommenheit da ist, müssen wir eben mit Unvollkommenheiten rechnen - in unserem eigenen Leben genauso wie in dem Staatswesen, in dem wir leben.

Und muss nicht dazu auch die Ermunterung und Unterstützung für die Verantwortlichen gehören, damit sie eben möglichst gute Entscheidungen für alle Bürger treffen, und gegebenenfalls durch sachkundige und freundliche Beratung und Ermahnung durch Christenmenschen Entscheidungen korrigieren?

Und muss das nicht nur etwa für den Dienst der besonderen kirchlichen Beauftragtenbei der Bundesregierung und den Landesregierungen gelten, die es ja - Gott sei Dank – gibt, sondern genauso für jedes Gespräch von Christen mit Verantwortlichen im Bund, Land, Kommunen und Parteien, in dem die schwierigen Themen auftauchen? Was für ein großer und verantwortungsvoller Beitrag für einen jeden Christenmenschen hier im Lande. Gott sei Dank, dass solche Beiträge in unserem Lande möglich sind, damit so der Staat seinen Auftrag, für Schutz, Ordnung und Fürsorge in der Gesellschaft einzutreten, wirklich erfüllen kann.

Und schließlich darf eins nicht vergessen werden: Weil unser Staatswesen unvollkommen ist, da in ihm fehlbare Menschen am Werke sind, hat die Christenheit schon immer eine weitere Aufgabe für sich gesehen: und das ist die Fürbitte, die Fürbitte für den Staat und alle, die in ihm Verantwortung tragen. Ja, es ist ein weiterer großer und verantwortungsvoller Beitrag für einen jeden Christenmenschen. Denn es ist allein unser Gott, der letztlich aus allem menschlichen Mühen Gutes zu machen versteht. Und ihn darum um Christi willen bitten zu dürfen, das ist wirklich ein Privileg von uns Christenmenschen. Gott sei Dank! Amen.

Perikope
04.11.2018
13,1-7