Verantwortungsvoll - Predigt zu Lukas 12,42-48 von Julia Neuschwander
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Verantwortungsvoll - Predigt zu Lukas 12,42-48 von Julia Neuschwander

Liebe Schwestern und Brüder,

wenn jemand plötzlich völlig überraschend in sein angestammtes Haus zurück kehrt und alles ist  ganz anders! Die Szene ist filmreif und ein Klassiker: Die Eltern sind nicht da und dann gibt es erstmal eine Party! Der Wohnzimmerteppich wird zusammen gerollt und an die Seite gelegt, vielleicht räumt man sogar noch gewissenhaft Zerbrechliches und Wertgegenstände beiseite. Es wird eingekauft, Getränke schwerpunktmäßig, und wenn Mann oder Frau es ganz gut meint, versucht er oder sie auch noch ein halbwegs essbares Buffet zu errichten. Und dann kommen sie, die Freunde und Bekannten! Und bringen noch den Einen oder die Andere mit. Es wird gefeiert!

War das eigentlich bei Ihnen und Euch früher auch so? Das, was sich dann bei solchen Partys ereignete, war meist legendär, hatte hohen Unterhaltungswert und wurde oft noch über Jahrzehnte mit vielen Lachern weiter erzählt….. Aber ganz klar: Bevor die Eltern zurück kommen, soll alles wieder aufgeräumt sein, das Haus halbwegs in den Zustand versetzt werden, wie es vorher war…..

Was aber, wenn die Eltern überraschend vorzeitig zurückkehren? Anders als geplant, einen Tag oder zwei Tage früher als angekündigt. Dann kann das – je nach Zeitpunkt – für beide Seiten ziemlich unangenehm sein. Für die, die richtig cool feiern, und für die, die von der Feier, geschweige denn von solchen Details der Feier, nicht vorinformiert waren. Manche Eltern sind dann sehr tapfer und versuchen mit einem Kratzen im Hals einigermaßen tolerant zu sein. Andere wiederum sind weniger beherrscht und sorgen erstmal für ein sofortiges Ende der Party…..

In den letzten Tagen, am Ende dieser Zeit…. Immer wieder spricht die Bibel davon, was dann sein wird. Dass dann endlich ein Friedensreich errichtet wird. Dass dann endlich Gerechtigkeit herrscht, ja, dass die, die von irdischen Gerichten nicht gerichtet wurden in ihren schlimmen und bösen Taten dann von Gott gerichtet werden und ihre gerechte Strafe für Ihre Vergehen erfahren. Das tröstet die, die auf Erden ohnmächtig Schlimmes erfahren haben und dann noch erleben mussten, dass die, die ihnen Unrecht getan haben, ungestraft bleiben. Gott richtet sie dann. Das, was sie auf Erden an Unrecht ungestraft tun konnten, das wird am Ende der Zeit zurecht gerückt. Das hört sich gut an und betrifft erstmal die, die unverantwortlich und Menschen verachtend gehandelt haben, wie der Hausverwalter in der Geschichte.

Was da vom Hausverwalter in unserem Bibeltext beschrieben wird, geht allerdings bei weitem über eine entgleiste Party von Jugendlichen hinaus: Der Hausverwalter ist der, der die jungen Knechte und Mägde willkürlich schlägt und ihnen nicht das Brot gibt, das ihnen zusteht. Die Geschichte vom untreuen Verwalter erzählt von jemanden, der sich so sicher wähnt in der Abwesenheit seiner Herrschaft, dass er im wahrsten Sinne des Wortes, ungestraft machen kann, was er will. Er kann seine Macht missbrauchen und sich selbst im Übermaß berauschen und voll essen und trinken, während er den Anderen, ihm Anvertrauten, nichts gibt. Am Schluss bleibt das aber nicht unentdeckt, denn der, dem alles gehört, kehrt unerwartet, ja, überraschend zurück, niemand hat mit seinem Kommen gerechnet, und er rückt alles wieder zurecht. Der Misshandler, der Ausbeuter wird schlimm bestraft und die anderen erhalten, was ihnen zusteht.

Die Geschichte können wir gern als Gleichnis auf unsere Welt lesen. Als ökologische Warnung, dass wir das uns Anvertraute, diese Welt, die Natur, ungestraft verseuchen, vergiften und ausbeuten. Weil uns niemand so richtig davon abhalten kann. Und dass wir uns ganz schleichend daran gewöhnt haben, dass wir nichts tun und auch nichts verhindern, das Artensterben, Insektensterben und die Meeresvermüllung. Hauptsache, es geht uns gut, gilt das aber auch noch für unsere Enkel und Urenkel?

Oder die Geschichte kann uns daran erinnern, dass wir mit Gott unmittelbar rechnen mit seiner Nähe, mit ihrer Präsenz. „What If God Was One of Us“. Ja, was wäre denn, wenn – wie es im Lied von Joan Osborne heißt, wenn Gott einer von uns wäre und sie sitzt plötzlich ganz unerwartet im Bus neben uns? Und wir überlegen, wie heißt der denn nochmal? Und wie sieht denn eigentlich nochmal ihr Gesicht genau aus? Und dann wird es plötzlich existentiell und wir beginnen, ihr zu erzählen, was wir eigentlich die ganze Zeit tun, und dass das, was wir eigentlich nicht tun, eigentlich ja genau das ist, was wir eigentlich schon die ganze Zeit tun wollten, aber leider nie dazu gekommen sind….

Wir könnten die Geschichte von dem unerwartet zurück kehrenden Hausherren oder der plötzlich auftauchenden Hausherrin aber auch als Geschichte deuten, die uns immer dann warnen will, wenn wir selbst uns als Handelnde allzu sicher, allzu unbeaufsichtigt und mächtig fühlen. Wenn wir drohen, unsere kleine Macht zu missbrauchen, weil es ja doch keiner merkt in ganz kleinen Grenzüberschreitungen, die anderen schaden…

Die Geschichte erzählt von einem Aufsichtsvakuum. Ein Auftrag wird erteilt und es gibt keine Aufsicht. Wir können aus der Geschichte im Umkehrschluss  herauslesen, was ethisch das Richtige gewesen wäre, was zu tun ist:  

Nicht schlagen, keine Gewalt anwenden, keine Ressourcen nur für sich selbst bunkern, aufmerksam sein für andere, die sozial niedriger stehen als man selbst, teilen und zuteilen, andere nicht hungern lassen, verantwortungsvoll mit dem Anvertrauten umgehen mit Blick aufs Ganze.

Das ist ziemlich klar und nicht gerade wenig, ein ganzes ethisches Fundament, auf das sich eigentlich jeder und jede gut stellen könnte, die Verantwortung trägt, egal, ob als Chefin, in der Partnerschaft, als Elternteil, in der Familie oder in der Weltgemeinschaft.

Wer wacht eigentlich noch über die Dinge, wenn es keine Aufsicht mehr gibt? Wer warnt uns, wenn wir es zu weit treiben, wenn wir die Verantwortung nicht mehr spüren, die uns übertragen wurde?

Die Scham wird oft als Hüterin der Moral bezeichnet. Sie lässt uns erspüren, was richtig oder falsch ist und bewahrt uns darin, unsere eigenen Grundsätze nicht zu verraten. Sich schämen ist unangenehm, aber es hat auch wieder etwas Gutes, denn es hat die Funktion, uns bei den eigenen Werten zu halten. Gerade dann, wenn es keine Herrschaft mehr gibt, die dies von außen tun könnte. Die Scham hütet den eigenen Ethos, die eigenen Werte und Überzeugungen.

Leider ist es nur manchmal so, dass Beschämung bei Kindern als Erziehungsmittel missbraucht wurde und wird. Auslachen, beschämt werden von anderen oder von den eigenen Eltern ist etwas so Schlimmes, das es bis ins Erwachsenenalter prägt. Sich schämen fühlt sich vielleicht deshalb auch manchmal wie dieses unangenehm vertraute, klein machende „Beschämt werden“ an. Ich glaube, es lohnt sich aber als Erwachsene, das eine vom anderen zu unterscheiden und aufmerksam bei sich selbst darauf zu achten, was es gerade ist, was ich spüre: Echte Scham im Hier und Jetzt oder die alte angelernte Beschämung? Wenn ich erwachsen bin und für meine Handlungen selbst verantwortlich bin, dann weist die Scham mir den richtigen Weg. Ich weiß dann, was für mich das Richtige ist. Mein Erwachsensein, meine eigene Identität, meine Werte und Überzeugungen bleiben geschützt.

Es geht aufs Ende zu, liebe Schwestern und Brüder, aufs Ende des Kirchenjahres. Wir schreiben die letzten Tage des Kirchenjahres 2016/2017.

In vielen Gemeinden wird am Sonntag der Verstorbenen des ganzen Jahres gedacht, ihre Namen werden verlesen und oft wird dann für jeden und jede eine Kerze angezündet. Ich finde, es ist in der Tat ein Trost, wenn wir sagen können, dass unsere Verstorbenen in Gottes Ewigkeit gut aufgehoben sind, dann, wenn ihre irdische Zeit ein Ende gefunden hat.

Als Jugendliche habe ich gerne Science-Fiction gelesen. Viele Science-Fiction Bücher und Filme erzählen, wie ich finde, sehr unterhaltsam von Zeitmaschinen und Zeitsprüngen. Sie erzählen von Menschen, die auf einmal in einer anderen Zeit aufwachen und sich dann erstmal nicht zurecht finden. Die verblüfft sind, was auf einmal wichtig ist, was früher absolut unwichtig war. Die erleben, wie relativ das alles ist, was wir erleben: Die Art der Ernährung, die Hygiene, die Möglichkeiten. Zeitsprünge ermöglichen ein unterschiedliches Erleben von Zeit, manches relativiert sich dabei, rückt sich zurecht. Beim Zeitspringen wird das, was wirklich wichtig ist, was menschlich ist, immer deutlicher: Friede, Gerechtigkeit, Verantwortung tragen für das große Ganze. Wir sind am Ende des Kirchenjahres. Und der Friede Gottes bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. In Ewigkeit. Amen.