Vergebung – der Verzicht Gottes
Liebe Gemeinde,
für das Wichtigste genügen wenige Worte.
„Ich bin schwanger.“
„Du bist der Mann!“
„Ich habe gesündigt gegen Gott.“
Batseba, Nathan und David, die Menschen in dieser Geschichte, äußern sich an den entscheidenden Stelle in unübertrefflicher Kürze. Es geht um große Lebensthemen. Es geht um eine Verfehlung und ihre Folgen. Im Hebräischen sind das jeweils zwei Worte, zwei knappe entscheidende Worte, mit denen alles gesagt ist. Von diesen drei Äußerungen aus begeben wir uns in die Geschichte hinein und sehen, was sie uns zu sagen hat.
„Ich bin schwanger“.
Das ist die einzige Äußerung aus Jahrzehnten, die von Batseba überliefert ist. Dieser eine Satz. Ein bedeutender Satz im Leben von vielen Frauen. „Ich bin schwanger.“ Je nach Situation kann da große Freude mitschwingen oder auch Angst, gar Entsetzen.
Es ist Frühling. Zeit, Krieg zu führen. Batseba ist Soldatenfrau. Ihr Mann Uria ist im Einsatz. Das Heer belagert Rabba, die Hauptsstadt der Ammoniter. Jeden Tag muss sie darauf gefasst sein eine schlimme Nachricht zu erhalten. Sie wartet ins Ungewisse hinein darauf, dass er kommt.
König David ist in Jerusalem. Das ist nicht ungewöhnlich. Der König ist nur bei den wichtigsten militärischen Operationen anwesend. Nach seiner Ruhe während der heißesten Zeit des Tages ergeht sich der König auf dem Dach des Palastes – und erblickt Batseba, die sich wäscht - vermutlich in einem Innenhof eines Hauses am Hang. David sieht, dass Batseba von sehr schöner Gestalt ist – und begehrt sie. Das Weitere ist schnell geschehen. Er erkundigt sich, wer sie ist – und die Tatsache, dass sie die Frau Urias ist, eines erfahrenen und momentan sich im Feld befindenden Hauptmannes und damit unter einem besonderen Tabu steht, hindert ihn nicht, sie in den Palast zu rufen und mit ihr zu schlafen.
Wie das für Batseba ist, erfahren wir nicht. Hätte sie sich widersetzen können, wenn der König sie ruft? Ihn vor Zeugen seiner Untat bezichtigen? Oder wollte sie selber, was sie tat, war Verliebtheit und Lust im Spiel? Oder eine Art Ergebenheit in den Gang des Lebens in der Ausnahmesituation einer Kriegszeit? Drängte es sie, der Todesmaschinerie ein stilles Zeichen des Lebens entgegenzustellen? Kriegszeiten sind Zeiten für Kuckuckskinder. Was nicht bedeutet, dass ihre Liebe zu ihrem Mann Uria erloschen ist. Sie kehrt zurück in ihr Haus.
Als sie kurz darauf feststellt, dass sie schwanger ist, schickt sie jemanden zu David und lässt ihm ausrichten: „Ich bin schwanger.“ Mehr sagt sie nicht. Er ist König. Er soll sehen und entscheiden, was in dieser verworrenen Situation zu tun ist.
König David möchte die Folgen des Schäferstündchens geschickt auflösen. Unter einem Vorwand lässt er Uria von der Front zu sich kommen und schickt ihn anschließend nach Hause. Er will ihm das Kind unterschieben. Doch Uria weigert sich mit Entschiedenheit, in sein eigenes Haus zu gehen, dort zu essen und zu trinken und bei seiner Frau zu liegen während seine Kameraden im Feld sind. Ist er so vorbildlich in seinem Charakter? Oder ahnt er etwas, ist ihm der Hoftratsch zu Ohren gekommen – und jetzt möchte er nicht den ahnungslosen Ehemann und Vater eines fremden Kindes geben?
Dieser Plan von David geht also nicht auf. Was also tun? Scheinbar gibt es nicht viele Möglichkeiten. Einen Ehebruch kann er sich als König nicht leisten. Es darf auf keinen Fall herauskommen. Die Gedanken verengen sich in solchen Situationen. Die Möglichkeit, zu seinem Handeln zu stehen und die Konsequenzen zu tragen, die gibt es auch jetzt. Doch David ist blind dafür. Der Preis dafür ist ihm zu hoch. Stattdessen tut er etwas, was ihn noch viel mehr kostet. Er erteilt den Befehl, dass Uria dort eingesetzt wird, wo der Kampf am härtesten ist und schlimmer noch, dass sich die Deckung in der Kampfsituation zurückziehen soll, damit Uria im Kampf getötet wird. So geschieht es.
Batseba hört, dass ihr Mann Uria tot ist. Ahnt sie, wie das gekommen ist? Will sie es wissen? Sie hält die Totenklage um ihn.
Nachdem diese vorbei ist, lässt David sie in seinen Palast holen, heiratet sie, und das Kind, das Monate später geboren wird, ist nun ganz offiziell Davids Sohn.
Aber Gott missfiel die Tat, die David getan hatte.
„Du bist der Mann!“
Das sagt Nathan, der Hofprophet. Er hat David verkündet, dass Gott ihm und seinen Nachkommen einen beständigen Königsthron geben wird. Und nun das!
Für David scheint die Sache ausgestanden zu sein. Monate sind ins Land gegangen, er ist beschäftigt und denkt nicht mehr an die Heimlichkeiten, denkt nicht mehr an Uria.
Da kommt Nathan zu ihm. Von Gott geschickt. Das wird Nathan Mut gekostet haben. Den König zu kritisieren ist gefährlich. Das muss man unter Umständen mit dem Leben bezahlen.
Nathan kennt David und seinen Sinn für Gerechtigkeit, sein Urteil gegen Ungerechtigkeit. Nathan ist weise. David soll von selber zur Einsicht kommen. Er erzählt ihm eine kunstvolle Geschichte, die Parabel vom Lamm des Armen:
Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder, aber der Arme hatte nichts als ein kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank von seinem Becher und schlief in seinem Schoß und er hielt’s wie eine Tochter. Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, bracht er’s nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war.
In der Annahme, Nathan berichte ihm einen konkreten Vorfall, gerät David in großen Zorn: „Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat.“
Davids Zorn ist zu groß. Ein gestohlenes Tier vierfach zu ersetzen, das verlangt auch die Tora – aber ein Todesurteil? Das ist unangemessen, eine Überreaktion. Für seinen eigenen Fehler ist David nach wie vor blind. So sind wir Menschen. Die Fehler der anderen sehen wir viel deutlicher. Davids großer Zorn ist wohl ein Zeichen dafür, wie sehr er sich in einer geheimen Kammer seines Herzens selbst verurteilt. Er spricht das Urteil über sich selbst. Doch er weiß es nicht!
Da sagt Nathan zu David: „Du bist der Mann!“
Das trifft. Das sitzt. Es fällt David wie Schuppen von den Augen. Dem hat er nichts entgegenzusetzen. Mit einem Mal sieht er die Wahrheit über sich selber. Er ist schockiert. Schockiert über sich selbst und das, was er getan hat. Er hat viele Frauen und hätte noch weitere haben können – und nimmt Batseba und zerstört deren Leben und das von Uria – und damit nicht genug, er tötet ihn noch. Das ist unverzeihlich.
„Du bist der Mann!“ sagt Nathan und fährt fort: „So spricht der Herr, der Gott Israels.“ Es ist eine Gottesrede an David, die nun folgt. „Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. Warum hast du denn das Wort des Herrn missachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durch das Schwert der Ammoniter. Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei. So spricht der Herr: Siehe, ich will Unrecht über dich kommen lassen aus deinem eigenen Hause.“
Ja, das ist die Wahrheit. David ist einsichtig. Er will sich aus dieser Sache gar nicht herausreden. Er lässt sich in der Seele erreichen von diesem Wort Gottes.
„Ich habe gesündigt gegen Gott.“
Davids Worte. Unumwunden bekennt er sich zu seiner Schuld, zu dem, was er getan hat. Er redet sich nicht heraus wie Saul oder wie Adam. In vollem Umfang steht er zu seiner Schuld. Nicht nur gegen Batseba und Uria hat er gesündigt, sondern gegen Gott. Ehebruch und Mord, das ist ungeheuerlich.
„Ich habe gesündigt gegen Gott.“ Er weiß nicht, wie es weitergehen soll, er ist blamiert, er hat den Tod verdient, er hat alle enttäuscht und seine Lebensaufgabe verraten. Er ist am absoluten Tiefpunkt. Er wendet sich an Gott.
„Gott sei mir gnädig nach deiner Güte
und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit.
Wasche mich rein von meiner Missetat
und reinige mich von meiner Sünde;
Denn ich erkenne meine Missetat,
und meine Sünde ist immer vor mir.
An dir allein habe ich gesündigt
und übel vor dir getan,
auf dass du Recht behaltest in deinen Worten
und rein dastehst, wenn du richtest.“
Diese Psalmverse aus dem 51. Psalm haben wir vorhin gebetet. Es ist der Psalm, der David zugeschrieben wird, in dieser Situation.
Es tut ihm Leid! Am liebsten würde er alles rückgängig machen, würde sich gerne bewähren in der Situation, in der er sich so verfehlt hat. Das zeichnet ihn aus. Für viele Menschen ist es sehr schwer, Fehler zuzugeben, auch viel kleinere Fehler. Grundsätzlich reden wir uns gerne raus, bestreiten, etwas dafür zu können, bringen Erklärungen für das Geschehene, werfen Nebel darüber, rechtfertigen uns selber, drehen Worte ins Gegenteil usw.
Dabei ist es erlösend, Schuld zuzugeben! Verschwiegenes Unrecht fügt einem Menschen großen Schaden zu, es zerstört die Seele, die Integrität. David hingegen wird durch seine Reue zu dem, der er ist. Er behält seine Würde, er gelangt dadurch zu seiner wahren Identität. Ja, er ist einer, der zu so etwas fähig ist. Und er ist einer, der die Stärke hat, es zuzugeben und zu bereuen, einer, der die Verantwortung für seine Tat übernimmt. Er ist jemand, der sich an einem solchen Tiefpunkt Gott zuwendet und sich bei Gott aufgehoben weiß. Er weiß, dass er auf Gottes Gnade angewiesen ist. Er ist im besten Sinne demütig. Wem viel vergeben ist, der liebt viel.
„Ich habe gesündigt gegen Gott.“ Mit diesen knappen Worten ist alles gesagt. Es ist die große Stärke Davids, das zuzugeben. Es ist befreiend und vorbildlich. Es zeugt von Treue zu Gott und von Treue zu sich selbst. Es ist der einzige Weg, wenn es gut weitergehen soll.
Nathan spricht ihm Gottes Vergebung zu. „So hat auch der Herr deine Sünde hinweggenommen; du wirst nicht sterben. Aber weil du die Feinde des Herrn durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben.“
Gott vergibt ihm! Sein Leben darf segensreich weitergehen. Wie gut! Ihm wird vergeben.
Und Vergebung bedeutet nicht, der Konsequenzen einer schlimmen Tat enthoben zu sein. Vergebung bedeutet nicht, eine Tat zu verharmlosen.
David hat Tod und Trauer in die Welt gebracht und Tod und Trauer sind durch ihn in der Welt. Wir mögen uns fragen, was denn sein kleiner neugeborener Sohn dafür kann. Er kann nichts dafür. David hat seinen Tod und die Schmerzen Batsebas zu verantworten. Ihm gilt diese Strafe.
David sucht Gott um dieses Kindes willen, er betet und fastet tagelang, und wenn er nach Hause kommt, legt er sich über Nacht auf die Erde, lässt sich nicht aufheben von den Ältesten des Hauses und isst nicht mit ihnen.
David hat es verstanden. Er leugnet nichts mehr, im Gegenteil, so intensiv wie es ihm möglich ist setzt er sich mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele dafür ein, dass dieses Kind am Leben bleiben kann. Er hat sich gewandelt. Er hat jetzt ein Gespür für diese Dimensionen des Lebens, mit denen er so leichtfertig umgegangen ist. Das ist seine Heilung.
Am siebten Tag stirbt das Kind. Für sich wird David das akzeptiert haben, die damit verbundene Last und Trauer angenommen haben.
Nun geht er zu Batseba und tröstet sie.
Auch ihr gegenüber übernimmt er die Verantwortung für all das, was geschehen ist. Ja, ich habe dich kommen lassen damals, obwohl du einen Mann hast und obwohl er im Feld war. Ja, ich habe ihn getötet. Ja, ich trage die Verantwortung dafür, dass unser Kind nun auch sterben musste. Ich habe so vieles zerstört in meinem Egoismus. Ja, ich bin einer, der zu so etwas fähig ist. Es gehört Größe dazu, so zu trösten, sich so zu versöhnen.
Und auch für Batseba gehört Größe dazu, sich all das anzuhören von David, der ihr nicht ausweicht, der zu allem steht, was er getan hat. Es gehört Größe dazu, zu sehen, dass er jetzt wirklich begriffen hat, dass er sich gewandelt hat; es gehört Größe von ihr dazu, sich trösten zu lassen. So kann es geschehen, „dass aus zwei unbesonnenen Verliebten zwei solch verantwortungsbewusste, belastbare Persönlichkeiten werden“. *
Das ist es, was Gott will. Er will vergeben und versöhnen und dass die Menschen sich vergeben und versöhnen. Gott hört nicht auf, uns dazu zu rufen, um uns zu werben. Wir können uns glücklich schätzen, wenn er auch uns einen Nathan schickt, jemanden, der uns die Augen öffnet für das Leid, das wir anderen angetan haben. Und dann ist noch lange nicht alles aus.
Simone Weil schreibt: „Jemand, den ich liebe, enttäuscht mich. Ich habe ihm geschrieben. Unmöglich, dass er mir nicht das Gleiche antwortet, was ich mir selber in seinem Namen gesagt habe. Die Menschen schulden uns, was wir in unserer Einbildung von ihnen erwarten. Ihnen diese Schuld erlassen. Hinnehmen, dass sie anders sind als in unserer Einbildung, heißt, den Verzicht Gottes nachahmen. Auch ich bin anders, als zu sein ich mir einbilde. Dies wissen, das ist die Vergebung.“ ** Vergebung – der Verzicht Gottes. Er hätte es auch anders gewollt. Und doch: selbst wenn die Schuld groß und die Situation sehr verfahren ist, schenkt er die Gnade neuen segensreichen Lebens.
Nachdem David Batseba getröstet hatte, ging er zu ihr hinein und wohnte ihr bei. Und sie gebar einen Sohn, den nannte er Salomo. Und der Herr liebte ihn.
Amen.
*Susanne Schöllkopf, 11.Sonntag nach Trinitatis: 2.Sam 12,1-10.13-15a, Wem wenig vergeben ist, der liebt wenig, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext zu Perikopenreihe, Herausgegeben von Studium in Israel e.V., Wernsbach 2007 s.279-282. Dieser Meditation habe ich außer diesem Zitat weitere Gedanken und Anregungen, vor allem über Batseba entnommen.
** Simone Weil, zitiert bei Barbara Rohr, Verwurzelt im Ortlosen, Einblicke in Leben und Werk von Simone Weil, LIT Bd. 16, Münster 2000, S. 88 (gefunden bei Susanne Schöllkopf a.a.O.)
Weitere Einsichten verdanke ich der Auslegung von Robert Gradwohl, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen, Band 4, Stuttgart 1989, Die alttestamentlichen Predigtexte des 6. Jahrgangs, S. 136-155: Das Gleichnis vom „Lamm des Armen“ – 2Sam 12,1-10.13-15a