"Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde", Predigt über Jesaja 65, 17-25 von Heiko Naß
65,17
Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde
17 Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.
18 Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude,
19 und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk.
Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.
20 Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht.
21 Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen.
22 Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse. Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen.
23 Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen.
24 Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.
25  Wolf und Schaf sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.
  (Jesaja 65,17-25)
Liebe Gemeinde,
„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Antoine de Saint-Exupery beschreibt in diesem bekannten Sprichwort, wie wichtig die innere Regung, die Begeisterung für das Beginnen und das Gelingen ist. Woran arbeiten die Männer? Sie arbeiten nicht allein an einem Werk. Handwerk ist gut und wichtig. Planung und Organisation ist notwendig, doch nicht alles. Die Männer arbeiten an einem Traum. Wenn Sie die ersten Dollen legen, dann riechen Sie das Meer, wenn sie die Masten richten, dann spüren sie den Wind, der das Schiff einmal tragen wird, während sie mühsam die Planken dichten, die Fugen kalfatern, da haben sie vor ihren Augen das Blau der See und des Himmels und die endlose Weite.
Wenn man eine neue Welt bauen möchte, während die eigene reale wie ein Hütte im Gurkenfeld anmutet, wenn Jahrzehnte dahin gestrichen sind im Exil und die Wurzeln der Herkunft immer kleiner haben werden lassen, wenn das Land wüst ist und keine Frucht mehr bringt, wenn in der Sprache Roheit waltet und Unrecht die Gemeinschaft vergiftet, dann wecke die Sehnsucht nach einem ganz neuen Anfang, dann stifte dem Land und der Stadt einen Traum vom Frieden, dann lehre den Menschen die Sehnsucht nach einem neuen Himmel und nach einer neuen Erde.
Ja so geht dieser Traum, der auf uns gekommen ist, aus dem Ende der Jesajabuches. Die Worte, die der Prophet aufgerichtet hat, haben eine Kraft entwickelt, die immer wieder Menschen begeistert und mit genommen habe. Von Zeit zu Zeit haben die Seher diesen Traum weiter geschrieben. Sie haben auf die Spannkraft dieser Worte vertraut, sie haben mitunter dabei neue Horizonte erschlossen. Der Seher auf Patmos gehört dazu, aber auch Propheten unserer Tage, Martin Luther King wird zu nennen sein in dieser Reihe, der die Sehnsucht aufrichtete, in seiner berühmte Rede, die er anlässlich des Marsches auf Washington für Arbeit und Freiheit am 28. August 1963 in Washington D.C. vor dem Lincoln Memorial hielt, an dem mehr als 250.000 Menschen teilnahmen:  „Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können.“
Und doch ist es Zeit, einen Augenblick zurück zu treten und zu fragen: Welche Kraft wohnt diesen Worten heute noch inne? Wo berühren sie, richten die Herzen aus, sprechen so an, dass sie eine Bewegung stiften, auf das Reich Gottes zu und auf seinen Shalom.
Palästina im November 2012: Raketen fliegen auf Askalon, schlagen in Wohnhäuser ein, bringen den Tod über das Land bis nach Jerusalem. Die Granaten der israelischen Panzer und  die  Luftangriffe treffen in Gaza Kinder. Knaben werden nur wenige Tage alt. Hinter Bethlehem zerstören Siedler palästinensische Gärten. Da finden Schafe keine Weide. Denen, die auf dem Weinberg die die Bäume pflanzten, droht Enteignung. Sie werden nicht ernten, was sie bestellt haben. Was sie gebaut haben, werden andere bewohnen.
In Israel und Palästina im November 2012 bleibt der Himmel alt und alt bleibt auch die Erde bleiben.  Da ist viel Weinen. Querela pacis – eine Klage des Friedens.
Weit weg von dort, gedenken wir heute als christliche Gemeinde der Verstorbenen im vergangenen Jahr. In den Kirchen werden ihre Namen gelesen, eine Kerze entzündet als Zeichen für das Licht der Auferstehung, für die Ewigkeit, die sie umfängt. Da hören wir die Zahlen der Jahre, die ein Leben dauerte. Viele  Zahlen deuten auf Vollendung hin, auf ein von einer langen Spanne Zeit gesegnetes Leben. Aber wir nehmen auch auf, wie abrupt ein Leben zu Ende sein kann. Der Name einer Frau, die mit Mitte vierzig starb, das Kind, dessen Lebensjahre einstellig blieben. Da sind Schicksale zu ahnen, Gebrochenheiten, Kummer und Leid. Da ist Klage zu spüren, redet still versandete Hoffnung und über allem droht der Schrecken von der Urgewalt des Vergehens, vom vergeblichen Mühen, von der Zeit, die vorübergeht und das Leben wie einen Grashalm bricht.
Woher kommt es, dass in unserem Land immer weniger Menschen auf ein Leben nach dem Tod hoffen? Die Ergebnisse aus Umfragen in unserem Land sprechen davon, dass die Botschaft des Trostes leiser geworden ist. Für beinahe 48 % der befragten Menschen gilt die Aussage, dass sie keine oder auch nur eine geringe Hoffnung auf ein Leben nach dem Tode haben. Mit dem Alter nimmt erstaunlicherweise die Zahl derer zu, die sich eine Feuerbestattung wünschen. Wohl liegt es daran, dass sie keinem nach ihrem Tod zur Last fallen wollen, aber signifikant haben Ältere in stärkerem Maße keine bzw. nur eine geringe Erwartung, nach dem Tode weiterzuleben.
Die Farben vom Neuen, das große Bild der Hoffnung ist dunkler geworden. Patina von ermüdeter Vergeblichkeit, der Ruß aus dem Schutt von Kriegen haben die Farben verblassen lassen. Natürlich gibt es immer wieder den Versuch von Restauratoren, die Wucht der Farben in ein neues Spiel zu setzen.
Was wir uns eingestehen müssen: Es gibt keine einfach erneuerte Kontinuität der Hoffnung. Es reicht nicht der Versuch, die verblassten Farben nur wieder aufzubürsten und das Verblasste mit neuen Pigmenten zu bestäuben.
Die Hoffnung vom neuen Himmel und der neuen Erde ist wahr, immer noch, aber sie ist eine Hoffnung sub specie crucis, eine Hoffnung unter dem Kreuz.
Sie ist eine Hoffnung, die selbst unter der Gebrochenheit leidet. Sie ist darum nicht fern am Ende aller Tage und jenseits, sie ist jetzt und ganz nah. Sie ist im Klagen um den Frieden, sie ist im Weinen der Frau, die den Getöteten in ihren Armen hält, sie ist auf den verwüsteten Äckern Palästinas und im Schrecken der Gesichter in der Bunkern der Kinder Israels. Sie ist auf dem Angesicht des Gekreuzigten und in den Wunden seiner Seite. Sie ist leidend, sie ist verwundet, sie ist der Gott, der sich in jede dieser Not hinein gibt, in den Schmerzen seine eigene Verwundung spürt. Weil sie auch in der Nacht ist, kann sie vom nahenden Morgen erzählen. Sie weicht nicht der Finsternis aus, weil sie dort vom Licht künden kann.
Das ist nicht einfach und es ist nicht einfach so dahin gesagt.
Wo das Wunder geschieht, dass die Hoffnung zu blühen anfängt, das ist das nicht unser Werk.  Was wir nicht schreiben können ist die Sehnsucht -  was wir allein erzählen können, ist die Dichtung. Was wir anfangen können, ist die Hilfe  - was wir nicht stiften können ist die Liebe.
Mir ist schon seit langem eine Geschichte von André Heller eingängig geworden, die der Verein „andere zeiten“ – nomen est omen in einem seiner wunderbaren Kalender veröffentlicht hat:
André Heller erzählt, wie er einem alten Menschen begegnete, der seine Hoffnung an Gott festgemacht hatte. Ein Jude, der 1946 nach Israel übersiedelte. Er trat neben ihn und blickte über Jerusalem. Über der Stadt tobte ein Sommergewitter. Blitze zuckten, Donner krachten. Der einsetzende Regen begann, die beiden Männer  zu durchnässen. „Irgend ein Dybbuk, ein Poltergeist, macht sich im Himmel wichtig“, sagte  der alte Mann.“ Im Konzentrationslager war alles mein Trost, worüber die Nazis keine Macht hatten. Die Wolken, das Wetter, die Jahreszeiten, der Wechsel von Tag und Nacht. Die Wälder konnten sie abholzen, die Vögel im Flug töten, die Bäche umleiten oder ihr Wasser vergiften. Selbst Berge konnten sie sprengen. Aber der Mond, die Sonne, die Milchstraße, die Lichtschlangen und Trommelwirbel des Gewitters entzogen sich ihrem Zugriff. Dorthin, in die verbrecherlose Welt, bin ich in Gedanken übersiedelt. Tausendmal, jede wache Stunde. Das hat mich wahrscheinlich vor dem Untergehen bewahrt.  Er sagt das mit rätselhafter Heiterkeit in der Stimme. Damals habe ich begriffen, dass es den Himmel wirklich gibt. Der ganz normale physische Himmel war und ist auch der Metaphysische. Für  mich, der um Rettung flehte, war er das grenzenlose Paradies. Er griff mit der linken Hand in die Innentasche seines Sakkos. Einen Ausweis zeigte er, den er selbst hergestellt hatte. „Himmelsbürger“ stand darauf. Und weiter: „Muss nichts. Darf alles. Widerruf unmöglich.“
Die der Hölle entronnen sind, gehören dem Himmel, sagte er. Israel oder Amerika, Deutschland oder Syrien, das ist ganz und gar Erde. Ich tu so, als wäre ich geerdet. In Wirklichkeit bin ich gehimmelt. Das werden Sie vielleicht nicht verstehen. Aber ich bin zu alt und hab zu viel erlebt, um zu lügen. [1]
Die Botschaft vom neuen Himmel und von der neuen Erde beschönigt nichts, sie übertönt nicht das Seufzen mit schwachen Vertröstungen. Aber sie vermittelt uns eine Herkunft, die gleichzeitig unsere Zukunft ist: Himmelsbürger zu sein, unser Bürgerrecht schon dort zu haben und dann: „den Engel nicht leugnen, wenn er dich ruft“ – wie es die Dichterin Ulla Hahn schreibt[2], ohne Angst vor… der anderen Welt, in die er dich führt, als wärst du dort immer schon zu Hause gewesen.“
Amen.

  
  
    [1] Gekürzt nach: Andere Zeiten e.V., Hg: Der Andere Advent Meditationen und Anregungen vom 28. November 2004 bis 6. Januar 2005 22.12.
  
  
    [2] Ulla Hahn, Fang, in: dies., So offen die Welt. Gedichte, München 2004, S. 9.
Perikope
25.11.2012
65,17