Versöhnung – nichts für Feiglinge! - Predigt zu 2. Korinther 5,19-21 von Ruth Conrad
5,19-21

Versöhnung – nichts für Feiglinge! - Predigt zu 2. Korinther 5,19-21 von Ruth Conrad

Versöhnung – nichts für Feiglinge!

Der Predigttext zum Karfreitag steht im 2. Brief an die Korinther, Kapitel 5, die Verse 19-21. Paulus schreibt: (19) Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. (20) So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! (21) Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

Versöhnung,
liebe Gemeinde,
Versöhnung ist nichts für Feiglinge.
Manchmal stellt man sich das Geschäft der Versöhnung ja etwas prosaisch vor.
So ein bisschen wie in dem – dann missverstandenen – Lied:
Wie ein Fest nach langer Trauer,
wie ein Feuer in der Nacht,
ein offnes Tor in einer Mauer,
für die Sonne aufgemacht.
Wie ein Licht auf steilen Klippen,
wie ein Erdteil neu entdeckt.
Wie der Frühling, wie der Morgen – so sei Versöhnung. (EG 660).
Doch wo wir uns Versöhnung zu leicht, zu sonnig, zu frisch vorstellen, da verfehlen wir womöglich ihr Wesen. Da bekommen wir vielleicht Phänomene wie „Vergessen“ oder „Verdrängen“ in den Blick, nicht aber Versöhnung.
Versöhnung nämlich ist harte Arbeit.
Eine Arbeit, bei der man sich selbst oft in zweierlei Gestalt begegnet – als Täter und als Opfer.
Man lernt sich und den anderen in wechselnden Rollen kennen.
Und deshalb benötigt man zur Versöhnung Mut, und zwar in doppelter Hinsicht:
Erstens: Versöhnung benötigt Mut als Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst und als Bereitschaft zu vergeben.
Zweitens: Versöhnung benötigt Mut als Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst und als Bereitschaft zur Reue.
Und ein drittes tritt hinzu: Versöhnung bedarf der Wiedergutmachung.

Beginnen wir mit dem ersten:
Für Versöhnung benötigt man Mut als Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst und als Bereitschaft zu vergeben.
Man kann sich das ganz gut im Blick auf die eigene Lebensgeschichte klarmachen.
Viele von uns tragen in sich Brüche und Verwundungen aus Kindheitstagen.
Da waren die Eltern, die einem immer wieder aufs Neue signalisiert haben:
Du kannst das nicht.
Du bist zu dick.
Zu dumm.
Zu faul.
Zu laut.
Stetig wurde das Gefühl genährt, nicht richtig, nicht gut genug zu sein.
So, wie man war, das war nie richtig.
Ständig wurde rumerzogen, wurden Kränkungen, vielleicht gar Schläge verteilt, nur, damit man selbst, das Kind, endlich so wäre, wie die Eltern sich ein Kind idealerweise vorstellen.
Und so hinkt man dann los ins Leben:
In der Seele verwundet, weil man sich nicht gut genug fühlt.
Im Herzen gekränkt, weil man immer nur die Grenzen, die Schwächen hat gezeigt bekommen.
Das Selbstvertrauen auf Rückzug getrimmt: Mach dich unsichtbar. Dich braucht hier keiner. Dich mag eh keiner.
Doch womöglich haben die Eltern nur weitergegeben, was sie selbst erlitten haben. Und so hängen wir über Generationen fest in endlosen Ketten von Verletzungen und Kränkungen.
Empfangen, was andere zerstört hat.
Geben weiter, was uns zerstört hat.
Dieses Einverwoben-Sein in die endlose Geschichte von zerstörerischen Erfahrungen nennt die Bibel „Sünde“.
Und die Versöhnung mit solchen Geschichten und Erfahrungen ist wahrhaft nichts für Feiglinge.
Denn hier kann es ja nicht um Vergessen oder Verdrängen gehen. Wer hier auf Vergessen oder Verdrängen setzt, läuft womöglich Gefahr, dass ihn die dunklen Erfahrungen bei Nacht anfallen; dass sie ihm immer wieder zur Falle werden; dass wir bestimmte Verhaltensmuster nie aufbrechen können; dass wir immer an die schlimmen und schwierigen Seiten unserer Geschichte gekettet bleiben.
Weder Vergessen noch Verdrängen machen frei,
so frei, dass etwas Neues, Anderes möglich wird.
Dass Friede möglich wird.
Versöhnung heißt deshalb:
Sich mutig und aufrichtig seiner eigenen, auch dunklen Geschichte erinnern.
Die eigenen Verwundungen anschauen lernen, sie nicht bagatellisieren, ihnen so einen Ort in der eigenen Biographie zu weisen. Das kann höllisch wehtun. Weil man gleichsam in den Wunden lang spaziert. Das Schlimme noch einmal vergegenwärtigt. Aber nur so habe ich die Möglichkeit, Herr zu werden über meine Erfahrungen und über das, was andere mir zugefügt haben. Indem ich meine Geschichte erzähle und durchleide, deute ich sie und gewinne ein Stück Macht zurück, auch über das Schlimme, das andere mir zugefügt haben. Ich komme in eine Position der Stärke. Aus der heraus ich dann vergeben kann.
Die Bereitschaft, dem anderen zu vergeben, das ist jener innere Friede, der mir in der aufrichtigen Auseinandersetzung mit meiner Geschichte zuwächst. Plötzlich ist er da, ich weiß nicht woher und warum, aber er fühlt sich nach Neu-Werden an.
Wie ein Regen in der Wüste,
frischer Tau auf dürrem Land. (EG 660)

Versöhnung ist harte Arbeit.
Zudem eine Arbeit, bei der wir uns oft in zweierlei Gestalt begegnen – als Opfer und als Täter.
Wir werden ja nicht nur gekränkt, wir kränken auch.
Wir müssen nicht nur einstecken. Wir teilen auch aus.
Auch hierfür haben wir reichlich Erfahrungswissen.
Da haben wir selbst einen schlimmen Fehler gemacht.
Waren so richtig gemein und haben eine andere Person, vielleicht eine Person, die uns sehr nahe steht, die wir lieben, schlimm gekränkt.
Haben Dinge gesagt, die in Beziehungen besser nicht gesagt werden.
Haben die Schwächen des anderen in blinder Wut ans Licht gezerrt,
haben sie genüsslich ausgebreitet.
Ja, wir waren böse, gehässig und in voller Absicht ungerecht und fies.
Der andere, womöglich der Partner, er ist völlig zu Recht gekränkt, zieht sich zurück, erwägt Konsequenzen.
Auch hier benötigt es zur Versöhnung Mut.
Mut als Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst und als Bereitschaft zur Reue.
Wir gehen ja in so einem Fall nicht einfach hin und sagen: Sorry, dumm gelaufen. Hab’s nicht so gemeint. Kommt nicht wieder vor.
Eine solche Banalisierung wäre eine Fortsetzung des Konfliktes mit anderen Mitteln.
Der andere käme sich – völlig zu Recht – total veralbert vor.
Wir blieben beide in dem Konflikt gefangen.
Der Weg in den Frieden, in einen neuen Zustand, er bliebe versperrt.
Wir ahnen:
Auf der Seite der Täter gehört zur Versöhnung doch auch ein schlechtes Gewissen.
Ein inneres Tribunal.
Zerknirschung.
Reue.
Ich muss mir gestehen: So toll, wie ich immer denke, bin ich nicht. Ich bin kein hoffnungslos guter, immer irgendwie mit mir authentischer Mensch voller edler, reifer Gefühle und Motive.  Ich habe auch das Zeug zum Ekelpaket. In mir schlummern Abgründe und Gehässigkeiten, die ich nicht immer unter Kontrolle habe. Manchmal brechen diese mit unbändiger Zerstörungswut aus mir heraus. Das eben nennt die Bibel „Sünde“.
Und nicht immer findet sich eine gute Entschuldigung, nach dem Motto: Wie du mir, so ich dir. Oder: Manchmal muss auch was gesagt werden, damit es weiter geht.
Nein.
Versöhnung, die dem anderen erlaubt, zu seinen Verletzungen zu stehen,
eine solche Versöhnung setzt voraus,
dass ich, der ich verletzt habe, mich bekenne,
dass ich an mir selbst leide,
dass es mir von Herzen leidtut,
dass ich Reue zeige,
mich entschuldige,
um Vergebung bitte und sie – das gebe Gott – dann erfahre.
Auch hier ereignet sich Vergebung unverhofft, unverfügbar, in der aufrichtigen Auseinandersetzung mit meinen dunklen Seiten. Und plötzlich ist er da, der Friede. Ich weiß nicht woher und warum, aber er fühlt sich nach Neu-Werden an.
Wie ein Regen in der Wüste,
frischer Tau auf dürrem Land. (EG 660)

Versöhnung,
liebe Gemeinde,
Versöhnung ist nichts für Feiglinge.
Für Versöhnung benötigt man Mut:
Erstens: Mut als Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst und als Bereitschaft zu vergeben.
Und zweitens: Mut als Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst und als Bereitschaft zur Reue.
Doch ein drittes tritt hinzu: Versöhnung bedarf der Wiedergutmachung.
Das müssen wir ehrlicherweise eingestehen.
Die Täter, Ich als Täter, kann nicht nur zerknirscht sein, mich entschuldigen, aber nicht gut zu machen suchen, was kaputt ging.
Der südafrikanische Bischof Desmond Tutu hat dies einmal eindrücklich beschrieben: „Die, die Unrecht getan haben, müssen bereit sein, so viel Wiedergutmachung zu leisten wie sie können. Sie müssen bereit sein, Ersatz und Entschädigung zu leisten. Wenn ich deinen Kugelschreiber gestohlen habe, dann kann ich nicht wirklich bereuen, wenn ich sage: ‚Bitte, vergib mir‘, und deinen Kugelschreiber trotzdem noch behalte. Wenn ich wirklich reumütig bin, dann werde ich diese aufrichtige Reue dadurch zum Ausdruck bringen, dass ich dir deinen Kugelschreiber zurückgebe. Dann wird Versöhnung, die immer auch etwas kostet, geschehen.“
Der „Kugelschreiber“ ist ein Bild. Es lässt sich beliebig fortschreiben:
Wenn ich dir deine Kindheit, dein Selbstvertrauen gestohlen habe, dann genügt es nicht, nur ein schlechtes Gewissen zu haben. Dann muss ich meinen Umgang mit dir ändern. Und an mir selbst arbeiten.
Wenn ich deine Schwächen ans Licht gezerrt und dich zutiefst beleidigt habe, dann genügt es nicht, nur „Sorry“ zu sagen. Dann muss ich meinen Umgang mit dir ändern. Und an mir selbst arbeiten.
Speziell, wenn wir den privaten Bereich überschreiten, wird deutlich, wie wichtig Wiedergutmachung ist.
Versöhnung zwischen verfeindeten Gruppen ist schwer vorstellbar, ohne Ausgleich, ohne Wiedergutmachung.
Wem weggenommen wurde, der muss wiederbekommen.
Sein Land, seine Rechte, seine Würde, seine Religion.
Denken sie an Südafrika, an Bosnien, an Ruanda, an die schwierige Geschichte der Deutschen mit dem jüdischen Volk. Hier kann es keine Versöhnung ohne Wiedergutmachung geben.
Ohne Ausgleich. Ohne Ersatz.
Versöhnung hat ihren Preis.
Sie ist nicht nur ein innerlicher Prozess.
Nein, sie kostet.
Und womöglich viel.
Jedenfalls mehr, als manchen oft lieb ist.

Versöhnung ist nichts für Feiglinge.
Zur Versöhnung benötigt man Mut:
Mut als Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst und als Bereitschaft zu vergeben.
Und: Mut als Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst und als Bereitschaft zur Reue.
Außerdem: Versöhnung bedarf der Wiedergutmachung.
All das prägt unseren Umgang mit unserer eigenen Geschichte, mit unseren nächsten Menschen, aber auch der Menschen und Völker untereinander.

Und wir wären heillos überfordert mit dieser Aufgabe der Versöhnung, hätte Gott nicht selbst uns zur Versöhnung erlöst.
All unsere Bemühungen um Versöhnung und Frieden führten nicht heraus aus unseren Verkettungen und Verstrickungen, hätte Gott nicht selbst eingegriffen und ein für alle Mal das Wort von der Versöhnung aufgerichtet.
Die Aufgabe der Versöhnung ist zu komplex. Wir kämen mit ihr nicht zu Rande, wäre nicht Gott eingetreten.
Heute, am Karfreitag, denken wir daran, dass Gott selbst sich der Versöhnung angenommen hat.
Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.
All unsere Sünde,
unser heilloses Verstrickt-Sein in die ewige Kette von Verletzen und Verletztwerden,
von Kränken und Gekränkt-Werden,
all unsere innere Niederträchtigkeit, mit der andere quälen können,
all unsere inneren Brüche, unser Leiden am Streit,
daran, nicht so zu können, wie wir wollen,
all das, was die Bibel „Sünde“ nennt und was nach Versöhnung ruft, hat Gott an den Sohn Jesus Christus gehängt.
Weil die Sünde im Sinne der Bibel eine so große, so tiefgehende ist,
weil sie unser Leben im innersten manipuliert,
weil sie hindert, dass wir die sind, die wir sein sollen und können und weil sie unsere Beziehungen untereinander vergiftet,
deshalb kann der Preis kein geringerer sein als der Sohn.
Wo Leben gekränkt und zerstört wird, muss Leben eingesetzt werden.
Wo das Herz verwundet ist, muss das zu Herzen-Gehende, der Sohn, eingesetzt werden.
Der Sohn ist der Preis der Wiedergutmachung.
Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.

Damit kommt Gott all unserem Arbeiten, Leiden und Ringen um Versöhnung zuvor.
Ja, er ermöglicht sie zu allererst.
Gott schafft an Karfreitag den Raum der Versöhnung, in dem wir alle in Frieden aufgehoben sind.
Als Opfer, denen hier die Bereitschaft und die Kraft zur Vergebung zuwächst.
Weil Gott unser Herz mit unserer Geschichte versöhnt und wir jenen inneren Frieden spüren, der nur aus den Quellen göttlicher Versöhnung fließen kann. Plötzlich ist er da, ich weiß nicht woher und warum, aber er fühlt sich nach Neu-Werden an.
Und als Täter, denen hier die Bereitschaft zur Reue, zum Kniefall vor den Wunden des Anderen zuwächst.
Weil Gott unsere Seele nicht zerbrechen lässt, wenn sie die eigene Niederträchtigkeit sieht, sondern sie neu macht. Aus Reue wächst Vergebung. Friede.
Wie ein Regen in der Wüste,
frischer Tau auf dürrem Land. (EG 660).

Der Karfreitag ist der große Versöhnungstag.
Hier schafft Gott die Möglichkeit, dass wir Versöhnung erleben können.
Weil er uns als Versöhner vorangeht.
Das Geschäft der Versöhnung ist kein Triviales.
Versöhnung hat einen hohen Preis.
Sie benötigt Mut,
Reue und Bereitschaft zu Vergebung.
Ohne dass Gott am Kreuz vorgearbeitet hätte, wäre sie nicht zu schaffen.
Wir blieben auf ewig gefangen in unseren Geschichten, in unseren Wunden, in unserer Niedertracht.
Gott sei Dank ergreift Gott die Initiative.
Gott sei Dank gibt es Karfreitag.

Versöhnung ist nichts für Feiglinge!

Versöhnung ist eine Sache des Gottesglaubens.

Und für den hat man schon immer den Mut benötigt, sich selbst realistisch zu sehen.

Und so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!

Amen