Verwurzelt in Gott - Predigt zu Johannes 15,1-8 von Karoline Läger-Reinbold
15,1-8

Johannes 15,1-8: Jesus spricht: Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg; und eine jede, die Frucht bringt, reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt die Reben und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.

Gott und die Menschen gehören zusammen Ich bin der Weinstock – ihr seid die Reben.

Dass Jesus so von sich spricht, so einprägsam und doch geheimnisvoll, das finden wir nur bei Johannes. Es geht um Verbindungen und um Verbundenheit. Gott und wir Menschen gehören zusammen, das sagt dieses Bild. Um das Große und Ganze geht es da, und um das gemeinsame Ziel: wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht. Der Weinstock braucht Pflege dafür. Der Winzer geht regelmäßig hin und sieht nach. Er legt Hand an, kümmert sich.

Weinbau – ein bisschen wie Kindererziehung

Einmal war ich im Herbst in einem Weinbaugebiet. Da war Erntezeit, Lese: Überall in den Weinbergen wurde gearbeitet. Reife, volle Trauben, größere, kleinere, helle und dunkle.

Der Weinbau ist eine Wissenschaft für sich, Rebsorte und Lage, Bodenqualität und Mikroklima – und jedes Gewächs hat einen eigenen Charakter. Mich hat fasziniert, dass die Weinbauern von ihren Reben ein bisschen wie von Kindern reden. Da geht es um Rebenerziehung und um die Ansprüche, die jeder einzelne stellt. Um den Raum, den sie für ihr Wachstum brauchen, und um die nötige Unterstützung. Schließlich auch darum, wann und wie man die freien Triebe zurückschneiden muss, damit das Gewächs sich nachhaltig entwickeln kann. „Mach Platz, denn du nimmst sonst den anderen Licht,“ heißt es dann. Oder: „Du musst erst noch wachsen, bis du kräftiger bist.“ 

Die Menschenfamilie braucht Gemeinschaftssinn

Zusammenhalt, Erziehung und Wachstum – darauf kommt es an, auch in der Menschenfamilie. Ich bin der Weinstock, sagt Jesus – ihr seid die Reben. Der Weingärtner ist der Vater, er entscheidet, wie es um das Wachstum bestellt ist. Wer keine Frucht bringt, den nimmt er weg, und wer Frucht bringt, wird gereinigt, auf dass er noch mehr Frucht bringe. Das ist ein strenges Regime, und doch scheint es nötig – für den Zusammenhalt.

Ich merke, wie sich in mir etwas sträubt, mag dieses Bild jetzt nicht genau in seine Einzelteile zerlegen. Was ich verstehe ist dies: in der Familie derer, die zu Christus gehören, braucht es Gemeinschaftssinn.

Wie zeigt sich Verbundenheit in der Zeit der Corona-Pandemie?

Und ich versuche, diese Worte zu verstehen in einer Zeit, in der es genau darauf ankommt:

auf den Gemeinschaftssinn. Die letzten Wochen waren hart: Ausgangsbeschränkungen, Kontaktsperre, für manche Quarantäne. Keine KiTa, keine Schule, kein Büro, für viele Menschen heißt das auch: keine Arbeit, kein Geld. Andere arbeiten rund um die Uhr, im Pflegeheim oder im Supermarkt. Die einen sind abends nur noch kaputt, manche gehen sich zuhause mal so richtig auf den Geist, und andere sind seit Wochen allein.  

Wie bleiben wir verbunden mit denen, die zu uns gehören? Die wir jetzt nicht sehen können. Nicht treffen, nicht in den Arm nehmen. Telefonieren – ja, das mag helfen. Aber doch nicht über eine so lange Zeit. Schwer zu verstehen, dass es gerade jetzt der Abstand ist, die physische Distanz, die uns am meisten schützt. Darum suchen wir neue Formen der Nähe: mit Regenbogenbildern an den Fenstern. Mit Kreidebotschaften auf dem Gehweg, beim Plausch über den Gartenzaun oder zum Nachbarbalkon.

Die Stammbaum-Hausaufgabe

Ich erinnere mich an meine Schulzeit. Einen Stammbaum sollten wir malen.

Im dritten oder vierten Schuljahr ist das gewesen, so ganz genau weiß ich es heute nicht mehr. Jedenfalls in der Grundschule: Mama, kannst du mir helfen?

Die ersten Striche waren noch ganz leicht: Vater – Mutter – Kind, noch ein Kind. So war das bei uns. Bei meiner Freundin Suse war das anders, die hatte nur ihre Mama. Und darum schon in der Schule mit den Augen gerollt, als die Lehrerin die Aufgabe erklärte. 

Einen Stammbaum malen also: Oma und Opa, die andere Oma, die Schwester der Mutter, ok – aber gehört denn die Freundin, mit der sie zusammenlebt, jetzt auch noch dazu?

Wir starteten mit einem großem Blatt Papier und mussten schon nach kurzer Zeit ein zweites Blatt dazu nehmen, mit Tesafilm angeklebt, ein bisschen schief an der Seite. Der Bruder vom Opa, den niemand mehr kannte, weil es von ihm nicht mehr als nur ein altes Foto gab. Der Geburtsname der Tante, den keiner noch wusste. Lauter spannende Entdeckungen, das Familien-Fotoalbum kam uns zu Hilfe. Und diese Vorlage aus der Schule war viel zu schematisch, da passte doch das bunte Leben nur in Ansätzen hinein!

Stammbaum: Mehr als Verwandtschaft

Haben Sie schon mal ihren Stammbaum gemalt? Und wie war das dann: lustig? Oder auch… interessant?

In meinem Stammbaum gibt es Menschen, mit denen bin ich irgendwie verwandt, aber gesehen habe ich sie schon viele Jahre nicht mehr. Vielleicht hört man mal um drei Ecken, was er oder sie gerade macht. Da laufen Linien ins Leere. Und da gibt es Seitenlinien auch: Menschen, die ganz fest zur Familie gehören, ohne dass ich mit ihnen verwandt bin.

Als Kinder hatten wir einen Nenn-Onkel, einen Freund unserer Eltern, der uns zum Geburtstag großzügig beschenkte. Oft kam er auch abends einfach vorbei. Dann hatte er Katzenzungen aus Schokolade für uns oder ein Markstück, und wir durften ihn als Kletterbaum benutzen.

Familie ist bunt

Stammbäume weiten den Blick, sie machen Verbundenheit sichtbar oder stellen sie in Frage. Zum Glück! In den letzten Jahren hat sich das Verständnis von Familie gewandelt. Es ist offener geworden, bunter. Vater, Mutter, Kind - das ist nur ein Konzept unter vielen. Tragfähige Beziehungen gibt es in großer Vielfalt.  Verantwortung. Verbindlichkeit. Fürsorge. Empathie. Liebe. Treue. Das sind Werte, die Menschen zusammenführen, unabhängig von Alter, Herkunft oder Geschlecht.

Die Menschenfamilie: verwurzelt in Gott

Und ich erkenne: auch Gott gehört ja dazu. Zu dieser Menschenfamilie. Jesus, der sagt: Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter (Matthäus 12,50).

Christus, unser Bruder. Er ist der Weinstock, wir sind die Reben. Gott verbindet sich mit uns, und wir können bleiben bei ihm, zu dem wir gehören. In diesen schwierigen Tagen machen wir uns fest. Suchen Wurzeln und Haltedrähte, verbinden uns von neuem mit Gott, unserem Vater, und mit unseren Geschwistern. Wir sind Teil eines Ganzen. Das zu spüren tut gut.

Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren, sagt Jesus. Die Gemeinschaft mit ihm ist eine Gemeinschaft der Hoffnung. Ein festes Gewebe, nicht immer erkennbar, so wie mancher Stammbaum, filigran und bizarr. Verwurzelt in Gott und verbunden durch Christus: ein Grund, der uns trägt. Und der uns wachsen lässt. Was auch immer da kommen mag.  

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pastorin Dr. Karoline Läger-Reinbold

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Eine Stadtteilgemeinde am ersten Sonntag im Mai: Familien, Konfirmandinnen und Konfirmanden, Alleinstehende, Ältere – alle freuen sich über die Sonne, den Frühling. Nach wochenlangem „Lockdown“ und Kontaktverbot herrscht noch große Unsicher-heit: wie geht es weiter in KiTa und Schule, wann werden wir uns wieder wie gewohnt begegnen, wann können wir zusammenkommen und Gottesdienst feiern? Wie geht es den Freunden und Verwandten, die wir immer noch nicht besuchen können?  

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Bild vom Weinstock spricht von der Verbundenheit derer, die zu Christus gehören. Miteinander verwurzelt sein – im Glauben an Gott, in der gemeinsamen Hoffnung auf sein Reich, in der Liebe zu ihm und zu unseren Nächsten, das gibt Halt. In einer Phase der Ungewissheit und der Vereinzelung durch Kontaktverbote und Ausgangsbe-schränkungen ist dies eine starke Botschaft, die Gemeinschaft der Glaubenden wird sichtbar gemacht.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Der Vater als Weingärtner: Auch wenn hier der Gedanke an ein göttliches Gericht sehr deutlich anklingt, ist das ein warmes, schönes, zärtliches Bild. Zum Erziehungskonzept des Winzers gehören Aufmerksamkeit, Fürsorge, Verantwortungsbewusstsein und sehr viel Liebe.   

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Erinnerung an die Stammbaum-Hausaufgabe, die für mich zunächst der Einstieg in die Predigt war, steht jetzt am Ende. Für die Hörerinnen und Hörer die Predigt mag sie so eine Einladung sein, den Faden weiter zu spinnen: Wem bin ich verbunden? Welche Gemeinschaft ist es, die mich trägt, und worin hat sie ihre Wurzeln?

 

 

Perikope
03.05.2020
15,1-8