Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da sein wird. Amen.
Ich weiß nicht mal, wie er starb! - So heißt eine ARD-Doku1, die einen einfühlsamen Blick auf ein Pflegeheim in Wolfsburg wirft. Zu Beginn der Coronapandemie hatten sich hier innerhalb weniger Tage 112 der 160 Bewohner*innen mit dem tödlichen Virus angesteckt. 47 von ihnen starben.
Ich weiß nicht mal, wie er starb! – das sagt in dieser Reportage Sandra Höfert. Ihr Vater gehörte zu den Opfern. Wegen der Zugangsbeschränkungen in Heimen und Krankenhäusern konnte sie nicht Abschied nehmen. Geblieben sind tiefe Trauer und ein Gefühl der Unwirklichkeit.
Ich weiß nicht mal, wie er starb! – Die meisten von Ihnen und Euch wissen, wie und warum Ihre Angehörigen und Freunde gestorben sind. Aber schwer ist es trotzdem.
Tiefe Trauer und ein Gefühl der Unwirklichkeit – viele von uns können das nachempfinden. Wenn die Tür aufginge und sie würde hereinkommen, ich würde mich nicht wundern, sagt mir ein Mann nach dem Tod seiner Frau. Wenn ich durch die Stadt laufe, suche ich unbewusst immer nach seiner Gestalt, erzählt eine Nachbarin.
Ob der Tod in jungen Jahren kommt und völlig unerwartet oder nach einem erfüllten Leben und vorhersehbar – immer hinterlässt er einen tiefen Schmerz. Das wird uns besonders heute, am Totensonntag bewusst.
Und wenn dann Dinge, die helfen, auch noch nicht oder nur eingeschränkt stattfinden können – viele Begleiter*innen bei der Trauerfeier, Umarmungen, die symbolische Rückkehr ins Leben beim Beerdigungskaffee mit Verwandten und Freunden – dann ist es besonders schwer. Auch Trauer kann einsam sein in diesen Zeiten.
Wir werfen Erde auf den Sarg oder die Urne, geben der Erde zurück, was von ihr genommen ist. Erde zu Erde, Asche zu Asche … Immer wieder erleben wir das. Aber begreifen können wir es nicht. Was das bedeutet: Dass mit jedem Menschen eine ganze Welt verschwindet. Dass wir wieder zu Erde werden. Wo ist der Opa jetzt? So fragt Bruno, die Hauptfigur in dem Bilderbuch Hat Opa einen Anzug an? von Amelie Fried und Jacky Gleich2. Brunos Großvater ist gestorben, und er kann es nicht begreifen.
Wo ist der Opa jetzt? - 'Auf dem Friedhof', sagte Xaver. 'Im Himmel', sagte Papa. 'Ja, was denn jetzt?', fragte Bruno und schaute von einem zum andern. 'Beides stimmt', sagte Mama. Da lief Bruno aus dem Haus und versteckte sich in der Scheune. Er wusste genau, dass jemand nicht an zwei Orten gleichzeitig sein konnte. Früher, wenn er etwas nicht verstanden hatte, war er zum Opa gelaufen und hatte ihn gefragt. Jetzt war der Opa weg, und keiner wollte ihn sagen, wo er war.
Wo sind unsere Toten? Hilft der Besuch am Grab, um ihnen besonders nahe zu sein? Oder eher ein Blick in die Weite des Himmels? Oder ist es nicht doch logischer, was viele sagen? Dass mit dem Tod einfach alles aus ist.
Nicht nur wir stellen solche Fragen. Auch die Menschen in der Gemeinde in Korinth können sich anscheinend nicht vorstellen, wie jemand, der tot ist, wieder lebendig werden kann. Davon und von dem, was Paulus ihnen antwortet, erzählt unser Predigttext.
Lesung des Textes (möglichst von Lektor*in)
Wie werden die Toten auferweckt? Und was für einen Leib werden sie haben?
Schaut euch doch mal um, sagt Paulus. Eigentlich ist es doch gar nicht so schwer.
Stellt euch ein Weizenkorn vor. Wenn wir es so anschauen, würden wir nie auf die Idee kommen, dass daraus einmal ein grüner Halm wird und später Ähren mit vielen Körnern daran wachsen. Aber wir wissen, dass es so ist. Wir haben es schon oft genug erlebt. Und deshalb können wir das ganz und gar Unwahrscheinliche schon in einem solchen leblosen Korn erkennen.
Voraussetzung ist: Das Korn wird in die Erde gelegt. Der Samen wird begraben. Am Tod vorbei gibt es kein neues Leben.
So, meint Paulus, kann man sich das mit der Auferstehung der Toten auch vorstellen. Wir sehen den Menschen, der vielleicht alt und krank gewesen ist, wir sehen den Körper, wir sehen den Verfall, wir haben die Vergänglichkeit vor Augen. Und mehr können wir erst einmal nicht sehen. Wir haben es noch nicht erlebt, dass ein Toter wieder aufersteht. Aber vielleicht ist es wie beim Weizenkorn.
Paulus verweist uns also auf Bekanntes und erklärt damit das Unbekannte.
Und er geht noch einen Schritt weiter: Die Auferstehung übertrifft all unsere Erwartungen, sagt er. Unser Leben auf dieser Erde ist wie das Weizenkorn, das ausgesät wird – die Auferstehung ist wie die Ähre, die im Sommerwind wogt.
Paulus erklärt das, was er meint, in vier kurzen Sätzen:
Gesät wird in Vergänglichkeit, auferweckt in Unvergänglichkeit. Gesät wird in Erbärmlichkeit, auferweckt in Herrlichkeit. Gesät wird in Schwäche, auferweckt in Kraft. Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt wird ein geistlicher Leib.
Ja, so ist es wohl: Bei Lichte betrachtet ist unser Leben hier auf dieser Erde erbärmlich. Auch wenn wir noch so große Stücke halten auf das, was wir als Menschen sind und können, im Grunde ist doch nur ein Windhauch nötig, um uns außer Gefecht zu setzen. Manchmal genügen schon ein paar Viren oder Bakterien.
Unsere irdische Existenz ist bestimmt von Vergänglichkeit und Schwäche. Gerade die Corona-Krise hat uns das noch einmal deutlich von Augen geführt.
Aber – so sagt es Paulus - wir werden auferweckt in Unvergänglichkeit. Gott hält für uns ein Leben bereit, in dem es Zerfall, Schmerzen, Kummer und Krankheit nicht mehr geben wird. Darauf vertraut Paulus. Darauf hoffen wir.
Es geht nicht um ein einfaches Irgendwie geht es weiter! Im christlichen Glauben geht es um ein Es wird alles neu!
Hier das tote Korn, dort die wunderbare reife Frucht. Hier Vergänglichkeit, da Unvergänglichkeit. Hier Erbärmlichkeit, dort Freude und Fülle. Hier irdisch, dort geistlich.
Und trotzdem: Diese Verwandlung schließt die Kontinuität mit ein. Das Saatkorn verändert sich und ist nicht wiederzuerkennen. Aber aus einem Weizenkorn wird eben keine Tulpe und aus einem Kirschkern keine Sonnenblume. Die neue Person entsteht aus unserer individuellen Persönlichkeit.
Wir können das an dem erkennen, was seine Jünger mit Jesus erlebt haben. Nach seiner Auferstehung. Jesus ist nicht reanimiert worden. Er ist seinen Freundinnen und Freunden „in anderer Gestalt“ erschienen. Er konnte durch verschlossene Türen gehen, erzählt die Bibel. Und doch wussten alle: Er ist es.
Der irdische Leib vergeht, aber – so versteh ich das – der von Gott geliebte und gewollte Mensch in seiner Einmaligkeit vergeht nicht.
Was bedeutet diese Hoffnung nun für uns heute - am Totensonntag? Was bedeutet sie für unsere Trauer?
Mir fällt auf, dass Hoffnung und Trauer viel gemeinsam haben. Beide wollen etwas anderes als das, was die Augen sehen können. Beide sind mit dem, was ist, nicht glücklich. Aber es gibt auch einen Unterschied: Die Trauer richtet ihre Sehnsucht auf das, was vergangen ist. Die Hoffnung streckt ihre Fühler aus in die Zukunft.
Die Trauer gilt dem, was man verloren hat und will es zurück. Hoffnung richtet ihren Blick in die Zukunft. Aber sie spürt: Alles ist anders. Aber schon jetzt ist der Mensch, den ich verloren habe, auf eine ganz andere Weise bei mir.
Und es gibt viele Beispiele, dass Menschen durch diese Hoffnung auch im Angesicht des Todes gelernt haben, neu zu leben und das Leben neu zu schätzen.
Ob man das Leben mit oder ohne Hoffnung betrachtet, das macht den Unterschied.
Ich muss an die Erlebnisse älterer Menschen in der Nachkriegszeit denke. In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg ging es den meisten sehr schlecht. Es gab mehr Trümmer als Häuser, und von guten Lebensbedingungen konnte keine Rede sein. Dennoch erschien es vielen wie ein Wunder, das ihnen überhaupt neues Leben zugedacht war. Leben war Hoffnung in dieser Zeit. Man fing an zu bauen und Gesetze zu beschließen. Und obwohl man gerade erlebt hatte, zu welcher Zerstörung und Grausamkeit Menschen fähig sind, glaubte man, dass nun Frieden bleiben könne für immer. Wenn private und politische Lebensumstände entscheidend wären, hätte damals niemand Grund zur Hoffnung gehabt.
Gesät wird in Vergänglichkeit, auferweckt in Unvergänglichkeit. Gesät wird in Erbärmlichkeit, auferweckt in Herrlichkeit. Gesät wird in Schwäche, auferweckt in Kraft. Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt wird ein geistlicher Leib.
Es ist gut, dass wir diese Worte immer wieder hören, auf dem Friedhof, an den offenen Gräbern. Und heute.
Denn diese Hoffnung brauchen wir jetzt. Am Totensonntag. Mitten in der Corona-Zeit. Mitten in der Trauer um unsere Verstorbenen.
Am Anfang ging Bruno oft zum Friedhof, mit der Zeit dann immer seltener. Irgendwann sagte Papa: 'Heute vor einem Jahr ist Opa gestorben.' Bruno merkte, dass der Schmerz in seiner Brust weniger war. Er war auch nicht mehr wütend. Nur noch ein bisschen traurig. Wenn er an Opa dachte, sah der so aus wie auf dem Foto, lachend und glücklich. Bruno dachte, wenn Opa glücklich war dort, wo er jetzt war, dann durfte auch er, Bruno, wieder ein kleines bisschen glücklich sein.
Amen.
1 I https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/video…
2 I Fried, Amelie; Gleich, Jacky: Hat Opa einen Anzug an? Carl Hanser Verlag München. 17. Aufl. 1997.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Vor Augen habe ich Menschen, die – vielleicht sogar unter Corona-Bedingungen – Abschied neh-men mussten von Angehörigen oder Freund*innen und ganz gezielt zum Gottesdienst am Toten-sonntag kommen: Um gemeinsam mit anderen, die ähnliches erlebt haben, zu trauern und - ihre Hoffnung stärken zu lassen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich bin schon länger fasziniert von Kinderbüchern zum Thema Tod und Sterben, von den Fragen, die dort gestellt werden und von der Hoffnung, die darin deutlich wird. Im Bilderbuch ‚Hat Opa einen Anzug an?‘ von Amelie Fried und Jacky Gleich erlebt der kleine Bruno, wie Hoffnung – mitten in großer Trauer - sich anfühlt: ‚Wenn Opa glück-lich war dort, wo er jetzt war, dann durfte auch er, Bruno, wieder ein kleines bisschen glücklich sein.‘
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Durch die Beschäftigung mit dem Predigttext habe ich die Aufforderung des Paulus: ‚Schau Dich doch mal um. Hier - das Weizenkorn …‘ noch einmal neu gehört und - in einer Situation, in der Krankheit und Tod und Corona eher ein düsteres Bild malen – auch für meine eigene Hoffnung Stärkung erlebt.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Das wertschätzende und gründliche Redigieren des Predigtentwurfs durch meinen Predigtcoach habe ich als sehr hilfreich empfunden. So habe ich in der abschließenden Bearbeitung auf ein illustrierendes Beispiel verzichtet und zudem erkannt, wie viel eine winzige Umformulierung austragen kann.