Vom Ende der Opfer – Predigt zu Hebräer 9,15.26b-28 von Gabriele Arnold
9,15.26b-28

Liebe Gemeinde,

heute am Karfreitag steht das Kreuz da – groß und unerbittlich – vor unseren Augen, in der Mitte unseres Nachdenkens. Das Kreuz, Zeichen für den grausamen Tod, Zeichen für Menschenverachtung und Folter, Zeichen für sinnloses Töten und elendes Sterben. Hunderttausende von Kreuzen überzogen in der Antike die römischen Provinzen.  Kreuzigung war die grausamste Todesstrafe, die sich der römische Staatsapparat für Sklaven und Aufständische ausgedacht hatte. Nicht umsonst war die Anordnung, dass ein römischer Bürger nicht gekreuzigt werden durfte. Die Schreie der Sklaven finden Ihren Wiederhall bis heute in den Schreien und Schmerzen all der Opfer von Gewalttat und Folter durch die Jahrhunderte bis heute Morgen.

Warum quälen wir uns Jahr um Jahr am Karfreitag mit dem Kreuz? Warum stehen Kreuze in all unseren Kirchen? Hängen Kreuze in Krankenzimmern und Schulklassen? Warum verschenken wir dieses Folterwerkzeug an unsere Täuflinge und Konfirmanden? Haben wir denn wirklich nichts Besseres, Fröhlicheres, Einladenderes mit dem wir uns und unsere Kirchen schmücken könnten?

Nein, liebe Gemeinde, wir haben nichts Besseres, Größeres und Wertvolleres als das Kreuz. An diesem Kreuz hängt unsere Schuld, hängt unsere bitterste Not, hängt unser Leben, hängt unser Gott. Hier ist alles zu finden was wir zum Leben brauchen. Ohne dieses Kreuz wäre alles nichtig und sinnlos. Die Theologen des neuen Testamentes suchten nach Worten und Bildern, um das Geschehen am Kreuz zu verstehen und zu deuten. Wie sollte man  den Menschen damals erklären was das Kreuz bedeutet. Dass es etwas ganz anderes war als das, was vor Augen lag, nämlich das schmähliche Scheitern Jesu als Verbrecher am Kreuz. Paulus gebraucht das Bild der Versöhnung, im Johannes Evangelium ist vom Lamm Gottes die Rede und der Hebräerbrief spricht von Christus als dem Hohepriester, dem Mittler zwischen Mensch und Gott, dem Vermittler zwischen der ewigen Welt und unserer Welt. Immer geht es darum die Befreiung von Schuld und  Gottes Sieg über den Tod, und das offensichtliche schreckliche Ende Jesu zusammen zu denken und zusammen zu verstehen.  Jesus so der Verfasser des Hebräerbriefes ist der Vermittler zwischen uns und Gott. Bei Gott ist Leben und Heil und Christus bringt dieses Leben aus der göttlichen Welt auf die Erde, nicht nur in seinen Worten und Taten sondern in seinem Tod, der kein Scheitern ist sondern in Wahrheit ein Sieg. Er opfert sich selber um die Sünden der Welt davon zu tragen, aufzuheben und zunichte zu machen.

Dahinter steht eine für uns Heutige merkwürdig anmutende Vorstellung. Einer muss sterben, damit die Sünde aufgehoben wird. In vielen alten Religionen gibt es diese Vorstellung. Um die Sünden und die Schuld der Menschen wegzunehmen, muss meistens ein Tier geopfert werden. Diese Vorstellung  ist uns auf den ersten Blick  fremd und sie will nicht so recht zu dem Gott passen von dem Jesus erzählt hat. Unser Gott braucht keine blutigen Opfer, weder von Menschen noch von Tieren. Gott muss nicht gut gestimmt werden. Gott ist gut gestimmt gegen uns. Er liebt uns ohne Wenn und Aber. Und trotzdem gibt es auch bei uns heutigen Menschen die Erfahrung, dass etwas nicht stimmt. Nicht stimmt mit uns und dieser Welt. Die Bibel nennt das Sünde es ist die Erfahrung, dass es Dinge gibt, die nicht in Ordnung sind, die nicht gut sind und die Gott auch nicht gut heißen kann und die er auch nicht einfach so weglieben kann. Das sind die wirklich furchtbaren Verbrechen, das ist der Holocaust an den Juden und an den Sinti und Roma, das ist Mord und Gewalt, Vergewaltigung und Amokläufe, das ist aber auch der schnelle Besuch im Bordell,  der Hass, der sich in meinem Herzen eingenistet hat, die Lüge , die mich vergiftet. Und um noch eins drauf zu setzen es ist auch der Kaffee den ich trinke und die Schokolade die ich esse, für deren Anbau Menschen geschunden werden und nicht gerecht entlohnt. Und es sind die Tierversuche, die für Medizin aber auch die für den neuen Lippenstift. Wenn wir einmal anfangen all das Böse und Schlechte auf zu zählen dann können  wir gar nicht mehr aufhören. Es ist wie eine Flut. Und es gibt in unserer Welt so viele Opfer und manchmal wissen wir gar nicht ob die Täter nicht in Wahrheit auch Opfer sind. Das ist eine unglaubliche Ansammlung an Schrecken und Schlechten und das von alters her bis heute vom Nordpol bis nach Australien, von Ost nach West von oben und unten. Was für ein furchtbares Elend. Und was passiert nun damit? Wie können wir damit leben? Wie kann unsere Erde bestehen ohne an all diesem Gift zu zerbrechen? Das ist die große Frage. Und das ist auch die große Sehnsucht, dass es einmal keine Opfer mehr geben muss und keine Täter, dass es einmal gut wird mit uns und mit der Welt. Jesus ist es, der es aushält an unserer Stelle, der Mittler, der das aushält und wegtragen will. Jesus ist ein für alle Mal erschienen so der Verfasser des Hebräerbriefes und hat mit seinem Tod etwas gänzlich Neues und Unglaubliches getan. Er hat das Böse, die Schuld ausgehalten an unsere Stelle damit wir nicht an unserer Schuld zugrunde gehen müssen. Keiner soll mehr zugrunde gehen immer ist Vergebung und Neuanfang möglich. Und dass passiert durch Christus, der zwischen dem Himmel und der Erde hin und her geht, der vermittelt, der vom Himmel gekommen ist um uns den Himmel zu öffnen, um uns den Eintritt in den Himmel zu vermitteln. Und er nimmt das ganze Böse auf seine  Schulter und zerbricht daran. Es ist nicht so dass Gott seinen Sohn opfert und schlachten lässt. Nein, Christus opfert sich selber aus freien Stücken, um uns den Weg in den Himmel zu öffnen. In manchen unserer Gesangbuchliedern zur Passionszeit tauchen andere Bilder auf. Und die sind erstaunlich beharrlich in unseren Köpfen ja sogar in den Köpfen vieler Menschen, die sich sonst gar  nicht mit dem Christentum identifizieren. Es ist das Bild eines zornigen Gottes und um seinen Zorn zu besänftigen, opfert er seinen eigenen Sohn. Aber so ist Gott nicht. Gott ist ein Feind des Bösen und er leidet so sehr an diesem Bösen, weil er will dass wir leben und so wirft er sein Leben in die Waagschale in einem Sohn und bekämpft das Böse und die Gewalt mit Gewaltverzicht und Vergebung. Noch am Kreuz sagt er: Vergib Ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.  Und weil Gott Gott ist und größer und stärker als all das Unrecht als all das Schlimme, darum bleibt Christus nicht im Tod. Der Tod kann ihn nicht halten. Der Mittler Christus lebt und geht in die Herrlichkeit Gottes ein und wenn er wieder kommt,  kommt er zu uns allen, die auf sein Heil warten, nicht um uns zu bestrafen sondern  zum Heil.  D.H. in all dieser Flut des Bösen, der Sünde, der Gewalt können wir leben ohne verzweifeln zu müssen. Uns und aller Welt ist es bestimmt, dass die Sünde ein Ende hat, dass unsere Schuld uns nicht den Boden unter den Füßen wegzieht. Und deshalb macht es viel Sinn, dass wir heute Abendmahl feiern. Denn diese Geschehen am Kreuz und an Ostern, die Vergebung und die Chance zu Neuanfang, sie wurzeln in der Überwindung des Bösen am Kreuz.  Was damals ein für alle Mal geschah das reicht bis zu uns hier in die Kirche und es reicht auch noch weit hinein in die Zukunft. Im Abendmahl lädt Gott uns ein und in Wein und Brot kommt er und spricht uns das zu, was Christus für uns erreicht hat. Vergebung der Schuld und Neubeginn. Jedes Abendmahl ist die ausgestreckte Hand Gottes. Alles ist gut und vergeben. Du darfst leben und neu anfangen. Immer wieder neu. Keiner ist mehr da, der dir ewig vorrechnet was du getan hast. Und du musst es dir auch nicht selber immer wieder vorrechnen.

Im Abendmahl wird Versöhnung spürbar, sichtbar. Da stehen wir mit all den Scherben und Brüchen und werden entlastet von Gott. Da stehen wir und Gott reicht uns die Hand und sagt: Du darfst weiterleben, getrost und unverzagt und natürlich scheitern und dann eben doch auch wieder neu anfangen.

Und was ist mit  all dem was sonst noch am Kreuz gelandet ist. All das, was nie jemand bereut. All die furchtbaren  Morde und Schrecken der Weltgeschichte. All dieser Unrat.  All das tägliche Elend, all die unbelehrbaren und unbekehrbaren, all die die tief verstrickt sind in ihre unseligen Lebensgeschichten? Als Christen glauben wir, dass auch das in Ordnung kommt. Ganz am Ende der Zeiten werden auch die zur Einsicht kommen, die nichts einsehen und bereuen wollen und dann kann Gott auch ihnen verzeihen. Dann kann Gott auch darüber seinen Mantel der Vergebung legen, Ohne diese Perspektive wären wir unendlich arm. Aber wie das gehen soll, das wollen und müssen wir Gott überlassen und darauf vertrauen, dass er es schon recht macht und dass seinen Weisheit größer ist als unsere und seine Liebe tiefer als alles was wir ausloten können. Amen.

Perikope
30.03.2018
9,15.26b-28