Vom glaubwürdigen Fasten - Predigt zu Jesaja 58,1-9a von Jens Junginger
58,1-9

Vom glaubwürdigen Fasten

Liebe Gemeinde,
mit dem kommenden Mittwoch, dem Aschermittwoch, beginnt die Fasten- und Passionszeit.
Fasten liegt im Trend: Körperkult, schlank werden, gesund Leben und Essen, lifestyle.
Fasten liegt im Trend, losegelöst jedoch von seiner ursprünglich jüdisch- christlichen Herkunft und Bedeutung.
Der Predigttext für den heutigen Sonntag ist bereits eine Predigt, eben über den eigentlichen Sinn des Fastens, über glaubwürdiges Fasten, in persönlicher, gesellschaftlicher, sozialer und globaler Hinsicht:
Wir hören diese Predigt in Abschnitten.
Sie steht im Buch des Propheten Jesaja. Dort im Kapitel 58.
Sie  beginnt mit einem Aufruf und Auftrag Gottes an den Propheten:
1 Rufe getrost, halte nicht an dich!
Erhebe deine Stimme wie eine Posaune
und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit
und dem Hause Jakob seine Sünden!

Die Begründung schließt sich unmittelbar an:
2 Sie suchen mich täglich
und begehren, meine Wege zu wissen,
als wären sie ein Volk,
das die Gerechtigkeit schon getan
und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte.
Sie fordern von mir Recht,
sie begehren, dass Gott sich nahe.

Gott, so hören wir aus dem Mund des Propheten, ist regelrecht empört über die Aufdringlichkeit, das selbstgerechte und anmaßende Gebaren des gläubigen Volkes. Über die verwegene Selbsteinschätzung, dass sie meinen mit ihrer Art zu Leben und zu denken in besonderer Weise Gottes Nähe für sich in Anspruch nehmen könnten.
Gott ist besonders empört, weil es die Leute gerade mit der Rechtschaffenheit, mit der Einhaltung des Rechts und der Gerechtigkeit alles andere als ernst meinen.
In Wahrheit  haben sie damit gar nichts mehr am Hut.
Sie lassen es an Glaubwürdigkeit vermissen.

Die Frage nach der Glaubwürdigkeit muss sich seit Wochen nicht nur der ADAC stellen.
Die Frage nach der Glaubwürdigkeit des christlichen Volk Gottes, der Institution Kirche, die steht bereits seit einigen Monaten auf der Tagesordnung.
Nicht nur für kirchenkritische ZeitgenossInnen, die katholische Kirche und manchen ihrer Bischöfe.
Wie glaubwürdig ist die evangelische Kirche und ihre Diakonie
auf Grund der Verknüpfung von Staat und Kirche,
im Blick auf  den Umgang mit anvertrauten Mitteln,
und die Steuermittel die für ihre soziale Arbeit verwendet werden.
Wie glaubwürdig ist sie als Arbeitgeberin und als Organisation, die die Gerechtigkeit Gottes predigt, gesellschaftlich und politisch einfordert und zugleich als Akteurin auf dem ökonomisierten Sozialmarkt in ethische Zwänge gerät. 
Im der Glaubwürdigkeit willen ist hier Transparenz und Offenheit sind geboten.

Blicken wir aber nochmals auf den Bibeltext, auf diejenigen, über die sich Gott durch den Propheten empört:
Viele waren aus dem babylonischen Exil wieder in die alte Heimat zurückgekehrt, nach Jerusalem. Doch wirklich befriedigend, gar beglückend war die Lage dort nicht. Nicht so, wie sie sich das im Exil, fern der Heimat, an den Flüssen Babylons erträumt hatten.
Die persische Besatzungsmacht in Palästina und Jerusalem hatte veranlasst Steuern in Münzgeld einzuziehen.
Das hatte zur Folge, dass sich im Volk eine zunehmende soziale Spaltung abzeichnete, zwischen der Seite dramatisch verarmender Verlierer des Steuereinzugs und der Seite der Gewinner.
Eine Finanzelite bildete sich, auch aus dem eigenen Volk.
Die hatten sich über eine rücksichtslose Kreditpraxis, zulasten einfacher Schuldsklaverei ziemlich bereichert. Erbarmungslose Pfändungen machten aus einem Großteil der Kleinbauern, hungernde, obdachlose und auf Almosen angewiesene Bettler.[1]

Liebe Gemeinde,
auch das kommt einem nicht ganz unbekannt vor. Ein bei weitem noch nicht verheilter Vertrauensriss durchzieht bis heute das Verhältnis zwischen Bürgern, Kleinbetrieben und Mittelstand zur Welt der Geschäftsbanken, Kreditinstitute und zum globalen Finanzsystem.
Im Kreis der Kredithaie zu Jesajas Zeiten wurden offenbar Rituale eines religiösen Fastens gepflegt, bei dem persönliche Enthaltsamkeit,  Genuss-Mäßigung und  Nahrungsverzicht mit Gebetsritualen gekoppelt war. Damit wollte man Gott gegenüber Reue und Ergebenheit zeigen, sich persönlich sozusagen seine Güte und Wohlgesonnenheit erkaufen.
Dass ein derartige Praxis und ein solches Fastens nicht mit pikanten Finanzpraktiken und verwerflichen Kreditgeschäften zusammenpasst, das empfinden wir heute ganz ähnlich wie Jesaja damals:
Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, sagt Jesaja
geht ihr doch euren Geschäften nach
und bedrückt alle eure Arbeiter.
4 Siehe, wenn ihr fastet,
hadert und zankt ihr
Ihr sollt nicht so fasten,
wie ihr jetzt tut,
wenn eure Stimme
in der Höhe gehört werden soll.

Wahrer echter Glaube, Gottes- Dienst  im Sinne des Wortes, so das Plädoyer Jesajas, der will sich auch im wahren Leben zeigen, im Alltag, im Geschäftsgebaren und ökonomischen Handeln.
Jesaja  kritisiert unverhohlen den offenkundigen Widerspruch:
5 Soll das ein Fasten sein,
an dem ich Gefallen habe,
ein Tag, an dem man sich kasteit,
wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf
und in Sack und Asche sich bettet?

In Sack und Asche gehen für Gott, und gleichzeitig sich an der Not und der ausbeuterischen Arbeit anderer Leute bereichern? Selbstkasteiung ohne eine Ethik verantwortlichen Handelns? Individuelle Verzichtsmoral bei struktureller Ungerechtigkeit?
Das ist Heuchelei. Das passt nun mal nicht zusammen.
Liebe Gemeinde
der prophetische Klartext hat bis heute nichts an seiner Gültigkeit eingebüßt.
Vier Wochen mit Hartz IV hieß eine Aktion, die im Bereich der Landeskirche in  Gemeinden und Bezirken durchgeführt wurde.
Da konnte man vier Wochen lang mit dem Hartz IV Satz eine Art soziales Fasten üben, mal erleben wie das ist: Das Leben, der Anderen, der Bedürftigen und Armen und wie sich das anfühlt.
Einschränkung, Verzicht  aus einem wohlmeinenden Mitgefühl heraus.  Was hat sich dadurch geändert, für die, die über lange Zeit damit erleben müssen? Werden Die Vesperkirchen und Tafelläden jetzt weniger aufgesucht, weil die Leute jetzt mehr zur Verfügung haben? Mitnichten. Sie sind weiterhin ein traurige Erfolgsmodell.
" ist das ein Fasten an dem ich gefallen habe"?
Jesaja steckt den Finger in Wunde. Er regt eine selbstkritische Bestandsaufnahme an: Wie verstehen wir das Fasten heute? Wie kann ein glaubwürdiges Fasten Gestalt annehmen, jenseits der Pflege eines Körperkults, jenseits von Mitfühlaktionen? Persönlich, als Volk Gottes, als Kirche?
Es mag einem beim Zuhören ähnlich gehen, wie den Hörern damals, als sich Jesaja, bzw. einer aus seiner Schule, so klar und scharf zur Wort meldete.  
Mit Kritik und offenen Fragen regelrecht überschüttet zu werden ist unbefriedigend. Es erschlägt einen. Da wünscht man sich ein paar konstruktive und konkrete Vorschläge zu hören, wie es denn anders laufen könnte. Der Text nimmt dieses Bedürfnis auf. Er wendet sich an die Kreditgeber, die sich für Gott vorübergehend kasteien und gleichzeitig aus der Not von Mitmenschen unsägliches Kapital schlagen und sagt:
6 Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe:
Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast,
lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast!
Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!
7 Brich dem Hungrigen dein Brot,
und die im Elend ohne Obdach sind,
führe ins Haus!
Wenn du einen nackt siehst,
so kleide ihn,
und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
8 Dann wird dein Licht hervorbrechen
wie die Morgenröte,
und deine Heilung
wird schnell voranschreiten,
und deine Gerechtigkeit
wird vor dir hergehen,
und die Herrlichkeit des HERRN
wird deinen Zug beschließen.
9 Dann wirst du rufen,
und der HERR wird dir antworten.
Wenn du schreist, wird er sagen:
Siehe, hier bin ich.


Liebe Gemeinde
Das heißt im Klartext:
Fasten, Beten, konkrete Unterstützung und das tun des Gerechten
gehören untrennbar zusammen:
Mit dem hungrigen Brot brechen,
Suppe ausgeben, Unterkunft ermöglichen, Klamotten aushändigen - von Angesicht zu Angesicht,
und das strukturelle Unrecht der Verarmung bekämpfen, vom Joch der Verschuldung befreien,
bedrückende Ungleichheit ausgleichen! Das gehört zusammen.
Unmittelbare Soforthilfe mit Vesper oder Suppe, und strukturelle Änderungen zur dauerhaften Linderung von Elend, Not und Ausbeutung gehören untrennbar zusammen.
Feiern, Besinnung, innere Einkehr und das Streiten für mehr  Genügsamkeit, Bescheidenheit, Beschränkung gehören untrennbar zusammen.
Meditation, Stille, Singen und das Engagement für Fairness im Arbeitsplatz und gerechten Lohn
gehören untrennbar zusammen.
Wenn laut der entwicklungs- und Hilfsorganisation Oxfam[2] weltweit 85 Menschen so reich sind wie 3,5 Milliarden und knapp die Hälfte des weltweiten Vermögens sich in den Händen von einem Prozent der Weltbevölkerung konzentriert, dann ist es zwingend Armutsbekämpfung mit einer weltweite Umverteilung zu verknüpfen.
Wo sich das ereignet, wird Gott, gemäß dem Propheten Jesaja, sagen:
Siehe hier bin ich.
Ein Fasten wie Gott es will legt nahe,
zeitlich befristetet innezuhalten,
realisieren was im Übermaß hergestellt, angeboten und konsumiert wird,
festzuhalten, wo wir ohne Not fasten könnten, was ohne tatsächliche Einschnitte geteilt und verteilt werden könnte, an Essen, an Klamotten, an Waren und Produkten.
Ein Fasten wie Gott es will, bedeutet:
Gemeinsam einkehren, im Kopf frei werden, sich bewusst werden, worauf es wirklich ankommt, fürs eigene persönliche Leben, für eine Bevölkerung.
Ein Fasten wie Gott es will, heißt entdecken, welches Übermaß an Reizen, Versuchungen, Waren und, Produkten längst zu einer  seelischen und materiellen Belastung für uns und den Globus geworden ist.
Ein Fasten wie Gott es will, ermöglicht Gewinn an Lebensqualität, an Zeit, an Menschlichkeit und Gerechtigkeit, vor Ort, in den Ländern des Südens, in der einen Welt
Es ermöglicht Gewinn,
für Beziehungen, Familie und Gemeinschaft,
für ein regionales Bewusstsein, für Nachbarschaften,
für deren interne Fürsorge und gegenseitige Versorgung.
Es bringt Gewinn, fürs gegenseitige Wahrnehmen, Kümmern, Teilen und Teilhaben lassen.[3]
„Hier bin ich!“ sagt Gott uns zu, wenn wir zögerlich werden und meinen, das kriegen wir nicht hin.
Hier bin ich, sagt Gott, und macht uns gewiss: Ihr seid nicht allein.
Hier bin ich, schon indem ihr anfangt, mit den ersten kleinen Schritten,
wird das Licht hervorbrechen
wie die Morgenröte
und deine Heilung, Volk Gottes, wird schnell voranschreiten.
Amen

 


[1] Vgl. Rainer Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit 2, Göttingen 1992, S.540

[3] Mehr dazu bei Niko Paech,dem Postwachtumsökonomen unter: http://www.zeitwohlstand.info/wp-content/uploads/2012/07/Zeitwohlstand…

 

Perikope
02.03.2014
58,1-9