Vom Scheitern und Weitermachen – schmecket und sehet – Predigt zu Johannes 21,1-14 von Christina Costanza
21,1-14

I Der fremde Blick
 

Ein Mann steht am Bahngleis, wartet auf seinen Zug. Seine Blicke schweifen umher, wandern durch die Menge der ebenfalls am Gleis wartenden Menschen. Da sieht er plötzlich eine Frau, die ihm bekannt vorkommt. Er schaut genauer hin und erkennt eine alte Freundin von früher.
Sein Herz schlägt schneller, die Freude unerwarteten Wiedersehens nach langer Zeit steigt in ihm auf. Er geht auf die Frau zu, spricht sie an, seine Freude nicht verbergend. Die Frau dreht sich um – in der Tat ist es die Freundin aus alten Zeiten!
Und doch steht eine Andere vor ihm, eine Fremde. Der Mann merkt, dass sie ihn zwar erkennt. Doch ihr Blick mustert ihn kühl, ihre Stimme ist gereizt. Kurz angebunden grüßt sie ihn und wendet sich zum Gehen. Die Freude des Mannes, sein Lächeln bleiben unerwidert. Seine Erwartung zerbricht, seine Freude schlägt um in Scham. Er sieht sich selbst mit den Augen der Frau, den Augen einer Anderen. Ein fremder Blick, der ihn ins Mark trifft. Wie lächerlich er doch ist mit seiner freudigen Erwartung.
Wie lächerlich er doch ist. Vielleicht nur gut, dass sie weitergeht. Denn was sollte er ihr schon erzählen? Was ist aus seinen Träumen geworden? Was ist aus ihm geworden, was ist er schon?
 

II Am See von Tiberias
 

Der Blick eines anderen, er kann ernüchternd sein. Ein Moment der Offenbarung, in dem mir klar wird, was alles nicht in Ordnung ist mit mir. Der mich all meines mühsam zusammengeklaubten Schutzes entkleidet, so dass ich mich nackt fühle, mit leeren Händen dastehe, ausgeliefert.

So etwas passiert den Jüngern in der Zeit nach Jesu Tod. Gerade noch hatten sie erlebt, wie Jesus zu ihnen kommt – der, der eigentlich tot ist, den sie vermissen. Wie er sich anfassen lässt von Thomas, weil er fühlen muss, um glauben zu können. Nur ein paar Tage sind seitdem vergangen…
 

Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so:Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger.
Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.
Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.
Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein.
Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.
Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See.
Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.
Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot.
Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt!
Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.
Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr.
Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch den Fisch.
Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.
 

III Zeichen und Wunder
 

Sieben Jünger. Zweihundert Ellen (das sind ungefähr 90 Meter) entfernt vom Ufer. Hundertdreiundfünfzig Fische im Netz. Das dritte Mal hat sich Jesus nach seinem Tod gezeigt.

Da hat einer Lust am Zählen. Die merkwürdigste Zahl in dieser Erzählung: Die 153. Sie kommt an dieser Stelle das einzige Mal in der Bibel vor, aber das ist wohl kein Wunder. Eine wunderbare Zahl ist es für alle, die gerne zählen und rechnen aber schon, so unscheinbar diese 153 auch daherkommt:
Zum Beispiel ist sie die Summenformel der Zahlen 1 bis 17. Addiert man 1 + 2 + 3 + 4 + ... + 17, dann ergibt sich die Zahl 153. Sie ist auch die Summe ihrer eigenen Ziffernwerte in dritter Potenz, denn 13 + 53 + 33 ist genau 153. So etwas kann man nicht mit jeder x-beliebigen Zahl machen – neben 153 geht das mit 371 und 1634…

Ich habe noch einiges mehr gelesen über diese wunderbare Zahl 153, aber das habe ich nicht ganz verstanden, so dass ich lieber nichts weiter dazu sage. Nur so viel: Die 153 ist eine unscheinbare Zahl, hinter der eine Menge steckt, die Wunderbares verbirgt für den, der sich an etwas so Alltäglichem wie Rechenspielen freuen kann. Selig sind, die hinter die Oberfläche schauen können.

Wie sonderbar: Da haben die Jünger plötzlich nach einer Nacht vergeblichen Fischens ein volles Netz – und was machen sie: sie zählen.

Wer zählt, der schaut sich die Ordnung von Sachen an. Der versucht die Welt zu begreifen. Das Lernen schon ganz kleine Kinder, das Zählen. Das bringt Sinn in die Welt, macht Unbekanntes erkennbar, bringt Rhythmus wie in der Musik. Meine Großmutter hat jedes Mal, wenn sie einen Turm bestieg, die Stufen gezählt. Irgendwann konnte sie gar nicht mehr anders. Und wir haben oben sofort Gelegenheit zum einander Erzählen gehabt: Und – wie viele hast du gezählt?

Mit den 153 Fischen ist etwas in Ordnung gekommen für die Jünger, was vorher in Unordnung war. Im Chaos sogar, dem Chaos, das an dem Tag über sie hereingebrochen ist, an dem Jesus gestorben ist. Als gescheitert ist, was sie geträumt und gehofft haben.
Sie haben selber versucht, Herr zu werden über dieses Chaos. Nachdem Jesus gestorben war, musste es ja irgendwie weitergehen. Warum also nicht fischen. Menschenfischer waren sie einige Jahre gewesen, zusammen mit Jesus. Und jetzt also zurück an den See, echte Fische fangen, etwas Sinnvolles zu tun, damit wenigstens etwas zu essen da ist.

Mit den 153 Fischen wurde die Leere gefüllt – nicht nur die in Netzen. Sondern vor allem die in den Herzen der Jünger. Denn das war schlimm: Nach einer Nacht vergeblicher Mühe mit leeren Netzen und leeren Händen dazu stehen. Einander kaum in die Augen sehen zu können. Nicht einmal das geht mehr, diese alltägliche Arbeit des Fische fangens. Und dann dieser fremde Mann da am Ufer mit seinem Blick, dem niemand ausweichen kann.
Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ Was soll die Frage des Fremden? Will er sie verhöhnen, beschämen? Ist er selber enttäuscht, weil er etwas vom Fang abhaben wollte, selber diesen nagenden Hunger verspürt, der alles andere vergessen macht? Oder hat er Mitleid? Jedenfalls: Nein, sie haben nichts zu essen. Sie haben gar nichts.

Eine ganze Nacht, kein einziger Fisch. Dann ein einziges Mal noch das Netz ausgeworfen, viel zu nah am Ufer eigentlich –  und gleich 153 Fische. Kein Wunder, dass Petrus einen Freudensprung macht, sich ins Wasser wirft, nur mit einem Gewand umgebunden, ansonsten nackt. Doch er schämt sich gar nicht, sondern freut sich wie ein Kind über diese 153 Fische.
 

IV Als es Morgen war
 

Das kleine Feuer auf den Steinen des Strandes ist heruntergebrannt. Die Männer legen die ausgenommenen und gesalzenen Fische in die glühenden Kohlen. Und nach einiger Zeit kann man sie essen, die Fische. Sie schmecken ein bisschen nach Rauch, aber machen satt, zusammen mit dem Brot, das plötzlich da ist, und das sie teilen und weitergeben, und das für alle reicht.
Ein Frühstück am Seeufer, am Morgen nach einer Nacht, in der alles vergeblich schien. Und sie kauen und schlucken und merken, wie das Leben in sie zurückkehrt und die Freude.

Und mit diesem einfachen Seefrühstück fängt die Zeit nach Ostern an. Die Feiertage sind vorbei, der Alltag beginnt wieder. Die Zeit des Fischens und des Arbeitens und Weitermachens beginnt. Manches davon wird vergeblich sein. Immer wieder werde ich scheitern und mit leeren Händen da stehen und mich vor den Blicken fürchten, die andere auf mich werfen.
Da tut es gut, sich an dieses Seefrühstück zu erinnern. Daran, wie die Männer, die eine Nacht lang keinen einzigen Fisch gefangen haben, nun satt werden. Eigentlich nur, weil er da ist: Jesus. Und sie freundlich anschaut und das Essen mit ihnen teilt.
 

V Schmecket und sehet
 

Lasst uns auch Brot miteinander teilen. Wir reichen es durch die Bankreihen weiter mit den Worten „das Brot des Lebens für dich“.
Brot, das an Jesus erinnert. Das nach Ostern mitten im Alltag schmeckt. Schwarzbrot des Glaubens für die Zeiten, in denen ich scheitere, in denen all meine Mühe sinnlos scheint und meine Träume nichtig, und ich mich schämen würde, wenn ich nicht wüsste:
Er ist da und schaut mich freundlich an.

Amen.

 

Als Brot eignet sich gut Vollkornbrot, vielleicht mit Butter und Salz – ein elementares Frühstück…
Liedidee: „Wir haben Gottes Spuren festgestellt“ (z.B. EG 656 Wü)

Perikope
23.04.2017
21,1-14