Vom Schweigen zum Hören
Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria um nach dem Grab zu sehen.
Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.
Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee.
Die Wächter aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.
Aber der Engel sprach zu den Frauen;
Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.
Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat;
Und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Sieh, ich habe es euch gesagt.
Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.
Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder.
Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen; dort werden sie mich sehen.
Der Samstag,, der dem Karfreitag folgt,
ist ein Tag, von dem kaum die Rede ist.
Es ist ein Tag, von dem auch die Bibel nur sagt:
Als aber der Sabbat vorüber war...
Mehr nicht.
Bevor wir uns dem Tag danach, dem Sonntag, zuwenden,
schauen wir uns diesen verschwiegenen Samstag an:
Es ist der Tag, an dem Gott schweigt:
Weiter schweigt.
Denn auch am Karfreitag hat Gott geschwiegen.
Gott hat dem Urteil des Pilatus nicht widersprochen.
Gott hat der Stimmung des Pöbels nichts entgegengesetzt.
Auch heutzutage verhindert Gott nichts von dem,
was Menschen einander antun.
Nicht die kleinen Gemeinheiten.
Nicht die großen Verbrechen an der Menschlichkeit.
Und als das alles vorüber ist, am Sabbat, am Samstag,
schweigt Gott weiter.
Kann es sein,
dass es Gott zuweilen die Sprache verschlägt,
angesichts dessen, was unter uns geschieht?
Ihm, der nur ein Wort spricht – und die Welt,
Sonne, Mond, Sterne kommen ins Leben,
Auch uns fehlen bei manchen Ereignissen die Worte.
Wohl dem, der sich dann nicht in Phrasen flüchtet
und mit Floskeln diese Stille durchbricht.
Was sollen wir dazu sagen,
was unter uns an Grauslichkeiten geschieht?
Zuerst einmal nichts.
Jedes Wort, das erklärt, beschwichtigt, vertröstet
ist ein Wort zu viel.
Die Stille aushalten, die Ohnmacht spüren,
ohne das alles mit einem Schulterzucken abzuschütteln
und zur Tagesordnung überzugehen,
weil – so heißt es ja – das Leben weiter gehen muss.
Das Schweigen des Karsamstags
ist ein gnädiges Schweigen.
Du musst nicht gleich wieder funktionieren,
sagt es mir.
Du musst nicht einmal deinen Glauben
an den guten und gnädigen Gott verteidigen,
sollte er dir gerade abhandengekommen sein,
angesichts des Geschehens.
Du kannst verweilen.
Dich hinunterlassen in die Tiefen deiner Empfindungen -
und musst dich dafür nicht schämen.
Du darfst deine Tränen laufen lassen,
musst dich nicht dafür entschuldigen.
Ich glaube nicht,
dass auf dieser Erde jemand lebt,
der nicht schon so einen Karsamstag erlebt hat.
Das kann auch im August gewesen sein –
oder im Dezember.
Wenn ich mich an solche Tage in meinem Leben erinnere,
dann war das stärkste Gefühl dabei:
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das je wieder besser werden kann.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich je wieder lachen und unbeschwert leben kann.
Ich kann mir nicht vorstellen …
Ich habe häufig mit Menschen zu tun,
die das empfinden und irgendwann zu dem Schluss kommen: so will ich nicht mehr weiter leben.
Manche sprechen dann davon,
dass sie ihrem Leben ein Ende setzen wollen.
Auch hier bin ich machtlos, ohnmächtig.
Denn wer es wirklich will, wird es auch tun.
Und dann kommt also dieser Tag,
von dem die Bibel sagt: „Als der Sabbat vergangen war.“
Ein herrlicher Satz ist das für mich.
Er erzählt, ohne zu drücken und zu drängen:
Der Sabbat vergeht.
Der Tag – die Woche – die Jahre des Schweigens,
auch des Schweigens Gottes,
haben ein Ende.
Als der Sabbat vergangen war …
Da gehen die Trauernden
die ersten Schritte ins Leben zurück.
Sie wollen „das Grab sehen“.
Die Straßenkreuzung.
Den Unfallort.
Die Absturzstelle.
„Er ist nicht hier“ – die Botschaft.
Die Erkenntnis.
Nein, er ist nicht hier an der Straßenkreuzung,
wo der Unfall sich ereignet hat.
Sie sind nicht hier an der Absturzstelle.
Sie sind nicht bei uns.
Aber auch nicht hier.
Wo aber dann?
Die Botschaft des Engels ist eine Zumutung:
„Er ist auferstanden.“
Was sollen wir dazu sagen?
Mir scheint, dass dieser Satz,
dass diese Botschaft nicht zu diskutieren ist.
Auch hier ist schweigen angesagt.
Dieses Schweigen spürt den Worten nach.
Dieses Schweigen
hat den Klang der Botschaft in den Ohren:
Er ist nicht hier, er ist auferstanden.
Und so gingen sie eilends weg vom Grab
mit Furcht und großer Freude.
Wohin gehe ich mit diesem Satz im Ohr:
„Er ist auferstanden?“
Ich nehme ihn mit ins Leben, in meine Begegnungen.
Ich bin nicht sicher, ob ihm zu trauen ist.
Wenn ja, ist die Freude groß.
Aber immer wird wohl auch die Furcht da sein,
betrogen zu werden.
Und dennoch ist diese Botschaft wohl das Einzige,
was uns Hilft im Leben und im Sterben.
Und dafür sei Gott Lob und Preis in Ewigkeit.
Vom Schweigen zum Hören - Predigt zu Matthäus 28,1–10 von Christine Hubka
28,1–10
Perikope