Von Propheten und überraschenden Gästen! - Predigt zu 1. Korinther 14,1-3+20 von Mirko Peisert
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Von Propheten und überraschenden Gästen! - Predigt zu 1. Korinther 14,1-3+20 von Mirko Peisert

Liebe Gemeinde,

ein durchschnittlicher Konfirmand verschickt in seiner durchschnittlichen Konfirmandenzeit von 18 Monaten im Schnitt 99.513 Nachrichten und erhält im Schnitt 155.500 Text-Nachrichten.

Immer wichtiger werden Videobotschaften und Filmclips. Youtube steht so hoch im Kurs wie nie. Angesichts dessen ist selbst der Fernseher für Jugendliche längst zur Nebensache geworden. Das beliebteste und am häufigsten aufgerufene Konfirmationsvideo aus Deutschland auf Youtube ist übrigens ein Make-up Tutorial zum Thema Make-up, Haare & Outfit für deine Konfirmationen!

Ich glaube, es ist kein Zufall, dass es um Make-Up geht! Selbstdarstellung ist für viele heute ziemlich wichtig. Gut, da stehe vor den anderen. Von vielem gemocht werden. Das wird durchs Smartphone noch verstärkt!

Ein Jugendlicher erklärt mir: Es ist ein befriedigendes Gefühl, wenn man für ein Selfie viele likes kriegt. Im Schnitt krieg ich so um die sechzig likes, wenn es gut läuft, achtzig bis hundert. Wenn ein Bild nicht so läuft, überlegt man sich schon, weshalb das Bild nicht wirkt. Trotzdem sind für mich likes nicht ausschlaggebend, ich teile Momente mit meinen Freunden.

Wie wirken wir?

Wie wirken wir als Gemeinde?

Wie wirken wir auf Gäste?

Paulus stellt diese scheinbar so modernen Fragen auch seiner Gemeinde in Korinth und gibt deutliche Anweisungen:

Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe! Strebt nach den Gaben, die der Heilige Geist verleiht – vor allem aber danach, als Prophet zu reden. Wer in fremden Sprachen redet, spricht nicht zu den Menschen, sondern zu Gott. Denn niemand versteht ihn. Was er unter dem Einfluss des Geistes sagt, bleibt vielmehr ein  Geheimnis. Wer dagegen als Prophet redet, spricht zu den Menschen. Er baut die Gemeinde auf, ermutigt sie und tröstet sie.

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Brüder und Schwestern, seid doch nicht unmündig wie Kinder, wenn es ans Denken geht. Wenn es dagegen um die Bosheit geht, sollt ihr wie Kleinkinder sein. Aber beim Denken sollt ihr euch als mündige Erwachsene erweisen. Im Gesetz heißt es: »So spricht der Herr: In fremden Sprachen und durch fremde Lippen will ich zu diesem Volk reden. Aber auch dann werden sie nicht auf mich hören.« Das Reden in fremden Sprachen ist also ein Zeichen – aber nicht für die, die zum Glauben gekommen sind, sondern für die Ungläubigen. Bei der prophetischen Rede ist es umgekehrt: Sie ist nicht für die Ungläubigen bestimmt, sondern für die,  die zum Glauben gekommen sind. Stellt euch vor: Die Gemeinde kommt zusammen und alle reden in fremden Sprachen. Wenn jetzt Unkundige oder Ungläubige hereinkommen, werden sie euch wohl für verrückt halten. Stellt euch aber umgekehrt vor: Alle reden als Propheten. Wenn jetzt ein Ungläubiger oder  Unkundiger hereinkommt, wird er sich von allen zur Rechenschaft gezogen sehen. Er weiß sich von allen geprüft. Das, was in seinem Herzen verborgen ist, kommt ans Licht. Er wird sich niederwerfen, Gott anbeten und bekennen: »Tatsächlich, Gott ist mitten unter euch!«

(Text nach Basisbibel)

 

Wie wirken wir?

Wie wirken wir als Gemeinde?

Wie wirken wir auf Gäste?

Ja, wir wirken wie hier auf jemanden Fremden, auf einen Unkundigen, der herein kommt zu uns?

 

Stellt euch vor: Die Gemeinde kommt zusammen und alle reden in fremden Sprachen. Wenn jetzt Unkundige oder Ungläubige hereinkommen, werden sie euch wohl für verrückt halten.

 

Ich finde Paulus entwirft ziemlich moderne Kriterien zur Beurteilung der zerstrittenen Situation in Korinth. Und er reizt mich zu fragen: Wie wirkt unser Gottesdienst heute auf einen fremden Gast? Die Liturgie, die wir feiern, meine Predigt? Die Orgelmusik?

Ob Sie uns auch für verrückt halten? Oder wie eine fremde Sprache? Eine ferne Welt?

Hape Kerkeling hat unseren Gottesdiensten ein ziemlich schlechtes Zeugnis ausgestellt. Er schreibt:

„Gott ist für mich so eine Art hervorragender Film wie Ghandi mehrfach preisgekrönt und großartig! Und die Amtskirche ist lediglich das Dorfkino, in dem das Meisterwerk gezeigt wird. Die Projektionsfläche für Gott. Die Leinwand hängt leider schief, ist verknittert, vergilbt und hat Löcher. Die Lautsprecher knistern, manchmal fallen sie ganz aus oder man muss irgendwelche nervigen Durchsagen während der Vorführung anhören…Kein Vergnügen wahrscheinlich, sich einen Kassenknüller wie Ghandi unter solchen Umständen ansehen zu müssen. Viele werden rausgehen und sagen. Schlechter Film. Wer aber genau hinsieht, erahnt, dass es sich dich um ein einziges Meisterwerk handelt… Leinwand und Lautsprecher geben nur das wieder, wozu sie in der Lage sind. Das ist menschlich. Gott ist der Film du die Kirche ist das Kino, in dem er läuft. Ich hoffe, wir können uns den Film irgendwann in bester 3-D und Stereo-Qualität unverfälscht  und in voller Länge angucken. Und vielleicht spielen wir ja mit.“

 

Wie wirken wir?

Wie wirken wir als Gemeinde?

Wie wirken wir auf Gäste?

 

Paulus stellt diese Fragen seiner Gemeinde in Korinth angesichts eines Streits. Es geht um das richtige Reden im Gottesdienst und da wendet sich Paulus gegen ein Phänomen, das Luther mit Zungenrede übersetzt hat. Das Fachwort heißt Glossolalie und meint ein geistbegabtes, aber unverständliches betendes Sprechen, das in der Welt der ersten Christen weit verbreitet war, aber deren Praxis im Gottesdienst Paulus hier infrage stellt.

Paulus empfiehlt der Gemeinde stattdessen das Prophetische Reden!

Stellt euch vor: Alle reden als Propheten. Wenn jetzt ein Ungläubiger oder Unkundiger hereinkommt, wird er sich von allen zur Rechenschaft gezogen sehen.

Er weiß sich von allen geprüft. Das, was in seinem Herzen verborgen ist, kommt ans Licht.

Er wird sich niederwerfen, Gott anbeten und bekennen:

»Tatsächlich, Gott ist mitten unter euch!«

Die interessante Frage ist aber, was meint er mit dem prophetischen Reden? Und was könnte das heute sein?

Vielleicht erklärt es das Experiment des Sozialpsychologen Salomon Asch:

Sein Versuch bestand schlicht dran, nach der Länge von Linien zu fragen.

Die Probanden bekamen Kärtchen, auf dem oben ein Strich und darunter eine Auswahl von drei weiteren Strichen aufgedruckt waren. Einer der drei unteren Striche war offensichtlich genauso lang wie der obere, einer war länger, einer war kürzer. Die Versuchspersonen mussten allein den zum oberen Strich passenden nennen. Allein für diese einfache Aufgabe gestellt, gab jeder die richtige Antwort.

Dann allerdings brachte Asch die Teilnehmer in einer Gruppe zusammen. Jede Gruppe bestand aus einer Versuchsperson und dazu sieben Helfern, die Asch ohne Wissen der Probanden instruiert hatte. Die Helfer begannen nun einstimmig und im Brustton der Überzeugung, falsche Antworten zu geben. Kurze Striche nannten sie lang, lange nannten sie kurz.

Die nichts ahnenden Versuchspersonen?

Sie schlossen sich an. Dieselben Probanden, die vorher ohne zu zögern die Linien vor ihren Augen richtig zuordnen konnten, erklärten jetzt Striche, die nach ein paar Fingerbreiten endeten für länger als solche, die sich fast über die ganze Seite zogen. Nicht einmal jede vierte Versuchsperson schaffte es, dem unsinnigen Zureden der Helfen zu widerstehen und eine eigene Position zu beziehen. Prophetisch zu reden, das heißt für mich der Mut zur eigenen Meinung, zur Wahrhaftigkeit, zum Widerspruch, so wie Lennart mit seinem fleckigen T-Shirt. Der Fleck begleitete ihn, immer noch zu sehen, dabei hatte seine Mutter das T-Shirt sogar eingeweicht und anschließend mit Spezialprogramm gewaschen. Doch der Blutfleck war immer noch da. Nur der Schriftzug auf dem Shirt war ausgewaschen:  Kein Mensch ist illegal.

Er zog es heute trotzdem wieder an.

Es war auf dem Rückweg nach Hause, als er die beiden Kahlgeschorenen auf ihn zukamen. An viel mehr kann er sich gar nicht mehr erinnern. Seine Nase muss unglaublich geblutet haben. In der Zeitung stand später nur von einer Schlägerei unter Jugendlichen an der U-Bahn Station Steintor. Doch für ihn ging es um viel mehr! Es ging ihm um Haltung, ums Prinzip, es ging ihm um seinen Glauben.

Wacht darüber, dass eure Herzen nicht leer sind, wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird! Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet! Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt! Das Gedicht von Günther Eich kommt ihm in den Sinn. Paulus sagt: Seid doch nicht unmündig wie Kinder, wenn es ans Denken geht! Beim Denken sollt ihr euch als mündige Erwachsene erweisen.

Trotzdem. Trotzdem zog er das befleckte T-Shirt wieder an. Trotz dem Alten Drachen! Und wenn die Welt voll Teufel wär Und wollten uns verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr!

Trotz des Telefonterrors engagiert die Kirchenvorsteherin sich weiter im Flüchtlingscafé am Dienstag. Trotz der Todesdrohungen sagt, Seygun Ates, tritt sie für einen neuen Islam ein. Trotzdem, hat jemand auf das Pflaster vor der Gedächtniskirche in Berlin gesprüht, an dem noch immer viele Kerzen an die Opfer des Attentates erinnern.

Trotz der Zahlen, auch wenn wir immer weniger werden, wenn unsere Gemeinden schrumpfen, auch wenn nur wenige in den Gottesdienst kommen, trotzdem dürfen wir uns nicht die Gewissheit, den Mut nehmen lassen. Das wäre ja noch schöneren

Nein es wird nicht mit unserer Kraft, nicht mit unserer Macht geschehen, aber er, er wird doch das Feld behalten! Strebt nach den Gaben, die der Heilige Geist verleiht! Wer sonst als wir könnte denn das Unmögliche zur Sprache bringen, die Träume wach halten.  widersprechen der Sinnlosigkeit Der Angst etwas entgegenhalten. Aufstehen gegen die Kräfte, die uns klein machen wollen und krank und stumm.

Seid doch nicht unmündig wie Kinder, wenn es ans Denken geht! Beim Denken sollt ihr euch als mündige Erwachsene erweise

Bleibt unbeirrt auf dem Weg der Liebe! Strebt nach den Gaben, die der Heilige Geist verleiht – Vor allem aber danach, als Prophet zu reden.

 

AMEN