Von verborgener Liebe - Predigt zu Mk 12,1-12 von Andreas Schwarz
12,1-12

Von verborgener Liebe - Predigt zu Mk 12,1-12 von Andreas Schwarz

1Jesus fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes. 2Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs nähme. 3Da nahmen sie ihn, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort. 4Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn. 5Und er sandte einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie. 6Da hatte er noch einen, den geliebten Sohn; den sandte er als Letzten zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. 7Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein! 8Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg. 9Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben. 10Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. 11Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«? 12Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.

In meiner Studentenbude hatte ich zeitweise ein Poster hängen. Darauf war mit einer Ansicht von oben ein Landschaftsbild zu sehen. Wald vor allem, aber auch ein schmaler Pfad. Alles war in einem dunklen Grün. Dichte Bäume überall, Sträucher, ein Bach. Dazu stand in Englisch ein Spruch: Love knows hidden paths – Liebe kennt verborgene Pfade.

Ich gebe zu, das war ganz schön kitschig, diese Kombination von Wort und Bild. Das Gefühl sollte angesprochen wird und irgendwie hat es bei mir gewirkt. Ich habe mir das ins Zimmer gehängt. Es sah gut aus und klang angenehm. Und wahr scheint es mir auch zu sein. Mit der Liebe ist das so eine Sache, die ist nicht immer gleich zu sehen oder zu spüren. Oft ist sie gut verborgen. Ich entdecke sie nicht gleich. Anderes liegt darüber, verdeckt sie.

Hass, Gewalt und Totschlag sprechen lauter und deutlicher. Sie schreien mich sozusagen an, brüllen ihre blutrünstigen Bilder, sodass ich gar nicht mehr erkenne, dass es Liebe gibt. Leise und verborgen. Markus erzählt in seinem Evangelium dieses Gleichnis. In der Lutherbibel trägt es die Überschrift: Von den bösen Weingärtnern. Damit ist die Spur gelegt, das Böse zu hören und zu sehen, weil dort geschlagen, gefoltert und getötet wird.

Ich frage mich: Wo ist da Liebe? Ist da noch Raum für die Liebe?

Eine unangenehme Spannung liegt in diesem Evangelium. Jesus erzählt das Gleichnis der religiösen Elite, Hohepriestern Schriftgelehrten und Ältesten. Sie könnten hören, dass Jesus von ihnen erzählt, dass sie sie Weingärtner sind. Ihnen wird der Weinberg genommen, der Zugang zum Reich Gottes. Aber spannend ist es auch, weil es um Jesus geht. Kritische Fragen hatten sie ihm gestellt. Was machst du da, Verkäufer und Käufer aus dem Tempel zu jagen, Tische der Geldwechsler und Stände der Taubenhändler umzustoßen? Wer hat dir das erlaubt? Was für ein Mandat hast du dafür?

Mehr Vorwürfe und Anklagen als Fragen sind es, die die Hohepriester und Schriftgelehrten an Jesus richten. Da ist kein Interesse an Antworten zu spüren, sondern Menschen suchen Indizien für einen Prozess. Die Atmosphäre ist mehr als spannend, sie ist aufgeladen. Da lodert der Wunsch, diesen Jesus loszuwerden, als würden sie denken: ‚Der stiftet Unruhe, der bedroht die gewohnten Abläufe, der verwirrt die Leute, der stellt unsere Autorität in Frage.‘

Liebe kennt verborgene Wege. Leicht zu erkennen sind sie nicht. Wege, die zwischen Jesus und der religiösen Führung im Volk eine Verbindung herstellen, gibt es offenbar nicht.

Ich will euch eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte von Liebe und Vertrauen. Ein Mensch liebt seinen Weinberg, er liebt die Natur, die Arbeit an der frischen Luft. Das ist mühsam, es kostet Zeit und Kraft und Schweiß. Von Anfang an. Den Weinberg anpflanzen; gute Setzlinge haben, die richtige Lage sehen, guten Boden finden. Dabei immer zu wissen, es dauert. Und es gibt keine Sicherheit. Ich kann nur tun, was mir möglich ist. Also schütze ich meinen Weinberg vor Tieren und ungebetenen Gästen und ziehe einen Zaun darum. Ich grabe eine Kelter für die Reben später und baue einen Turm. Damit man Gefahren frühzeitig sehen und rechtzeitig dagegen vorgehen kann. Es gibt viel zu bedenken und viel zu tun. Aber es hat eine Aussicht. Wenn das Wetter mitspielt, die Sonne scheint, Regen fällt, dann kann ich bald ernten. Und aus der Ernte wird dann ein Fest. Dann wird mit Wein und gutem Essen gefeiert. Ich liebe meinen Weinberg. Und ich vertraue meinen Weingärtnern. Die kennen mich ja, die haben es gut bei mir. Sie haben Arbeit und Lohn, können wohnen und Geld verdienen. Ich vertraue ihnen meinen Weinberg an. Am Ende werden wir uns alle freuen, gemeinsam. Ich liebe meinen Weinberg, ich vertraue meinen Weingärtnern, dass sie diese Liebe spüren und mit ihrer Zuverlässigkeit und Treue darauf antworten. Wie sollte das auch anders sein? Liebe mit Liebe zu beantworten.

Aber das Unerwartete, das Unfassbare geschieht. Die Weingärtner beantworten meine Liebe und mein Vertrauen mit Gewalt. Den Knecht, den ich zu ihnen schicke, um die Ernte abzuholen, schlagen sie und schicken ihn mit leeren Händen zurück. Rebellion gegen meine Liebe und mein Vertrauen ist das. Offener Widerstand. Fast so etwas wie eine Kriegserklärung. Oder eine Provokation? Wie soll ich damit umgehen?

Das werde ich tun: Ich schicke wieder einen Knecht. Und wieder wird der Opfer von offener Gewalt.

Und jetzt? Ich schicke noch einen Knecht. Der wird sogar getötet.

Und jetzt? Ich höre nicht auf, ich schicke immer wieder Knechte. Manche werden geschlagen, manche getötet.

Siehst du, liebe Gemeinde, die verborgene Liebe des Besitzers? Wie er sich um seine Weingärtner müht? Wie er um ihre Liebe kämpft, sie nicht aufgibt. Und sind die Opfer noch so groß? Hört er denn nie auf zu werben, zu lieben? Wo ist denn seine Grenze?

Er überschreitet sie. Er geht den letzten und schwersten Schritt. Er schickt keinen Knecht mehr, er schickt seinen Sohn. Mehr Liebe geht nicht. Wie viel Überwindung, wie viel Schmerz kostet das? Ich kann es nur ahnen, nicht verstehen.

Liebe kennt verborgene Pfade. Sie geht schwere Wege. Sie riskiert, missverstanden oder ausgenutzt zu werden. Sie nimmt in Kauf, diese Liebe mit dem Leben zu bezahlen. Sie opfert sich und kommt womöglich nicht einmal zum Ziel. Aber sie gibt nicht auf. Um keinen Preis.

Und es geschieht, was sich abgezeichnet hatte: Die Weingärtner wittern ihre Chance, wenn sie den Erben beseitigen. Sie töten ihn und werfen seine Leiche vor den Zaun.

Meine Geschichte hat ein grausames Ende gefunden. Die Liebe ist nicht zum Ziel gekommen. Die Gewalt hatte das letzte Wort. Der Tod hat gesiegt. Ganz offenkundig. Kann die Geschichte weitergehen? Sind Liebe und Vertrauen gescheitert?

Das Evangelium ist trotz alledem nicht zu Ende. Im Gegenteil. Jetzt kommen wir in diese Geschichte hinein; wir als Zuhörer und Leser sind jetzt gefragt. Wir sind dabei in dieser Geschichte. Mit unserem Leben und unserem Glauben. Das haben die Menschen, zu denen Jesus redet, damals auch gespürt.

Hier geht es um mehr als um eine unterhaltsame Geschichte. Es geht um Liebe und Vertrauen. Und auch um Enttäuschung. Aber es geht auch um Zukunft. Die Liebe zum Weinberg ist ungebrochen. Der Besitzer gibt nicht auf. Die Arbeit geht weiter, die Mühe auch, die Abhängigkeit von Sonne, Wind und Regen. Aber die Aussicht auf Ernte bleibt lebendig, die Hoffnung auf große und fröhliche Feste. Dankbar und in Gemeinschaft.

Bloß: Mit wem? Der Herr des Weinbergs bringt die Weingärtner um und vertraut ihn anderen an. Die Spannung rückt aus dem Gleichnis heraus in die Menschen, die Jesus zuhören. Sie spüren: Es geht ja um uns! Die Frage nach Leben und Tod, nach Scheitern und Zukunft betrifft jede und jeden, die Empfänger des Gleichnisses sind. Zuerst die Hörer damals, jetzt aber alle, die dieses Gleichnis lesen oder hören.

Was machst du da? Wer hat dir das erlaubt? Was für ein Mandat hast du? Die kritischen Fragen, die Jesus auf die Anklagebank setzen sollen, sind plötzlich umgedreht. Leben oder Tod, Scheitern oder Zukunft hängen an ihm, liegen in seinen Händen. Er ist Gottes letzter und größter Liebesbeweis. Mehr geht nicht. Alles ist getan für die Zukunft. Und wenn alles getan ist, dann wird gefeiert. Ein großes Fest mit Wein und gutem Essen. Der Besitzer lädt ein zu dankbarer und fröhlicher Gemeinschaft. Was für eine Aussicht!

Ja, es ist richtig. Gewalt spielt eine große Rolle im Gleichnis. Knechte werden geschlagen, gefoltert und getötet. Der Sohn, der Erbe, wird umgebracht – der Herr des Weinbergs ist tief getroffen und enttäuscht. Er kündigt den Tod der Weingärtner an. Aber das ist nicht das Ende. Am Ende steht ein Wunder vor unseren Augen. Dass die Liebe des Herrn nicht umzubringen ist. Sie gibt nicht auf, auch jetzt nicht, mit dem Tod Sohnes nicht, so erst Recht nicht. Im Gegenteil.

Ich will dem Wunder vor unseren Augen mehr glauben, als den Bildern, die uns immer und immer wieder Gewalt zeigen. Als würden Hass und Tod den Sieg über das Leben behalten. Ich will der Liebe des Herrn mehr vertrauen, als menschlichen Kämpfen um ein Erbe an Land und Macht und Ansehen. Ich will mich auf das neue Haus freuen, das Gott mit dem Grundstein Jesus Christus baut. Ich will mich auf die verborgenen Pfade der Liebe einlassen, die nicht immer gleich zu sehen sind, die übertönt werden von den Rufen nach Gewalt und Tod. Ich höre Jesu Gleichnis als eine Einladung, die verborgenen Pfade der Liebe zu sehen und zu gehen. Sie verbinden den Herrn des Weinbergs mit uns. Sie führen bei allem Elend dieser Erde in die Zukunft. Das verleiht meinem Leben Hoffnung. Gerade dann, wenn ich gerade wenig von der Liebe spüre, wenn Kampf und Streit, wenn Hass und Gewalt die Oberhand zu gewinnen scheinen. Gott hört nicht auf, um dich und mich, um alle seine Menschen zu werben mit einer Liebe, die nicht aufhört.

Was für ein Wunder wäre das, das große und dankbare Erntefest mit gutem Wein zu feiern, mit dem Herrn des Weinbergs und seinem Sohn, mit den Jüngern, mit Pharisäern, Schriftgelehrten und Ältesten. Liebe kennt verborgene Pfade. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Andreas Schwarz: 

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Eine treue Gottesdienstgemeinde, die sich nach den Corona-Beschränkungen wieder zahlreicher zusammenfindet. Belastungen aus dieser Zeit werden zunehmend überwunden, dankbar ist die Gemeinde für spürbare frohe Botschaft, die nicht moralisch, ethisch, politisch, weltanschaulich fordert und befiehlt, sondern in allem Druck des Lebens Hoffnung und Zuversicht benötigt. Sie kann auch wieder etwas längere Predigten gut hören, wenn sie merkt, es geht um ihr Leben. Interessiert und erwartungsvoll lässt sie sich auch auf ungewohnte Entdeckungen am Bibeltext ein.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Was ich als Thema beschrieben habe, war mir selbst eine entlastende Entdeckung. Der Text legt Gewalt und Gericht nahe. Das wahrzunehmen, aber die verborgene Liebe zu entdecken und durchzuhalten, war mir eine große Motivation, an dieser Predigt zu arbeiten.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Weiter begleiten wird mich, nicht das für wahr und richtig zu halten, was scheinbar auf der Hand liegt oder offenkundig gemeint ist. Der erste Blick auch auf einen Bibeltext oder eine bekannte Deutung muss nicht dem Geist des Evangeliums entsprechen. Manchmal braucht es viele Blicke und genaues Hinschauen und Einsortieren. Das möchte ich auch künftig versuchen.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Manche Formulierungen waren zu kompliziert. Der Hinweis, Gedanken auseinander zu nehmen, sie vereinfacht neu zu formulieren, war mir sehr einleuchtend. Manche Aufzählungen waren verwirrend und störend, anderes zu formalistisch und zu wenig lebensnah. All das hat meine Coach liebevoll angemerkt und mir für meine Formulierungen zu mehr Klarheit und Verständlichkeit geholfen

 

Perikope
Datum 05.03.2023
Bibelbuch: Markus
Kapitel / Verse: 12,1-12