Vor dem Zelt - Predigt zu Hebräer 11, 1-2 (8-12. 39-40); 12, 1-3 von Kathrin Oxen
11, 1-2 (8-12. 39-40); 12, 1-3

„Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. In diesem Glauben haben die Alten Gottes Zeugnis empfangen.

Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, an einen Ort zu ziehen, den er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. Durch den Glauben empfing auch Sara, die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervorzubringen trotz ihres Alters; denn sie hielt den für treu, der es verheißen hatte.

Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns umstrickt. Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist,

und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens. Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.“

Nun brauchte er erst einmal ein bisschen frische Luft. Die ganze Nacht hatte er an ihrem Lager gesessen, ihre Hand gehalten und war bei ihr gewesen. Und in den frühen Morgenstunden war er dann ganz allein. Der Weg war zu Ende, den sie beide miteinander gegangen waren. Noch einmal sah er auf ihr stilles Gesicht, so klar und ruhig, wie sie da lag im Dämmer des Zeltes.

Und als er sie ansah, war es, als liefe ihr ganzes Leben noch einmal an ihm vorbei. Sara, die Frau, die sich mit ihm auf den Weg gemacht hatte, damals. Sie beide hatten das große Versprechen gehört, das Gott ihnen gab. Land und Kinder. Dieses Versprechen berührte sie genau dort, wo ihre Wünsche saßen. Denn sie lebten ja in Zelten, immer schon, immer unterwegs. Und sie waren, anders als all die anderen, immer nur zu zweit. Land und Kinder, was für ein Versprechen. Wie ein Glanz legte es sich auf Saras Gesicht und die Jahre ohne Hoffnung waren nicht mehr zu sehen darin.

Aber er erinnerte sich jetzt auch ihr Gesicht, damals, als ihm die Zeit zu lang wurde und er nicht mehr warten mochte, bis sich einstellte, was Gott ihnen versprochen hatte. Als er die jüngere Frau nahm und mit ihr ein Kind zeugte. Sara hatte ihm dazu geraten. Und doch hatte sie das Gesicht abgewandt, als er ihr von der Schwangerschaft berichtete. Ihr Gesicht, voller Schmerz und Scham über ihr Lebensschicksal. Eine unfruchtbare Frau.

Aber Gottes Möglichkeiten waren größer als alles, was sie beide sich vorstellen konnten. Genau erinnerte er sich an Saras Gesicht, so alt und müde von all den Jahren des Wartens und nun erschöpft von der Geburt. Er sah ihr faltiges Gesicht vor sich und daneben die zarte Wange ihres neugeborenen Sohnes. Hier in diesem Zelt war das gewesen, dort, wo sie jetzt lag.

Saras Gesicht über die Jahre und Jahrzehnte, ein Spiegel dessen, was ihm und was ihr widerfahren war. Nun war sie gestorben. Ein gemeinsamer Weg und ein Ende. Als er aus dem Zelt trat, sah er nach oben, wie immer, wenn er aus dem Dämmer und der Enge des Zeltes nach draußen kam. Die Kühle des frühen Morgens und schon der Anflug des neuen Tages. Die Sterne verblassten gerade am Himmel. „Sieh gen Himmel und zähle die Sterne; kannst du sie zählen? So zahlreich sollen deine Nachkommen sein.“ Das hatte Gott versprochen. Und davon war noch nicht viel zu sehen. Immer noch wohnte er in einem Zelt, immer noch war er unterwegs, und jetzt war ihm nur noch ein Sohn geblieben.

Eine Lebensgeschichte, die Geschichte Saras und Abrahams. Wie bei jeder Geschichte, müssen wir uns hineindenken in sie und die schnellen Striche, mit denen sie gezeichnet wird, ausmalen zu einem Bild mit mehr Details. Im Hebräerbrief wird nur mit solchen schnellen Strichen gemalt. Flüchtig wie die Wolken am Himmel ist die „Wolke der Zeugen“, nur Namen werden genannt, schnell nacheinander. Die Geschichten dahinter ballen sich darin zusammen und reißen gleich wieder auseinander. Aber alle diese Geschichten sind miteinander verbunden, haben den gleichen Horizont: Den Glauben.

Und wenn ich die Geschichte dieser Menschen nacherzähle, verstehe ich besser, was Glauben ist: Eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. Denn am Ende steht Abraham vor dem Zelt. Über ihm öffnet sich der Himmel und er sieht die Sterne, jedes Mal, wenn er sein Zelt verlässt. Manchmal funkeln sie hell, wie in der Nacht, als sein Sohn geboren wurde. Manchmal verblassen sie, so wie an diesem Morgen, als Sara gegangen ist für immer. Und immer spürt er: Der Boden unter meinen Füßen, der gehört mir nicht. Und das Kind, das ich habe - von seiner Zukunft weiß ich doch überhaupt nichts.

Glauben heißt, mit einem Versprechen zu leben. Näher oder weiter entfernt davon, dass es sich erfüllt. Und weit entfernt davon, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu können. Wir stehen seit über einem Jahr miteinander wie vor dem Zelt und als ob wir Ausschau halten würden, jeden Tag. Wo man früher nur gucken musste, wie das Wetter war, geht es heute um eine ganz andere Wetterlage, um die Wolkenfelder der Pandemie. Gerade ziehen wieder sehr dunkle Wolken auf. Wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Und wir können die Dinge nicht selbst in die Hand nehmen, wir müssen Geduld haben und auch damit rechnen, dass nicht alles so kommt, wie wir es uns wünschen.

So war es bei Sara und Abraham, auch noch, nachdem sich ihr großer Wunschnach einem Kind erfüllt hatte. Sie haben trotzdem nicht alles bekommen, sie „sind gestorben im Glauben und haben die Verheißungen nicht ergriffen, sondern sie nur von ferne gesehen und gegrüßt und haben bekannt, dass sie Gäste und Fremdlinge auf Erden sind.“ (Hebräer 1,13). Abraham ist aufgestanden und aus dem Zelt gegangen, als Sara gestorben war. Vor dem Zelt hat er die Sterne gesehen, die am Himmel verblassten. Und dann hat er zwei Dinge getan. Er hat ein Grab für Sara gekauft in Machpela bei Hebron. Ein Grab in einem fremden Land. Und das ist das einzige Stück, das ihm von dem versprochenen Land jemals wirklich gehören wird. Danach hat er seinen Knecht losgeschickt, in die alte Heimat, um endlich eine Frau zu suchen für seinen Sohn. Eine Frau und dann vielleicht ein Enkelkind und Leben und Zukunft. Es ist so gekommen. aber dass es so kommen wird, wusste Abraham nicht, als er es tat. Er tat es im Glauben. Und das heißt, mit einem Versprechen zu leben. Näher oder weiter entfernt davon, dass es sich erfüllt. Und weit entfernt davon, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu können.

Auch Jesus hatte die Dinge nicht mehr in der Hand, als er nach Jerusalem kam. Je näher er der Stadt kommt, als er auf den Esel steigt für seinen bemerkenswerten Einzug in Jerusalem, liegt vor ihm diese Woche mit all den Begegnungen und Abschieden, den vielen letzten Malen, dem letzten Abendmahl, dem Verrat und dem Verhör, dem Urteil und der Hinrichtung. Eine Woche in engster Gemeinschaft und größter Einsamkeit. Was am nächsten Sonntag sein wird, weiß Jesus nicht. Aber sein Glauben lässt ihn diesen Weg gehen, seine Bereitschaft, ganz aus dem Versprechen Gottes zu leben und weit entfernt davon, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu können. So fängt Glauben an. Und so vollendet er sich.

Vor dem Zelt stehen wir. Und erinnern uns, an Sara und Abraham, an Jesus, die Anfänger und Vollender des Glaubens. Über uns Himmel, Wolken und Sterne. In uns eine feste Zuversicht auf das, was wir hoffen. Ein Nicht-Zweifeln an dem, was wir nicht sehen. Nicht matt werden und den Mut nicht sinken lassen. Denn Glauben ist immer weitergehen. Wie nach Hause.

Amen.

Perikope
28.03.2021
11, 1-2 (8-12. 39-40); 12, 1-3