Vorsicht Baustelle! - Predigt zu 1.Korinther 3,9-15 von Reiner Kalmbach
Vorsicht Baustelle!
Vor einigen Jahren war ich auf Einladung der Lutherischen Synode von New York in Manhatten. Das ist schon eine faszinierende Stadt! Zeitweise war ich wie betäubt von den Eindrücken. Man steht (wie in einem Traum...) vor Gebäuden die man aus Kinofilmen kennt, man schaut nach oben und sieht kaum die Spitze. Und plötzlich fällt mir auf, dass wir uns auf einer Insel befinden. Man weiss es ja (eben aus dem Kino, oder aus dem Geographieunterricht), aber jetzt sehe ich es, nehme es wahr. Und es ist eine relativ kleine Insel. Auf ihr wurden tausende von Wolkenkratzern errichtet. Ich stelle mir das Gewicht all dieser Stahlbetongiganten vor und sehe, dass sich die Insel nur weniger Meter über dem Wasserspiegel erhebt. „Wie tief müssen hier denn die Fundamente gegraben und gegosssen werden...?, ist das nicht ein Risiko, so viel Beton und Stahl auf einer solch kleinen Insel..?“, wollte ich von meinem Führer wissen. „Ach, das ist kein Problem, die Insel ist ein einziger harter Fels, da kann so schnell nichts passieren...“
Ein einziger grosser und harter Fels als Fundament: darauf kann man beruhigt in die Zukunft bauen. Wenn es eine Gefahr geben sollte, dann kommt sie „von oben“ (was traurige Wirklichkeit wurde), d.h. von den Menschen selbst. Die Stadt ist ein Ameisenhaufen, aber eben gebaut auf Fels.
Das heutige Predigtwort spricht von solch einem Bau. Nicht aus Stahl, Zement, Sand und Glas (obwohl darin auch Materialien vorkommen ), sondern es geht um den Bau der Gemeinde, der Kirche.
Paulus, der Apostel, hat wieder einmal grosse Sorgen. Die Gemeinde in Korinth bereitet ihm Kopfschmerzen. Dort bilden sich Grüppchen die sich um die verschiedenen (selbsternannten) Prediger sammeln, jeder hat seine eigene Fangemeinde, jeder predigt sein eigenes Evangelium, oder das was er dafür hält.
Genau wie bei uns.., wo?, in Argentinien. Früher einmal war es ein katholisches Musterland, 95% der Bevölkerung zählten sich zu der einen und wahren Kirche, daneben gab es noch eine starke jüdische Gemeinde, ein paar Muslime und ungefähr 3% Protestanten, also Lutheraner, Waldenser, Reformierte, Methodisten, auch Orthodoxe.
Heute sieht das ganz anders aus: ungefähr 40% gehören zu einer der 3000 Kirchen, Gruppen und Sekten, die man praktisch nirgendwo einordnen kann, die sich aber alle „evangelisch“ nennen. Im Moment gedeihen die neuen, modernen Glaskirchen, die ein Wohlstandsevangelium verkünden, wie die Pilze nach einem warmen Herbstregen. Aber das kann sich schnell ändern. Man gehört nicht zur „Pfingstgemeinde“, sondern zur Kirche von Prediger Soundso. Da kann es dann auch passieren, dass ein Mitglied plötzlich nicht mit „seinem“ Pastor einverstanden ist, aufsteht und verkündet: „der Herr hat mir gesagt, ich soll eine eigene Kirche gründen und die Wahrheit predigen...“, dann nimmt er seine Schäfchen, die ihm dann auch brav und ohne zu mucken folgen, und mietet um die Ecke einen grossen Saal, dessen Kosten er mit dem Zehnten seiner Leute bezahlt und der ihm selbst ein Leben im Wohlstand ermöglicht. Während die Pfingstkirchen noch vor wenigen Jahren besonders bei der Unterschicht beliebt waren und ihre Gottesdienste in einfachen Bretterhütten und Hinterzimmern feierten, füllen die Mitglieder der neuen, meist aus den USA oder Brasilien stammenden „Kirchen“ heutzutage hochtechnisierte und klimatisierte Säle und ihre Prediger reisen, ganz klar, First Clas. Auf den Parkplätzen sieht man schon lange keine alten Rosteimer mehr, sondern vorwiegend teure Importautos. Sie besitzen Radio-und Fernsehsender und sogar (in Brasilien) eine grosse Fluggesellschaft.
Da können wir natürlich nicht mithalten, wir haben kein Erfolgsrezept, wir bieten keine „Stunde der Wunder“ an (jeden Mittwoch, um 20 Uhr, mit Erfolgsgarantie!), bei uns treten nicht jeden Sonntag Zeugen von Wunderheilungen auf.., wir haben nur..., ja was haben wir? Wir haben nur das Wort, ein Wort das mir jeder anzweifeln, bestreiten kann.
Aber vielleicht gerade deshalb fällt es uns nicht schwer, die geschichtliche Situation der Gemeinde in Korinth zu verstehen, so viel anders war das damals auch nicht: multikulti, multireli, religiöser Supermarkt, für jeden etwas...
Paulus´Kopfschmerzen sind meine Kopfschmerzen.
Hören wir aus dem 1. Brief des Paulus an die Korinther, dem 3. Kapitel, die Verse 3 bis 15
Textlesung
1) Bauabnahme
Ja, ich denke, es wäre ab und zu gut, den Zustand unserer Gemeinde überprüfen zu lassen. Die meisten Gemeinden blicken auf eine lange Geschichte zurück. Sie sind stolz auf sie, auf das was erreicht wurde. Alle zwei Jahre bin ich zu Besuch in meiner alten Heimat. Natürlich werde ich bei dieser Gelegenheit von vielen Gemeinden eingeladen. Mittlerweile habe ich in meiner Bibliothek eine eigene Abteilung in denen ich all die Bücher und Bildbände unterbringe, die über die Geschichte der Gemeinden erzählen, die ich einmal besucht habe. Ich muss zugeben, dass ich es geniesse, an einem schön strukturierten lutherischen Gottesdienst teilzunehmen, die alten Choräle, Kirchen die zur Stille einladen..., für mich ist das alles wichtig, ich kann so meine verbrauchten Batterien aufladen. Aber da ist auch das, was unser Paulus anspricht: Gemeinden die mit ihren supermodernen und architektonisch perfekten und wunderschönen Gemeindehäusern und Kirchen protzen, die aber ohne Leben sind, ohne wirkliches Gemeindeleben. Und die armen Pfarrer, um Menschen in die leeren Räume zu locken, müssen ständig neue und attraktive Aktivitäten erfinden. Gemeinden die nach den Gesetzen des freien Marktes funktionieren. Andere wiederum sind am Menschen dran, die Gemeinde als Raum in dem ich mich wohl fühle, in dem ich ganz dabei bin, mit Leib und Seele, ich, mit meinen Sorgen und Nöten, Gemeinden denen man ansieht, auf welchem Fundament sie gebaut sind. Jesus hat nie mit anderen religiösen oder weltanschaulichen Strömungen und Modererscheinungen konkurriert. Und weiss Gott, es gab sie!, genau wie heute... Er hatte das gar nicht nötig. Paulus tut das auch nicht, sondern es geht um das was uns antreibt, um das, was unser Lebensfundament ist, um das was unsere Gemeinschaft ausmacht. Es geht darum Kirche zu sein, Kirche und Gemeinde Christi, das sein zu dem wir ge-und be-rufen sind.
Während ich über dieser Predigt brüte, bereite ich mich gleichzeitig auf eine Fahrt in den Norden unseres Landes vor. Dort gibt es grosse und traditionsreiche Gemeinden, die schon im 19. Jahrhundert von Russlanddeutschen Einwanderern gegründet wurden. Noch vor wenigen Jahrzehnten hatten die meisten der Gemeinden doppelt so viele Mitglieder, jetzt schrumpfen die meisten. Die jungen Generationen ziehen in die grossen Städte, oder können mit der Tradition ihrer Eltern und Grosseltern nichts mehr anfangen und lassen sich von eben diesen „neuen“ und modernen Kirchen begeistern. Manche der Gemeinden versuchen es mit Vogel Strauss und stecken den Kopf in die Erde, sie tun so, als ob sie das alles nichts anginge. Andere suchen verzweifelt nach einem Rezept das, oh Wunder!, die leeren Gemeinderäume und Kirchen mit Kindern und Jugendlichen, mit Familien und Alleinstehenden füllt.
Es gibt aber auch Aussnahmen: eine dieser Gemeinden veranstaltet ein Mal im Jahr eine Woche mit Vorträgen und work-shops, die ganz einfach das Bewusstsein über den Gesundheitszustand der eigenen Gemeinde schärfen soll. Zu dieser Gemeinde werde ich in den nächsten Tagen fahren, sie haben mich eingeladen, dabei mitzuhelfen. Jemand von aussen sieht viele Dinge besser, „unvoreingenommen“, sozusagen aus der Vogelperspektive.
2) Bauleute
Die Kirche wird von Menschen gebaut. Und jeder dieser Menschen hat seine eigene, persönliche Lebensgeschichte, seine eigenen Ansichten und Neigungen. D.h. in der Gemeinde sind Lebensgeschichten am Werk. Und es ist ganz normal, dass wir uns nicht zu allen gleichermassen hingezogen fühlen. Deshalb gibt es in jeder Gemeinde kleinere und grössere Gruppen. Und das ist gut so, es ist der Garten Gottes in dem die verschiedensten Blumen, Sträucher und Bäume gedeihen. Das ist gut, normal und notwendig, solange das Fundament für alle klar ist: alle bauen auf dem selben Fundament..., oder stimmt das nicht...(mehr)?
Ja es geht noch darüber hinaus: der Reformator Johannes Calvin sagte: „Christus ist nicht nur der Grund, sondern als solcher auch das Leben des Baus.“ Das gefällt mir!, man kann leicht aus lauter Sorge um das Fundament, den ganzen Bau darüber vergessen. „Wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, dass er der Herr sei.“, sagt der selbe Paulus in seinem 2. Brief an die Korinther. Es geht also um die Verantwortung, um die Verantwortung derer die am Bau arbeiten. Sie bauen nicht sich selbst, auch nicht für sich selbst, sie bauen die Gemeinde Christi.
Um es als Frage zu formulieren: unsere Gaben, Neigungen, Erfahrungen, Ansichten, bereichern sie das Leben der Gemeinde, oder versuchen wir damit das Leben der Gemeinde zu bestimmen, zu beeinflussen? Das kann auch ganz unbewusst geschehen, sogar gut gemeint...
Ein Gemeindeglied, Sohn einer der Gründerfamilien, Ingenieur, Kleinunternehmer..., fing vor ein paar Jahren an sich mit den Ideen des New Age zu beschäftigen. Bei Besuchen lagen manchmal irgendwelche esoterische Schriften auf dem Tisch. Themen wie Wiedergeburt (Reinkarnation) und Seelenwanderung schienen ihn immer mehr zu begeistern. Trotz unserer langen Gespräche und meiner Warnungen liess er sich immer mehr hineinziehen, wie in einen Strudel. „Alles muss Geist werden, die Materie ist nichts..“, das sei für ihn der Weg zur Perfektion. Das hat natürlich auch Unruhe in die Gemeinde gebracht, die Menschen verunsichert. „Wenn jemand der so viel weiss, der soviel gelesen hat, das sagt..., dann muss doch was dran sein...“.
Seit einigen Monaten ist er schwer krank, unheilbar. Wir versuchen ihn, so gut es geht, zu begleiten. Er hat das Halteseil seines christlichen Glaubens losgelassen und das neue Seil kann ihn nicht halten, es ist zu schwach...
Und gerade darum geht es: was uns die vielen modernen Heilsbringer und Seelenretter zu sagen haben, hat das wirklich Bestand?, trägt es..., ich meine, in Krisenzeiten?, sowohl in diesem Leben, als auch „hinüber“, hindurch...?
Wer sind denn diese „Bauarbeiter“?, wer gehört dazu?, der Pfarrer und die Mitglieder des Gemeindevorstandes...?, oder müssen wir den Kreis erweitern...?
In der Gemeinde die mich eingeladen hat, soll ich über Luthers „Priestertum aller Gläubigen“ sprechen. Die Gemeinde ist die Versammlung jener die den Ruf Jesu gehört haben, die dazu berufen sind ihre unterschiedlichen Gaben, Gaben Gottes!, in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen.
Das wunderschöne Bild des Paulus, der die Gemeinde mit einem menschlichen Körper vergleicht, kann uns dabei helfen. Der Körper besteht aus vielen Teilen, Gliedern. Kleine und grosse, sichtbare und unscheinbare. Für Gott sind alle gleich wichtig, jedes einzelne Glied hat eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. „Ich“ bin wichtig, ich, mit meiner Geschichte, mit meinen Problemen, mit meiner Herkunft, meiner reichen oder kurzen Lebenserfahrung, ich bin Gott wichtig, und damit spiele ich beim Bau der Gemeinde eine unverzichtbare Rolle. Dabei geht es nicht um Perfektion. Alles was ich tu, auch in meinem „privaten“ Leben, in meinem Beruf, es ist und bleibt Stückwerk, ich begehe Fehler, unter denen vielleicht sogar andere zu leiden haben. Aber auch mein Stückwerk weißt auf den Grund hin: Christus.
Der Bau besteht aus Personen, aber ihr Tun und ihr Reden, weissen auf den Grund ihres Seins hin. Wie einst Johannes der Täufer: nicht ich bin es (auf den ihr wartet), sondern ER ist es...Und Luther, die aufgeschlagene Bibel in der Hand, weißt mit dem Finger auf das Wort.
Amen.