Wachen, nicht schlafen - Predigt zu 1. Thessalonicher 5,1-11 von Karoline Läger-Reinbold
5,1-11

Wachen, nicht schlafen

Wachen, nicht schlafen.

Wenn das Kind krank im Bett liegt und du hörst: Es ist unruhig vom Fieber. Da braust der Sturm um das Haus und du fragst dich: Ob die alten Fenster diesen Herbst noch überstehen?  Wachen, weil du dich sorgst. Weil da so viel zum Grübeln ist. Weil es Tage gibt, an denen du nicht weiterweißt. Und niemand ist da, der deine Hand mal nimmt und der dich einfach eine Weile hält. 

Wachen, nicht schlafen. Eine seltsame Zeit, dieses Jahr. Anlass zur Sorge, für durchwachte Nächte gibt es mehr als genug.  Wie geht es weiter mit der Pandemie? Werde ich gesund bleiben oder trifft es mich auch? Wann können wir zusammen sein, so wie früher? Und wie geht es weiter im Beruf? Ach ja, das sind Momente zum Seufzen… Das Jahr geht zu Ende. Und was kommt danach? Wir wissen es nicht.

Der Predigttext

Wie geht es weiter? So fragten auch die Menschen in Thessalonich. 2000 Jahre ist das her. Bald wird alles anders, hatte Paulus gesagt. Dann kommt Christus in Herrlichkeit und all unsere Sorge, ja, selbst der Tod ist besiegt. Doch wann ist es soweit?

Die einen waren überzeugt: Der Anbruch des Gottesreichs, der steht kurz bevor! Seht doch auf die Zeichen! Die anderen hoben die Schultern und sagten: Ich weiß nicht so recht. Nun sind sogar einige schon gestorben und haben es nicht mehr erlebt. Gottes Herrschaft auf Erden – ja, das ist unsere Hoffnung. Aber wie lange zieht es sich hin?

Paulus antwortet mit einem Brief (1. Thess 5,1-11):

Von den Zeiten aber und Stunden, Brüder und Schwestern, ist es nicht nötig, euch zu schreiben; denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. Wenn sie sagen: »Friede und Sicherheit«, dann überfällt sie schnell das Verderben wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entrinnen. Ihr aber seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme. Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein. Denn die da schlafen, die schlafen des Nachts, und die da betrunken sind, die sind des Nachts betrunken. Wir aber, die wir Kinder des Tages sind, wollen nüchtern sein, angetan mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil. Denn Gott hat uns nicht bestimmt zum Zorn, sondern dazu, die Seligkeit zu besitzen durch unsern Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit, ob wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben. Darum tröstet euch untereinander und einer erbaue den andern, wie ihr auch tut.

Mit dem Panzer des Glaubens

Post von Paulus. Endlich! Antwort auf unsere Fragen. Was hat er geschrieben? Und einer liest vor und sagt: Wachen, nicht schlafen. Nüchtern sein. Paulus gibt uns einen Stups, er schreibt: Wisst ihr noch? Könnt ihr euch erinnern, wie stark und zuversichtlich euer Glauben immer war? Wie tröstlich und warm die Gemeinschaft ist, die ihr untereinander verspürt?

Ihr wisst doch genau, schreibt Paulus, der Tag des Herrn, der kommt wie ein Dieb in der Nacht. Gerade dann, wenn ihr ihn am wenigsten erwartet. Aber er kommt. Und ihr seid Kinder des Lichts. Mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil.

Ein militärisches Bild: Ein Panzer aus Eisen und Stahl. Und ich denke an die Playmobil-Figuren meiner Kinder. Längst sind sie eingestaubt und liegen im Schrank. Aber damals, als sie noch damit spielten, da waren sie eine machtvolle Armee. Kleine Männchen aus Plastik, hoch gerüstet mit Schilden und Helmen: Mama, guck! Das sind die Stärksten der Welt!

Unfassbar mächtig durch den Ernst der Fantasie.

Und vielleicht ist es das: Die innere Stärke. Tröstet einander, erbaut euch, sagt Paulus den Menschen in seiner Gemeinde. Macht euch gegenseitig Mut mit eurem Glauben und der Liebe. Und je länger es dauert: Tut das umso mehr.

Vom Ende her denken

Wenn ich das heute so höre, denke ich: Der Paulus, der hat auch gekämpft. Hat gesucht und gerungen um seine Antwort auf die Fragen nach dem „Wie?“ und „Wie lange?“ In seinen Briefen sagt er manchmal was und nimmt es zurück. Verstrickt sich im Widerspruch. Ist schwer zu verstehen – erst recht für uns, mit diesem zeitlichen Abstand. Doch in einer Hinsicht ist Paulus stets klar: Ganz egal was geschieht, unsere Zukunft, unser Leben, liegt in Gottes Hand. Mit Christus sind wir dem Übel entronnen, mit Christus werden wir leben.

Und vielleicht ist dies das Geheimnis: Dass Paulus diese Dinge von ihrem Ende her bedenkt. Und am Ende wird alles gut. Die Sorgen der Jetztzeit werden vergessen, alle Fragen, die sich uns stellen, werden beantwortet sein.

Die Dinge von ihrem Ende her sehen. Ich glaube: Die Christinnen und Christen in der Paulus-Zeit, die konnten gar nicht anders denken als vom Ende her: Jesus war tot, doch am Ende stand die Auferstehung, der Sieg des Lebens über den Tod. Die Zeiten sind hart, doch am Ende steht Gott und seine Macht ist größer als alles, was uns heute trifft.

Wir stehen jetzt am Ende des Kirchenjahres. Wir schauen zurück auf die letzten Monate, die für viele von uns sehr schwierig waren. Wie lange noch dauert das? Wir wissen es nicht. Doch am Ende, am Ende ist es Gott, der für uns da ist. Der für uns sorgen wird, der uns Trost gibt und Frieden. Das ist der Panzer unseres Glaubens und der Liebe; das ist der Helm der Hoffnung auf das Heil.

Hamster im hinteren Stromgebiet

Der Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff hat einen Schlaganfall erlitten. Es ist schon eine Weile her, inzwischen geht es ihm wieder gut. Dann hat er ein Buch darüber geschrieben, war damit im Radio, in der Talkshow zu sehen. „Hamster im hinteren Stromgebiet“, so lautet der Titel.1

Meyerhoff beschreibt, wie ihn der Schlag ganz unvermittelt getroffen hat. Keine Vorboten, keine Ahnungen, nichts. Und er hat Glück und erkennt sofort: Er muss ins Krankenhaus. Er braucht ärztliche Hilfe, und er bekommt sie auch. Eine wunderbare Neurologin macht ihm Mut.

Da liegt er nun in seinem Krankenbett. Wachen, nicht schlafen. Er hat Angst vor dem Schlaf, stellt sich vor, dass ihn der Schlag ein zweites Mal trifft, wenn er nicht wach ist und aufpasst. Es ist ein bisschen paradox, wahrscheinlich wäre es viel günstiger, zu schlafen, sich einmal auszuruhen. Aber er kann das nicht und bleibt wach.

Und so erinnert er sich in diesen Nächten an seine Familie. An gemeinsame Reisen. Seine Erinnerungen sind Abenteuer und Geschichten, sie sind lustig und schön. Und dabei spürt er die Verbundenheit mit seiner Familie, seiner Frau, seinen Kindern. Diese Liebe und Verbundenheit ist es, die ihm Kraft gibt und Mut. Das wird ihm in diesen Tagen klar.

Die Familie und die Liebe, sie sind sein Panzer und der Helm seiner Hoffnung geworden. Was auch immer noch kommt, daran hält er sich fest.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pastorin Dr. Karoline Läger-Reinbold

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Mit dem Ende des Kirchenjahres rückt schon der Jahreswechsel in den Blick. Die Erlebnisse und Erfahrungen aus den ersten Monaten der Pandemie-sind verunsichernd, die Perspektiven unklar. Die Menschen sorgen sich: Um die eigene Gesundheit, um die ihrer Angehörigen, um die berufliche Zukunft. Viele haben Verluste erlitten, sind angespannt, dünnhäutig, fühlen sich einsam. Auch andere Themen sorgen für Unsicherheit: der Ausgang der Wahlen in den USA, die Klimakrise und die Situation der Geflüchteten.
Was sind Kraftquellen und Ressourcen für die kommenden Wochen? Vielleicht wird diese Predigt gar nicht im Gottesdienst gehört, sondern zuhause entdeckt und gelesen.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Lektüre von Joachim Meyerhoff, Hamster im hinteren Stromgebiet, Köln 2020. Der fünfte Band seiner autobiographisch geprägten Romanserie ist lebendig geschrieben, streckenweise ernst und doch sehr komisch. Es geht im Kern um die Frage: Wie gelingt mein Leben, dieser Krise zum Trotz?

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Der Apostel Paulus findet Trost für seine Gemeinde, weil er die Dinge von ihrem Ende her denkt: Am Ende steht Christus, er kommt uns entgegen. Wir sind Kinder des Lichts, ausgestattet mit Hoffnung und Liebe. So können wir leben.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Ermutigung zur eigenen, sehr persönlichen Sprache: anschaulich, konkret. Den Hörenden Raum geben für ihre eigenen Erfahrungen und Gedanken.

Perikope