Wahrheit, Furcht und Liebe – Predigt zu Lukas 12, 40-48 von Anke Merscher-Schüler
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Wahrheit, Furcht und Liebe – Predigt zu Lukas 12, 40-48 von Anke Merscher-Schüler

Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr's nicht meint.

Petrus aber sprach: Herr, sagst du dies Gleichnis zu uns oder auch zu allen? Und der Herr sprach: Wer ist nun der treue und kluge Verwalter, den der Herr über sein Gesinde setzt, dass er ihnen zur rechten Zeit gebe, was ihnen an Getreide zusteht? Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, solches tun sieht. Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen. Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr lässt sich Zeit zu kommen, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen, dann wird der Herr dieses Knechts kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen. Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt und hat nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden.

Wer ihn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden. Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern. "Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch", sagte meine Großmutter. Gemeint war: Wenn keiner das Sagen hat, geht´s drunter und drüber.- So sind wir Menschen. Und mal ehrlich: Wer hat das noch nicht gemacht? Grenzen ausgetestet, in unterschiedlicher Weise und erlebt, dass die Übergänge von Übermut zu zerstörerischer Boshaftigkeit oft fließend sind.

 

Sturmfreie Bude, wenn man sechzehn ist. PC spielen bis zum Augenstillstand, Party machen, Weinkeller plündern, hinterher Wasser auffüllen, Korken wieder drauf, mal sehen, was passiert. Dass da was war, ist nur daran zu erkennen, dass so gründlich geputzt wurde. - und man will´s als Erziehungsberechtigte manchmal gar nicht so genau wissen...Doch um solche Kindereien und Kleinübertretungen geht es hier nicht. Nicht an einem Tag wie diesem, an dem wir unser endliches Leben Gott hinhalten mit all den Erinnerungen an Erlebtes und Erlittenes, mit den Bildern von Menschen im Herzen, die wir nicht haben halten können und lassen müssen. Vor diesem Hintergrund zeigt die Erzählung Jesu ganz anderes wie in einem Lebensspiegel. Und Gott weiß: nicht nur in einer Rolle kommen wir hier vor. Wenn die Katz aus dem Haus ist, dann tanzen die Mäuse... - solche Kindererinnerungen klingen vielleicht auch noch nach. Nichts Schlimmes. Eher das Austesten: Wer hat mir hier eigentlich etwas zu sagen?

Und zugleich birgt es die Erkenntnis: Wenn wir uns selbst überlassen sind, dann zeigt sich, wessen Geistes Kind wir sind. Gib Menschen Macht in die Hand, und Du siehst, wie sie in Wahrheit sind, ob sie sich selbst im Griff haben.

Es stimmt ja: Uns ist viel anvertraut. Das wird spürbar, wenn wir erwachsen werden. Je älter wir werden, desto mehr, in ganz unterschiedlichen Bereichen: mit Kindern, die noch nicht für sich selbst sorgen können. Verantwortung im Beruf, für Menschen um uns her und in allem zuerst für uns selbst: mit Gaben zum Entfalten. Gelegenheiten, sie zu ergreifen. Sackgassen, aus denen es umzukehren gilt, damit sich eben nicht irgendwann das Gefühl einstellt: "Ach, hätte ich mal...- damals...!" Aber: vorbei! Verpasst! Unwiderruflich. Und zurück bleibt vielleicht das Gefühl, bestohlen zu sein von jemandem oder etwas, das kommt wie ein "Dieb in der Nacht". Wer zu spät kommt, den bestraft.... - wer eigentlich? Das Leben? -

Ein Weiser hat mal gesagt: Die Furcht vor Strafe ist in Wahrheit schon die Strafe. Das reicht schon. Wie ein Leben unter dem Damoklesschwert. Schlimm, weil unser Leben endlich ist und unsere Kraft auch. Das anzuschauen, braucht Mut.

Denn es gibt diese tiefen Einbrüche im Leben, die so weh tun, weil sie unumkehrbar sind. Manchmal reicht ein altes Foto, ein Brief in der Hand, ein Geruch beim Ausräumen des Schrankes, und es ist schmerzlich da: Vergangenes, Verlorenes, Vergebliches. Und jede/r hier hat da eigene Erinnerungen.

 

In diesem alten Gleichnis, steckt der Ernst jener "letzten Dinge" an der Grenze, hinter die wir nicht sehen können, die uns widerfahren und so oft auch umtreiben. Denn solche Einbrüche sind ja nichts, was wir uns vorgenommen haben. Manchmal sehen wir sie kommen und erschrecken doch. Solche Gedanken macht man sich nicht. Sie stellen sich ein, drängen sich auf, und Gott weiß: zur Unzeit oft, wenn wir sie am wenigsten brauchen können; wenn wir nicht damit rechnen.

 

Dabei wollen die allermeisten doch leben! Und - mal ehrlich - wenn man uns ließe, manchmal sogar am liebsten "auf Teufel komm raus"; als gäbe es die andern nicht; und schon gar keinen obersten Chef. Einmal keine Rücksicht nehmen. Einmal nicht Verantwortung tragen. Was hindert uns eigentlich, solchen Impulsen zu folgen? Draufhauen, wenn es unerträglich wird. Weglaufen, sich betäuben, wenn es zu viel wird - wie einige der Verantwortlichen in dem alten Gleichnis. Einfach mal ausnutzen, wenn ich was zu sagen habe, in Grenzsituationen, wenn die Nerven blank liegen und alles zu viel ist. Was hindert uns dann eigentlich?

 

Wäre es ausschließlich die Furcht vor Strafe, es wäre schlimm um uns bestellt. Was für eine Haltung wäre das? Angst statt Einsicht? Zwang statt Zuneigung? Bedrängnis statt Besonnenheit? Lebensdienlich ist das nicht! Das muss um Gottes willen anders gehen. "Furcht ist nicht in der Liebe...". Im Gegenteil: Wahre Liebe vertreibt die Furcht! (1. Johannes 4,18) - Die Menschen der Bibel halten das hoch.

 

Im zurückliegenden Jahr haben mich einige Erlebnisse von Menschen sehr berührt, weil sie auf diese Weise zwischen Furcht und Liebe "auf der Kante balanciert sind". Manche ohnmächtig wütend, weil einer trotz aller Unterstützung sein Leben einfach weggeworfen hat. Manche an den Grenzen ihrer Belastbarkeit, weil sich mit der Demenz auch das Wesen des Liebsten verändert hat. Manche am Ende ihrer Kräfte, weil einer über Jahre nicht leben und nicht sterben konnte - ein langer Abschied. Der Impuls war da: dazwischenhauen, weglaufen, sich betäuben, weil es kaum zu ertragen war. Und dann sind sie doch geblieben: haben geholfen, gepflegt, besucht - es ausgehalten.

Ich habe sie nicht als Menschen kennengelernt, die aus Furcht dabei geblieben sind. Weil jederzeit einer kommen und (ver)urteilen könnte. Das hätte auch nur wenig mit dem zu tun, was Jesus im Gleichnis mit dem guten, treuen Verwalter meint.

Was Jesus fragt, ist ja etwas ganz anderes: "Wer (von euch) sind denn hier die guten Verwalter?"

Jene, die in der Verantwortung bleiben - auch wenn es scheint, als sei ich nicht da? Unsere Welt braucht sie doch so sehr - im Kleinen wie im Großen! Wer sind die mit dem inneren Kompass? Die Lebenssucher, wenn der Tod sich breit macht - auch die vielen kleinen Tode in Streit und Sprachlosigkeit? Wo sind die Sinnsucher, die nicht locker lassen? Die Zweifler, die sich mit Halbwahrheiten nicht zufrieden geben? Die Langmütigen, die sich nicht irre machen lassen?

Die Besonnenen, die lieber eine Nacht drüber schlafen, wenn alles hochkocht? Vor allem: die Demütigen, die ihre Grenzen kennen und loslassen können? Denn es gilt um Gottes willen nicht die Parole: "ein Christ ist immer im Dienst". Was zählt ist das Vertrauen: EIN Christ ist immer im Dienst - Es ist alles eine Frage der Betonung!

Wo sind diejenigen, die sich ehrlich anschauen - im Spiegel dieser alten Gleichniserzählung? Wer sind diese Aufrichtigen und Aufgerichteten, die wieder in die Verantwortung gehen, wenn die Kraft zurückkehrt oder zuwächst, wenn wir zur Ruhe kommen und - aufwachen! Wer sind diese guten Verwalter? Das ist die Frage, die Jesus stellt. Wer unter euch sind die Menschen mit diesen Gaben?! Denn wir haben doch nicht zuerst Auf-gaben, sondern bekommen - Gott sei Dank - zuerst solche Gaben für unser Gemüt: Kraft und Besonnenheit, Demut und Geduld, damit wir das überhaupt schaffen können.

Bevor Jesus dieses Gleichnis von der Verantwortung erzählt, redet er zuerst von diesen Gaben. Alle geschenkt! Wie den Raben unter dem Himmel, die nichts säen und doch ernährt werden. Wie den Lilien auf dem Feld, die Gott bekleidet wie Salomo in aller Pracht, obwohl sie nur einen Sommer blühen. Denn Gott weiß doch genau, dass wir dies alles brauchen. (Lukas 12,24ff)

Es ist wahr: Wir sind begrenzt und endlich wie unsere Kraft. Darum brauchen wir Schutz und einen Raum, in dem wir mit unseren oft so widersprüchlichen Seiten sein dürfen und wir sie ansehen können. Ungeschönt und wahrhaftig. Denn wir kommen in diesem Gleichnis nicht nur in einer Rolle vor.

Und ja: es gibt die Bösen, die Untreuen, die Gewalttätigen und Haltlosen. Solche, die kalt berechnen, dass da schon keiner kommt, der ihren Machenschaften Einhalt gebietet - zynisch und hämisch. Und wer unter ihnen leidet, sehnt sich danach, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden, damit sie nicht das letzte Wort behalten. Weil Gott doch gerecht ist und uns ins Herz sieht - und doch größer ist als unser Herz.

Nicht nur in einer Rolle kommen wir vor in diesem Gleichnis. Wir gehören auch zu jenen, die nicht so leben, als ob es Gott gibt. Ein Leben in "Habachtstellung" kann kein Mensch. Aber vielleicht ein Leben, das sich an Gott anlehnt, nur für heute... Es ist ein Gleichnis wie ein Lebensspiegel. Es braucht Mut, hineinzuschauen: Wohin gehöre ich gerade?

Von meiner Tochter habe ich mal eine wunderbare Postkarte geschenkt bekommen. Hinter den Spiegel zu stecken. Da steht: Lieber Gott, bis jetzt geht`s mir gut heute. Ich hab noch nicht getratscht, noch nicht die Beherrschung verloren, war noch nicht muffelig, gehässig, egoistisch oder zügellos. Ich hab noch nicht gejammert, geklagt, geflucht oder Schokolade gegessen. Die Kredit-Karte ist auch noch nicht belastet. Aber in etwa einer Minute werde ich aus dem Bett klettern und dann, dann brauch ich wirklich deine Hilfe.

So sind wir hier in diesem umfriedeten Raum, in dem wir Gott unser Leben hinhalten. Ja, uns ist viel anvertraut. Und wenn einer fragt: "Wer ist hier ein guter Verwalter?" - Ich glaube, im Himmel ist Freude, wenn wir ohne Furcht sagen: "Hier! Bei der Arbeit - So gut ich kann. Und was ich nicht kann, lieber Gott, übernimm Du."