Der letzte Gang des Tages führt immer zum Keller, denn dorthin kommt die Katze für die Nacht. Nachdem sie uns zur Schlafenszeit hin und wieder halbbenommene Mäuse in die Küche oder in den Flur geschleppt hat, haben wir dieses Vorgehen für besser befunden. Ist die Katze versorgt und der Keller abgeschlossen, folgt als nächstes die Haustür. Denn niemand, der Zeitung liest und Nachrichten schaut, wird diese über Nacht offenlassen. Türen müssen zu sein. So ist das.
Auch die Teenies im Haus wissen um die Vorteile verschlossener Türen und schützen sich so vor unseren neugierigen Blicken. Türen werden verschlossen. Es wird sogar erwartet: Eine Bank, deren Türen immer offenstehen, wird es schwer haben, Vertrauen zu schaffen. Eine vernünftig verwaltete Welt braucht Türen, die sich öffnen und schließen lassen. So funktioniert unsere Welt.
Türen und Tore, die man verschließen konnte, gab es schon immer. Auch in unserer Stadt gab es einst ein Stadttor, das den Menschen Einlass gewährte oder eben nicht. Und wer reindurfte, konnte Handel treiben, sein Recht einfordern oder Bekannte besuchen. Aber es gab auch die Möglichkeit, am Tor abgewiesen zu werden. Damals wie heute: Wer nicht gern gesehen ist, wer nicht dazugehört, dem bleibt das Tor verschlossen. Das verschlossene Tor schützte die Stadt vor Angreifern und verhinderte so, dass das Böse, die Welt draußen in die Stadt gelangen konnte.
Heutzutage sind die Türen, die den Weg versperren, von anderer Art; nicht mehr so prächtig und kunstvoll wie damals. Eher unscheinbar, wie die hüfthohen durchsichtigen Türchen vor der Sicherheitskontrolle am Flughafen. Klein, aber funktional. Keine Tür, kein Tor, die jeweils für alle geöffnet wären.
Am 1. Advent geht es auch um Tor und Tür und um einen Weg hinein in unsere Welt. Genauer gesagt, zu uns. Aber diesmal steht kein Angreifer vor den Toren der Stadt oder ein Dieb vor der eigenen Haustür. Heute steht Gott selbst vor dem Eingang und bittet um Einlass. Der Herr der Welt steht vor unserer Welt und möchte rein. Oft schon bin ich am Zoll gefragt worden, was der Grund meiner Einreise ist. Man muss Rede und Antwort stehen. Und selbstverständlich gilt: Wer in ein fremdes Land einreisen möchte, braucht dazu einen guten Grund oder den richtigen Pass. So versucht sich unsere Welt zu schützen vor bösen Menschen oder schlimmen Dingen von außerhalb. Der Eintritt durchs Tor muss erlaubt werden.
Und manchmal bleibt ein Tor verschlossen.
Als wir dieses Jahr in Israel waren, haben wir das „Goldene Tor“ besichtigen können. Es ist das einzige Tor, das nicht passierbar ist, weil es im 16. Jahrhundert dauerhaft zugemauert wurde. Es liegt schräg gegenüber vom Ölberg und kann auch von dort aus sehr gut erkannt werden. Nun ist das goldene Tor aber auch das einzige Tor, das direkt auf den Tempelberg führen würde. Christlicher Überlieferung zufolge ist Jesus, als er das letzte Mal nach Jerusalem kam, über den Palmsonntagsweg durch dieses Tor hineingeritten. Reiseleiter erzählen gerne, dass das Tor dereinst vom türkischen Herrscher Süleyman dem Prächtigen verschlossen und versiegelt und davor ein weiträumiger Friedhof angelegt worden sei, weil der Messias – der durch dieses Tor bei seiner Wiederkehr kommen würde – niemals über fremde Gräber gehen würde und somit seine „Mission“, in die Stadt einzuziehen, nicht erfolgreich beenden könne.
Nun, am 1. Advent, steht Gott selbst vor der Tür und bittet um Einlass. Sicher wäre es ihm ein leichtes, alle Tore und Türen, ob zugemauert oder abgeschlossen, zu überwinden. Was sollte ihn stoppen? Auch ein verbarrikadiertes Tor dürfte für den Herrn der Welt kein allzu großes Problem darstellen. Er könnte einfach senkrecht von oben in die Stadt kommen oder schlicht über die Mauer springen. Aber er tut es nicht. Er steht am Tor wie ich in der Schlange am Zoll und wartet, bis er an der Reihe ist. Und wenn er gefragt wird, gibt er Auskunft darüber, wer er ist und was er hier will.
Und wie er da so steht, vor den Toren und Türen der Welt, ist er freundlich. Weil er nicht besiegen will, nicht kämpfen muss. Ihm gehört schon die Welt. Darum steht er ganz gelassen da. Gott hat Zeit. Er kann warten und er hofft darauf, dass er erkannt wird. Das ist seine vornehmste Aufgabe in diesen Tagen des Advents, des Wartens. Erkannt werden, um eingelassen zu werden in unsere Städte und Häuser. Der König der Ehre möchte uns die Ehre geben.
Dabei ist es ihm egal, ob du deine Wohnung schön dekoriert, geputzt oder aufgeräumt hast oder dein Herz rein ist. Du darfst nicht vergessen, Gott hat schon Schlimmeres gesehen. Was heutzutage viele vergessen, ist, dass der Stall von Bethlehem auch gar nicht schön, sondern ziemlich wüst ausgesehen hat: gar nicht heimelig, sondern recht unheimlich. Das hat dieser Ort mit vielen Herzen gemeinsam. Und natürlich weiß Gott auch, dass alle Weihnachtsduftkerzen nur übertünchen, aber nie den schlechten Geruch für immer vertreiben. Er ahnt wohl auch, dass hinter mancher Fassade ein Abgrund lauert. Und da, genau da, besucht er uns. Genau vor dieser Tür steht Gott in diesen Tagen und bittet um Einlass. Ganz freundlich tut er das. Er schlägt nicht gegen die Türen, der Advent klopft leise an. Und wenn du deine Tür öffnest, steht er dir gerne Rede und Antwort. Sagt dir, wer er ist und warum er da ist. Ganz zärtlich tut er das und wartet nur darauf, dass wir ihn erkennen und ihm glauben, dass er uns liebt. So begrüßt er dich, wenn du die Haustür morgens wieder aufschließt. Was bleibt dir da anders übrig, als dir die Augen zu reiben und dich umzuschauen. Vielleicht glaubst du auch, du schläfst noch. Aber dann merkst du, dass du nur auf Socken an die Tür gegangen bist und wie kalt deine Füße sind. Also grüßt du einfach freundlich zurück. Lächelst verlegen und heißt Gott willkommen.
Sei ganz beruhigt: Es gibt überhaupt keinen Grund dich zu schämen, weil die Kinderschuhe kreuz und quer im Flur rumliegen und du die Nacht vorher die Katze im Keller weggesperrt hast. An diesem Ort, an deinem Ort, an allen Orten, egal, wie sauber oder nicht, egal, wie dunkel oder hell, möchte Gott bei dir sein.
Aber denk daran: Keiner von uns steht gerne vor einer verschlossenen Tür. Darum: Macht hoch die Tür, die Tor macht weit. Es kommt der Herr der Herrlichkeit. Lasst Gott nicht so lange warten. Es soll dein Schaden nicht sein. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Beginn des Advents, die Kirche wird gut besucht sein, nicht voll, aber auch nicht leer. Die Menschen sind der schlechten Nachrichten voll und brauchen vielleicht mal was anderes.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Beim Erstkontakt mit dem Text läuft zufällig „Waiting in vain“. Irgendwie passt das zum Text, denke ich. Inspiriert von dem Bild eines wartenden Gottes vor meiner Tür, der sicherlich nicht in Kategorien wie „umsonst“ denkt, ist mein Text entstanden.