Wann reißt der Himmel auf? – Predigt zu Jesaja 63 von Peter Schuchardt
63,15-19b; 64,1-3

Liebe Schwestern und Brüder,

in diesen Tagen ist der Himmel über Nordfriesland immer wieder einmal wolkenverhangen. Grau und schwer hängen die Wolken. Ich gucke immer wieder einmal nach einer kleinen Lücke, durch die ein Sonnenstrahl fällt. Aber ich finde keine. Kein schönes Wetter. Ich weiß: Das ist nun mal so. Aber ich wünsche mir doch, dass der Himmel endlich aufreißt und die Sonne alles in ihr helles Licht taucht.

Für manch einen von euch, liebe Schwestern und Brüder, ist das eine Lebenssehnsucht. Da sind es nicht nur ein paar Tage im Spätherbst, die ein bisschen aufs Gemüt drücken. Da geht es um das ganze Leben, das in grau gehüllt ist. Ein Leben, in das kaum ein Lichtstrahl fällt. Ein Leben, in dem Freude und Glück wie Fremdwörter klingen, wie aus einer anderen Sprache. Und immer wieder geht der Blick umher nach ein bisschen Licht in diesem Grau. In einem Lied fragt die Gruppe Silbermond: Wann reißt  der Himmel auf, wann fällt auch in mein Leben etwas von dem himmlischen Glanz? Das Lied erzählt von dem Mann, der sich Tag für mit Tag den 1000 Kreuzen herumquält. So viel hat er zu tragen. Aber so sehr er sich auch anstrengt, jeder Tag gleitet ihm aus seiner Hand. Und da ist die junge Frau in Berlin, die durch alle sozialen Netze fällt. Drogen bringen ihr die Illusion von ein wenig Ruhe und Wärme, aber das ist nur ein kurzer Rausch. Noch nie fiel ihr etwas in den Schoß. Immer musste sie kämpfen. Sie fragt sich jeden Tag neu: Ist nicht irgendwo da draußen `n bisschen Glück für mich?

Das Leben dieser beiden ist in schwere graue Wolken gehüllt. Aber sie geben nicht auf. Denn tief in ihnen ist die Sehnsucht wach: Es muss doch noch etwas anderes geben. Zum Leben gehört auch die Freude, das Lachen und das Licht. Und darum fragen sie sich: Wann reißt der Himmel auf, auch für mich? Diese Frage verbindet sie mit manchen von euch, liebe Schwestern und Brüder. Wann reißt der Himmel auf, auch für mich? So viel Trauer, so viel Angst umgibt dich. So viele Sorgen fressen deine Lebensfreude auf. Wann hört das auf? Wann geht auch für dich der Himmel auf?

Wenn du so fragst, dann ist in dir eine der großen Lebensquellen. Und diese Lebensquelle ist die Hoffnung. Hoffnung heißt ja immer: Es muss nicht so bleiben wie es ist. Nun kann Hoffnung ein vages Versprechen sein. Vielleicht wird es einmal anders. Der große Philosoph Ernst Bloch spricht von dem Prinzip Hoffnung. Aber das ist doch ein bisschen wenig, wenn ich nur darum auf Veränderung hoffe, weil sich sonst eh nie was ändert. Für uns Christen verspricht  Gott selber uns diese Hoffnung. Er wird dafür sorgen, dass es anders wird. Die Welt mit ihren oft so unwürdigen Zuständen muss nicht so bleiben wie sie ist. Dein Leben mit dem tiefgrauen Es-bleibt-sowieso-alles-wie-es-ist kann sich ändern. Viele von uns wissen: Es ist unglaublich schwer, diese Welt zu verändern. Und es ist unglaublich schwer, das eigene Leben zu ändern. Gott aber hat die Macht dazu. Und seine Macht ist die Macht der Liebe. Sie ist das einzige, was unsere Welt zum Guten hin verändern kann. Darum wenden sich Menschen immer wieder durch die  Jahrtausende hindurch an Gott und bitten ihn: Hilf uns. Reiß den Himmel auf! Auch das Volk Israel hat in seiner langen Geschichte an dieser Hoffnung festgehalten. Davon erzählen die Verse aus dem Propheten Jesaja, die der Predigttext für heute sind:

Gott, so schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name. Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten, wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten, und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! Auch hat man es von alters her nicht vernommen. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohltut denen, die auf ihn harren.

Hier wendet sich das ganze Volk an Gott. Es sind Worte voller Klage: Sieh doch, Gott, wie schlecht es uns geht! Und genau darin steckt die große Hoffnung: Du allein, Gott, kannst doch unsere Lage ändern. Und so bittet das Volk Gott den Herrn: Reiß doch den Himmel auf. Komm herunter zu uns auf die Erde und verändere mit deiner großen Macht endlich unser Leben. Die Völker sollen vor dir erzittern, Gott, wenn du Furchtbares tust, dass wir nicht erwarten. Die Hoffnung auf Gott verbindet sich hier mit der Vorstellung: Wenn Gott kommt, der große gewaltige Gott, dann werden Berge zerfließen, dann werden die Völker zittern. Ja, dann wird alles anders werden.

Liebe Schwestern und Brüder, Gott hat den Himmel zerrissen. Aber so ganz anders, als wir Menschen es uns denken und erträumen. Er hat den Himmel zerrissen in einer dunklen Nacht in Bethlehem. Gott ist auf die Erde gekommen. Aber nicht als der gewaltige Gott, vor dessen Zorn sogar die Berge zerfließen. Gott kommt als ein kleines Kind in einem Stall in Bethlehem in unsere Welt. Die Macht, die seitdem in dieser Welt wirkt, ist seine Liebe. Diese Liebe verändert die Herzen der Menschen. Und das ist viel gewaltiger und eindrucksvoller als geschmolzene Berge! Denn Gottes Liebe schafft Leben und nicht Zerstörung. Ja, Gott handelt so ganz anders als wir es von ihm erwarten und in unseren engen Grenzen erträumen. Der Liederdichter Gerhard Schöne hat das in seinem Lied „Jesu meine Freude“ wunderbar auf den Punkt gebracht:

Du warst eingemauert
Du hast überdauert
Lager, Bann und Haft
Bist nicht totzukriegen;
Niemand kann besiegen
Deiner Liebe Kraft
Wer dich foltert und erschlägt
Hofft auf deinen Tod vergebens
Samenkorn des Lebens

Jesus, Freund der Armen
Groß ist dein Erbarmen
Mit der kranken Welt
Herrscher gehen unter
Träume werden munter
Die dein Wort erhellt
Und wenn ich ganz unten bin
Weiß ich dich an meiner Seite
Jesu, meine Freude

Wann reißt der Himmel auf für mich? Gott hat ihn doch schon längst aufgerissen. Und seitdem fällt sein himmlischer Lichtstrahl in das Leben jedes Menschen. Niemand ist zu gering und zu verachtet. Gottes Liebe leuchtet auch in die dreckigen Gossen hinein, in denen die liegen, die schon längst von allen anderen aufgegeben worden sind. Gott aber gibt niemanden auf. Selbst durch das Grau deiner Angst und deiner Traurigkeit dringt sein Licht. Und wo sein Licht scheint, wächst Hoffnung. Die Adventszeit ist Hoffnungszeit.

Nun gehen wir wieder gemeinsam auf das göttliche Licht zu. Denn wir gehen ja nach Bethlehem. Alle Kerzen, die wir in dieser Zeit entzünden, alle Sterne, die in unseren Kirchen und zu Hause leuchten, erzählen uns von der Sehnsucht: Komm doch in unser Leben, Gott. Und zugleich erzählen sie uns von Gott, der uns sagt: Ich bin doch schon da. Ich halte die Sehnsucht wach in euch. Das Leben muss nicht so bleiben. Diese Welt wird nicht so bleiben. Denn von der Krippe strahlt das helle Licht der göttlichen Liebe hinein in diese Welt. Und dadurch verändert sie sich. Jeden Tag mehr und mehr. Wir sehen so viel Grau in der Politik, durch Kriege, durch Missgunst und Neid. Aber das ist nicht alles. Denn das ist nicht die Welt, wie Gott sie will. Dagegen strahlt sein helles Licht. Es beginnt in einer Nacht fernab der großen Weltpolitik. Aber seitdem ist sein Leuchten nicht aufzuhalten. Davon erzählt uns der Advent. Gott schenke uns allen ein offenes Herz in dieser Zeit. So kann sein Licht in unser Herz und in unser Leben kommen. Selbst an diesen grauen wolkenverhangenen Tagen. Selbst wenn dein ganzes Leben so in grau eingehüllt ist. Gott sei Dank.

Amen

Perikope
10.12.2017
63,15-19b; 64,1-3