Was da wirklich steht – Predigt zu 1. Korinther 7, 29-31 von Rudolf Rengstorf
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Was da wirklich steht – Predigt zu 1. Korinther 7, 29-31 von Rudolf Rengstorf

Liebe Leserin, lieber Leser!

„Es sollen die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine.“ Wenn ich mich an diese Weisung des Apostels gehalten hätte, dann wäre ich mit Sicherheit nicht mehr verheiratet. Und ein  solcher Text ausgereechnet an dem Sonntag, an dem es um die Gültigkeit des  6. Gebots geht und  an dem Jesus im Evangelium sagt: „So sind Mann und Frau nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammen gefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“ (Mk. 10,8f)  Wie kann einer, der sogar Apostel ist, sagen: Lebe mit deinem Partner zusammen, alsob du nicht zu ihr oder ihm gehörst! Was ist hier bloß los mit Paulus? Weisungen zu erteilen, die sich auch in der damaligen Zeit – da bin ich ganz sicher – kein Ehepartner gefallen ließ. Ganz offensichtlich hatte Paulus von der Ehe keine Ahnung, und vor den Ratschlägen solcher Leute muss man auf der Hut sein. Aber es geht ja hier noch weiter: „Die, die weinen, sollen sein, als weinten sie nicht; und die sich freuen, sollen sein, als freuten sie sich nicht.“ Wer so etwas sagt, würde durch jede Seelsorger-Prüfung rasseln.  Was für eine Herzlosigkeit, einem haltlos  weinenden Menschen zu sagen:  Nun tu mal so, alsob du nicht weinst. Hab dich nicht so, vergiss, was dich zum Weinen bringt. Und genauso herzlos ist es, jemandem, der sich nicht fassen kann vor Freude und Erleichterung, zu sagen: Komm runter und werd mal wieder cool!

Cool sein, cool bleiben, das gilt  bei vielen heute ja als eine Art Lebensprinzip. Bloß nichts und niemanden  zu  nah an sich herankommen lassen, sich nicht  dauerhaft binden, immer davon ausgehen, dass alles im Fluss ist und man sich bloß nicht festsetzt und dann auch  sitzengelassen wird. Alles  mitmachen und mitnehmen, klar, aber innerlich immer schön auf Abstand bleiben und sich nicht engagieren. Ein  nicht zu fassender und letztlich charakterloser Mensch, dem es nur um sich selbst und sein Überleben geht: Das  kann doch dem leidenschaftlichen Apostel nicht  als Ideal vorschweben!

Wenn es dann weitergeht mit  Die, die kaufen, sollen sein, als behielten sie die Sachen nicht und die, die  Dinge dieser Welt gebrauchen, sollen sein, als brauchten sie sie nicht. Ja. damit kann ich mich anfreunden. Wie viele andere Männer auch, gehe ich nur ungern zum Einkaufen von Klamotten. Dabei cool zu bleiben, fällt mir zum Leidwesen meiner Frau überhaupt nicht schwer. Und an an den Umgang mit Sachen soll man natürlich das Herz nicht hängen, wobei die cooolen Typen im Umgang mit  Klamotten und Konsumgütern  am ehesten noch ihre coolness verlieren.

Aber noch mal: was ist los mit Paulus, dass er in alle nur denkbaren Lebenslagen dieses  „Tut alsob nicht“ schiebt  und  rät, überall innerlich auf Abstand zu gehen?. Als Begründung  gibt er an: „Denn das Wesen dieser Welt vergeht.“ Dass alles vergänglich ist, auch wir selbst, dass wir nichts festhalten können und wir auf Abruf leben, das verdrängen wir in der Tat nur zu leicht. Dass wir kein Recht haben auf  „Weiter so“  und „Hauptsache gesund“ sollten wir allerdings beherzigen und auch aufhören, dies ständig als  Geburtstagswunsch vor uns her zu tragen. Die Hauptsache ist vielmehr, dass wir lernen, mit unserer Vergänglichkeit, mit unserm Sterbenmüssen umzugehen, unser Haus zu bestellen und loszulassen, was sich nicht halten lässt. Aber das kriege ich doch nicht damit hin, dass ich überall ein „Alob nicht“ dazwischenschiebe! Ehepartner können sich doch nicht auf den unvermeidlich kommenden Abschied von einander  dadurch vorbereiten, dass  sie jetzt schon miteinander leben, als gäbe es den andern gar nicht mehr! Im Gegenteil:  Gerade das Wissen um die Endlichkeit des Lebens  wird, wenn es gut geht, die beiden noch enger  zusammen führen und darauf achten lassen, einander in dieser  Not  beizustehen und einander gerade nicht allein zu lassen! Und der Tatsache, dass ich einmal nicht mehr dasein werde, der werde ich doch nicht damit gerecht, dass ich mir schon heute abtrainiere, was mich in Weinen und Lachen zu einer unverwechselbaren Person macht!

Was Pauls zu seinen  merkwürdigen „Alsob nicht“- Weisungen veranlasst, bleibt leider in der deutschen Übersetzung des ersten Satzes dieses  kurzen Abschnitts verborgen, wenn es heißt: „Die Zeit ist kurz.“ Damit ist nicht die Zeit bis zum Welt- oder Lebensende gemeint Nein, vom Kairos ist im griechischen Urtext die Rede Und das ist der Höhepunkt, auf den alle Zeit zuläuft, der Zeitpunkt nicht des Endes, sondern der Vollendung und Erfüllung. Das ist der Anfang des Lebens, in dem du ganz und  gar der Mensch sein wirst, wie Gott dich immer schon haben wollte. Und dieser Anfang kommt damit, dass   Christus kommt und die Herrschaft übernimmt. Dieser Kairos – sagt Paulus – ist uns auf den Leib gerückt, steht unmittelbar bevor.

Naja, kann man nun sagen: Diese Naherwartung hat doch getäuscht. Warten wir nicht bis heute auf die Wiederkunft Jesu, und ist das nicht so etwas wie ein St. Nimmerleinstag? Von wegen! Wit sitzen doch hier  in einer Welt, in der – anders als draußen – Gott allein das  Sagen hat. Wo wir dem begegnen auf Schritt und Tritt, der uns ins Leben gerufen hat. Was wir dort draußen erleben, was uns  erfreut und bedrückt, was  uns mit anderen Menschen verbindet, bringen wir hier im Singen und Beten vor sein Angesicht. Hier bekommen wir mit, dass Leben mehr ist als das, was sich zwischen Geburt und Tod abspielt, mehr als das, was mich selbst mit dem liebsten Menschen verbindet, mehr als das, was  mich jubeln  und weinen lässt. Hier geht es um den, der heil macht, was in meinem und deinem Leben zerbrochen ist, der zum Leuchten bringt, was am Verglimmen ist. Hier, wo Gottes Welt zum Vorschein kommt, rückt nun in der Tat  alles andere in den Hintergrund. Damit ich mich hier wieder zurechtbringen, aufrichten und segnen lasse und zum Gottesdienst im Alltag der Welt zurückkehre..

Darum also geht es Paulus, dass wir  den im Kommen begriffenen Gott nicht verpassen, dass wir ihm Raum geben  neben und vor allem, was unser Leben ausfüllt. Achte darauf, dass  die Verbindung zum Gottesdienst in der Kirche nicht abreißt. Sonst ist e wirklich so, dass das Kommen Christi zum St. Nimmerleinstag wird. Achte darauf, dass du Raum lässt für Christus. Er braucht ihn,  um uns aufmerksam darauf zu machen, dass er  gerade auch in der Gestalt von ungeliebten und übersehenen Mitmenschen auf uns zukommt. Wo denn sonst wird uns das auf die Seele gebunden, wenn nicht hier? Und er braucht den Raum, um dir mit seinem Kreuz das Leiden und Sterben der Welt vor Augen zu führen. Das Kreuz, in das du hineinsehen sollst das Leiden von Angehörigen, das Leiden von Gefolterten  und Ermordeten, das Leid von hungernden Kindern und derer, die vor Europas Grenzen ums Leben kommen. Er braucht  Raum, um dich gewiss zu machen: In diesem Leidenskreuz begegnet uns der auferstandene Christus, kommt er auf uns zu. Er ist der Wiederkommende, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden. Vom Ende der Welt her kommt er mit ausgebreiteten Armen auf uns zu und bringt Heil und Segen. Von hier aus bekommen  die Sätze des Paulus Sinn. Ich möchte sie so wiedergeben:

Liebe Schwestern und Brüder: Christus kommt auf uns zu. Davon lasst eure Partnerschaft bestimmen. Ihm setzt aus, was  euch traurig und fröhlich macht. Geht mit dem, was ihr verdient und besitzt so um, dass es ihm gefallen kann. Nichts davon vermag euch zu halten.  Auf ihn allein kommt es an, Amen.