Was hast Du gemacht mit Deinem Leben? - Predigt zu Matthäus 25,14-30 von Karin Latour
25,14-30

Was hast Du gemacht mit Deinem Leben? - Predigt zu Matthäus 25,14-30 von Karin Latour

„Was hast Du gemacht mit Deinem Leben?"

Liebe Gemeinde,

ob die Jugendlichen heute noch Carl Zuckmayer lesen?
Sie wissen schon, den Hauptmann zu Köpenick,
der irgendwann mit Heinz Rühmann verfilmt wurde- die ergreifende Geschichte des Willem Voigt.
Nein, auch als Film ist diese Geschichte den Jüngeren wohl kaum noch bekannt. Von uns werden sich aber die meisten noch erinnern.
Erinnern vielleicht auch an die Worte des Willhelm Voigt, oder auch Willem, wie der Berliner sagt:

Und denn stehste vor Gott dem Vater und der fragt dir ins Jesichte:
Willem Voigt, wat haste jemacht mit deim Leben?
Und da muss ick sagen- Fußmatte, muss ick sagen. Die hab ick jeflochten im Jefängnis und denn sind se alle druff rumjetrampelt.
Muss ick sagen.

Und zum Schluss haste jeröchelt und jewürcht um det bisschen Luft, und denn wars aus.

Det sagste vor Gott.
Mensch.
Aber der sagt zu dir: Jeh wech! sagt er. Ausweisung, sagt er!
Dafür hab ick dir det Leben nich jeschenkt, sagt er.
Det biste mir schuldig! Wo is et? Wat haste mit jemacht?


Eine Gerichtsszene ist das. Eine Gerichtsszene vor Gott:
Was hast du mit deinem Leben gemacht, das ich dir geschenkt habe!

Eine Gerichtsszene, die nicht wenige im Laufe ihres Lebens irgendwann einmal vor sich selber halten.
Mit 30, mit 50, wenn man alles erreicht hat, oder auch nicht-
in Krankheit, im Alter, oder wenn man dazu kommt nachzudenken im Urlaub, wenn das Rad des Alltags für einen Moment stehen zu bleiben scheint.

Wo ist es, dein Leben?
Was hast du damit gemacht, mit den Jahren, den Tagen, den Stunden, die dir geschenkt waren?
Was hast du gemacht mit deinen Talenten, den Gaben, deinen Wünschen und Träumen?

Und vielleicht beschleicht den einen oder anderen das bittere und traurige Gefühl:
Du bist dir etwas schuldig geblieben, oder deiner Familie, oder der Welt, in die hinein du geboren bist, oder deinem Gott, der dir das Leben geschenkt hat.

Das kann es doch nicht gewesen sein!
Das kann doch nicht alles sein!
Und dann das Gefühl: zu spät, nicht mehr rückgängig zu machen, verspielt.

„In der Todesstunde drückt uns nicht das gelebte und geliebte Leben, sondern das ungelebte Leben und seine versäumten Möglichkeiten“ - hat ein erfahrener Theologe und Seelsorger einmal gesagt.
Und es ist wahr. Eine der traurigen Wahrheiten in wie vielen Trauergesprächen immer und immer wieder das Thema.

In Carl Zuckmayers Szene ist es Gott, der sagt: Geh weg, sagt er.
Keine Chance noch etwas nachzuholen- Ausweisung, sagt er.
Dafür hab ich dir das Leben nicht geschenkt. Wo ist es?
Du bist es mir schuldig!

Eine andere Gerichtsszene wird uns heute vorgestellt.
In der Schule wird sie kaum gelesen und besprochen und dabei gäbe es auch aus ihr so unendlich viel zu hören, zu lernen, zu verstehen für unser Leben:

Predigttext: Matthäus 25, 14-30

Nein, auch hier kein Happy End.
Auch hier ist der Ausgang der Szene nicht besser als im Hauptmann von Köpenick, zumindest für den 3. Knecht.
Und würden wir die Geschichte nicht vielleicht seit Kindertagen kennen-
wir wären irritiert, oder sind es ja vielleicht noch.

Jesus verurteilt den Mann.
Er verurteilt einen Menschen, ja- der doch eigentlich nichts Böses getan hat.
Ein Talent, einen Zentner hatte er erhalten. Einen.
Und dieses ihm anvertraute, er hat es nicht verjubelt,
er hat es nicht verprasst.
Er hat es lediglich vergraben, gesichert und gibt es wohlbehalten auf Heller und Pfennig zurück.

Er hatte Angst ein Risiko einzugehen, weil er die Reaktion seines Herrn voraussah.
Er hatte Angst das Wenige, das er erhalten hatte, zu verlieren und nachher mit leeren Händen dazustehen.
Selbst das Geld auf einer Bank anzulegen war ihm zu unsicher.
Er setzt auf Numero Sicher.

Und verspielt alles.
Seine Chancen,
seine Möglichkeiten,
die Gunst und das Wohlwollen seines Herrn.
Er verliert das Anvertraute, zuletzt die Zukunft:
„Denn wer da hat, dem wird gegeben und er wird die Fülle haben; Und wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. Werft den unnützen Knecht hinaus in die Finsternis, da wird sein Heulen und Zähneklappern.“

Eine Geschichte, die schockiert und trifft, vielleicht weil wir geneigt sind mit dem 3. Knecht mitzufühlen, ihn uns vorzustellen. Mir jeden falls geht es so.

Stellen wir uns vor- Vielleicht gehört er zu den Menschen, die still und zurückgezogen leben,
die man leicht übersieht,
die sich nicht in den Vordergrund drängen und nicht verstehen sich interessant zu machen.
Die insgeheim andere bewundern,
denen niemand etwas zutraut,
die ihren eigenen Fähigkeiten misstrauen und Angst haben man könnte negativ auffallen.

Woher hätte so ein Mensch den Mut nehmen sollen einmal etwas zu riskieren
Sich bloß nicht zu weit aus dem Fenster hängen, das geht nicht gut.
Nicht zu viel riskieren- das kann Kopf und Kragen kosten.

Wer hätte nicht Verständnis für dieses ängstliche Gemüt, das uns erzählt: Mein Herr, das ist ein harter Mann, der erntet, wo er nicht gesät hat, der sammelt ein wo er nicht ausgestreut hat.

Und gibt ihm am Ende nicht der Ausgang der Geschichte Recht?
Ein harter unerbittlicher Mann, der sich an die Spielregeln dieser Welt hält.
Wo etwas ist, da kommt immer noch etwas hinzu!
So sind eben die Gesetzmäßigkeiten im wirtschaftlichen Bereich:
Bringst du was, dann bekommst du mehr,
bringst du nichts, dann fliegst du raus!

Ausweisung, Jeh wech! Lässt Zuckmayer Gott sagen.
Den unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus. Lässt Jesus den Herrn sagen.

Ein ganz weltliches Ende. So ist es eben in dieser Welt. Könnte man sagen.

Man könnte aber auch fragen: Aber diese Geschichte ist doch nicht von dieser Welt?
Sie wird von Jesus erzählt vom Reich Gottes.
Sie erzählt von einem Herrn, der schließlich kein anderer ist als der Menschensohn selbst, Jesus Christus.

Auch hier sollen Leistung und Zuwachsraten und Mehrwert die bestimmenden Kriterien sein für das Leben und Zusammenleben von Menschen?
Auch hier soll zählen allein was du bringst, leistest, unterm Strich raus kommt aus deinem Leben?

Müsste es bei Jesus Christus nicht andere Kriterien geben als am Schuljahresende?
Oder einem Betrieb, der ums Überleben kämpft und angewiesen ist auf die Leistung jeden einzelnen Mitarbeiters- ich versuche es mal so zu sehen und zu verstehen.

Nein.
Es will nicht passen zu dem, was wir sonst von Jesus wissen.
In wie vielen Geschichten steht er auf der Seite der Schwachen, der Zukurzgekommenen.

Was also steckt hinter dieser Geschichte und was mag es sein, das er damals seinen Hörern auf den Weg gab.

- Den Pharisäern und Schriftgelehrten, denen Gottes Gesetz und Verheißung anvertraut waren.
Warnt er sie, den Menschen die ihnen anvertraute Gabe vorzuenthalten?

Oder den Jüngern, die um ihn waren.
Wollte er sie davor bewahren nur für sich selber zu leben, ihren Glauben für sich zu behalten und sich mit dem Bewahren des Empfangenen zu begnügen?

- Den ersten Gemeinden, sollen sie angehalten werden sich einzurichten auf eine längere Zeit, in der der Herr außer Landes geht, eine Zeit der Bewährung, des Einsatzes für die Sache Jesu Christi.

- Und uns heute?

Diese Geschichte ist eine Parabel.
Eine Parabel hat einen einzigen Vergleichspunkt, von woher sie sich erschließt.

Im Mittelpunkt steht hier jener unglückselige Knecht.
Und sein Unglück beginnt- nein, nicht im Moment, in dem er die Gabe, das Talent, das Anvertraute empfängt, sondern wo er beginnt zu rechnen:
Mein Herr ist ein harter Mann.
Was wird am Ende dabei herauskommen für mich?

Sein Unglück beginnt, wo er die Angst sein Handeln bestimmen lässt:
Ein harter Mann, oh Weh. Wenn ich zu viel riskiere.
Weh mir, wenn ich verliere!
Weh mir, wenn ich mich einlasse und versage.
Sein Unglück beginnt, wo er versucht sich schadlos zu halten.

„Wir streben nach einem Leben ohne Leiden, nach einer Freude ohne Schmerzen, nach Gemeinschaft ohne Konflikte,“ hat Jürgen Moltmann einmal gesagt. Hat er Recht?
Ein Leben ohne Leiden und nennen es Glück.
Leben ohne Risiko, ohne Engagement, Empathie. Ist das Glück?

Zumindest scheint es Ruhe, scheint es Sicherheit zu sein.
Wenn ich mich jederzeit in mein privates, persönliches Schneckenhaus zurückziehen kann,
wenn ich mich raushalten kann,
wenn ich soweit Distanz bewahre, dass mich die Probleme der anderen nicht zu sehr tangieren, wenn ich mich gar nicht zu sehr einlasse auf andere, dann kann ich auch nicht enttäuscht werden.
Wenn ich mir sage, ich kann an den Problemen der Welt und der Gesellschaft sowieso nichts ändern, dann muss ich mich nicht berühren lassen,  dann sehe ich das Elend nicht und muss nicht fertig werden mit der eigenen Ohnmacht.

„Nicht das gelebte und geliebte Leben drückt uns in der Todesstunde sondern das ungelebte Leben und seine versäumten Möglichkeiten“

Wo Menschen nicht wagen sich auf die Liebe eines anderen einzulassen aus Angst verletzbar oder enttäuscht zu werden.
Wo Menschen nicht wagen ihre Meinung zu vertreten aus Angst angreifbar zu werden.
Wo Menschen nicht wagen sich einzusetzen für eine Sache oder einen Anderen aus Angst selbst dabei etwas zu verlieren.

Mit dieser Parabel von den 3 Knechten- nein, ich glaube es nicht, dass unser Leben unter den Druck von Leistungen gesetzt werden soll.

Durch diese Geschichte vom ängstlichen, vielleicht auch ein Stück trägen Knecht, der sichern und bewahren wollte um nur nichts zu verlieren,
da schimmert das Geheimnis des Lebens: Wer sein Leben behalten will, der wird es verlieren. Wer es aber einsetzt, hingibt, der wird es gewinnen.

Sein Leben behalten, das heißt sich selbst festhalten aus lauter Angst vor dem Tod, vor dem Verlust, vor dem Leiden das Leben nicht wagen, aus Furcht vor Enttäuschung nicht zu lieben wagen.
Wer auf diese Weise sein Leben behalten will, der lebt am Leben vorbei. Vergräbt sich, seine Gaben, Fähigkeiten, seine Verantwortung, sein Leben.

Dies mag für unser ganz persönliches Leben gelten in seinen kleinen überschaubaren Kreisen, in denen es sich bewegt.
Erst recht mag es gelten für unser Leben vor Gott, meines, ihres, das unserer Gemeinden, das unserer Kirche.

Jesus, so glaube ich, verurteilt mit dieser Geschichte keinen Menschen.
Er verurteilt die Angst, die uns das Leben und unserer Verantwortung nicht wagen lässt.

Nicht Angst, nicht Sicherheit, nicht Bequemlichkeit, nicht sich vergraben sondern Mut, Courage, Mitdenken und Leiden sind gefordert. Dazu lädt Jesus ein.
Eine Kirche, die nicht für andere da ist ist keine Kirche, hatte Bonhoeffer gesagt, damals im Blick auf die unterdrückten und verfolgten Juden im Dritten Reich.
Und sein Wort hat im Blick auf Menschen, die auf unsere Hilfe und Engagement warten nicht an Bedeutung verloren.
Kritisch müssen auch wir uns fragen:
Wie oft bilden wir mit unseren Gottesdiensten, Kreisen, Gruppen, Festen, eine geschlossene Gesellschaft, Pflegen unsere Traditionen, bewahren das uns anvertraute. Das ist nicht nichts und es ist auch nicht unwichtig-  aber wie viel setzen wir nach außen für die am Rand, weit entfernt von uns, ein.

Die Geschichte mahnt auch uns in den Gemeinden uns nicht in unserem Gemeindealltag zu vergraben, zu verstecken, es gut sein lassen mit der Pflege unserer Traditionen allein und ein bisschen Geselligkeit.
Und uns dabei vor den Problemen unserer Zeit und der Menschen in den Strassen, gerade auch derer, die nicht mehr kommen, zu verschließen.

Jesu Gleichnis lädt ein zum Mut. Zu klaren Worten. Zu deutlichen Zeichen. Nicht zaghaft, sondern sicher und umgehend, wie jene zwei Knechte, die Einsatz und Engagement zeigen mit dem, was ihnen anvertraut ist.

Wem viel anvertraut ist, von dem wird man viel fordern.

Was aber ist uns anvertraut?

Den Knechten, der Kirche, unserer Gemeinde, Ihnen, mir?

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Die Mühe nimmt uns keiner ab dies selbst herauszufinden.

Aber ich bin sicher, es würde sich lohnen aus dieser Geschichte dann nämlich zu hören:
Nicht Ausweisung, nicht „Geh weg“ wie bei Zuckmayer, wohl aber:

Komm und grab es aus und entdecke und wuchere und hause mit dem, was ich dir anvertraut habe und versuch es noch einmal, es ist ja noch nicht zu spät.

Dann, dann wäre für uns noch alles offen.