Was können wir wissen, was sollen wir tun, was dürfen wir hoffen? - Predigt zu Apostelgeschichte 2,22–23.32–33.36–39 von Henrike Frey-Anthes
2,22–23.32–33.36–39

Was können wir wissen, was sollen wir tun, was dürfen wir hoffen?

Israeliten, hört diese Worte: Jesus von Nazaret, einen Mann, der sich vor euch als Gesandter Gottes ausgewiesen hat durch machtvolle Taten und Wunder und Zeichen, die Gott – wie ihr selbst wisst – mitten unter euch durch ihn getan hat, ihn, der nach Gottes unumstösslichem Ratschluss und nach seiner Voraussicht preisgegeben werden sollte, habt ihr durch die Hand gesetzloser Menschen ans Kreuz geschlagen und getötet. …
Diesen Jesus hat Gott zum Leben erweckt; dessen sind wir alle Zeugen. Er ist nun zur Rechten Gottes erhöht und hat vom Vater die verheissene Gabe, den heiligen Geist, empfangen, den er jetzt ausgegossen hat, wie ihr seht und hört. …
Klar und deutlich erkenne also das ganze Haus Israel, dass Gott ihn zum Herrn und zum Gesalbten gemacht hat, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt.“

Als sie dies hörten, traf es sie mitten ins Herz, und sie fragten Petrus und die übrigen Apostel: „Was sollen wir tun, Geschwister?“
Petrus sagte zu ihnen: „Kehrt um, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, und ihr werdet die Gabe des heiligen Geistes empfangen. Denn euch gilt die Verheissung und euren Kindern und allen in der Ferne, allen, die der Herr, unser Gott, herbeirufen wird.“

Drei Fragen hat der Philosoph Immanuel Kant einst formuliert, mit deren Hilfe er einer vierten Frage auf die Spur zu kommen gedachte, nämlich: Was ist der Mensch? Die erste Frage lautet: Was könne wir wissen? Die zweite: Was sollen wir tun? Und die dritte: Was dürfen wir hoffen?
Mit seinen Fragen und vor allem seinen Antworten auf diese Fragen begann durch Kant in der Philosophie ein neuer Geist zu wehen, der gleichermaßen Stürme der Begeisterung wie der Entrüstung auslöste. Bis heute ist Kant aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken.

Stürme der Begeisterung und Stürme der Entrüstung entfacht auch die Pfingstpredigt des Petrus. Nicht so sehr die Frage „Was ist der Mensch“ steht hier allerdings im Vordergrund, sondern die Frage: „Was ist der Geist Gottes?“. Ebenso wie der berühmte Philosoph beginnt auch der berühmte Missionar seine Predigt mit der Frage: „Was können wir wissen?“ Und er beatwortet sie so:

Jesus von Nazaret, einen Mann, der sich vor euch als Gesandter Gottes ausgewiesen hat durch machtvolle Taten und Wunder und Zeichen, die Gott – wie ihr selbst wisst – mitten unter euch durch ihn getan hat, ihn, der nach Gottes unumstösslichem Ratschluss und nach seiner Voraussicht preisgegeben werden sollte, habt ihr durch die Hand gesetzloser Menschen ans Kreuz geschlagen und getötet. …
Diesen Jesus hat Gott zum Leben erweckt; dessen sind wir alle Zeugen.

Vielleicht hat es Petrus leichter als wir. Er war ja nicht nur ganz nah dran gewesen, hatte mit Jesus gelebt, war verzweifelt über seine Angst, mit ihm sterben zu müssen, und ist jetzt der Gegenwart des Geistes gewärtig. Aber auch in anderer Hinsicht hat er es vielleicht leichter als wir, denn er lebt – anders als wir nach Kant – vor der Aufklärung. Vor der Kritik der reinen Vernunft und der Erkenntnis, dass es mit der Erkenntnis nicht so einfach ist.

Wie schwer fällt es uns heute, darüber Gewissheit zu haben, wovon Paulus so begeistert predigt, was er so geistesgegenwärtig und ansteckend verkündet: Ihr wisst doch, dass Gott durch Jesus Christus mitten unter gewirkt hat. Und ihr könnt sehen und hören – er tut es jetzt durch seinen Geist. So viel spricht gegen diese Überzeugung. So viele Fragen machen es uns schwer, Gottes Geist zu hören und zu sehen.

Was können wir wissen?

Viel wissen wir, vielleicht manchmal so viel, dass sich uns gar nicht die Frage stellt: Was können wir wissen?, sondern: Was wollen wir wissen? Und sich die Frage nach dem, was wir tun sollen, sich allzu oft verkehrt in die Frage danach, was ich überhaupt tun kann. Und dann kann es passieren, dass ich geistesabwesend lebe, gleichgültig werde, weil alles zu viel ist. Dass mir wegbricht, was mir Halt geben sollte. Dass sich die Gewissheit breit macht, dass ich ja doch nichts tun kann.

Dann kann es sein, dass ich doch eigentlich weiß, dass Christus durch uns gestorben ist und ich doch die Verantwortung für mein Handeln lieber abschiebe.
Dass ich doch eigentlich weiß, dass Christus auch für mich den Tod überwunden hat und ich es doch nicht vermag, beherzt und begeistert im Geist Gottes zu leben. Dass ich verzage und nach vorne hetze, um nicht umkehren zu müssen. Dass ich mich sorge um das Morgen anstatt Kraft zu schöpfen aus dem, was mir gestern geschenkt wurde.

Vielleicht kommt es daher, dass wir nicht so genau wissen wollen, ob die Rendite für unsere Geldalagen sich aus Waffengeschäften speist. Dass wir wissen, dass die Menschen in Bangladesch sich für uns zu Tode arbeiten, wir aber trotzdem stolz sind über das billige Schnäppchen, das wir ergattert haben. Wir wissen doch, dass es für andere schlimm ist, wenn wir schlecht über sie reden, aber dennoch haben wir unsere liebe Freude an Gerüchten. Wir wissen, dass überall auf der Welt Menschen heimatlos werden, die Flüchtlinge aber wollen wir lieber nicht bei uns im Ort haben.

Was können wir wissen?

Das Volk Israel, in dem die Traditionen der Propheten lebendig sind, das verankert ist in der Überlieferung seiner Geschichte, wird von Petrus daran erinnert, was es wissen kann. Dass doch schon Joel verkündet hat, was heute geschieht, dass die Jungen weissagen und die Alten Träume haben, dass Gott selbst David verheißen hat, dass der Messias zur Rechten Gottes sitzt und lebt.

Er ist nun zur Rechten Gottes erhöht und hat vom Vater die verheissene Gabe, den heiligen Geist, empfangen, den er jetzt ausgegossen hat, wie ihr seht und hört.
Klar und deutlich erkenne also das ganze Haus Israel, dass Gott ihn zum Herrn und zum Gesalbten gemacht hat, diesen Jesus.

Petrus deutet die alten Traditionen im Geist des auferstandenen Christus. Und wir? Wie deuten wir das, was uns überliefert ist? Was ist es, das mir in der Vergangenheit geholfen hat? Was ist es, das mir Kraft gibt? Vielleicht ein Psalm, den ich schon lange nicht mehr gebetet habe, ein Bibelvers, den ich auswendig kenne, eine Geschichte, die mir Gott erschließt, ein Gespräch in dem ich spüre, hier weht der richtige Geist.

Umkehren und sich daran erinnern, was mir geschenkt ist, das kann helfen, meine Gegenwart zu sehen im Geist dessen, der das Leben will. Unser Leben. Mit unserem ganzen Herzen, mit unserer ganzen Seele, mit all unserer Kraft. Das können wir wissen.

Als sie dies hörten, traf es sie mitten ins Herz, und sie fragten Petrus und die übrigen Apostel: „Was sollen wir tun, Geschwister?“

Was können wir wissen? Was sollen wir tun?

Die alte Botschaft gedeutet im neuen Geist, das trifft die Menschen mitten ins Herz. Und was ins Herz trifft, das drängt zum Handeln, das will keine Mördergrube aus dem Herz machen, sondern lebendig werden in Wort und Tat. Die Gegenwart des Geistes macht geistesgegenwärtig.

Erkenntnis und Tat, gewiss sein und begeistert handeln. Sich besinnen auf das, was wir wissen können, umkehren zu dem, was uns Sinn uns Halt gibt. Absehen von mir selbst und aufsehen auf die Hoffnung, die ich habe:

Petrus sagte zu ihnen: „Kehrt um, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, und ihr werdet die Gabe des heiligen Geistes empfangen. Denn euch gilt die Verheissung und euren Kindern und allen in der Ferne, allen, die der Herr, unser Gott, herbeirufen wird.“

Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen?

Voll des Geistes, der uns erfüllt, können wir wissen, dass Gottes Geist da ist. Dass er uns verankert in dem, was uns verheißen ist, uns gründet in den Verheißungen der Propheten gleichermaßen wie in den Geschichten des Gottesvolkes. Uns ermutigt durch die Erzählungen davon, wie Gott sich in Jesus Christus uns Menschen zuwendet. Uns und unseren Kinder, die wir heute getauft haben.

Die Taufe ist das Zeichen dafür, dass Gottes Geist in unserem Leben gegenwärtig ist und uns selbst geistesgegenwärtig machen will für das, was er uns schenkt. Damit wir nicht geistesabwesend gleichgültig sind gegenüber dem, was wir wissen können, sondern geistesgegenwärtig leben, Gottes Geist gewärtig sind. Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Darauf dürfen wir hoffen.

Amen.

 

Perikope
09.06.2014
2,22–23.32–33.36–39