Was Neues anziehen? - Predigt zu Epheser 4,22-32 von Matthias Loerbroks
4,22-32

Legt ab den alten Menschen, den früheren Lebenswandel, der verdirbt an trügerischen Begierden. Erneuert euch aber durch ein Denken, vom Geist bestimmt, und zieht an den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist in Gerechtigkeit und Heiligkeit der Wahrheit. Darum legt ab die Lüge und redet Wahrheit jeder mit seinem Nächsten, denn wir sind untereinander Glieder. Zürnt ihr, so sündigt nicht. Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn. Und gebt keinen Raum dem Teufel. Wer da stiehlt, stehle nicht mehr, lieber mühe er sich und arbeite mit den eigenen Händen, damit er hat, dem zu geben, der es braucht. Kein faules Wort gehe aus eurem Mund, sondern, wenn überhaupt, ein gutes, zum Aufbau, wo man es braucht, damit den Hörern Gnade gegeben wird. und betrübt nicht den heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid auf den Tag der Erlösung. Alle Bitterkeit und Wut und Zorn und Geschrei und Lästerung sei euch fern samt allem Üblen. Seid zueinander gütig, gutherzig, gebt einander Gnade, wie auch Gott euch Gnade gegeben hat im Christus.

 

Können wir neu werden? Kann das Verhältnis zwischen Christen und Juden neu werden? Wir sind geprägt von dem, was uns bewusst und unbewusst, ausgesprochen und unausgesprochen von unseren Vätern und Müttern vermittelt wurde, was wir geerbt haben. Juden und Jüdinnen sind es auch. Der Massenmord an Europas Juden wäre ja nicht möglich gewesen, wenn nicht christliche Kirchen jahrhundertelang die Verachtung der Juden gepredigt hätten und die falsche Lehre verbreitet, Gott habe seinen Bund mit dem jüdischen Volk gekündigt, es durch ein neues Gottesvolk ersetzt, einen neuen Bund geschlossen mit uns, mit der Kirche: das neue Israel, das Israel nach dem Geist, das Israel rechter Art. Die Nationalsozialisten haben die theologisch-theoretische Rede vom Ende Israels wörtlich genommen und umgesetzt, haben ihr Mordprogramm „Endlösung“ genannt. Können wir das einfach ablegen und wegtun wie Kleidungsstücke, die uns nicht mehr passen, die unangemessen sind oder schlicht auf den Müll gehören? Die Frage verschärft sich noch, wenn wir dessen innewerden, dass wir nicht bloß geprägt und beeinflusst sind, sondern auch unsererseits prägen und beeinflussen: die nächste, die übernächste Generation. Die biblische Überschrift dieses Gottesdienstes aus dem 5. Buch Mose erinnert uns an unsere Verantwortung gegenüber Kindern und Kindeskindern.

Das Bild vom Kleiderwechsel ist verlockend, weckt unsere Sehnsucht. Das gibt es ja, dass ein Kleiderwechsel Ausdruck innerer oder gesellschaftlicher Veränderung ist: von den jakobinischen Mützen zu denen der Arbeiterbewegung; der alles Einschnürende lösende Schillerkragen der Jugendbewegung; Frauen, die (die) Hosen anhaben; ein Minister, vereidigt in Turnschuhen; Gojim, die aus Solidarität mit bedrohten Juden Kippot tragen. Aber das kann auch nur Camouflage sein. Haben sich Christen nach 1945 wirklich gewandelt oder nur neu gewandet? Sind wir neu geworden, die vorläufige Darstellung einer mit Israel versöhnten Völkerwelt, oder wird Antijüdisches nur bemäntelt? Wölfe im Schafspelz, die überdies Kreide gefressen haben; des Kaisers neue Kleider, an denen kinderleicht zu entdecken ist, dass die imperiale Kirche im christlich-jüdischen Verhältnis nackt dasteht?

Vom neuen Menschen war schon zwei Kapitel zuvor die Rede. Jesus Christus ist gekommen, heißt es da, und hat Frieden verkündet, Friede den Fernen, uns, den Völkern, und Friede denen, die nah waren: Israel. Er hat die Feindschaft zwischen Israel und den Völkern, zwischen Juden und Nichtjuden aufgelöst, hat in sich selbst aus beiden einen neuen Menschen geschaffen. Menschen aus der Völkerwelt, die zuvor Israel und seinen verheißungsvollen Bundesschlüssen gegenüber fremd und fern waren, ohne Hoffnung, ohne Gott, sind nun nah geworden, Mitbürger Israels, Hausgenossen Gottes. Doch nun kommt es dem Verfasser darauf an, dass wir uns diesen neuen Menschen auch anziehen, nicht trotzig stecken bleiben in unserer Israelferne und -fremdheit, als wäre nichts geschehen, beharrlich festhalten am alten Menschen mit seiner illusionären, sich selbst und andere täuschenden Gier. Gier – das ist ja ein Lieblingsbegriff aus dem Wörterbuch des Antisemiten: den Juden geht es stets ums Geld, von dem er nicht genug kriegen kann (Judas! Silberlinge! Shylock!), überhaupt um Materielles, nicht um Geistiges. Diesen Spieß dreht der Autor um: es ist das Heidentum, das nie zufrieden ist, nie befriedigt und befriedet, darum so friedlos; sich nie begnügen kann, darum auch nie recht vergnügt ist. Der neue Mensch, den Jesus in seiner Person geschaffen hat, der ist, fügt der Briefschreiber nun hinzu, nach Gott geschaffen. Das erinnert an die Schöpfungsgeschichte, in der nach dem Bilde Gottes geschaffen bedeutet: männlich und weiblich geschaffen, als Mensch und Mitmensch, als Gemeinschaft von Verschiedenen.

Der Wechsel von einst zu jetzt, von alt zu neu ist nicht nur, aber auffällig stark eine Veränderung der Sprache: legt die Lüge ab, redet die Wahrheit; kein faules Wort, sondern ein gutes, eins zum Aufbau, ein brauchbares; keine Lästerungen – es ist ein Appell mit all dem aufzuräumen, was in Kirche und Gesellschaft als jüdisch oder alttestamentlich oder alttestamentarisch oder pharisäisch gilt. Und Wahrheit – das ist nicht nur zutreffendes Reden, obwohl schon das im christlich-jüdischen Verhältnis viel wäre. Wahrheit hat biblisch mit Bewährung zu tun, mit Verlässlichkeit, mit Treue – es geht um Bewährung oder Verweigerung von Solidarität. Redet Wahrheit – der Appell ist dem Buch Sacharja entnommen, und da steht er im Zusammenhang mit einer Vision: zehn Menschen aus den Völkern werden einen Juden beim Rockzipfel fassen und sagen: wir wollen mit euch ziehen, denn wir haben gehört: mit euch ist Gott.

Im letzten Kapitel des Briefs ist noch einmal davon die Rede, sich was Neues anzuziehen. Da geht es um die Waffenrüstung Gottes – der neue Mensch, das ist ein Kollektiv im Kampfeinsatz gegen die Methoden des Teufels, was angesichts des alten wie des neuen Judenhasses begreiflich ist. Doch das Ziel dieses Einsatzes ist, das Evangelium des Friedens zu verbreiten – Friede zwischen Gott und den Menschen, Friede zwischen Israel und den Völkern. Das Schwert dieser Ausrüstung ist das Wort Gottes – es geht auch hier darum, was und wie wir reden.

Die Vision des Epheserbriefs vom Frieden, von der Versöhnung zwischen Israel und den Völkern ist gescheitert – darum sind wir heute so dran, wie wir dran sind. Die Christen aus den Völkern wollten sich zwar mit dem Gott Israels versöhnen lassen, aber nicht mit seinem Volk. Doch wir würden selbst den Methoden des Teufels erliegen, wenn wir uns resigniert damit abfinden, uns als heidnisch fatalistisch, als alte Menschen erweisen. Der Berliner Theologe Friedrich-Wilhelm Marquardt schrieb vor dreißig Jahren:

„Nehmen wir einmal an, zwischen Christen und Juden wäre alles in Ordnung. Wir hätten uns zu Herzen genommen, dass Antisemitismus Sünde wider den Heiligen Geist ist; wir hätten uns innerlich so frei gemacht, dass Judenneid und Judenhass für uns keine Versuchung mehr bedeuten würde; beim Stammtisch würden wir sofort die Freundschaft kündigen, wenn dort auch nur der harmloseste ‚Judenwitz‘ erzählt würde oder gar Schlimmeres: wenn nach ein paar Gläschen Bier und Schnaps die Stimmung sich lockerte und alte Nazitöne kämen aus den Tiefen des Unbewussten heraus; wir würden jeder Partei sofort bei der nächsten Wahl unsere Stimme verweigern, aus deren Reihen Verharmlosungen oder sogar Rechtfertigungen der Hitler-Politik bekannt würden. Und nehmen wir auch das einmal an: Wir ließen es uns als wache Christenleute einfach nicht mehr gefallen, wenn ein Pfarrer von der Kanzel oder im Konfirmandenunterricht Schlechtes statt Gutes von den Juden redete; wir stellten den Prediger zur Rede, der Pharisäer und Schriftgelehrte nur als Todfeinde unseres Herrn Jesus schilderte, der die Unwahrheit lehrte über den angeblichen Rachegott des Alten Testaments, der das Elend unserer menschlichen Gesetzlichkeit nur am Beispiel des jüdischen Gesetzes, aber nicht an unserer kirchlichen und deutschen Gesetzlichkeit bekämpfte; wir würden den Religionslehrer einfach auslachen, der zum Beispiel den Jesus der Bergpredigt als Gegner der Lehre des Moses zur Karikatur machen würde. Stellen wir uns sogar das noch vor: wir würden in den Sonntagsgottesdiensten und zu Hause im Kämmerlein ganz regelmäßig für das jüdische Volk beten: dass es ihm gut gehe und es lange lebe auf Erden; wir würden nicht darum beten, dass die Juden sich zu unserem Herrn Jesus bekehren, sondern dafür, dass wir endlich einmal begreifen können, warum sie noch nicht Ja zu ihm sagen können – wir würden uns ihr Nein zum Christentum als ein Zeichen Gottes dafür erklären, dass er noch viel Neues und Überraschendes vorhat mit uns und ihnen: vielleicht, dass er sogar die Letzten wieder zu den Ersten machen will.

Stellen wir uns das alles einmal vor. Leider sind wir ja noch nicht soweit, leider ist zwischen Christen und Juden das alles noch nicht so in Ordnung, wie es sollte. Aber wir dürfen uns ja neue, erwachte Christen ruhig einmal erträumen, denn ohne eine lebhafte Hoffnung auf neue Menschen gäbe es die ganze Bibel nicht; sie ist das Traumbuch vom neuen Menschsein – und wer, wenn nicht zuerst wir Christen, wäre dazu berufen, ganz neu zu werden, so dass die alten Sünden der Mütter und Väter bei uns nicht mehr zu finden sind.“ (ASF-Predigthilfe, S. 42)

Der heutige 27. Januar ist zugleich der letzte Sonntag nach Epiphanias mit der biblischen Überschrift: „Über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir“. Der 27. Januar erinnert an den monströsen Versuch, dass Licht der Welt, das Licht der Völker, das Israel aufgegangen ist und das Israel ist, auszulöschen. Doch es leuchtet noch – und die christliche Gemeinde soll sich davon aufklären lassen.

Amen.

 

Liturgievorschlag

Orgelvorspiel

Begrüßung mit dem biblischen Motto Dtn 4,9:

Hüte dich nur, hüte sehr deine Seele, dass du nicht vergisst die Ereignisse, die deine Augen gesehen haben; dass sie nicht aus deinem Herzen weichen alle Tage deines Lebens. Lass deine Kinder und Kindeskinder sie wissen.

Vorgesehen in der neuen Perikopenordnung ist nur v9a  – ich schlage vor, die zweite Hälfte hinzuzunehmen.

1.         404,3.4.7.8

Psalm

Vorgesehen ist Psalm 126, den man vielleicht als Lied der Überlebenden, Entronnenen verstehen kann, was zwar zur Befreiung von Auschwitz, aber nicht recht zum Gedenktag passt, eher zum Jom Hazma´ut. Vielleicht stattdessen Psalm 83?

2.         wenn Psalm 126:        326,5.6.8

            wenn Psalm 83:          273,3.2.5

Gebet

Gen 4,1-10

mit Vorspruch über den Menschen, der eine Beziehung zu Gott ohne seinen Bruder haben will; und zu Gottes Grundfragen: Mensch, wo bist du? Wo ist dein Bruder? Was hast du getan?

3.         449,5.6.9

Predigt Eph 4,22-32

4.         Wir glauben: Gott ist in der Welt, Singt Jubilate 48

Abkündigungen

5.         114,6-9

Fürbitten, Vaterunser

6.         58,10.11

Segen

Orgelnachspiel

Fürbitten

HERR, Gott Abrahams und Saras,

die Verbrechen, derer wir heute gedenken, machen uns sprachlos,

und doch suchen wir Worte, um zu dir zu sprechen, deinen Namen zu loben, dir zu danken, dir zu klagen, dich zu bitten.

 

HERR, Gott Isaaks und Rebekkas,

wir loben und preisen deine Treue zu deinem Volk Israel;

wir danken dir, dass Israel lebt, als Licht der Völker, Licht der Welt leuchtet

trotz aller Versuche, es auszulöschen;

und wir bitten dich: halte ihm die Treue;

höre nicht auf, sich seiner befreiend, bewahrend, segnend anzunehmen;

öffne den Völkern die Augen für dieses Licht.

 

HERR, Gott Jakobs, Rachels und Leas,

wir klagen vor dir das Leid all der Ermordeten.

Sorge du selbst dafür, dass sie nicht erneut vernichtet werden, weil ihre Namen, ihre Lebensgeschichten in Vergessenheit geraten, und stärke alle, die daran mitarbeiten, dass ihrer gedacht wird.

Steh den Überlebenden bei und ihren Kindern und Kindeskindern; geselle ihnen Menschen zu, die mit ihnen leben, die Last ihres Lebens mittragen, und gib diesen Mitmenschen Herzlichkeit und Wärme, Verständnis, Einfühlungsvermögen, Geduld im Zusammensein auch mit Schwierigen und Wunderlichen, mit Zynikern, Verbitterten und Verbiesterten.

 

HERR, Vater unseres Herrn Jesus, du, unsere Mutter,

wir bitten dich auch für uns, die Kirche, die Jüngerinnen und Jünger, Freunde und Freundinnen deines Sohnes,

befreie uns von unserem tief verwurzelten Judenhass in Gedanken, Gefühlen, Worten und Taten; mach uns zu treuen, verlässlichen Bundesgenossen deines Volkes;

gib uns den Mut, für Jüdinnen und Juden einzustehen auch gegenüber Freunden; auch gegenüber Menschen, die auf unseren Schutz und unsere Hilfe angewiesen sind;

mach uns bereit und fähig zur Solidarität mit allen Menschen, deren Leben von Herrenmenschen aller Art als minderwertig oder lebensunwert betrachtet, verächtlich gemacht, verleumdet, bedrückt und bedroht wird.

Wir danken dir, dass es nach allem, was geschehen ist, zu Begegnungen und Freundschaften gekommen ist zwischen Christen und Juden, zwischen Deutschen und Angehörigen der Völker, die von Deutschen gequält und ausgeplündert wurden. Segne und mehre diese Begegnungen und Beziehungen, mach sie fruchtbar.

Erweiche die Hartgesottenen, öffne die Verschlossenen, die von den Verbrechen unberührt sind und bleiben wollen; die sie noch immer oder schon wieder leugnen;

und bewahre alle die, die berührt und erschüttert sind; die etwas begriffen haben, vor Selbstgerechtigkeit und Hochmut.

 

HERR, du Schöpfer und Liebhaber des Lebens,

voll Schauder, voll Entsetzten entdecken wir um uns herum, aber auch in uns selbst die Kälte, die Auschwitz ermöglicht und erleichtert hat. Finde dich nicht ab mit dieser Kälte, der Unfähigkeit zum Mitfühlen, dem ängstlichen und aggressiven Beharren auf dem Eigenen, auf allerlei angebliche Identitäten, sondern hilf uns dabei, sie zu überwinden.

Und mach auch uns bei aller Trauer und trotz allen Grauens zu freien und fröhlichen, hellen und heiteren Liebhabern des Lebens.

 

Genutzte Literatur

Aktion Sühnezeichen Friedensdienst (Hg), Predigthilfe für den 27. Januar 2019.

Bestellbar unter www. asf-ev.de.

Perikope
27.01.2019
4,22-32