„Was steht ihr da und schaut zum Himmel?“
I. Ein Regentag wie ihn sich niemand Anfang Mai wünscht. Ich liege auf dem Sofa und lese ein Kinderbuch. „Alberta geht die Liebe suchen“ (Andrea Hebrock / Isabel Abedi). Ein kleines Mäusemädchen erwacht aus dem Winterschlaf. „‘Frühling ist, wenn alles erwacht‘ – sagt Mama Feldmaus. ‚Die Mäuse, die Igel, die Murmeltiere, die Bienen, die Bären, die Blumen ... und die Liebe.‘ – ‚Was ist Liebe?‘, fragt Alberta und reibt sich den Winterschaf aus den Augen. ‚Die Liebe‘, sagt Mama Feldmaus träumerisch, ‚ist etwas Besonderes. Die Liebe macht, dass es in dir flattert und kribbelt. Dass dein Herz Purzelbäume schlägt. Und dass du vor lauter Glück bis in die Wolken springen möchtest.‘ ‚Das klingt schön‘, sagt Alberta.“ Und geht die Liebe suchen. Ein Mäusejunge – Fred – begleitet sie. Sie suchen die Liebe auf den Bäumen, auf der Wiese, an einem See und finden sie nach und nach beieinander. Am Ende „fassen sich die beiden an den Pfoten. Und zusammen tanzen sie am Ufer entlang und hüpfen in die Luft. So hoch als wollten sie bis zum Himmel springen.“
II. Wir feiern Himmelfahrt. Ein Tag im Mai zwischen Frühlingsgefühlen und Vatertagsfreuden. Ein geschenkter Tag Auszeit. Zeit für sich und füreinander: Ausschlafen, ein Bummel in roten Schuhen, Schokoladeneis auf den Lippen. Sonnenstrahlen kitzeln die Nase und Blütenduft liegt in der Luft. Zeit, um eine neue Liebe zu spüren oder die alte ganz neu. Dieser Tag ist ein besonderer Tag, leicht und licht. Fast so als würden sich Himmel und Erde berühren. Hören wir, was es mit diesem Gefühl auf sich hat - und mit Himmelfahrt!
Lesung Apg 1,1-11
Es ist eine anrührende Szene gleich zu Beginn der Apostelgeschichte. Die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten. 40 Tage ist Jesus nach seiner Auferstehung bei seinen Jüngern gewesen. Gleich fährt er zum Himmel auf, um am Ende der Zeiten wiederzukommen, wenn alles heil sein wird. Doch jetzt ist da Unsicherheit. Schwebende Zeit. Mittendrin Jesus und seine Jünger. Noch einmal sind sie zusammen. Die Jünger spüren: Das ist kein normaler Tag. Etwas liegt in der Luft, irgendetwas zwischen Abschied, Verunsicherung und Hoffnung. „Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?“ Hinter dieser Frage stehen viele Fragen: Ist es jetzt soweit? Steht der Himmel nun offen? Beginnt sie endlich, die Ewigkeit? Wer so fragt, den bewegt die Sehnsucht, vielleicht auch die Angst. In diesen Worten liegt ein Drängen. Wann ist es so weit? Ich kann dieses Sehnen, dieses Drängen verstehen. Leben ist nicht immer einfach. Es gibt so vieles, das einen aus der Bahn werfen kann. Es gibt so viel Unsicherheit. Da wünscht man sich, dass alles gut ist, dass alles sicher und man selber glücklich ist. Wir sind so verletzlich, flüchtig ist das Glück, allzu brüchig erscheint, was sicher schien. Viele sagen mir das zurzeit: Was wird kommen? So viel verändert sich. Kriege, Flüchtlingsströme, ganz neue Töne in der Politik. Viele fragen mich auch: Was passiert gerade in meinem eigenen Leben? Werde ich wieder gesund? Wird alles wieder gut? Solche Worte sind mehr Wunsch als Frage. Ein Lied von Silbermond bringt das auf den Punkt.
„Sag mir, dass dieser Ort hier sicher ist,
und alles Gute steht hier still.
Und dass das Wort, das du mir heute gibst,
morgen noch genauso gilt.
Gib mir 'n kleines bisschen Sicherheit,
in einer Welt, in der nichts sicher scheint.
(…) Gib mir was, irgendwas, das bleibt.“
III. Die Jünger Jesu fühlen nicht anders: „Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?“ Das ist mehr Sehnsucht als Informationsdefizit. „Sag mir, dass dieser Ort hier sicher ist, und alles Gute steht hier still. Und dass das Wort, das du mir heute gibst, morgen noch genauso gilt.“ Die Jünger ahnen: Es verändert sich etwas. Es kommt die Zeit ohne Jesus. Es bleibt nicht so wie es ist. Schwebende Zeit. Unsicherheit. „Gib mir was, irgendwas, das bleibt.“
Eine einfache Antwort gibt Jesus nicht „Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen …“ Noch ist es noch nicht soweit. Noch ist sie nicht da, die Ewigkeit, die Zeit, in der alles sicher bleibt und in der das Gute still steht und nie vergeht. Den Himmel auf Erden bekommen die Jünger von Jesus nicht, doch sie bekommen etwas anderes. „Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen.“ Pfingsten blitzt auf. Gottes Geist liegt in der Luft. Ein bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint.
IV. „Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben und eine Wolke nahm ihn auf und von ihren Augen weg. Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ Was Lukas in der Apostelgeschichte über die Himmelfahrt schreibt, ist nichts anderes als ein Bekenntnis zur Erde. Zum hier und jetzt. Zu unserem Leben. „Was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ In den Himmel starren und Wolkenschlösser bauen – so soll es nicht sein. Da gilt die Mahnung von Friedrich Nietzsche: „Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu!“ (Also sprach Zarathustra, 1,3). Jesus gibt keine Versprechungen für die Ewigkeit, keine Vertröstungen auf’s Jenseits oder Durchhalteparolen: „Haltet durch, bald ist es soweit. Bis es gut ist, müsst ihr warten.“ Jesus verdammt uns nicht zum Warten auf die Ewigkeit und zum Hoffen auf bessere Zeiten, sondern setzt uns in Bewegung hier und jetzt. Er gibt uns seinen Geist. „Was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ Der Blick geht nicht zu Jesus im Himmel, sondern zu uns hier auf der Erde. Es geht nicht darum, dass Jesus nun weg und im Himmel ist, sondern darum, dass er da war, hier bei uns auf der Erde. Das verändert alles - Himmel und Erde. Gott war hier unter uns. Ganz und gar. Mit Haut und Haar. Das macht den Himmel menschlicher und die Erde himmlischer. Das bleibt für alle Ewigkeit: Jesu Spuren und sein Geist. Das ist der Halt, das ist das, was bleibt in dieser Welt voll Unsicherheit. Ein Hauch von Ewigkeit in dieser Zeit.
„Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen.“ Jesus hat seinen Geist gegeben. Keine Vertröstung, sondern wahren Trost. Ein bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint. Das kann helfen gegen die Angst. Wo die Angst schwindet, bekommt die Sehnsucht Raum. Mit dieser Sehnsucht beginnt alles. So wie bei der kleinen Feldmaus Alberta und ihrer Sehnsucht nach der Liebe. Alberta hat nicht nur davon geträumt oder gewartet, dass die Liebe einfach so vom Himmel fällt, sondern hat sich auf den Weg gemacht und mit Fred die Liebe gefunden; ihre Sehnsucht hat sie in Bewegung gesetzt. Damit hat es angefangen. Mit dieser Sehnsucht fängt es immer an. Ein neues Leben hier und jetzt. „Was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ Bleibt der Erde treu! Der Himmel ist nicht über den Wolken, sondern in unserem Leben. „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ – sagt Jesus. Zeit und Stunde sind jetzt. Es gibt Momente, da spüren wir den Himmel auf Erden. Wie Fred und Alberta wie sie zusammen am Ufer entlang tanzen und in die Luft hüpfen. So hoch als wollten sie bis zum Himmel springen. Es gibt sie, diese Momente „das Gehen ein Tanz, das Wort ein Gesang“ (Michel Houellebecq). Vergoldete Zeit, in der Himmel und Erde sich berühren wie die Pfötchen zweier verliebter Mäuse. Ich trage solche Momente in mir. Bilder, die immer wieder aufblitzen, auch in schwerer Zeit, die mir Sicherheit geben und mein Herz für die Sehnsucht weiten, mit der etwas Neues beginnen kann mitten im meinem Leben.
V. „Was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ Schaut einander in die Augen und reicht euch die Hand! Bleibt der Erde treu! Folgt eurer Sehnsucht! Ihr habt die Kraft, denn Gottes Geist ist euch gegeben. Zeit und Stunde sind jetzt. Denn „wo Menschen sich verschenken, die Liebe bedenken, und neu beginnen, ganz neu, da berühren sich Himmel und Erde, das Frieden werde unter uns.“ (Text: Thomas Laubach / Melodie: Christoph Lehmann).
Amen