Was wird aus ihm? - Predigt zu Offenbarung 5, 1-14 von Christian Stasch
5,1 -14

Sie reden oft über ihn: Johannes. Der ist besonders. Ein schroffer Typ, kratzbürstig, sogar krawallig. Will mit dem Kopf durch die Wand. Macht sein Ding. Liebt die großgemalten Gesten und die groben, lauten Worte. Gern auch mal eine ausgeschmückte Gewalt-Phantasie mit dabei. Nicht everybody´s darling, kein Weichzeichner. Keiner, der es sich und anderen leicht macht. Man braucht langen Atem, um sich auf ihn einzulassen. Ist das vielleicht sogar pathologisch? Und sie denken: Was aus dem mal werden wird … - Wie wird der seinen Weg gehen? Manches drückt er sprachlich genial aus, aber andererseits ist es nicht immer ganz zu Ende gedacht. Na ja, irgendwie kommt er schon durch. Denn das Beschwerliche ist ja zugleich auch seine Stärke. Dieser Mut, Dinge auf den Punkt zu bringen. Nicht um den heißen Brei herum zu reden. Wenn Johannes z.B. jemanden nicht mag, dann schiebt er nicht Terminprobleme vor oder redet sich raus, sondern dann gilt eben klipp und klar: Dich mag ich nicht. Keine Kompromisse. Egal, welche Folgen das haben mag. Angstfrei ist Johannes. „Fürchte dich nicht.“ Das ist schon stark.

Liebe Gemeinde,

so ähnlich könnten sich die Eltern vielleicht Sorgen und Gedanken gemacht haben um ihren Sohn Johannes, namensgleich mit einem der Jesusjünger und einem der vier Evangelisten. Uns ist allerdings rein gar nichts überliefert von elterlichen Gedanken. Überliefert ist uns nur ein Traum, den der erwachsene Johannes träumte, Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus. Eine Art Vision, die er geschaut in seinem Exil und dann aufgeschrieben hat, kraftvoll, z.T. auch etwas dick aufgetragen, Schwarz-Weiß, Gut – Böse. Nun, es waren stürmische Zeiten, erste größere Christenverfolgungen – da ist für moderate Töne wohl kein Platz, wie so oft in der Untergrund-Literatur, und es gibt nur ein entweder-oder: wer hat letztlich die Macht, der römische Kaiser oder Gott? Unter dem Namen „Offenbarung des Johannes“ hat diese Vision Einzug in die Bibel gefunden, ganz am Ende steht sie. In manchen Ländern haben die Christen allerdings ganz bewusst Bibeln OHNE die Johannesoffenbarung. Und Martin Luther war auch nie ein Fan von ihr: Er könne überhaupt nicht spüren, dass diese Schrift überhaupt vom Heiligen Geist durchdrungen sei, so sagt Luther.

Mal schauen.Jedenfalls eine ungewohnte Stimme und ungewohnte Bilder zum 1. Advent:Ein paar Verse aus dieser Johannesoffenbarung (wir haben sie vorhin in der Lesung gehört). In den geöffneten Himmel lässt Johannes uns blicken: Thronsaal Gottes. Exklusivreportage.Gott ist natürlich nicht wirklich darstellbar, es gibt ja schließlich das Bilderverbot, aber immerhin: Gott sitzt. Auf einem Thron. Von dem Thron gehen Blitze und Donner und Stimmen aus. Zeichen von Macht. In Gottes Händen ein Buch mit sieben Siegeln. Gehaltvoll. Geheimnisvoll. Johannes sieht das alles live. Er scheint geradezu magisch angezogen von diesem Buch. Vielleicht hat er die Hoffnung, dass die Verknotungen und Rätsel des Lebens hier gelöst werden könnten. Und es ist ihm zum Heulen zumute, dass diese verdammten sieben Siegel des Buches einfach nicht zu knacken sind. Wer könnte es? Johannes träumt weiter, wie jemand genau darauf die Antwort gibt: „Der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids wird auftun das Buch und seine sieben Siegel.“ Johannes kann es noch nicht wissen, aber daraus wird später mal ein Weihnachtslied werden: „Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart…“

Aus einer kleinen Wurzel wächst Großes! Hier besonders groß: Löwe, König der Tiere. Kraftstrotzend, brüllend, majestätisch. Diese Ankündigung hört der Träumer. Aber er sieht gar keinen Löwen. Zu sehen bekommt er etwas anderes. Ein Lamm. Geradezu eine Korrektur des Löwenbildes. Und es ist kein gewöhnliches Lamm, hier im himmlischen Thronsaal, der so reich ausgeschmückt ist mit religiösen Symbolen. So hat dieses Lamm als Symbol für Gottes Weisheit auch wieder eine Siebenzahl zu bieten. Statt zwei Augen: Sieben Augen. Statt zwei Hörnern wie bei einem Widder: Sieben Hörner. Also dieses Lamm ist deutlich eine Kunstfigur. Wie sie nur im Museum, im Film, oder eben im Traum vorstellbar ist.

Und es hat einen Schnitt am Hals, Todeszeichen. Wie ein Opfer. Blut kommt ins Spiel. Und man kann an die toten Tiere hier bei uns denken, die in der Holzmindener oder Celler oder Diepholzer Gegend von einem Wolf gerissen wurden (manchmal auch von einem Luchs) und die dann in ihrem Blut da liegen, bemitleidenswert, diese Schafe und Lämmer. Und die keine Chance hatten. „Suchen Sie sich ein Tier aus, das Ihnen dabei hilft, Stärke zu gewinnen“, sagt der Coach im Beratungsgespräch zu der Frau gegenüber. Sie ist in ihrer Firma aufgestiegen, aber dennoch bekommt sie es in kniffligen Gesprächen mit der Angst zu tun, fühlt sich unsicher und zu schwach. Da liegen viele verschiedene Tiere in Spielzeuggröße auf dem Tisch, ein Lamm auch. Was wählt die Frau aus? Den Tiger! Den Wolf hätte sie auch nehmen können, aber der hat ja bei manchen ein Imageproblem. Und sie erzählt zwei Wochen später: „Das läuft super mit dem Tiger. Bei schweren Gesprächen mache ich jetzt kurz die Schublade auf, gucke auf den Tiger, und weiß, der ist in meiner Nähe. Ich krieg etwas von seiner Stärke!“ – Was die Frau bei dieser hilfreichen Coaching-Methode jedenfalls links liegen lässt, ist das Lamm.

Das Lamm ist kein Tier der Stärke und der Durchsetzungskraft Genauso wenig wie der Esel, von dem wir vorhin gehört haben, dass er zu Jesu Advent beigetragen hat, zu Jesus Einzug in Jerusalem. Gegen den mächtigen römischen Kaiser, der sich gottgleich verehren lässt, bietet Johannes als Gegenmacht das Bild vom Lamm auf.

Eigentlich tot, dieses Lamm. Aber siehe: es lebt.Gegensätze ganz nah beisammen: Sterben und Leben, schwach sein und stark sein, verlieren und gewinnen. Johannes kann es noch nicht wissen, aber daraus wird später mal ein Abendmahlsgesang werden: „Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt, erbarm dich unser.“

Das vom Tod gezeichnete lebendige Lamm übernimmt von dem, der auf dem Thron sitzt, das ominöse Buch. Aus seinen Händen. Wir müssen uns nicht real vorstellen, wie das gehen soll, dass ein Lamm ein Buch festhält. Deutlich ist: Es wirkt wie eine Inthronisation. Als würde eine Krone von einem Herrscher auf den Nachkommen weitergereicht. Oder zumindest: Eine Gewaltenteilung zwischen Vater und Sohn. Johannes kann es noch nicht wissen, aber daraus wird später mal ein Satz im Glaubensbekenntnis werden: „Aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten Gottes, des Allmächtigen Vaters.“

Und mit Pauken und Trompeten endet diese Traum-Sequenz. Dem Buchöffner-Lamm wird aus tausend Kehlen von Engeln und anderen Wesen ein himmlisches Loblied gesungen: „Das Lamm (…) ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.“

Kleines Lamm. Kommt ganz groß raus.

Johannes kann es noch nicht wissen, aber daraus wird später mal der  große, prächtige Schlusschor von Georg Friedrich Händels Oratorium „Der Messias “werden, 1742 in Dublin uraufgeführt. Wobei der Halleluja-Chor einen ja bereits  so von den Sitzen reist, dass man denkt, das Stück ist zu Ende (diesen Fehler machte damals schon der englische König Georg II., der wollte nach dem Halleluja nach Hause gehen) -  aber nein, das Ende kommt eben erst eine Dreiviertelstunde später: “Worthy is the Lamb (…)  -  to receive power, and riches, and wisdom, and strength, and honour, and glory, and blessing.”

Vom Löwen sieht und hört man nichts mehr, das Lamm steht im Mittelpunkt. Soweit Johannes, dieser schroffe Typ - und die vielen Auswirkungen seiner tierischen Vision vom himmlischen Thronsaal und dem versehrten und verehrten Lamm.

Johannes kann auch das noch nicht wissen, aber mit dem traumhaften Bild vom Thronsaal hat sich später mal Friedrich Spee beschäftigt und ein sehr inniges und schönes Adventslied geschrieben: „O Heiland reiß die Himmel auf.“ Spee dichtet das so, weil ihm klar ist: Es gibt doch einen gewissen gefühlten Abstand zwischen dem himmlischen und dem irdischen Bereich. Und Menschen, denen es dreckig geht, haben manchmal den Eindruck von Trostlosigkeit. Und empfinden das ganze Leben als einziges verschlossenes Buch mit sieben Siegeln. Und fühlen sich belämmert. Und empfinden dann auch den Himmel als verschlossen. Und schütten ihr Herz aus, und klagen in Richtung Himmel: „Wo bleibst du Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm ach komm vom höchsten Saal, komm tröst uns hier im Jammertal.“

Mit dieser Sehnsucht wird der Thronsaal Gottes adventlich. O komm. Ach komm. Gott möge zu uns kommen. Nicht bei sich bleiben. Die Bilder fließen ineinander: Das  Lamm Gottes, verwundet thronend im Himmel, und das Kind in der Krippe, bedürftig und gefährdet. Himmel und Erde berühren sich. „Heut schließt er wieder auf die Tür“ singen wir dann an Weihnachten.

Und? Wovon konnte der schroffe Johannes ebenfalls noch nichts wissen? Von der Weihnachtskrippe in der Jesuitenkirche Heidelberg. Die ist etwas Besonderes. Eine moderne Krippe, bei der Insassen der Justizvollzugsanstalt Jahr für Jahr weitere Figuren der Gegenwart aus Pappmaché hinzu platzieren. Z.B. den Banker Josef Ackermann , die Fußballer Mats Hummels und Thomas Müller, Papst Franziskus, Martin Luther, aber auch Flüchtlinge, die zu ertrinken drohen. Unsere Welt, so wie sie  ist, aus Pappmaché in einer Kirche.  

Der tiefere Sinn einer jeden Krippendarstellung wird so besonders deutlich: Gott ist da, in Not und Jammertal und auch in den Schönheiten das Alltags. Gott kommt „vom höchsten Saal“ in unser Leben. Und Maria? Maria trägt in ihrem Arm: das Jesuskind. Klar. Aber in der Heidelberger Krippe tut sie das erst ab Weihnachten. In der Adventszeit, sozusagen „vor der Geburt“, trägt sie im Arm: ein Lamm.

„Was aus dem mal werden wird …?“

Amen.

Perikope
03.12.2017
5,1 -14