Weberunruhen und Gottes BND: Gewölle oder neue Masche? - Predigt zu Apostelgeschichte 17,22-34 von Markus Kreis
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Weberunruhen und Gottes BND: Gewölle oder neue Masche? - Predigt zu Apostelgeschichte 17,22-34 von Markus Kreis

Weberunruhen und Gottes BND: Gewölle oder neue Masche?

Liebe Gemeinde,

Weberunruhen gab es nicht nur in Schlesien und in Westeuropa zu Anfang der Industrialisierung. Weberunruhen gab es schon weitaus früher; und nicht nur im Westen, sondern auch im Südosten Europas. Da lebte der Zeltplanenweber Paulus. Der war unruhig und ruhig zugleich. Und er beunruhigte andere.

Und es gab die Athener, oder besser gesagt, einige Athener, so etwas wie der damalige Rotary Club der Stadt, die Sahnehäubchen in Person. Die waren auch beunruhigt. Gut, Weber waren die allermeisten nur im übertragenen, bildhaften Sinn. Im Sinn der in unserem Predigttext überlieferten Zeile aus einem Text jener Zeit: in ihm leben und weben und sind wir.

Die klugen Athener verstanden sich eher als Eulen. Und was Eulen als Stoff so produzieren, das kennen wir, das ist allerhöchstens als Gewölle zu bezeichnen. Als ein verfilzter Ballen aus Totmaterial und Fasern, etwas das man nicht verdauen oder ohne Aufhebens aus dem Leben entsorgen kann.

Sicher haben sich diese vornehmen Eulen mehr als Kopfarbeiter gesehen. Verstanden sie sich doch als die Wappenlebewesen der Weisheitsgöttin Athene. Sie webten Gedanken zu einem fein gearbeiteten literarischen Stoff, auf keinen Fall Gewölle, eher einem äußerst kostbaren Teppich vergleichbar.

Wahrer Wunderwirkstoff, ihre Götter- und Heldensagen oder ihre philosophischen und rechtlichen Textstoffe. Und die Athener knüpften Bündnisse mit anderen griechischen Metropolen. Und zu den Fremden, zu den Barbaren hin, da machten sie einen radikalen Schnitt. So viel zu ihrem Weberleben.

Die Athener waren beunruhigt vom Zeltplanenweber und Apostel Paulus. Freilich kaum elementar beunruhigt - eher so, wie eine Schulklasse unruhig wird, wenn ein Mitschüler oder Lehrer, ohne dass er es weiß, etwas Dummes anstellt und die Schüler deshalb in Grinsen, Kichern und Tuscheln ausbrechen.  

Die neue Masche des Zeltplanenwebers Paulus kam bei vielen nicht so recht an. Sein Kunstgriff mit dem unbekannten Gott, der hat ihnen noch gefallen. Denn ein unbekannter Gott kann nur um den Preis der Widersprüchlichkeit als lokalisierbar oder beeinflussbar oder als außerkosmische Person gedacht werden.

Warum verhält es sich so? Was ist des Zeltwebers Unterlegstoff? Paulus ist sich gewiss: Ein Gott, der bisher nicht erkannt worden ist, der will das so. Seine Unbekanntheit ist von ihm gewollt. Wenn seine Unbekanntheit nicht von ihm beabsichtigt wäre, dann hätte er keine Macht, sich bekannt zu machen. Und so wäre es sehr fraglich, ob er überhaupt ein richtiger Gott ist, so ein Gott ohne PR.

Bleibt darauf noch eine sich daraus ergebende Frage zu beantworten. Nämlich die nach dem Grund der von ihm gewollten Unbekanntheit. Nun, da gibt es etwas: So ein unbekannter Gott will seine Macht allein aus sich heraus, ungestört, stets von sich aus zuvorkommend ausüben. Größtmögliche Souveränität, das ist es. Frei von fremden Gesetzen, nur dem eigenen Willen gehorchend.

Ein solcher Gott hat natürlich kein Interesse daran, an Altären von Menschen festgesetzt und durch dortige Opfer beeinflusst zu werden. Und größtmögliche Nähe ist die beste Tarnung. Deshalb gefällt es ihm, als Geist eines Menschen in den Herzen und Hirnen von Menschen zu leben. Da ist seiner Unbekanntheit und Souveränität am besten gedient. Dass größtmögliche Nähe die beste Tarnung ist, das wusste Judas; nur dass der es zum Verrat statt Bündnis ausgenutzt hat.

Diese Argumentation haben die athenischen Rotarier und Eulen noch ganz schick gefunden: Wenn es einen unbekannten Gott gibt, dann hat der ganz bestimmte Gründe dafür, und diese Gründe machen die gesamte Altarverehrung seitens der Menschen unmöglich. Andernfalls verlöre er seine Souveränität. Nur den eigenen Gesetzen und der eigenen Vernunft gehorchen, das gefiel ihnen: als jenes höhere Wesen, das wir verehren.

Dass Gottes Souveränität sogar die Auferstehung eines Menschen von den Toten  bewirkt, das fanden die allermeisten Athener dann nicht mehr so gut, diese alten Hadeskenner. Mit dieser Masche den ewigen Gesetzen und dem Tod zu entschlüpfen, das hat sie unruhig werden lassen, die einen so, die anderen so: Spott und Lachen oder ein kühles britisches very interesting, let us talk about it another time.

Mit dieser neuen Masche kommt er ihnen nicht bei, der alte Zeltplanenweber. Vor ihren klugen Eulenaugen und -ohren zu behaupten, dass ihre berühmten Vernunftgesetze der Souveränität dieses Gottes verfallen sind. Ihre ewig geltenden, schönen Ideen, die sollen diesem Tod bringenden und neues Leben schenkenden Gott unterliegen? Da hat er dann doch einen ganz schön undurchsichtigen Stoff fabriziert, der gute. Ob diese Reaktion den Zeltplanenweber Paulus beunruhigt hat?

Nur wenige Athener haben befunden, dass der dichte Stoff des Webers von Zeltplanen mehr Wirklichkeit zeigt als verdeckt. Die genannten Personen weisen darauf hin, dass die souveräne Auferstehungsmacht Gottes im Leben, also in Geist und Körper einiger Menschen wirkt.

Kommen wir zum anderen Teil der Predigtüberschrift, kommen wir zu dem, was Paulus Ruhe in aller Unruhe verliehen hat: Gottes BND - will sagen: Gottes Bundesnachrichtendienst - der mobilisiert ungeahnte Einsichten mit ersichtlicher Wirkung – das ist die gute Nachricht für Paulus und für uns.

Gottes Bundesnachrichtendienst, der hat zunächst nichts mit dem Geheimdienst des deutschen Staates zu tun - der heißt auch BND. Gottes BND, was bedeutet das? Zäumen wir die Sache von hinten auf. Gottes BND, das heißt bezogen auf das Wort Dienst: Gott ist am Schaffen und Machen, er arbeitet für uns, Gott versieht einen Dienst für uns. Auch in diesem Gottesdienst übrigens. Auch damals, vor den Athenern, mit Hilfe von Paulus.

Springen wir weiter zum ersten Wort. Das Wort Bund ist in seiner Bedeutung zu erläutern. Warum nicht allein Nachrichtendienst, sondern mit dem Zusatz Bund, also Bundesnachrichtendienst?  Die Erklärung dazu lautet: Gott schafft und macht das, er dient uns so, weil er sich dazu aus eigenem Antrieb in seinem Bund verpflichtet weiß. Deswegen BND und nicht nur ND. Gott hält sich an den Bund, den er mit uns geschlossen hat.

Aber arbeitet Gott im Verborgenen für uns, leistet er seinen Dienst im Geheimen? Wie die Stasi, der Secret Service, der KGB oder die NSA? Einerseits richtet er sein machtvolles Wort an jedermann und jedefrau, also an die Öffentlichkeit. So wie Paulus in unserem Text zu versammelten Athenern redet.

Andererseits - das ist alles lange her - wer weiß schon, was damals geschah? Und wer weiß, was an dem in der Bibel erzählten Geschehen original, und was dazu erfunden ist - auch wenn Paulus ziemlich sicher fast den gesamten Mittelmeerraum bereist und mit einiger Wirkung bepredigt hat.

Wie es auch damals zugegangen  ist – heutzutage scheint Gott im Geheimen zu wirken - wenn überhaupt. Gottes Wort trifft entweder auf Gleichgültigkeit, bloßes Desinteresse, taube Ohren. Oder wenn es denn gehört wird, dann scheint es religiös musikalischen Leuten wenig überzeugend zu sein.

Andererseits: ausgerechnet ein Mann namens Dionys und eine Frau namens Damaris schienen damals interessiert und angetan. Warum ausgerechnet? Damaris bedeutet übersetzt Kalb oder Junggattin, Dionys ist benannt nach dem Gott der Lebensgier und des Rausches. Ja, die Namen! Klingelt es da bei Ihnen, ausgerechnet die zwei?    

Arbeitet Gott nun im Verborgenen für uns, leistet er seinen Dienst im Geheimen? Wie verhält es sich damit? Beides zugleich ist der Fall. Gottes Macht – und Auferstehungswort ergeht öffentlich, und doch wirkt es zugleich im Verborgenen, persönlich nämlich. Wie das? Ich erkläre mir das mit dem sogenannten blinden Fleck!

Jeder Mensch hat einen blinden Fleck. D.h.: Jedermann und jedefrau besitzt eine persönliche Seite, die ihm oder ihr unbekannt sind, seien es persönliche Stärken oder Schwächen. Das gilt aber keineswegs für einige ihrer Mitmenschen. Die kennen einige dieser persönlichen Stärken oder Schwächen manchmal ganz gut.

Jeder Schüler kennt Marotten eines Lehrers, bestimmte winzige Artikulierungen, oder Gesten, mimische Entgleisungen, die sich in bestimmten Situationen schön regelmäßig wieder einstellen. Die betroffene Lehrkraft kennt sie oft nicht, übrigens nicht immer zu ihrem Schaden. Lehrer können auch blind für ihre eigenen Stärken sein, nicht nur für ihre Marotten. Auch hier nicht unbedingt ein Schaden.

Neben blinden Flecken besitzt jeder Mensch Privates, also etwas, das nur ihm bekannt ist, aber nicht seinen Mitmenschen. Außerdem gibt es Öffentliches, also all das, was einem Menschen und seinen Mitmenschen zugleich bekannt ist. Und es gibt schließlich Unbekanntes, also all das, was weder ein einzelner noch seine Mitmenschen kennen.

Was das Unbekannte angeht, da gilt also: Jeder Mensch kennt also weder ganz sich selbst, noch ganz seine Umwelt mitsamt den Mitmenschen. Dies gilt auch für die klugen alten Griechen, die wie die Eulen im Dunklen zu sehen und den Kopf im Halbkreis nach rechts und links zu drehen wissen.

Gott kennt nun unsere blinden Flecken, den für unser eigenes Leben, und unseren blinden Fleck für unsere Umwelt. Er kennt also auch unseren blinden Fleck für ihn.. Er weiß, was uns unbekannt ist, sei es das, was unser eigenes Tun und Lassen betrifft, sei es das, was Gott und unsere Mitmenschen betrifft. Und wie ein echter Nachrichtendienst beschafft er sich, ohne dass wir es merken, Informationen über unser Menschenleben.

Und wie ein echter Geheimdienst beschafft er sich die Informationen zu einem bestimmten Zweck, nämlich um zu handeln. Denn Gott will uns in seinem Wort Informationen über unser Leben und das unserer Mitmenschen zukommen lassen. Und das tut er, auch im Verborgenen. Deshalb Geheimdienst.

Und das ist Gottes BND für uns: Gott macht uns mit seinem Wort wieder einsichts- und  handlungsfähig. Gott klärt dazu unsere blinden Flecken auf, die für uns unbekannten eigenen Stärken und Schwächen, aber auch die für uns unbekannten Stärken und Schwächen der Mitmenschen

Und da nicht nur einzelne an diesen blinden Flecken leiden, sondern viele einzelne zusammen an ein und demselben, da also ganze Gruppen an ein- und demselben blinden Fleck leiden, arbeitet Gottes BND auch ganzen Gruppen in die Hände.

Einsicht ist Macht, das wusste schon König Salomo im Traum und nicht nur da. Sein Urteil zu dem Baby, um das zwei Neumüttermägde streiten - das beweist seinen Sinn für die Realitäten. Wer ein Kind wahrhaft liebt, der gibt es lieber weg, als es in den sicheren Tod zu schicken, egal ob man biologisch gesehen Elternteil ist oder nicht.

Gewonnene Einsicht ist Macht, neu gewonnene Einsicht ist mehr Macht, Aufklärung ist anregend, Erkenntnis ist erregend -  yda, erkennen und lieben - für die zwei sehr verschiedenen Sachen benutzen die Israeliten ein und dasselbe Tunwort und Verb: yda. Und auch in der griechischen Philosophie hängen Wissen und Liebe untrennbar zusammen, nicht nur in der platonischen Liebe.

Kein Wunder, dass Gottes BND ungeahnte Einsichten mobilisiert. Heißa, da verketten sich die Neurotransmittermoleküle, Serotonin schwemmt aus, Dopamin dopt, und neue Einsicht drängt, ganz legitim und legal, nix nada, neue Nerven bahnen neue Nahtstellen an, Hirnmasse webt neue Maschen, und Herz schlägt neue Gassen ein, die souveräne Saite der Auferstehung schwingt, in unhörbarem Tiefenton, aber es summt. Amen.