Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihnen zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden. Lk 10,38-42
Liebe Gemeinde,
weitergezogen und angekommen. Angekommen und weitergezogen. So erzählt es der Evangelist Lukas. So erzählen es alle Evangelien. Jesus ist mit seinen Jüngern unterwegs. Die ganze Zeit. Er begegnet Menschen, hinterlässt eine tiefe Wirkung. Dann ist er wieder weg. Auf dem Weg. Der Herr zieht weiter und kommt an anderer Stelle neu an. Sein Wort, seine Gegenwart und seine Nähe zu den Menschen aber bleiben. Gott mit uns. Jesus Christus.
Die Evangelien sind Weggeschichte von Jesus Christus und seinen Begleitern. Zugleich aber sind sie auch weg-Geschichten. Sie spiegeln das Leben und Gottes Präsenz darin. Sie spiegeln den Glauben und den Zweifel, die Verzweiflung und die Hoffnung.
Da nämlich gehört er hin, Jesus Christus, auch wenn wir Menschen ihn manchmal nicht spüren und erfahren. Auch wenn wir manchmal gottverlassen und ängstlich der Zukunft harren, ist Jesus Christus da. Genau diese Spannung aber halten die Geschichten, die uns die Evangelisten erzählen, aus und lassen sie neu klingen. Sie ordnen damit das Leben und richten uns auf.
„Als sie aber weiterzogen, kamen sie in ein Dorf.“, erzählt Lukas. Die Bewegungen, die der Herr in dieser Welt vollführt, bringen Nähe und Distanz zu uns Menschen zugleich. Er ist kein ruhender und stiller, kein steter Gott.
Der Glaube weiß das. Wir wissen das. Es ist die Realität der Gemeinschaft mit ihm. Sie ist nie anders gewesen und sie wird auch nie anders sein. Es gibt wie unter uns Menschen keine gleichbleibende Beziehung, sondern sie unterliegt Schwankungen und Wellenbewegungen wie auf einem heftig sich regenden Meer.
So ist es auch kein Wunder, dass die Evangelien zwar Geschichten von vor 2000 Jahren sind, sie zugleich aber mit einer ungeheuren Aktualität in unser Leben treten. Sie erzählen von heute her gesehen schon damals die Geschichte unserer Zeit. Sie haben es über die vergangenen Jahrtausende ebenso getan. Und nie sind sie aktueller als in dem Augenblick, in dem sie gelesen, gehört und gepredigt werden. Jetzt.
Die Geschichte von Maria und Marta ist dabei eine der besonderen Weg- und weg-Geschichten Jesu. Er kommt. Marta nimmt ihn auf. Aber statt sich wirklich um den Gast zu kümmern, nimmt sie die Beine in die Hand und räumt. Sie richtet die Wohnung her, bereitet Essen und Trinken. Sie dient den Gästen. Ruhe findet sie nicht. Es ist ihr eine Last. Aber sie lässt nicht los. Die Arbeit muss getan werden.
Warum nur? Was treibt Marta an in diesem Moment? Ich vermute, es ist die Sorge, Jesus könne sie wieder verlassen, kaum dass er angekommen ist. Sie möchte ihn halten mit allen Mitteln. Marta weiß um seine Wege. Hier aber soll es ihm gut gehen. Doch die Sorge sitzt tief. Sie hat wohl die Tür geöffnet und staunend gesehen, wer da kommt. Jesus Christus ist eingetreten. Aber wie er eintritt, ist er schon wieder aus ihrem Leben heraus.
Ihre Schwester Maria geht einen ganz anderen Weg. Sie hat nichts dafür getan, dass er überhaupt gekommen ist. Nun aber setzt sie sich einfach dazu. Sie kümmert sich nicht um allen äußeren Schein. Vielmehr hängt sie Jesus an den Lippen, ist fasziniert von seinen Worten, seiner Erscheinung. Sie sucht seine Nähe. Die will sie spüren. Die will sie erfahren. Und – sie tut das. Denn Jesus Christus ist jetzt da. Es ist ein Geschenk, das sie sich nicht entgehen lässt. Sie nimmt und bleibt.
Jesus Christus trifft die Frauen beide in ihrem Leben an. Mittendrin. Beide ringen um die bleibende Gemeinschaft. Die arbeitende und dienende Marta, die zuhörende und annehmende Maria. Durch die Szene aber fährt ein Riss. Marta ist allein gelassen mit der Arbeit. Da tritt sie an Jesus heran. „Mahne Maria, Herr, dass sie mir helfe!“
Der Hilferuf Martas rührt Jesus an. Er erkennt, wie bedürftig sie ist. Der Herr erkennt ihre Sorge und ihre Angst. Er sieht, wie die Frau überfordert ist von dem hohen Gast und den eigenen Ansprüchen, das Leben hier und jetzt zu gestalten und es rinnt ihr aus den Fingern.
Wenn ich dieser Tage auf die kirchliche Landschaft in Deutschland schaue, höre ich in diesem Augenblick Jesu Worte, wie er sagt und spricht: „Du hast viel Sorge und Mühe!“ Wer wollte dem widersprechen.
Auch heute ist ein Schaffen, ein Tun und Machen in der Kirche. Da ist ungeheures Leben und Lust am Glauben. Dagegen stehen die immer sinkende Zahlen, Finanz- und Missbrauchsskandale. Wer hält uns am Leben? Noch mehr Aufgaben, noch mehr Dienst? Es nimmt schon jetzt kaum ein Ende. Aufgeregte Veränderungen, immer neue Ideen, damit die Kirche bleibt und nicht davon geht. Und Gott?
In unserem Tun und Machen befinden wir uns in den noch großen Kirche Deutschlands übrigens in trauter Zweisamkeit. Evangelische und Katholische Kirche gehen im Gleichschritt durch diese Zeit.
Neulich hat die Erzdiözese Freiburg ein neues Gemeindekonzept mit dem schönen Namen Pastoral 2030 veröffentlicht, das so manchem Priester, manchen der Referentinnen und Referenten die Sorgenfalten auf die Stirn treibt. In Freiburg werden derzeit Zukunftspläne geschmiedet. Die Kirche wird neu. Aus bisher über 1000 Pfarreien in 224 Seelsorgeeinheiten werden bis ins Jahr 2030 nur noch 40 Pfarreien gemacht. Der Bischof begründet dieses Vorgehen damit, dass er die Kirche zukunftssicher machen wolle. Die Reaktionen schwanken zwischen Zustimmung, weil nur so das Leben der Kirche zu erhalten wäre, und der Sorge darum, sich von dem Leben der Menschen auf Dauer zu entfernen. Und Gott?
Die Strukturveränderungen sind einschneidend. Sie sind geschäftig. Sie sind sorgenvoll. Seit nunmehr 14 Jahren können auch die Gemeindeglieder in der Evangelischen Kirche Deutschlands ein Lied davon singen. Es ist ein Weg- und ein weg-Lied. Es sollte von Freiheit singen, von Aufbruch und von ruhiger Lust am Leben. Es singt aber so oft von Überlastung und Angst, von Sorge und Burnout, von Zweifel und Verzweiflung. Und Gott?
Die Kirche soll zukunftssicher werden. Gibt es das überhaupt? Kann ich, können wir Menschen die Kirche zukunftssicher machen? Können wir überhaupt etwas sicher machen und auf die Zukunft ausrichten? Noch einmal: Gibt es das?
Marta versucht es. Aber sie scheitert. Jesus Christus wird aufbrechen. Hinaus in die Welt. Wir sind in unseren Kirchen wie sie. Wir tun und machen und schaffen, wir erfinden hier Neues und dort werden alte Zöpfe abgeschnitten. Werden wir Erfolg haben?
Und warum aber machen wir das? – Ich halte inne, schaue auf das Leben der Kirche und sehe: Wir tun das, weil wir wollen, dass das Wort Gottes bleibt und in dieser Welt hörbar wird. Wir tun das, weil wir davon überzeugt sind, dass es einen Zweck hat:
Ja, es ist gut, dass dieses Wort für alle Menschen hörbar und erfahrbar ist, weil wir Menschen damit nicht einfach nur in unserem eigenen Saft schmoren, sondern einen Dialogpartner haben. Gott spricht in unser Leben hinein.
Ja, es steht uns vor Augen, dass die Welt das richtende Wort Gottes braucht, weil sie ansonsten in ihrem Unheil untergeht, in ihrer Ungerechtigkeit und Gleichgültigkeit, krank und zerfressen von Neid und Habgier, in ihrer Gewalt gegenüber den Schwachen und ihrer Häme über die Verlierer.
In einem nüchternen Blick in unsere Gemeinden sehen wir: Ja, wir brauchen das heilende Wort Gottes, das vom Leben spricht und dieses Leben pflegt und streichelt und liebkost. Denn das Leben ist beständig mit dem Tod konfrontiert, der immer und immer spricht: Du, Menschenkind, du bist nicht! Du wirst nicht sein!
Deswegen bauen wir an der Kirche, weil wir wissen, hier erklingt das Wort Gottes für unser ganzes Leben. Hier hören wir es. Hier setzen wir uns nieder und lassen es in uns wirken. Hier loben wir Gott darüber, dass er mit diesem Wort wirklich unter uns ist und es uns nicht verlässt, wohin er auch weiter ziehen wird. Aber deswegen braucht es die Kirche. Nur deswegen. Es geht nicht um die Sicherung irgendwelcher Pfründe und Errungenschaften, sondern um die Wohltaten Gottes für seine Menschen.
Nur, noch einmal, warum tun wir das? – Ich sage, weil wir von dem Wort Gottes wissen. Von seinem Leben für uns. Lukas erzählt: Gottes Wort geht unserem Tun voraus. Es ist weitergezogen und angekommen.
Ich schaue auf Maria und Marta und erkenne: Marta ackert und tut. Sie will den Boden bereiten für Christus, für das wahre, heilende, pflegende und liebkosende Wort Gottes.
Marta aber übersieht, dass dieses Wort längst da ist. Alles Bauen und Schaffen nützt nichts, wenn es nicht gehört wird. In der ganzen Geschäftigkeit, in ihrer Sorge und Unruhe nimmt sie Jesus Christus überhaupt nicht wahr. Sie nimmt nichts von dem Lebenswort Gottes.
Alles, wofür sie sorgen möchte, ist längst geschehen. Aber das Wort geht an ihr vorbei. Nein, vielmehr geht sie an ihm vorbei. Es ist weg aus ihrem Leben. Erst als sie schon entkräftet und frustriert auf ihr Tagewerk schaut, wendet sie sich zu ihm und sucht Hilfe. Eigentlich eine traurige Geschichte.
Der Bischof der Erzdiözese Freiburg möchte die Kirche zukunftssicher machen. So viele möchten das. Lauter Martas sollen in der Kirche leben, die versuchen, Jesus Christus in diesem Haus zu halten. Aber wer hört das Wort Gottes vom Leben? Und wer traut ihm?
Unsere Geschichte erzählt: Die Kirche ist zukunftssicher, weil Jesus Christus mitten in ihr ist. Gegenwärtig, mit seinem Wort. Jesus Christus garantiert die Zukunft. Sonst niemand, auch wenn ich ihn nicht immer spüre. Durch sein Dasein nimmt er mir die Last, dass alles durch unsere Arbeit kommen muss. Wo Christus aber einkehrt, werden wir nicht bestimmen. Wir leben nur aus und mit ihm. Und vertrauen!
Ja, ich finde, Maria muss mit anpacken, wenn sie Christus gehört hat. Aber Marta muss hören und nicht durch die selbst auferlegte Arbeit den eigentlich wichtigen Punkt des Besuchs Jesu verpassen.
Nämlich: Gott ist da. Jetzt. „Ich gehöre zu dir, du lieber Mensch. Und du gehörst zu mir! Ich bin da.“, spricht er.
Die Geschäftigkeit, das Richten des Lebens und die Sorge um die richtige Gegenwart verstellen den Blick auf das, was sein soll, was immer schon ist und in Ewigkeit bleibt: Jesus Christus. „Eins ist not“, spricht der Herr. Es ist das Leben. Gottes und unseres. Amen.