Wegegewirr - Konfirmationspredigt zu Matthäus 7,13–16a von Reiner Kalmbach
7,13-16

Wegegewirr - Konfirmationspredigt zu Matthäus 7,13–16a von Reiner Kalmbach

Wegegewirr

Liebe Konfirmanden, liebe Eltern und Paten, Verwandte, Freunde, liebe Gemeinde Christi:

In unserem Kirchengesangbuch in Argentinien gibt es ein Lied, dessen Refrain übersetzt so geht: „...alle Wege dieser Welt führen uns zu Gott..“, Es hat eine eingängige Melodie und wird in vielen Gemeinden mit Begeisterung gesungen, ausser in meiner. Ein Kollege sagte mir einmal: „du darfst das nicht so eng sehen, wichtig ist, dass die Menschen mit dem Herzen dabei sind...“.

Wenn ich mir aber die religiöse Strassenkarte unserer Zeit ansehe, dann wird mir schwindelig, da findet sich nicht einmal mein Navi zurecht.

Führen alle diese Wege zu Gott?, gibt es nicht auch Sackgassen, oder gar „Irrwege“, Wege die uns sogar ins Verderben führen können?

Eine Konfirmation ist auch heute noch ein grosses Ereignis im Leben eines jungen Menschen. Es ist schon merkwürdig: ich kann mich noch ganz genau an meine eigene Konfirmation erinnern, das war vor 45 Jahren. Eigentlich nichts besonderes, ein Familienfest, wir lebten damals in einem kleinen Dorf im Schwäbischen. Am Tag vor der Konfirmation schmückten wir Jungs den Weg zur Kirche mit jungen Birken und die Mädchen das Innere der Kirche.

Warum bleibt einem dieses Ereignis im Gedächtnis haften?, wo mir doch in all den Jahren so viele andere Dinge passiert sind, erfreuliche und weniger erfreuliche. Wenn ich aber zurückblicke, und das tue ich in letzter Zeit immer öfter, dann sehe ich einen Weg den ich gegangen bin. Ja, es ist ein Weg, ziemlich schmal, keine Autobahn!, eher ein Pfad, der an manchen Stellen ganz nahe am Abgrund vorbei führt. Nun stehe ich da und bringe nur ein „Gott, bin ich froh!“ zustande, angesichts der Gefahren (die ich erst im Nachhinein erkenne!), in denen mich eine unsichtbare Hand sicher geleitet hat.

Und ob ihr mir glaubt, oder nicht, aber damals, im Gottesdienst, predigte unser Pfarrer über das gleiche Wort, das uns auch heute etwas mit auf den Weg geben will.

Textlesung: Matthäus 7. 13 – 16a

Auf tausend Wegen

Eine der grössten Sorgen die wir uns als Eltern, Grosseltern, Lehrer und sogar Pfarrer machen, ist die, dass unsere Kinder den falschen Weg im Leben einschlagen, dass sie auf „Abwege“ geraten und einer ungewissen Zukunft ausgesetzt sein könnten. Und ich kann euch versichern: diese Sorge ist durchaus berechtigt!

Unser ältester Sohn wurde geboren, als in Tschernobyl das Atomkraftwerk in die Luft flog. Wir wohnten gerade in Heidelberg, als die radioaktiv verseuchte Wolke über uns hinweg zog. Über Wochen und Monate gab es kein frisches Gemüse zu kaufen, keine frische Milch.., Angst und Sorge bedrückten uns... Welchen Weg hat die Menschheit eingeschlagen?! Das Motto heisst: immer mehr, immer schneller, immer bequemer...,  wir wollen einfach auf nichts mehr verzichten. Und wir sind bereit einen hohen Preis dafür zu bezahlen, dem Atom-und Fortschrittsgott unsere Gesundheit und die Zukunft unserer Kinder zu opfern. Welchen Wert hat das Leben?, was ist „Leben“?

Aber wir dürfen umschalten: andere Situation, anderer Kontinent, anderes Land: in Patagonien, mitten in der Steppe. Ich besuche einen kleinen Ort, eine der letzten Gemeinschaften der „Tehuelche“, die Ureinwohner Patagoniens. Unsere Kirche unterstützt dort ein kleines Projekt. Frauen versuchen ihre fast schon vergessene Kultur neu zu beleben, sie unterrichten an einer kleinen Schule die Kinder in Tehuelche und bringen ihnen uralte handwerkliche Fähigkeiten bei. Sie verarbeiten die Wolle ihrer Schafe und Guanacos zu wunderschönen gewebten Teppichen. Als wir ankommen spüre ich sofort, dass etwas passiert ist. Nach einigem zögern erzählt mir die Dorfälteste (bei den Tehuelche haben die Frauen das Sagen...), dass sie vor zwei Monaten ihren Sohn verloren hat. Ich möchte wissen, was passiert ist, aber sie schweigt. Am nächsten Tag nimmt sie mich zur Seite, möchte alleine mit mir reden. Sie erzählt, dass ihr Sohn plötzlich Anfälle bekam und unter starken Kopfschmerzen litt. Am Ort gibt es eine kleine Pfingstgemeinde, der Prediger ist selbst ein Tehuelche. Also brachten sie den Sohn zu ihm. Während mehrerer Gottesdienste versuchte der Prediger die Dämonen aus ihrem Sohn zu vertreiben, „...und dann wollte er nicht mehr hin, und es wurde immer schlimmer...“. Nach ein paar Tagen hat man ihn gefunden, Selbstmord.

Noch einmal umschalten: ein junger Mann, 20 Jahre alt, Volontär in einem unserer sozialen Projekte, beliebt bei allen Menschen, hilfsbereit...“ein Mensch der das Böse nicht kennt“, sagte eine Mitarbeiterin. An den Wochenenden zieht er los, mit „Freunden“, er spielt Schlagzeug in einer Rockband, ziemlich gut! Plötzlich merken wir, wie er sich verändert, sich immer mehr in sich selbst zurückzieht. Wir haben praktisch keinen Zugang mehr zu ihm..., es geht sehr schnell, er weigert sich professionelle Hilfe anzunehmen. Er steckt in einer „Sackgasse“, er weiss es, aber der „Paco“, die wohl gefährlichste aller Drogen, hat sein Zerstörungswerk schon zu weit vorangetrieben, „treibt“ ihn in den Selbstmord.

Auf tausend Wegen...

...kann man sich leicht verlieren

Warum erzähle ich euch diese schrecklichen Geschichten?, will ich euch Angst vor dem Leben einjagen? Ganz bestimmt nicht!, das will auch Jesus nicht mit seinen warnenden Worten am Ende der Bergpredigt.

Im Haus meiner Grosseltern hing ein Bild dessen Einzelheiten bei mir als Kind einen tiefen Eindruck hinterlassen haben. Es ist praktisch die gemalte Botschaft unseres Textes: der breite und der schmale Weg. Der breite Weg ist gesäumt von Kneipen, Spielhöllen und Bordellen und führt letztendlich ins Verderben. Der schmale Weg ist kurvig, steinig, unglaublich mühsam führt er nach oben..., aber dort wartet das Leben. Ich habe mich oft gefragt, wie wohl ein moderner Maler dieses Thema darstellen würde.

Haben wir tatsächlich nur die Wahl zwischen einer Autobahn und einem Bergpfad?

Und dann warnt uns Jesus auch noch vor „falschen Propheten, die sich als Schafe ausgeben, in Wirklichkeit an unserem Wohl überhaupt nicht interessiert sind, ganz im Gegenteil!

Vielleicht hilft uns dieser „Zusatz“ weiter.

Wege sind Möglichkeiten, es gibt viele Wege, tausende, aber welcher ist der richtige Weg für mich, für mein Leben...?, wer kann mir Orientierung geben?

Und da sind sie, die „Angebote“..., ja, unsere moderne Gesellschaft mit ihren religiösen Bedürfnissen gleicht tatsächlich einem riesigen Supermarkt: ich nehme mir einen Wagen und spaziere durch die Gänge, ich lade auf, was ich brauche und was ich möchte..., am Ende des „Weges“ komme ich zur Kasse, mein Geld, oder meine Karte machen alles möglich. Und wenn ich genau hinsehe, werde ich feststellen, dass sämtliche Produkte mir etwas besonderes versprechen: das perfekte Leben! Als ob es dies tatsächlich auf dieser Erde gebe...

New Age, charismatische, oder Pfingstbewegung, zurück zu den Mythen, Geisterglaube, Volkskirche oder Freikirche..., jeder kann sich seine eigene Religion zurechtschneidern, und ich werde immer einen „Propheten“ finden, der mir den „Himmel auf Erden“, d.h. die Lösung all meiner Probleme verspricht.

Wahrlich: in diesem Chaos kann man sich leicht verlieren. Es ist das was uns Jesus sagen will, vor dem er uns warnen und bewahren will!

Aber, wie geht das?, aus den vielen Wegen jenen finden, der für mich richtig ist?, aus tausend Wegen...

...den Einen wählen

Unser Wort steht im Schlussteil der sogenannten Bergpredigt. Es ist das Manifest Jesu, sein Programm hier auf Erden. Wer wissen möchte wie Jesus war, wer er war und welches seine Mission hier auf Erden war, dem können wir nur raten die „Bergpredigt“ zu lesen. Was für die Einen ins Reich der Utopie gehört, ist für die Anderen der einzige Weg zu einer friedlicheren Welt. Ohne ins Detail zu gehen, wir „reagieren“, d.h. wir antworten mit „entsprechenden“ Mitteln auf das, was mit uns geschieht. Es ist wirklich wie das Gewinde einer Schraube. Wir kennen diese Situation aus Konflikten in der Familie, unter Freunden, in der Schule, unter Nachbarn (wir müssen gar nicht auf die Völker schauen). Was harmlos und ganz klein beginnt, endet in einer Tragödie...Die Bergpredigt zeigt uns einen anderen Weg, den umgekehrten Weg. Es ist der Weg Jesu, der Weg der bedingungslosen Liebe, Liebe bis zur letzten Konsequenz: das Kreuz ist kein religiöses Symbol, sondern Teil der irdischen Wirklichkeit.

Niemand kann uns ein Leben, eine Zukunft ohne Ängste und Gefahren garantieren. Schmerz und Leid werden uns auf diesem Weg begleiten..., natürlich auch Freude, Zufriedenheit, Erfolg, und auch Liebe!, ja, ganz besonders die Liebe zum Nächsten, Liebe die uns geschenkt ist..., von wem? Von dem der nicht einfach liebt, oder hasst (wie wir Menschen es tun), sondern von dem der die Liebe ist.

Nun soll es noch einmal um den „Weg“ gehen: wie finde ich den für mich vorgezeichneten Weg? Der Konfirmandenunterricht hat nur einen Sinn, wenn er etwas entscheidendes vermittelt: die Kunst der Unterscheidung. Darum geht es Jesus, seine Jünger sollen unterscheiden können..., unter den tausenden von Wegen jenen einschlagen, der es wirklich gut mit ihnen meint: es ist Jesus selbst, ER ist der Weg!

„Gemeinde Christi“, ich habe diese Anrede am Anfang ganz bewusst gewählt. Wir wollen Konfirmation feiern, die Bestätigung dessen, was einst eure Eltern und Paten, ohne euch zu fragen, entschieden haben: wir möchten, dass unser Sohn, unsere Tochter, Teil der christlichen Gemeinde werden. Und das heisst doch im Klartext: ein Leben mit Jesus. Es ist wahrlich der schmale Weg, wer sich für ihn entscheidet, gehört bestimmt nicht zur Mehrheit, die in rasender Geschwindigkeit auf der Autobahn unterwegs ist.

Aber eine Welt ohne diesen (schmalen) Weg wäre eine dunkle Welt, eine verlorene Welt, eine Welt ohne Hoffnung, weil ohne Liebe. Willkommen in der Gemeinde Christi!, hier beginnt euer Weg.

Amen.