Weil Gott so anders ist, verändert er auch mich - Predigt zu Mt 5,38-48 von Andreas Schwarz
5,38-48

Gott ist anders. Wer an ihn glaubt, der wird diese Erfahrung sein Leben lang machen. Gott ist anders als wir Menschen; er ist auch anders, als wir Menschen denken.
Jesus Christus ist auf die Erde gekommen, um von Gott zu erzählen, um uns Gott nahezubringen. Vielleicht sogar, ihn uns zu erklären, damit wir besser verstehen, wie Gott mit uns umgeht und was er von uns will.
An ihn zu glauben, bedeutet ja auch, ihn wichtig, ihn ernst zu nehmen, auf ihn zu hören und seine Worte beherzigen zu wollen. Das ist nur oft genug leichter gesagt als getan. Manchmal verstehen wir seine Worte falsch oder einfach unterschiedlich. Und ein anderes Mal möchten wir gerne nach seinen Worten handeln, schaffen es aber nicht. Es fällt uns schwer, es ist gegen unsere Natur, es überfordert uns.
Jesus erzählt von Verhaltensweisen mitten aus dem normalen und alltäglichen Leben. Es klingt sehr einfach und für viele auch einleuchtend. Aber kann ich das wirklich?
Wie gehen wir Menschen miteinander um? Gibt es Verhaltensweisen, die für Christen anders sind als für Menschen, die nicht an Christus glauben? Jesus redet zu Menschen aus dem Volk Israel, die mit den Geboten Gottes und ihren Erläuterungen aufgewachsen sind. Das kannten sie und das war ihnen wichtig.

Auge um Auge, Zahn um Zahn heißt es da. Und gemeint ist das Unrecht, das ich erlitten habe und wie ich vergelten darf oder soll. In der öffentlichen Wahrnehmung wird gerade dieser Satz immer gern gegen das Alte, das 1. Testament verwendet, es sei hart und gewaltbereit, als wäre dieser Satz eine Einladung für körperliche Auseinandersetzung. Dabei ist sehr deutlich eine Begrenzung der Vergeltung gemeint. Du sollst niemandem mehr antun, als er/sie dir angetan hat. Wenn Du eine Wunde erhalten hast, füge nicht mehr als eine zu, eine Beule gegen eine Beule – und eben ein Auge und einen Zahn.
Ein klares Wort gegen die Eskalation, in der sich die Gewalt immer weiter hochschaukelt. Als läge das in unserer menschlichen Natur, schon Kinder neigen dazu, erlittenes Leid mehrfach zurückzuzahlen. Einmal geschubst haben, dann fünf Fausthiebe zur Folge. Wenn sie älter geworden sind, kommen vielleicht Waffen dazu oder man holt seine Brüder und Cousins und schon entsteht aus geringem Anlass eine große Sache voller Gewalt.

Wie hilfreich wäre schon in der Hinsicht des göttlichen Gebots die klare Begrenzung der Vergeltung. Es ginge auf dieser Erde besser zu, als es ist. Ohne die politische Problematik zu lösen, aber nach dem terroristischen Attentat der Hamas auf israelische Bürger, bei dem mehr als 1000 Menschen ihr Leben verloren, war die Rache zahlenmäßig unverhältnismäßig, inzwischen müssten es weit mehr als 30.000 getötete PalästinenserInnen sein. Da greift das göttliche Gebot ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘ offenbar nicht.

Jesus lenkt den Blick in eine ganz neue Richtung, die menschlichen Rachegefühlen völlig widerspricht. Er ermutigt, ganz auf Rache zu verzichten. Auf das erlittene Böse nicht mit Gewalt zu antworten, im Gegenteil, auf den ersten Schlag ins Gesicht auch den zweiten hinnehmen.

Gott ist anders. Anders als wir Menschen sind und empfinden und handeln. Er lässt auch dem Bösen seinen Raum. Das kann ganz schön fremd klingen und sich auch so anfühlen. Wir Menschen neigen dazu, einander in Gute und Böse einzuteilen. In ‚wir‘ und ‚die da‘ oder ‚die anderen‘. Das kann zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten sehr verschieden sein. Für die Menschen des Volkes Israel waren es besonders die Römer als feindliche Besatzungsmacht. Mit denen wollte man nichts zu tun haben, denen gönnte und tat man dann auch nichts Gutes. Sie waren ja die Bösen, die Fremden, die Besatzer, die die Macht hatten und Gewalt ausübten. Heute sind es Terroristen, Islamisten, aber weil es so schwer ist, zu unterscheiden, sind halt alle Fremden, alle Muslime, alle Migranten grundsätzlich böse, jedenfalls potentiell. Darum sollte unser Land ihren Zuzug begrenzen, sie von hier ausweisen, sie zurückführen.
Gott ist anders. Er nimmt die, die wir Böse nennen, ebenso unter seinen Schutz und seine Zuwendung. Er gönnt ihnen das Leben, auch über ihnen scheint die Sonne und es regnet, damit sie Nahrung und Kleidung haben. Und wenn es ihnen an etwas fehlt und wir sehen es und können helfen, dann ermutigt Jesus uns dazu. Wer friert, soll gekleidet werden, wir haben doch genug. Und wenn der römische Soldat, ein armer Mensch, wie immer Soldaten, irgendwo hingeschickt, wo sie gar nicht hinwollen, etwas zu tun, wozu sie gar keine Lust haben. Und dann müssen sie alle ihre schwere Ausrüstung selbst tragen. Nimmst du mir das bitte einmal für eine Meile ab? Gefühlt wäre die Reaktion: Niemals. Ich will ja gar nicht, dass du hier bist, trag dein Zeug alleine. Jesu Empfehlung: Geh zwei Meilen mit ihm und trag ihm seine Sachen. Frag nicht, ob er es wert ist, ob er deine Hilfe verdient. Tu es, weil es ihm hilft und weil du es kannst.

Nicht die Berechnung ist gefragt, die Einteilung der Menschen in gut und böse, in wertvoll und wertlos. Sondern die Weite des Herzens. In der Beziehung zu Gott und im Glauben an ihm erleben wir sein weites Herz für uns. Wir leben davon, dass er anders ist, als es unter uns Menschen üblich ist. Dass er uns aus lauter Liebe und Barmherzigkeit das Leben gönnt und ausstattet mit allem, was wir brauchen.
Was, wenn nicht wir die Menschen in gut und böse einteilen und natürlich selbst immer zu den Guten gehören, sondern wir böse sind? Vielleicht bin ich ja böse, vielleicht verletze ich Menschen, ohne es zu wissen, vielleicht tue ich Menschen weh, weil ich finde, sie haben es verdient. Es kann gut sein, dass Menschen unter mir zu leiden haben, unter dem, was ich tue oder dem, was ich sage. Wie furchtbar, wenn ich dann bekäme, was ich verdiene.

Das ist doch gerade mein christlicher Glaube, dass Gott anders ist. Dass er mir die Verfehlungen an seinen Geboten vergibt und sich mir zuwendet, dass ich viel mehr bekomme, als ich verdiene. Gott sei Dank – aus meiner ganz persönlichen Sicht – ist Gott anders. Er hat ein weites Herz. Zum Beispiel für mich. Aber auch für all die andern. Und ich bin gar nicht dazu berufen, Menschen in die Kategorien gut und böse einzuteilen.
Ich bin dankbar dafür, wie Gott mit mir umgeht und möchte das im Umgang mit anderen Menschen leben. Also keine Gewalt anwenden, gegen niemanden — und jeden Menschen als ein Geschöpf Gottes betrachten, das leben möchte.

Dass das so einfach nicht ist in der praktischen Umsetzung im Leben, wird jeder kennen und erleben. Und es gibt Situationen im Leben, die eine einfache Ermahnung nicht umsetzen lassen.
In der großen Politik ist das deutlich zu erleben. Aus dem Raum der Kirche, also von christlich motivierten Menschen, kam in den 80er Jahren die Empfehlung: Frieden schaffen ohne Waffen. Also kein Angriff und auch keine Drohung. Heute machen politische Parteien Werbung mit der Frage: Krieg oder Frieden? Und gemeint ist, es dient dem Frieden, die Ukraine nicht weiter mit Waffen zu versorgen. Aber wer wollte wirklich den Rat geben, sich nicht weiter zu verteidigen, also das eigene Land kampflos dem Angreifer zu überlassen und dann womöglich besetzt zu werden? Ist es nicht auch angemessen, seine Bürger und sein Land zu verteidigen? Es findet große Zustimmung, vom Land Israel ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen im Gaza zu verlangen. Aber ist es nicht auch geboten, sein Land zu verteidigen und auch künftig für Sicherheit vor terroristischen Attacken zu sorgen?
Entscheidungen im praktischen Leben sind schwierig und aus verschiedenen Positionen heraus kommt es zu sehr verschiedenen Sichtweisen. Das gilt auch für das kleine persönliche Leben. Ich muss mich selbst und mein Leben nicht in Gefahr bringen, ich möchte die Menschen, für die ich Verantwortung trage, meine Familie, vor Gefahren und Gewalt schützen und auch für genügend Kleidung und Nahrung sorgen.

Die einfachen Antworten auf schwierige Fragen sind oft nicht die angemessenen. Aber wir müssen in Freiheit entscheiden, immer und immer wieder. Und machen dabei auch Fehler. Wir werden es nicht vermeiden, Gebote zu übertreten, andere zu übersehen oder zu verletzen. Wir sind nicht vollkommen. Wir sind nicht Gott. Er ist anders. Seine Liebe ist grenzenlos. Sie schließt niemanden aus. Am Ende hat Jesus Christus diese Liebe und Zuwendung für die Menschen mit seinem Leben bezahlt. Er hat nicht zurückgeschlagen, als er geschlagen wurde. Er hat für die gebetet, die ihn ans Kreuz genagelt haben, er hat dem Menschen, der um seine Verlorenheit wusste, seine Sünde verziehen und das ewige Leben zugesagt.

Eine solche Vollkommenheit kann ich nicht leisten. Muss ich auch gar nicht. Ich muss mich nicht aufopfern. Aber es ist diese Liebe Gottes in seinem Sohn Jesus Christus, die auch mich meint und trifft und mitnimmt und verändert.
Gott ist anders. Wie gut. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Andreas Schwarz

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es ist eine sehr treue und interessierte Predigtgemeinde, es ist jeweils erkennbar, wie aufmerksam zugehört und erwartet wird. Dabei sind die Frömmigkeiten sehr unterschiedlich; als Russlanddeutsche oder auch Alteingesessene zT sehr traditionell geprägt. Andererseits politisch Interessierte und Engagierte für Umweltbelange und Demokratie, gegen Rechts und Klimaleugnung. Ein spannendes Feld gerade für dieses Jesuswort.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der begrenzende Gedanke dessen, was Jesus aus dem 1. Testament zitiert. Auf diesem Hintergrund die Beobachtung, wie schnell Menschen bereit sind, Gewalt eskalieren zu lassen. Dieser Spannungsbogen hat mich sehr berührt und angespornt.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Manchmal gewöhne ich mich an Verhaltensweisen und denke, sie müssten so sein. Dass es anders sein soll nach der Bergpredigt und anders sein kann, weil Gott andere Wege geht und zeigt – im Umgang miteinander, mit Fremden,... das finde ich sehr inspirierend, auch zum Weiterdenken und Weiterleben.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Manche Dinge wiederholen sich – dankenswerter Weise auch mit dieser Coach. Es hat mir so gut getan und so wertgeschätzt nahm ich die wenigen Hinweise gerne auf. Die Predigt ist etwas kürzer geworden, weil Wiederholungen und Bekräftigungen am Ende rausgestrichen wurden. Wie gut. So lässt es dem Hörer, der Leserin mehr eigenen Raum.

Perikope
20.10.2024
5,38-48