Liebe Gemeinde,
Die Sorgen einer Waldbesitzerin
„Wald zu besitzen lohnt sich kaum mehr!“ – so die für mich überraschende Aussage einer Mitarbeiterin im Oberkirchenrat, mit der ich mich vor kurzem unterhielt. Überraschend, weil ich gar nicht wusste, dass die Mitarbeiterin auch Waldbesitzerin ist. Überraschend aber auch, weil ich immer dachte, Wald sei doch ein ziemlich krisensicherer Besitz. Weit gefehlt! „Meine Familie besitzt vor allem Fichtenwald. Dem geht es momentan besonders schlecht.“, so meine Gesprächspartnerin weiter. „Der Hitzesommer hat ihm zugesetzt. Die Bäume sind buchstäblich saft- und kraftlos. Dazu kommen die Auflagen vom Forstamt und die stark gefallenen Preise für Holz. Wegen des Borkenkäfers musste in ganz Deutschland viel gerodet werden. Deshalb haben wir jetzt ein Überangebot. Und dann müssen wir die Rodungen auch noch aus eigener Tasche zahlen.“, beklagt sie sich.
Mir fallen große kahle Stellen im Wald ein, die meine Frau und ich bei unseren Wanderungen durch den Schönbuch immer wieder sehen. Radikal gerodete Flächen, die wie ein Schlachtfeld aussehen. Manchmal bringen die Förster Schilder zur Information an. Darauf ist dann zu lesen, dass die Flächen wegen Borkenkäferbefall gerodet werden mussten. Wie soll das weiter gehen? Man kann sich schon ein bisschen fürchten. Der April war bereits extrem warm. Bekommen wir schon wieder einen Hitzesommer? Und dann?
Die Folgen des Klimawandels weltweit
Nur ein Beispiel, liebe Gemeinde, ein Mosaikstein, für den immer deutlicher werdenden Klimawandel. Die Zeiten, in denen es verlässliche Jahreszeiten gab, sind vorbei. Die Klimaextreme nehmen zu. Die gute Ordnung, in der sich einmal die Natur, die Schöpfung befand, scheint dahin. Mit schlimmen Folgen: das Abschmelzen der Pole, die steigenden Meeresspiegel, die zahlreichen verheerenden Stürme und Überflutungen (Mozambique und Indien sind nur die letzten beiden Beispiele). Hier bei uns denke ich an die beginnende Versteppung von großen Gebieten in Ostdeutschland. Wertvolles Ackerland wird durch starke Winde davongetragen. Gefährliche Sandstürme entstehen. Sie brechen sich an keinerlei Hecken oder Wäldchen. Noch manches mehr ließe sich anfügen. Sind wir noch zu retten? Was könnte helfen?
Was kann helfen?
Am heutigen Sonntag liegt der Predigt ein weisheitlicher Text zugrunde. Liegt hier vielleicht ein Wegweiser verborgen für uns? Ist nicht genau sie es, die uns fehlt im Umgang mit Natur und Umwelt: die Weisheit? Am heutigen Sonntag spricht sie sogar selbst zu uns:
zit. Spr 8,22-36
Die Weisheit stellt sich hier als eine sehr enge Vertraute Gottes vor. Von Anfang an war sie bei Gott. Genau genommen sogar vor dem Anfang schon. Zu einer Zeit also, als es noch gar nichts gab: „Ehe er etwas schuf“ war die Weisheit schon bei Gott. Sie war in inniger Verbundenheit mit ihm, ja, sie spielte vor ihm und Gott hatte seine Freude daran. Wie Gott selbst, so steht auch die Weisheit über allem Erschaffenen. Deshalb kann sie auch auf dem Erdkreis spielen (im Hintergrund steht das Weltbild der alten Kulturen). Gott und die Weisheit befinden sich in inniger Harmonie. Die Weisheit ist „beständig bei ihm“, ja sie „spielt vor ihm.“ Ein Bild des Einklangs und des Friedens. In diesem innigen Miteinander wird die Welt erschaffen. Und sie spiegelt das wider. Alles stimmt zusammen: „Herr, wie sind deine Werke so groß und so viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.“ (Psalm 104, 24) – So staunt das alte Israel über die Schöpfung und lobt ihren Schöpfer. Ehrfürchtig wird beschrieben, wie gut alles zusammenstimmt: „Lobe den Herrn meine Seele! Herr mein Gott, du bist sehr herrlich! … Der du das Erdreich gegründet hast auf festen Boden … Die Berge stiegen empor, und die Täler senkten sich herunter … Du lässt Wasser quellen …, dass alle Tiere des Feldes trinken und das Wild seinen Durst lösche. Darüber sitzen die Vögel des Himmels und singen unter den Zweigen. … Du machst das Land voll Früchte … du lässt Gras wachsen und Saat zu Nutz des Menschen … Wein erfreut des Menschen Herz und sein Antlitz wird schön vom Öl.“(Ps 104,1-15) Alles stimmt zusammen. Für den Menschen ist gesorgt. Ja mehr noch: Es ist auch alles so schön.
Is this the world we created?
Und heute?
Is this the world we created?
We made it all our own
Is this the world we devastated, right to the bone
If there's a God in the sky looking down
What can he think of what we've done
To the world that he created?
So fragt der leider viel zu früh verstorbene Sänger Freddy Mercury bereits 1984 in einem seiner Lieder.
Ist dies nun die Welt, die wir geschaffen haben?
Wir machten sie uns untertan.
Ist dies nun die Welt, die wir bis auf die Knochen verwüstet haben?
Wenn ein Gott ist im Himmel, der herunterschaut,
Was kann er denken über das, was wir der Welt angetan haben,
die er erschaffen hat?
Wer mich verfehlt, zerstört sein Leben
Liebe Gemeinde, ich finde die Ermahnung der Weisheit am Ende des Predigttextes hat sich auf erschreckende Weise bewahrheitet. „So hört nun auf mich, meine Kinder! … Wer mich verfehlt, zerstört sein Leben.“(V.32.36) Die Wälder sterben, die Ackerböden erodieren, abertausende werden weltweit durch Zyklone und Tornados, durch Flutwellen und Dürren dahingerafft. Es ist offensichtlich: Wir haben den weisheitlichen Umgang mit den uns gegebenen Ressourcen verlernt. Nun ernten wir, was wir gesät haben. Wo soll das enden? Was könnte helfen?
Wer mich findet, der findet das Leben
Das Ermutigende: Die Weisheit malt nicht nur ein Drohgemälde. Sie sagt auch: „Wer mich findet, der findet das Leben. Wohl denen, die meine Wege einhalten!“(V. 35) Wie gerne möchte ich das: Die Weisheit wiederfinden und die Wege, die dem Leben dienen! Aber wie geht das?
Psalm 104 und Leonardo da Vinci
Mir kommt noch einmal Psalm 104 in den Sinn. Könnte es ein guter Anfang sein, nicht gleich lauter Einzelmaßnahmen vorzuschlagen, sondern es zunächst einmal so zu machen, wie der Beter des Psalms? Er hält inne und beobachtet. Er schaut sich genau um und nimmt zunächst einmal nur wahr, was er sieht. Je länger er das tut, desto intensiver nimmt er die Schöpfung in ihrer Größe und Schönheit wahr. Er begreift Zusammenhänge. Er gerät ins Staunen. Darüber, wie gut alles zusammenpasst, wie eins in andere spielt, wieviel Harmonie in der Schöpfung ist, wie wunderbar auch der kleinste Vogel geschaffen ist. Von einem der größten Künstler aller Zeiten, Leonardo da Vinci, ist überliefert, dass er ein ausgezeichneter und intensiver Beobachter der Natur war. So soll er einmal monatelang nur die Oberfläche von Flüssen und Bächen studiert haben, so fasziniert war er davon. Er war wohl auch Vegetarier und es heißt, er sei manchmal auf den Markt gegangen, habe Vögel in Käfigen gekauft und sie sofort freigelassen.1 Das ist für mich ein tolles Beispiel dafür, wie aus der Beobachtung der Natur Ehrfurcht wird, die wiederum in lebensdienliche Handlungen mündet.
Weisheit und Nachhaltigkeit – das geht gut zusammen!
Ein weisheitlicher Umgang mit der Schöpfung scheint mir also mit ihrer genauen Beobachtung zu beginnen. Beinahe zwangsläufig stellen sich Staunen, Freude und Ehrfurcht darüber ein, wie wunderbar alles geschaffen ist. Aber auch ein Verständnis dafür, wie anfällig und schützenswert dieses System ist. Wer dafür ein Empfinden entwickelt, der kann eigentlich gar nicht mehr anders, als entsprechend zu handeln. Der Weise wäre dann einer, der versucht, im Umgang mit der Schöpfung so wenig Schaden wie irgend möglich anzurichten; ihr Gleichgewicht so wenig wie möglich zu stören; Risiken so gut es irgend geht abzuwägen und die Folgen des Handels auch für spätere Generationen zu bedenken. Kurzum: Dem Weisen geht es um Nachhaltigkeit.
Die Benediktiner von Camaldoli und die Fridays for Future
Dieses Prinzip ist nicht neu. Interessanter Weise findet es sich bereits in einem kirchlichen Dokument aus dem 14. Jh. (auch wenn man das Wort „Nachhaltigkeit“ damals natürlich noch nicht kannte)! Das Dokument, um das es geht, ist die Forstordnung eines Benediktinerordens in der Toskana. Die Benediktiner des um das Jahr 1000 gegründete Kloster Camaldoli (70 km östlich von Florenz) bewirtschafteten ihre Tannenwälder rund um das Kloster ohne Kahlschläge, nur mit Einzelstammentnahmen und Nachpflanzungen. Das Kloster gilt daher als Keimzelle und „Wurzel der Nachhaltigkeit“.2
Aktuell sind es vor allem die Schülerinnen und Schüler, die uns mit ihren Fridays-for-future-Demos an das Prinzip der Nachhaltigkeit erinnern. Um unsre Klimaprobleme wenigstens noch halbwegs in den Griff zu bekommen, brauchen wir sehr dringlich die Energiewende. Nur so kann die beständige Klimaerwärmung wenn schon nicht gestoppt, so doch wenigstens eingedämmt werden.
Nachhaltigkeit erstreckt sich aber auf noch viel mehr Bereiche. Alle, egal, ob jung oder alt, können etwas zu einem nachhaltigen Lebensstil beitragen: Wiederverwerten statt Wegwerfen; Plastik und Müll vermeiden; mitmachen beim Recycling; weniger Fleisch essen; regional produzierte Lebensmittel einkaufen; wer es sich leisten kann am besten bio; weniger Flugreisen; kleinere Autos fahren, keine SUV’s usw. Für mich ist ganz klar: Nachhaltigkeit heißt auch, sich einzuschränken.
Die Erde gehört Gott
In einem Bibellexikon las ich den tollen Satz: „Weisheit ist die Fähigkeit des Menschen, die Wirklichkeit als geordnetes Sein zu erkennen und sich in diese Ordnung verstehend und handelnd einzufügen.“3
Die Wirklichkeit als geordnetes Sein erkennen: Der Weise im Sinne der Bibel ist einer, der die Schöpfung beobachtet und die gute Ordnung, die Gott in seine Schöpfung hineingelegt hat, erkennt. In diese Ordnung fügt sich der Weise ein, d.h. er beachtet sie. Er lebt nicht gegen die Kreisläufe in der Natur. Und der Weise ist in der Lage aus Wertschätzung und Ehrfurcht dem Leben gegenüber so zu handeln, dass die lebensdienliche Ordnung erhalten bleibt. Für sich selbst; für die Generationen, die nach ihm kommen; für alle Lebewesen.
Nicht zuletzt ehrt der Weise damit den Schöpfer. Denn die Erde gehört Gott.
Amen.
1 Information aus der Radiosendung SWR 2 Wissen vom 29.04.2019
2 Information aus Wikipedia-Artikel „Nachhaltigkeit“
3 Calwer Bibellexikon, Art. Weisheit, Stuttgart 2003.
Anregungen zur Liturgie
Eingangslied: 501,1.2.4 (Wie lieblich ist der Maien)
Ps 104 (743)
Lesung: 1. Mose 1,1-8.26-31; 2,1-4a
Wochenlied: 506,1-3.5 (Wenn ich, o Schöpfer, deine Macht
Predigtlied: 432,1-3 (Gott gab uns Atem)
Schlusslied: 331,1.9-11 (Großer Gott, wir loben dich)