Wem gehören wir? – Predigt zu 1. Korinther 6,-9-14.18-20 von Angelika Volkmann
6,-9-14.18-20

Liebe Gemeinde,

wovon lassen wir uns beherrschen?
Sind wir getrieben von Neid und Sucht und Machtgelüsten? Voller Sorge um das eigene Image? Verführt dazu, schlecht über andere zu reden? Sind wir ausgeliefert an sexuelle Gier? Frönen wir einem Körperkult und purer Genusssucht? Als Mitglieder einer Gemeinde, die sich sonntags hier zum Gottesdienst versammeln, vermutlich eher nicht.

Der Apostel Paulus schreibt über solche Fragen an die Gemeinde in Korinth. Er spricht konkrete Alltagsprobleme der Gemeindeglieder an. Die meisten Christusgläubigen in dieser multikulturellen und multireligiösen römischen Stadt am Hafen kommen aus dem Heidentum. Gut 400 Jahre zuvor hatte der Philosoph Diogenes von Sinope auch in Korinth seine Lehre vertreten und Essen, Trinken und Körperlichkeit ohne Einschränkungen und Schamgefühl propagiert. Die Äußerung von Paulus zeigt, dass diese Lebensweise in der Stadt Korinth durchaus üblich war und dass einige Gemeindeglieder ein solches Leben geführt haben. „Alles ist mir erlaubt!“ – so lautete die sogenannte korinthische Parole, mit der Trunkenheit, Diebstahl und auch ein unverantwortlicher Umgang mit Sexualität gerechtfertigt wurden. Dafür findet Paulus kritische Worte:

Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder noch Diebe noch Habgierige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes ererben. Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes. Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichtemachen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe. Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft. Flieht die Hurerei! Alle Sünden, die der Mensch tut, sind außerhalb seines Leibes; wer aber Hurerei treibt, der sündigt am eigenen Leibe. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.

Liebe Gemeinde,

Es ist noch nicht klar, was für die Christusgläubigen gilt. Die Identitätsfindung ist noch im Fluss in der Mitte des 1. Jahrhunderts nach Christus. Was gilt für uns? So fragen die Korinther zwischen römisch-hellenistischen Ansichten und jüdischen Geboten. Paulus klärt in seinem Brief einige Fragen in diesem Zusammenhang. Er orientiert sich dabei an den wichtigsten jüdischen Geboten, die schon damals aus jüdischer Sicht auch für Nichtjuden gelten. Der jüdische Glaube kennt gute Gebote für die ganze Menschheit. Die wichtigsten drei sind das Verbot von Unzucht, von Götzendienst und Blutvergießen. Diese Gebote gelten selbstverständlich auch für die christusgläubige Gemeinde.

Unzucht, das griechische Wort heißt: porneia. Damit ist eine unverantwortliche Sexualpraxis gemeint. In aller Schärfe stellt Paulus fest: Wer unverantwortlich mit seiner Sexualität umgeht, der gehört nicht in das Reich Gottes. Heute verstehen wir ihn so: wer beziehungslos Sexualität konsumiert, wer Sexualität so lebt, dass Beziehungen zerstört werden, wer vergewaltigt oder sich an Kindern oder Abhängigen vergreift, wer Menschen sexuell benutzt oder ausbeutet, der gehört nicht in das Reich Gottes.

Blutvergießen: Damit sind Gewalttaten gemeint. Das fängt schon an, wenn jemand schlecht über andere redet, lesen wir in der Bergpredigt Jesu. Auch wer stiehlt, sagt Paulus, und wer den Hals nicht voll genug bekommt, wer im Rausch anderen schadet, wer verleumdet und mobbt und ausbeutet, begünstigt dadurch Gewalt und Blutvergießen und gehört nicht in Gottes Welt.

Götzendienst: Wer andere Gottheiten verehrt, gehört nicht in das Reich Gottes. Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott, sagt Martin Luther. Wer sein Herz z.B. an Geld und Macht oder einen perfekt gestylten Körper hängt, wer dem eigenen Ego dient, wer sich selbst zum Maßstab aller Dinge macht und vergisst, dass er sich einem Größeren verdankt, der gehört nicht in das Reich Gottes. Denn er wird voller Verachtung sein gegenüber anderen.

Der jüdische Glaube lehrt uns: wenn alle Menschen, egal welchen Glaubens oder auch ohne einen Glauben an einen Gott diese drei Gebote einhalten, dann ist dem Zusammenleben der Menschen sehr gedient.

Um wieviel mehr müssen diese Verhaltensweisen für eine christliche Gemeinde verbindlich sein. Paulus sagt: wer sich daran nicht hält, gehört nicht in das Reich Gottes.

Harte Worte. Doch Paulus schließt nicht nur aus, Paulus lädt auch ein. Früher habt ihr solche Dinge gemacht, sagt er. Aber jetzt ist es anders. Ihr seid andere geworden. Man kann sich ändern und Ungutes hinter sich lassen. Durch die Verbindung zu Jesus Christus gehört ihr zu Gott. Ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht gemacht. Wer zu Christus gehört, ist ein neuer Mensch. Gott wohnt in euch! Wer Christus gehört, gehört nicht zerstörerischen Impulsen, vielmehr dient er dem Guten.

 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich … Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört?

Es geht darum, dass wir so leben, dass es uns selber und der Gemeinschaft guttut. Und es geht darum, dass es nicht egal ist, was wir mit unserem Körper tun. Denn auch diese Auffassung herrschte in Korinth, dass der Körper, und was wir mit ihm machen, nicht so wichtig sei.

Der Körper ist der Tempel, in dem Gottes Geist wohnt, sagt Paulus. Nicht nur die Seele stellt eine enge Verbindung zu Gott her, sondern auch der Körper. Heute ist uns bekannt, wie sehr beide miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Wie sehr es auf die Seele zurückwirkt, wenn sich der Körper wohlfühlt, wenn er genügend Bewegung und genügend Schlaf bekommt und gesundes Essen. Wenn man ausgeschlafen ist, fühlt man sich glücklicher als bei chronischem Schlafmangel. Ein Spaziergang durch die Natur hellt unsere Stimmung auf. Positive Angebote des Körpers sind für die Seele unwiderstehlich. (nach Monika Lehmann-Etzelmüller)

So ist es nicht nur medizinisch, sondern auch geistlich geboten, mit dem eigenen Körper gut umzugehen. Euer Körper ist ein Tempel des Heiligen Geistes.
Das ist für manche in Korinth völlig neu.  Auch für uns mag es fremd sein. Auch wir verlagern die Dinge des Glaubens gern in die Innenwelt, in Herz und Geist. Gott mit dem Herzen loben, ja, aber mit Herzen, Mund und Händen? (nach Monika Lehmann-Etzelmüller)

Dabei ist es uns nicht fern. Was haben wir nicht alles in den letzten Tagen mit unseren Händen Liebevolles und Gutes getan: eine liebevolle Berührung, für jemanden etwas Hilfreiches erledigt, eine Mahlzeit zubereitet, gegossen und gepflanzt, jemandem die Hand gereicht oder sie einem anderen Menschen ermutigend auf die Schulter gelegt. Manchmal reicht ganz wenig, um Gottes Güte und Liebe gegenwärtig sein zu lassen für andere. Oder die Füße. Wo waren sie unterwegs in der vergangenen Woche? Oder der Mund. Der kann kritisieren und schlecht reden, aber auch Liebevolles sagen, Mut zusprechen, Küsse verteilen. (Monika Lehmann-Etzelmüller)

Oder die Augen. Wie schaue ich auf andere? Wie schaue ich auf mich selbst? Wie schaue ich auf die Welt? Wenn Gott in mir wohnt – kann ich gütig schauen, freundlich?

Oder eben die Sexualität. Diese wunderbare Gabe Gottes an jeden Menschen. Und das besondere Geschenk, sich zu binden, sich körperlich einlassen zu können auf einen Menschen, den man liebt, auf Berührung und Hingabe, einander erkennen in der gemeinsamen Verbundenheit mit Gott.

Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?

Uns für die Gegenwart Gottes in unserem Körper zu öffnen, heilt uns, befreit uns und lässt uns großzügig sein. Die Gegenwart Gottes in anderen Menschen zu sehen verändert unsere Wahrnehmung und unser Verhalten.

Martin Buber erzählt in seinen chassidischen Geschichten, wie der Kozker Rebbe einige Männer fragt: „Wo wohnt Gott?“ Und dann schließlich selber seine eigene Frage beantwortet: „Gott wohnt, wo man ihn einlässt.“

Darum preist Gott mit eurem Leibe, schreibt Paulus.
Dazu sind wir eingeladen, ja aufgefordert. Das ist beglückend. Dabei erwartet uns ein Leben in Fülle.
Amen. 

Angelika Volkmann, Pfarrerin an der Dietrich-Bonhoeffer-Kirche Tübingen,
email: Angelika.Volkmann@elkw.de

 

verwendete Literatur:

Einige Anregungen verdanke ich Monika Lehmann-Etzelmüller, Mit Herzen, Mund und Händen, 29. Juli 2012, 8. Sonntag nach Trinitatis, 1. Korinther 6,9-14.18-20, in: Pastoralblätter, 7-8/ 2012, S. 521ff

Jürgen Pithan, 8. Sonntag nach Trinitatis: 1.Kor 6,9-(14.18-)20, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, zur Perikopenreihe IV, herausgegeben von Studium in Israel, e.V., Wernsbach 2005, S. 252-256

Mareike Schmied, 8. Sonntag nach Trinitatis: 1.Kor 6,9-14.18-20, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, zur Perikopenreihe IV, herausgegeben von Studium in Israel, e.V., Berlin 2017, S. 286-290

Perikope
22.07.2018
6,-9-14.18-20