I. Heilige Woche – große Geschichte
Es fängt an. Palmsonntag.
Heute zieht Jesus in Jerusalem ein. „Hosianna dem Sohne Davids!“ Königsweg. Triumphzug. „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!“ Palmzweige rauschen durch die Luft. Kleider liegen auf dem Weg, wie der rote Teppich. So kommt Jesus in die Heilige Stadt.
Am Donnerstag wird er Abendmahl feiern mit den Seinen. „Nehmt und esst. Trinkt alle daraus. Tut das zu meinem Gedächtnis.“
Donnerstag Nacht: Ein Gebet. „Doch nicht, was ich will, sondern was du willst.“ Judas wird kommen und ihn verraten. Soldaten verhaften Jesus. Nächtlicher Prozess vor dem Hohenpriester. „Ihr habt gehört die Gotteslästerung! – Er ist des Todes schuldig.“
Am nächsten Morgen steht Jesus vor Pilatus. „Kreuzige ihn!“ Geißelhiebe, Spottgesänge. Das Kreuz liegt schwer auf seinen Schultern. Dann Hammerschläge. „Mich dürstet“. „Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“
Am Freitag 15.00 Uhr ist Jesus dann tot. „Und neigte das Haupt und verschied.“
Palmsonntag.
Heute fängt es an. Diese Geschichte von Sonntag bis Freitag. Die riesengroße Geschichte von Liebe und Tod.
II. Am Mittwoch kam der Tod
Palmsonntag. Gründonnerstag. Karfreitag. Da wird die Geschichte erzählt. Da geschieht sie. Von Montag und Dienstag wissen wir nichts.
Aber Mittwoch.
„Es waren noch zwei Tage bis zum Passafest und den Tagen der ungesäuerten Brote. Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten suchten, wie sie Jesus mit List ergreifen und töten könnten. Denn sie sprachen: Ja nicht bei dem Fest, damit es nicht einen Aufruhr im Volk gebe.“
Am Mittwoch steht fest: Jesus muss sterben. Ein Gremium sitzt beisammen. Graue Herren in Prunkgewändern. Die Macht hat sich versammelt. Die Macht will den Tod. Jesu Tod.
Und da trifft es sich gut, dass es abends leise an der Tür klopft. Judas schleicht herein. Heimlich. „Ich will ihn euch verraten.“
Da werden sie froh. Versprechen ihm Geld. Und der Tod nimmt seinen Lauf.
III. Am Mittwoch kommt die Liebe
Am Mittwoch war aber auch noch etwas anderes. Am Mittwoch kommt die Liebe. „Und als Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt.“
Die Liebe kommt leise zur Tür herein. Ohne ein Wort. Eine Frau in schlichtem Gewand. Sie hat noch nicht mal einen Namen. Sie hat nichts weiter. Nur sich selbst. Und dieses kleine Gefäß. Das ist der Liebe genug.
Weiß und zart ist das Fläschchen. Aus Alabaster. Das hat sie mitgebracht. Und vorher gekauft. Für ungefähr zwanzigtausend Euro nach heutigem Geld. Völlig verrückt eigentlich. Und genau richtig.
Sie geht zu Jesus. Sie bricht das Fläschchen entzwei. Das Öl fließt Jesus in die Haare. Unbeschreiblicher Duft. Sie massiert es ein. Jetzt nimmt die Liebe ihren Lauf.
IV. Liebe verjagen
„Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an.“ Bis eben hatten sie nur zugeschaut. Die Männerrunde: Petrus, Jakobus, Johannes, Bartholomäus und wie sie alle heißen – und, ja, auch Judas. Sie sehen, was da geschieht. Fassungslos. Es fehlen ihnen die Worte. Es war still. Mucksmäuschenstill. Totenstill. Liebesstill.
Dann toben sie los. „So was Unvernünftiges! Völlig verrückt! Vergeudung! Alles verschwendet!“ Sie toben los, wie die Wütenden zu allen Zeiten lostoben. Auch heute und jetzt. „Denkt doch mal an die Rentner in unserm Land, die müssen Flaschen sammeln! Und die schmeißt zwanzigtausend Euro zum Fenster heraus …
was man damit alles Gutes tun könnte für die eigenen Leute …“
Petrus, Jakobus, Johannes – die ganze Runde: Sie „wissen ja, wie es geht“. Denken sie. Sie wissen, „was sich gehört“. Sowas darf nicht sein. Das passt nicht in ihre Welt. Sie wissen, wie es zu sein hat. Und sie murren und raunen, sie tuscheln und am Ende werden sie grob und laut. Sie wollen die Macht über die Liebe. Und sie wollen sie am liebsten verjagen aus der Welt.
„Und sie fuhren sie an.“
V. Lasst die Liebe Liebe sein
„Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis.“
Ein Machtwort. Ein Liebeswort. Beides auf einmal. Jesu Wort. „Lasst sie!“ Hört auf mit euren Machtspielereien. Lasst der Liebe ihren Lauf! Jesu Stimme klingt hart dabei. Er meint das wirklich so. Das ist jetzt ernst. Todernst. Und liebesernst. Die anderen schweigen. Sie schauen zu Boden. Ein bisschen beschämt.
Und wohl wenig überzeugt. So einfach lässt die Macht nicht von der Liebe ab. So schnell ändern sich Stimmungen und Meinungen nicht, wenn sie einmal festsitzen. Jesus aber bleibt dabei: „Sie hat getan, was sie konnte.“
Liebe tut, was sie kann.
Jetzt. Hier.
VI. Macht der Liebe
Die Liebe kommt am Mittwoch in unsere Geschichte.
Mit dieser Frau und ihrem Fläschchen voll Öl. Mit Jesu Worten: „Lasst sie! Sie tut, was sie kann.“ Nun hat die Macht eine ebenso mächtige Gegenspielerin. Die wird tun, was sie kann. Sie hört nicht auf damit, und sie tut es heute noch: Die „Macht der Liebe“ Sie ist anders. Sie ist nicht grob und laut, sie pöbelt nicht auf der Straße, sie hetzt die Menschen nicht gegeneinander auf, spaltet nicht, „ist nicht mutwillig, sucht nicht das Ihre, bläht sich nicht auf“.
Die „Macht der Liebe“ tut, was sie kann. Sie tut es an den geringsten Geschwistern. Stellt sich gegen böse Mächte, wo es nötig ist. Macht aus der Machtwelt eine Liebeswelt. Soviel sie kann.
Und Jesus sagt: „Lasst sie!“
„Macht brauchst du nur, wenn du etwas Böses vorhast. Für alles andere reicht Liebe, um es zu erledigen.“
Das soll Charlie Chaplin gesagt haben. Er hat unsere Geschichte ganz bestimmt gekannt.
VII. Unvergessen
„Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.“
Die Mächtigen von damals: Nicht mehr so wichtig. Die Hohenpriester Hannas und Kaiphas: Historische Personen aus der Bibel. Pontius Pilatus: Ein Name im Glaubensbekenntnis.
Die Frau aber, – die Frau, die die Liebe in unsere Geschichte gebracht hat: Sie ist unvergessen. Obwohl sie noch nicht mal einen Namen hat. Vielleicht ist ja das einfach ihr Name: Liebe?
„Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.“
Genauso machen wir das heute. Wir vergessen sie nicht. Wir predigen das Evangelium. Dieses Evangelium. Von dieser Frau und ihrer mächtigen Liebe.
Evangelium – es ist, wo die Liebe ihren Lauf nimmt.
VIII. Liebe bis zum Freitag. Und immer.
Palmsonntag. Es hat angefangen. Königsweg. Liebesweg.
Am Mittwoch kommt die Liebe in diese riesengroßen Geschichte. Jesus nimmt sie mit. Das Öl hat bis zu seinem Tod in seinen Haaren geduftet. Die Liebe nimmt ihren Lauf – von heute bis Mittwoch und bis zum Freitag. „Bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz.“ Und vom Freitag dann weiter. In einer Woche ist Ostersonntag.
Denkt daran! Da geht es weiter mit der Liebe. Für immer. Für uns.
„Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
„Meine“ Predigten werden in sehr unterschiedlichen Gemeinden gehalten. Es kann sein, daß z.B. Ostern in Camburg ein Festgottesdienst mit über 100 Personen stattfindet, und der übernächste in Kleingestewitz mit 4 Feiernden. Das ist interessant und reizvoll. Da-bei ändert sich auch oft das gesamte „Setting“ von Predigt und Gottesdienst. Ich halte die Predigten meist ziemlich oft – an einem Wochenende Sa/So kommen u.U. auch ein-mal 9 Gottesdienste zusammen. Da verändern sich auch die Predigten.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich bin in meiner Arbeit stark exegetisch geprägt. Das ist immer der erste Schritt. Und wenn ich – soweit das möglich ist – ‚verstanden’ habe, wie der Text ‚funktioniert’ setzt das die ersten Gedanken, womöglich auch schon eine „Structure“ für die Predigt frei. Übungen des kreativen Schreibens und Wahrnehmungsübungen helfen, Bilder zu fin-den. Dann kommt die Phase des „laut Schreibens“ – jeder Satz, dann größere teile, sage ich schon im Schreibprozeß laut.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Interessant war, sich noch einmal die Chronologie der „Heiligen Woche“ vor Augen zu führen. Da passiert ja zwischen Palmsonntag und Gründonnerstag quasi nichts – au-ßer der Salbung, die (nimmt man die erzählte Geschichte als Chronologie) wohl am Mittwoch „war“. Das macht alles sehr nah und plastisch.
Und die Idee, daß das Salböl noch bei Jesu Tod in seinen Haaren geduftet haben muß, hat mich sehr fasziniert.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich arbeite immer sehr intensiv am „Rohtext“, der, wenn es gut geht, am Mittwoch zuvor spätestens ‚da’ sein sollte. Immer wieder lautes Lesen, Feilen, zuletzt auch das Formatieren des Manuskripts. Fast immer lesen einige Kolleg*innen und Freund*innen mit. Das ist sehr wertvoll.
Für diese Predigt stand eine Coach zur Seite mit einer klaren, genauen und sehr hilfrei-chen Lektorierung.