„…wenn ein Unkundiger oder Ungläubiger herein käme in unseren Gottesdienst“ – Predigt zu 1. Korinther 14, 1-3.20-25 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
14,1-3,20-25

1. Korinther 14, 1-3.20-25

„ Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber darum, dass ihr prophetisch redet! Denn wer in Zungen redet, der redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott; denn niemand versteht ihn: im Geist redet er Geheimnisse. Wer aber prophetisch redet, der redet zu Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung.

Liebe Brüder und Schwestern, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Bosheit geht; im Verstehen aber seid erwachsen. Im Gesetz steht geschrieben: »Ich will in andern Zungen und mit andern Lippen reden zu diesem Volk, aber auch so werden sie nicht auf mich hören, spricht der Herr.« Darum ist die Zungenrede ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; die prophetische Rede aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen. Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen? Wenn aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen überführt und von allen gerichtet; was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.“

 

Liebe Gemeinde,

„…wenn ein Unkundiger oder Ungläubiger herein käme in unseren Gottesdienst“- was dann? Was würde er oder sie erleben?

Sooft ich kann, gehe ich gerne in andere Gottesdienste in anderen Gemeinden, vor allem im Urlaub. Als Ortsunkundiger muss ich dann manchmal im Gesangbuch nach der gängigen Liturgie suchen. Wann darf ich aufstehen, wann sitzen bleiben? Ist das hier eine reformierte, lutherische oder unierte Liturgie? Oder ich staune über den Reichtum orthodoxer  Gottesdienste, über diesen Reichtum an Gesängen, Lesungen, Verbeugungen, Prozessionen und Weihrauch. Oder ich fühle mich etwas gehemmt, wenn in charismatisch geprägten Gemeinden mit erhobenen Armen gesungen und gebetet wird. Oder ich vernehme in einem Gebetsgottesdienst mit Erstaunen ein Gebet in Zungenrede. Oder ich klatsche verhalten und schüchtern mit, wenn um mich herum eine Gospelgemeinde singt, swingt und tanzt. Oder ich denke, ich falle unangenehm auf, wenn ich bei einer Messfeier mich nicht bekreuzige oder hinknie.

Auch wenn ich mich als Unkundiger in einer anderen Gemeinde recht fremd unter fremden Mitchristen fühlen kann, so denke ich doch: es ist wunderbar, wie vielfältig die Traditionen in meinem Glauben sind und wie unterschiedlich Gottesdienst gefeiert werden kann. Gott kann in vielen Sprachen und Formen gelobt werden.

Und vielleicht kennen sie das ja auch: man ist im Urlaub in einem fremdsprachigen Gottesdienst, ein Unkundiger, was Sprache, Ablauf und Liturgie anbelangt, und feiert trotzdem den Gottesdienst innerlich mit, mit einem eigenen, stillen Gottesdienst hinten im Eck einer alten Kirche.

„…wenn ein Unkundiger oder Ungläubiger herein käme in unseren Gottesdienst“- was dann? Dann kann er sich hoffentlich zuhause fühlen in dem für ihn fremden Gottesdienst und das Gefühl bekommen: Gott ist wahrhaftig unter uns.

Dass ein Unkundiger oder Ungläubiger im christlichen Gottesdienst auftaucht, das war damals zur Zeit des Apostels Paulus wohl nichts Ungewöhnliches. In der quirligen Hafenstadt Korinth gab es Menschen unterschiedlicher Herkunft, Sprache und Religion. Man feierte seine eigenen Gottesdienste in der eigenen Sprache, Religion und Tradition jeweils in seinem Tempel oder Versammlungsort. Und da konnte es nicht ausbleiben, dass jemand aus Neugierde einmal den Gottesdienst einer anderen Religion oder Sprachgruppe besuchte. Oder er kommt als Unkundiger oder Andersgläubiger zum Gottesdienst, weil er dazu eingeladen wurde von einem Arbeitskollegen oder aus der eigenen Familie, in der jemand zu einer anderen Religion gehört. Das ist so, wie wenn man heute als Urlauber in einen Gottesdienst in Peking oder Sidney oder Kischinau geht oder zu einer Konfirmation „ganz wo anders“ eingeladen wird oder eine Einladung zum Iftar-Essen in eine Moscheegemeinde erhält.

„…wenn ein Unkundiger oder Ungläubiger herein käme in unseren Gottesdienst“- Paulus regt die Gemeindeglieder in Korinth an, doch einmal diese Außenperspektive ein zu nehmen. Wie wirkt ihr als Gemeinde auf Besucher? Werden Außenstehende durch eure Gottesdienste zum Glauben eingeladen? Führen eure Gottesdienste dazu, dass Menschen das Beten lernen? Dass sie ihr Herz ausschütten können? Dass sie sich in Gott geborgen fühlen?

Paulus sieht bei den Gottesdienstfeiern in Korinth hier ein ganz konkretes Problem. Und das Problem ist für ihn „das Reden in Zungen“. Die Zungenrede¸ von der Paulus hier spricht, muss allerdings unterschieden werden von dem öffentlichen Predigen der Jünger in ihnen unbekannten Sprachen am ersten Pfingstfest. Darum geht es Paulus in unserem heutigen Bibeltext nicht.

Es geht ihm hier um das private Reden in Zungen, nicht um das öffentliche. Vielleicht haben sie so ein Reden in Zungen in einem Gottesdienst schon einmal erlebt. Die Zungenrede ist eine sehr besondere Form des ganz persönlichen Gebetes. Wer in Zungen betet, der spricht sein Gebet in einer völlig unverständlichen Sprache und in fremdklingenden Lauten. Diese Art zu beten ist in vielen Pfingstgemeinde in der christlichen Welt ganz normal; für viele europäischen Christen wirkt das Beten in Zungen allerdings äußerst befremdlich. Paulus zählt die Zungenrede zu den möglichen acht Gaben des Heiligen Geistes. Man kann diese Gabe haben, man muss sie aber nicht haben. Es gibt allerdings Pfingstgemeinden, die fordern die Gabe des Zungenredens von ihren Mitgliedern als Ausweis echten christlichen Glaubens.

Paulus sieht die Gabe der Zungenrede als eine mögliche Geistesgabe. Für ihn ist sie aber keine Voraussetzung für das Christsein. Wer in Zungen beten kann, der betet in einer besonders intensiven Art. Es ist eine Art ganz tiefes Herzensgebet, das den eigenen Glauben stärkt und mit dem man sich geheimnisvoll in Gott birgt; ein ganz privates und wohltuendes spirituelles Erlebnis. Aber es bleibt eben bloß privat, sagt Paulus. Es ist ein Reden für Gott, aber nicht für Menschen. Und das ist, wenn es um öffentliche Gottesdienste geht, für Paulus das große Problem. Öffentliche Gottesdienste sind keine Privatveranstaltung, sondern die Bezeugung des Wortes Gottes in der Welt und für die Welt.

Im christlichen Gottesdienst geht es immer auch um eine Feier für andere, für Unkundige und für Ungläubige. Der Gottesdienst der christlichen Gemeinden wird nicht nur für die Gemeinde und ihre religiösen Bedürfnisse gefeiert. Er muss immer auch offen sein für andere; für die, die nicht zur Gemeinde gehören.

Wenn also jemand in einen Gottesdienst kommt, in dem alle in Zungen reden und ihre private Frömmigkeit pflegen, so wird der nichts verstehen von dem, was es heißt, Gottesdienst zu feiern und wird nur den Kopf schütteln über solch eine exklusive Versammlung. Wie gesagt: Paulus lehnt die Gabe der Zungenrede nicht grundsätzlich ab. Sie ist eine mögliche Geistesgabe. Aber er erstellt eine Prioritätenliste. „Bemüht euch um die Gaben des Geistes“, schreibt er, „am meisten aber nach der Gabe der Profetischen Rede.“

So wie er im Kapitel voraus von Glaube, Liebe und Hoffnung sprach und die Liebe als die größte unter ihnen beschrieb, so setzt er hier unter den Geistesgaben die prophetische Rede deutlich über das Reden in Zungen. Vor allem um diese Geistesgabe: die prophetischen Rede soll die Gemeinde sich bemühen. Und zwar nicht nur die Pfarrerin oder der Pfarrer oder die Gemeindeleitenden, sondern alle in der Gottesdienstgemeinde. Wenn alle prophetisch redeten „…wenn ein Unkundiger oder Ungläubiger herein käme in unseren Gottesdienst“, ja dann könnte er merken und spüren, dass Gott gegenwärtig ist im Gottesdienst.

„Prophetische Rede“: das klingt ziemlich anspruchsvoll. Man denkt dabei an die Propheten des Alten Testamentes. An ihre Gerichtsworte gegenüber den Herrschern, an ihren Einsatz für Gerechtigkeit, an ihre großartigen Zukunftsentwürfe von Gottes Frieden für unsere Welt. Und man denkt vielleicht: das ist alles eine Nummer zu groß für mich.

Paulus aber erklärt die Prophetische Rede so: „Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung.“ Und diese Gabe kann Gottes Geist allen in der Gemeinde schenken.

Ein Beispiel dafür? Da gehe ich mit schlechter Laune und einem Problem belastet in den Gottesdienst in einer anderen Stadt. Gleich am Eingang der Kirche begegne ich einem ersten prophetischen Wort: mit einem freundlichen „Guten Morgen“ drückt mir jemand ein Gesangbuch in die Hand und meine Stimmung gerät in ein anderes Licht. Der Bußpsalm und das Sündenbekenntnis im Gottesdienst prüfen und überführen mich gleichsam und im stillen Gebet kann ich vor Gott bringen, was in meinem Herzen verborgen war. Erbauung und Ermahnung und Tröstung habe ich im Gottesdienst erfahren durch die Worte, Gebete und Gesang einer mir fremden Gemeinde: die Wirkungen der Gabe der prophetischen Rede.

„…wenn ein Unkundiger oder Ungläubiger herein käme in unseren Gottesdienst“ – wie würde er oder sie sich bei uns fühlen? Würde er oder würde sie hilfreiche, wohltuende und tröstende Worte hören? Würde er auf eine Gemeinde treffen, die offen ist für andere und Gottes Gegenwart mit ihnen feiern möchte?

Amen

Perikope
10.06.2018
14,1-3,20-25