Wenn ihr Glauben hättet... Predigt zu Lk 17,5-6 von Susanne Ehrhardt-Rein
17,5-6

Predigt zu Lk 17, 5-6 mit EG 369
Wenn ihr Glauben hättet …

I. Verschieden glauben

„Mir fehlt nichts.“ – sagt Paul. „Mit dem kirchlichen Glauben kann ich nichts anfangen, von Gott habe ich keine Vorstellung, Religion interessiert mich nicht.“ Schon vor Jahrzehnten war er konsequent und ist aus der Kirche ausgetreten. Obwohl ich ihn schon lange kenne, weiß ich nicht einmal, aus welcher. Glauben: Kein Thema. Aber nach dem Tod seiner Mutter hat er doch die evangelische Pfarrerin aus dem Pflegeheim um die Trauerfeier gebeten. Bibelworte, Gebet, Segen. Glauben: kein Thema?
„Mein Glauben ist damals ganz schön ins Wanken geraten.“ – erzählt ein Pfarrer über sein Theologiestudium. „Plötzlich sollte das alles, was ich aus den biblischen Geschichten kannte, nicht mehr wirklich so gewesen sein. Was war nun richtig? Woran sollte ich mich halten? Aber später verstand ich: Mein Kinderglaube war nicht ungültig. Ich konnte Verstehen und Gottvertrauen neu zusammenbringen.“ Glauben – ein Lebensthema.
„Ich habe keine feste Vorstellung von Gott, der irgendwo im Himmel ist.“ – sagt ein 19jähriger Abiturient. Er fragt sich, wie er als Christ Naturwissenschaften studieren kann und wie er denen begegnet, die in der Bibel einen historischen und zweifelsfreien Tatsachenbericht sehen. Die Sorge um die Erde treibt ihn um, die Klimakatastrophe, der Plastikmüll. Er will nicht einfach zusehen, sondern etwas tun. Er glaubt, dass das nicht umsonst ist. Glauben – ein Grund zum Nachdenken und zum Handeln.
„Ich glaube, dass mich Gott in allem, was ich erlebt habe, nicht verlassen hat.“ – erzählt eine alte Frau. „Manchmal habe ich mit ihm gehadert, zweitweise habe ich ihn vergessen und wollte nichts von ihm wissen. Aber ich glaube doch, dass er mich nicht vergessen hat. Und so wird es bleiben.“ Glauben – im Blick zurück und nach vorn.

So verschieden die Lebenserfahrungen sind – so verschieden sind die Glaubenserfahrungen. Wer will da urteilen und einteilen? Wo ist mehr Glaube, und wo weniger? Welcher Glaube ist größer, welcher zu klein?
Auf die Frage nach dem Ranking – zu klein, zu wenig, zu schwach – lässt Jesus sich gar nicht erst ein. „Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn …“ Ein Senfkorn genügt. Ein Senfkorn würde genügen. Alles ist in einem Körnchen Glauben angelegt. Aber wo finde ich ein Körnchen dieses Glaubens?

II. Wer nur den lieben Gott lässt walten

Mit 19 Jahren machte sich Georg Neumark auf eine weite Reise. Er wurde 1621 in Langensalza bei Gotha als Sohn eines Tuchmachers geboren und wuchs in Mühlhausen auf. Neumark hatte in Gotha das herzogliche Gymnasium besucht und nun, 1640, die Berechtigung, an der Universität zu studieren. In der Tasche: sein Stammbuch, in dem ihm Bildung und Abschluss testiert wurden. Von Leipzig aus macht er sich auf den Weg. Er will nach Königsberg, um dort Jura zu studieren und den berühmten Poesie-Gelehrten Simon Dach zu erleben. Der sicherste Weg nach Königsberg führt von Lübeck aus per Schiff über die Ostsee. Aber eine sichere Reise ist die ganze Unternehmung nicht in diesen Jahren, mitten im 30jährigen Krieg.
Er findet Platz bei Kaufleuten in einer Kutsche. Es geht nach Magdeburg und von dort weiter nach Norden, durch die Altmark. 40 km hat man hinter sich, kurz hinter Gardelegen wird es auf einmal laut, die Kutsche hält. Die Reisegesellschaft wird überfallen und vollständig ausgeplündert. Georg Neumark verliert alles: Kleider, Bücher, Reisegeld. Allerdings kann er sein Stammbuch verbergen, den Ausweis seiner Bildung, seinen wichtigsten Schatz. Er schlägt sich zu Fuß durch, zunächst zurück nach Magdeburg. Er klopft in Gelehrten-Häusern an, weist sich aus und bittet um Unterkunft und Anstellung. Man nimmt ihn auf, aber er findet keine Stelle. Es geht weiter nach Lüneburg, Winsen, Hamburg und endlich bis nach Kiel. Er kommt in das Haus von Amtmann Christoph Hennigs. Der sucht einen Erzieher für seine Kinder und stellt ihn kurzerhand ein. Drei Jahre wird Georg Neumark in Kiel bleiben und erst dann nach Königsberg zum Studium ziehen.
40 Jahre später schreibt er in seiner Biografie rückblickend: „Noch des ersten Tages im Haus des Kieler Amtmannes dichtete ich meinem lieben Gott zu Ehren dieses Lied.“

1. Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit,
den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut, der hat auf keinen Sand gebaut.

2. Was helfen uns die schweren Sorgen, was hilft uns unser Weh und Ach?
Was hilft es, dass wir alle Morgen beseufzen unser Ungemach?
Wir machen unser Kreuz und Leid nur größer durch die Traurigkeit.

Georg Neumark hat seine Sorgen, seine Mutlosigkeit, seine Traurigkeit nicht überspielt. Er hat sie benannt und vor Gott gebracht.

III. Sorgen und Gottvertrauen

Grund zur Sorge gibt es genug. Wie schaffe ich den Tag morgen? Werden die Eltern gesund bleiben? Kommen die Kinder zurecht? Wie soll ich die Arbeit bewältigen? Und richte ich nicht gleichzeitig so viel Schaden an durch meinen Konsum, das Autofahren, den dauernden Verbrauch von Dingen und Energie? Nachts kommen die Zweifel am Sinn dieses ganzen Betriebs. Und die Angst vor Zerstörung und Untergang wird ganz real. Manchmal schlagen die Sorgen über mir zusammen wie eine Flutwelle.

„Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn …“, sagt Jesus. Gerade dann.

Der 19jährige Georg Neumark machte eine doppelte Erfahrung: Alle Pläne wurden zunichte. Er konnte froh sein, dass er überlebt hat. Und dann: Menschen sind da, unverhofft, nehmen ihn auf, sorgen für ihn. Lassen ihn wieder gehen, als es Zeit ist. So konnte er Vertrauen fassen, klein wie ein Senfkorn. Und sein Vertrauen wuchs und wurde zum Lied:

3. Man halte nur ein wenig stille und sei doch in sich selbst vergnügt,
wie unsers Gittes Gnadenwille, wie sein Allwissenheit es fügt;
Gott, der sich uns hat auserwählt, der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt.

4. Er kennt die rechten Freudenstunden er weiß wohl, wann es nützlich sei;
wenn er uns nur hat treu erfunden und merket keine Heuchelei,
so kommt Gott, eh wir’s uns versehn, und lässet uns viel Guts geschehn.

5. Denk nicht in deiner Drangsalshitze, dass du von Gott verlassen seist
und daß ihm der im Schoße sitze, der sich mit stetem Glücke speist.
Die Folgezeit verändert viel und setzet jeglichem sein Ziel.

„Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn …“, sagt Jesus: Dann kann sich vieles ändern, dann kann sich alles ändern. Menschen in Not wird geholfen. Reiche geben ab. Bäume werden gepflanzt. Die Welt wird auf den Kopf gestellt. Glauben wird lebendig, ohne Heuchelei.

6. Es sind ja Gott sehr leichte Sachen und ist dem Höchsten alles gleich:
den Reichen klein und arm zu machen, den Armen aber groß und reich.
Gott ist der rechte Wundermann, der bald erhöhn, bald stürzen kann.

7. Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, verricht das Deine nur getreu
und trau des Himmels reichem Segen, so wird er bei dir werden neu.
Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt den verläßt er nicht.

Und der Frieden Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Susanne Ehrhardt-Rein

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Am 12.9.21 werde ich mit einer Kursgruppe im Kirchlichen Fernunterricht Gottesdienst feiern – zum ersten Mal wieder vor Ort und leibhaftig nach einem Jahr pandemiebedingter Online-Begegnungen. Die Freude wird groß sein – aber auch die Befürchtungen im Blick auf die bevorstehenden Monate. Prägend für die Arbeit im Kurs ist der lebendige Austausch, gerade weil hier Menschen zusammenkommen, die sehr verschiedene Lebens- und Glaubenserfahrungen mitbringen. Diese Verschiedenheit, die im Gottesdienst eine gemeinsame geistliche Basis findet, möchte ich in der Predigt aufgreifen und würdigen.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Lied (EG 369) beschreibt eindringlich die Erfahrung von Glaubenszweifel und Gottvertrauen – beides soll zur Sprache kommen. Die Verschiedenheit der Glaubenserfahrungen erlebe ich als Schatz, als Bereicherung.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Jesus entzieht sich dem „Ranking“ der Glaubensbeurteilung – das ist für mich eine ermutigende Erkenntnis, gerade im Blick auf Glaubenszweifel und offene Fragen. Diese Fragen brauchen Raum und Sprache, auch in der Predigt. In dieser Offenheit kann Gottvertrauen wachsen.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Erst nach der Rückmeldung durch den Predigt-Coach habe ich mich entschlossen, das Lied im Ganzen zur Sprache zu bringen und davon auch die Struktur im dritten Teil der Predigt bestimmen zu lassen.

Perikope
12.09.2021
17,5-6