Wenn schon, denn schon – Predigt zu Epheser 5,8b–14 von Wilhelm von der Recke
5,8b-14

Wenn schon, denn schon – Predigt zu Epheser 5,8b–14 von Wilhelm von der Recke

I.

Der Chinese Benny Tai ist Professor für Staatsrecht und lebt in Hongkong. Als Schüler hat er eine anglikanische Schule besucht, ohne dass er Christ war. In einer schweren Lebenskrise fand er zum Glauben und ließ sich taufen. Er hatte Grund unter den Füßen gefunden. Er wusste nun, wohin er gehörte und wo er neue Kraft schöpfen konnte. Und er gewann damit einen klaren Blick für die Dinge, die wichtig oder weniger wichtig sind, die dem Leben dienen oder nicht.

Sein Zuhause fand er in einer methodistischen Gemeinde. Dort hat er gelernt, dass es nicht nur auf sein persönliches Glück und Heil ankommt, sondern dass er als Christ mitverantwortlich ist für die Anderen. Er engagierte sich für das „Soziale Evangelium“, wie er es nennt. – Die chinesische Zentralregierung in Peking hatte 1997 mit den Briten, den ehemaligen Kolonialherren, ausgemacht, dass Hongkong 50 Jahre lang besondere Übergangsrechte genießt. Doch diese werden seit Jahren unterhöhlt. Dagegen hat Professor Tai zusammen mit anderen prominenten Protestanten protestiert. Sie riefen 2013 zum zivilen Ungehorsam auf. Ihr Aufruf hieß „Occupy with love and peace“ – Besetzen in Liebe und Frieden.* Daraus entstand eine allgemeine Protestbewegung, die als Kennzeichen aufgespannte Regenschirme wählte. Gelegentlich sah man sie noch im vergangenen Jahr im Fernsehen.

Dass Benny Tai und seine Freunde überwiegend Christen sind, hängen sie nicht an die große Glocke. Doch wenn sie nach dem Grund für ihr gefährliches Engagement gefragt werden, machen sie daraus kein Geheimnis: Ja, es ist der christliche Glaube. Ihm verdanken sie die Vision einer gerechteren Welt. Er gibt ihnen die Kraft, auch gegen staatlich begangenes Unrecht anzugehen.

Eine Hand voll Christen organisiert diesen gewaltlosen Widerstand. Sie bieten dem „großen Tiger“ in Peking die Stirn. Sie können das tun, weil sie einen noch stärkeren Verbündeten auf ihrer Seite wissen – den Gott, den wir durch Jesus von Nazareth kennen gelernt haben.

Dieses Beispiel aus unserer Zeit macht deutlich, worum es im Neuen Testament geht. Für die Predigt heute ist ein Abschnitt aus dem Epheserbrief vorgeschlagen, der genau zu dem Bericht über diese Christen in Hongkong passt.
Für sich genommen klingen die wenigen Zeilen aus dem Brief sehr allgemein – sehr fromm, aber auch sehr fern. Aber dahinter steht auch damals eine ganz konkrete Situation, ein schwerer Konflikt: Für die Christen in Ephesus ist es ja noch nicht lange her, dass sie zum Glauben gefunden haben. Wahrscheinlich sind sie mit Begeisterung Christen geworden. Nun ist der Alltag eingekehrt und sie empfinden stärker als früher, dass der Glaube ihnen auch einiges zumutet. Zu viel – wie wohl manche meinen. Der Brief erinnert daran: Es ist ein großes Glück, zu Jesus Christus zu gehören. Aber dieses Glück hat seinen Preis.

 

[Den Predigttext Epheser 5, 8 – 14 vorlesen. (Mit zahlreichen Auslegern schlage ich vor, mit dem ganzen Vers 8 zu beginnen. Das überleitende Denn sollte dann weggelassen werden).]

 

II.           

Lebt als Kinder des Lichts! (V. 8b) Das ist das Anliegen, das in diesem Abschnitt mit Nachdruck vorgetragen wird: Euch ist ein großes Licht aufgegangen. Ihr lebt im Licht und nicht mehr in der Finsternis. Ihr gehört zum Licht. Also handelt auch dem entsprechend!

Ihr seid im Licht.
Wenn die nächtlichen Alpträume verscheucht sind.
Wenn die schwarzen Gedanken verflogen sind – die Angst vor Versagen und Verlassensein.
Wenn die dunklen Zeiten von Verlust und schwerer Krankheit vorüber sind.
Wenn der Himmel wieder blau ist und die Sonne scheint – dann vergessen wir schnell, wie wenig das selbstverständlich ist: Ihr seid im Licht. Vergesst das nicht!
Der Vers am Schluss unseres Bibelabschnittes erinnert daran. Er stammt vermutlich aus einem alten Tauflied: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“

Ihr Epheser habt euch taufen lassen. Ihr seid dem Weckruf gefolgt. Ihr habt euch von Christus erleuchten lassen. Das Alte ist für euch vergangen, es ist alles neu geworden. Was vorher war und was jetzt ist – das unterscheidet sich wie Wasser und Feuer, wie Schlafen und Wachen, wie Tod und Leben, wie Finsternis und Licht. Ihr seid Kinder des Lichts geworden und nun lebt auch danach!

 

III.         

Man kann es als tragisch bezeichnen, dass uns diese Erfahrung in der Regel ganz fern liegt. Wir erinnern uns nicht an unsere Taufe. Sie hat uns nie wirklich beeindruckt. Wir sind als Kinder getauft worden und das ist unendlich lange her.

Ja, wir sind getauft, aber das ist für uns nichts Besonderes. Es ist so normal, wie die Tatsache, dass wir in diesem und keinem anderen Lande aufgewachsen sind, unter Menschen, die dieselbe Sprache sprechen, die ähnliche Sitten und Gewohnheiten haben. Das ist einfach so.

Eltern lassen ihre Kleinkinder taufen. Sie machen es sich heute nicht immer leicht damit. Vielleicht ist es ihnen wichtig, dass ihre Kinder von Anfang an ausdrücklich zu der großen Familie Gottes gehören. Vielleicht wollen sie ihre Kinder taufen lassen, weil viele Kinder getauft sind oder weil die Großeltern darauf drängen.

Aber gerade so geht das Besondere, das Aufregende an der Taufe verloren. Wir sind immer schon getauft, wir kennen es gar nicht anders. Wir setzen uns damit nicht auseinander, es beschäftigt, es beunruhigt uns nicht. Wir haben kein klares Bewusstsein davon, dass wir getauft sind und dass sich damit etwas Grundlegendes in unserem Leben geändert hat: Wir sind Kinder des Lichtes, wir leben nicht mehr in der Finsternis. Also auch ich: Ich bin getauft. Ich habe einen Vater im Himmel. Ich habe einen großen Bruder - Jesus, der mich mit diesem Vater bekannt macht. Ich habe ein Zuhause. Mein Leben hat eine Perspektive.

Auch wer ungefragt als Kind getauft worden ist, findet in seinem Leben immer wieder Gelegenheiten, sich daran zu erinnern und neu daran anzuknüpfen. Manchmal sind es beglückende, manchmal auch sehr schmerzliche Anlässe. Wenn ich langsam abdrifte, so hält mich Gott bei der Stange. Er verschafft mir Anlässe, meine passive Mitgliedschaft als Christ zu überdenken, sie wiederzubeleben und etwas daraus zu machen.
Mir wird wieder bewusst: Hier ist mein Platz, auch wenn ich wenig, im Grunde gar nichts dafür getan habe. Hier ist wirklich alles hell und klar. Ich bin auch ein Kind des Lichts.

Lebt als Kinder des Lichts! Wenn wir schon einen Platz an der Sonne haben, dann lasst ihn uns auch nutzen! Wenn wir schon das große Privileg genießen, dann lasst uns auch das Beste daraus machen – für uns selbst und für Andere!

 

IV.         

Liebe Gemeinde, es ist uns durchaus bewusst, dass wir uns als Christen nicht einfach drauflos leben können. Man erwartet von uns bestimmte Standards, die wir beachten. Und das versuchen wir auch. Wir richten uns zum Beispiel nach den Zehn Geboten. Und wenn wir uns an ihren Wortlaut halten, gelingt uns das ja auch meistens recht und schlecht.
Wenn wir aber nach dem eigentlichen Sinn der Gebote fragen – der Absicht, die dahinter steht, so wie sie etwa Martin Luther erklärt, wenn er zu jedem Gebot die Frage stellt: Was ist das? – Wenn wir uns also nach dem tieferen Sinn der Gebote fragen, dann geraten wir schnell ins Schleudern. Dann merken wir, dass uns mit diesen Geboten einiges zugemutet wird. Mehr als wir eigentlich in unseren Glauben investieren wollen.

Wenn wir rechtschaffenen Leute sind, dann kann unsere Gesellschaft dafür nur dankbar sein.
Wenn wir auf Jesus hören, wenn wir ernst nehmen, was Paulus und Johannes und die anderen Apostel geschrieben haben, dann sollen wir doch mehr als nur anständige Bürger sein. Dann sollen wir nicht nur dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, sondern auch Gott, das was Gott gehört und was er von uns will (Mt 22,21).
Im Evangelium für diesen Sonntag sagt Jesus in der Bergpredigt: „Ihr seid das Licht der Welt!
Er sagt nicht: Es reicht, wenn ihr gute Straßenlaternen seid. Nein: Licht der Welt. Also Menschen, die diese Welt heller, freundlicher, hoffnungsvoller machen. Die sich nicht damit begnügen, dass der Betrieb einigermaßen geordnet weitergeht. Dafür würde es reichen, wenn man sich an einen Minimalkatalog für gutes Benehmen hält.

Interessanterweise gibt uns der Epheserbrief keine konkreten Anweisungen, jedenfalls nicht an dieser Stelle. Ganz allgemein stellt er fest: Wenn wir im göttlichen Licht leben, dann hat das von ganz alleine Folgen für unser Verhalten, nämlich „lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ (V. 9)
Was das konkret bedeutet, müssen wir selbst herausbekommen: „Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist“ – heißt es wörtlich. Dafür gibt es keine Vorschriften, dafür reichen die gegebenen Leitlinien.
Lasst euer Herz sprechen. Fragt euch, was würde Jesus tun? Und dann tut es auch!
Gott traut uns zu, selbst zu erkennen, was jetzt dran ist. Er hält uns für mündig. Und er sagt uns zu, dass sein guter Geist, der Geist Jesu Christi uns bewegen wird.

 

V.          

Das könnt ihr, sagt Gott. Und manchmal machen wir auch die Erfahrung, dass es uns im Konflikt gelingt, nicht unser vermeintlich gutes Recht einzuklagen, sondern über unsern Schatten zu springen und den Konflikt im Guten zu begraben.
Wir erleben, wie viele Menschen aus unserem Land sich selbstlos für die Flüchtlinge engagieren, die bei uns gestrandet sind. Wie viel Einfühlungsvermögen die Helfenden zeigen, wie viel Phantasie sie aufbringen, wie beharrlich sie sind. Das ist erstaunlich und bewundernswert. Es ist nicht zu übersehen, dass überdurchschnittlich viele von ihnen Christen sind.

Es ist gut, dass es neben den vielen kleinen Lichtern immer wieder auch die weit sichtbaren Leuchtfeuer gibt. Wir kennen zahlreiche solcher Vorbilder, auch aus unserer Zeit. Etwa den kürzlich verstorbenen Rupert Neudeck von der Organisation „Cap Anamur“.
Oder den Juristen Benny Tai aus Hongkong, von dem am Anfang die Rede war.
Oder die alleinerziehende Mutter von sechs Kindern, Sinina Adbena aus Ghana, die einen kleinen Laden aufmachte und eine ganze Bewegung ins Leben rief: Frauen erhalten günstige Kleinkredite. So können sie sich eine wirtschaftliche Existenz aufbauen – auch ohne ihre Männer. Mit kirchlicher Hilfe hat diese Hilfe zur Selbsthilfe einen beachtlichen Umfang angenommen.

 

* Gemeint ist die zeitweise friedliche Besetzung eines Finanz- und Verwaltungszentrums in Hongkong

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Wilhelm von der Recke
Gravelottestr. 72
28211 Bremen