Wer gibt, kann selig werden! – Predigt zu Markus 12,41-44 von Lucie Panzer
12,41-44

Wer gibt, kann selig werden! – Predigt zu Markus 12,41-44 von Lucie Panzer

Geben ist seliger als Nehmen! Mit dem Satz kann man sich motivieren, Gutes zu tun. Man kann damit sich und andere auch unter Druck setzen. Geben ist seliger als Nehmen! Wer gibt, ist besser als der, der nimmt. Also: Gib! Auf keinen Fall solltest du darauf angewiesen sein, zu nehmen.
Das Sprichwort kommt aus der Bibel. Jesus hat das gesagt und Paulus begründet damit, wie er sich verhält. In jeder Gemeinde, in die er als Missionar gekommen ist, hat er selber für seinen Lebensunterhalt gearbeitet. Niemand sollte ihm nachsagen, er hätte das nur für Geld getan und die anderen ausgenommen. Ich habe euch gegeben, was ich hatte, sagt er damit. Genommen habe ich nichts. Geben ist seliger als Nehmen!
Sind die also die besseren Menschen, die geben statt zu nehmen? Und die besten die, die am meisten geben? Die - so wie Paulus - sich aufopfern für die anderen und nichts dafür haben wollen? So könnte man das Sprichwort ja verstehen. Selig – fast schon ein Heiliger ist jeder und jede, die Opfer bringen. Erst recht, wenn es einem richtig schwer fällt, was man tut. Wenn man also nicht nur ein paar Euro irgendwo in einen Spendenkorb wirft, sondern so spendet, dass es richtig weh tut. Oder Aufgaben übernimmt, die sonst keiner machen will. Das macht selig. Selig klingt ja zunächst einmal, als ob man dafür in den Himmel kommt.
Generationen von Frauen haben sich damit schön geredet, dass sie alles für die Familie getan haben und sich aufgeopfert und kaum einen Dank dafür bekommen haben. Geben ist seliger als Nehmen! Ein Satz, mit dem man die Opferbereitschaft erhöhen und den Menschen das Geld aus der Tasche ziehen kann. Denn wer möchte nicht gern als ein guter Mensch dastehen!

Ich glaube, Jesus sieht das anders. Er schaut genau hin. Es wird folgende Geschichte von ihm erzählt, sie könnte so etwas wie ein Kommentar sein zu diesem Sprichwort vom Geben und Nehmen.

Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das ist ein Heller. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte. (Mk 12,41-44)

Zuerst einmal sieht Jesus die Reichen, die Wohlhabenden, würde ich lieber sagen. Bei den Reichen denkt man zu leicht bloß an die, die eine Yacht auf dem Mittelmeer haben, Millionen auf dem Konto und Wohnungen in St Moritz, Berlin, New York und Florida. Den Wohlhabenden also sieht Jesus zu. Die geben viel. Viele Wohlhabende geben viel. Das ist das erste, was Jesus sieht. Und das ist bis heute so. Gott sei Dank. Viele Wohlhabende engagieren sich großzügig als Stifter und Spender. Man muss da nicht nur an Bill Gates denken und an Mark Zuckerberg. Gut verdienende Fußballspieler stecken viel Geld in Projekte für bedürftige Kinder. Ein Fabrikant für Dübel und Schrauben errichtet eine Kunsthalle. In vielen Gemeinden gibt es Kirchenstiftungen, ohne die manche Gotteshäuser gar nicht erhalten werden könnten. Da kann man sich auch mit kleinen Beiträgen beteiligen.
Viele Wohlhabende engagieren sich für das Allgemeinwohl. Manchmal ganz im Stillen, aber oft steht es auch in der Zeitung, oder im Fernsehen wird darüber berichtet. Gutes tun ist gut für das Image. Und man kann es von der Steuer absetzen. Das ist überhaupt nicht ehrenrührig. Damals im Tempel war es genauso. Die Wohlhabenden sagten den Tempeldienern, was sie in die Opferstöcke einwarfen. Und das wurde dann laut ausgerufen. Tue Gutes und rede darüber. Warum nicht. Vielleicht spornt das andere an. 
Natürlich geben sie von ihrem Überfluss, die Wohlhabenden. Jesus weiß das und sieht das. Aber deshalb ist es ja nicht weniger wert! Vieles könnte nicht passieren ohne Fördervereine und Stiftungen, in denen sich Wohlhabende engagieren. Gut, dass es sie gibt, wahrscheinlich noch viel mehr, als öffentlich bekannt ist.
Für Jesus ist das anscheinend selbstverständlich, dass Menschen das tun. Die Starken können mehr schultern als die Schwachen, die Leistungsfähigen mehr als die Leistungsempfänger. Das Steuersystem funktioniert so und die Krankenkassen – und das ist gut so. Was ich habe, das habe ich bekommen. Ich habe auch dafür gearbeitet, gewiss: Aber das kann ich ja nur, weil ich gesund bin, Begabungen habe, eine gute Ausbildung, Talent, Fleiß, Disziplin. Gaben, die nicht jeder hat und nicht jede. Was ich habe, das habe ich geschenkt bekommen. Wer viel bekommen hat, der kann auch viel geben. So sieht Jesus das.
Und das ist genau genommen kein Opfer. Nichts, das den Wohlhabenden schwer fallen müsste. Denn: Geben macht selig! Selig – im griechischen ist das das Wort für „glücklich“. Geben macht glücklich. Wer gerne schenkt, kann das spüren. Die Freude, die mein Geschenk auslöst – die freut einen gewissermaßen zurück. Ich bin glücklich, wenn ich sehe, wie sich der andere freut. Wie es ihm gut tut, was ich für ihn getan habe. Und solche Freude ist nicht nur ein gutes Gefühl. Der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer sagt: Anderen zu helfen, ein ehrenamtliches Engagement für andere zum Beispiel, macht nicht nur glücklich, das macht sogar gesund. Der Einsatz für andere kann nämlich vorbeugen gegen Krankheiten wie Bluthochdruck, erhöhten Blutzucker oder zu hohe Blutfette. Sich für andere einzusetzen führt zu höherer Lebensqualität. Vielleicht muss man also eigentlich sagen: Wer glücklich werden will, der sollte für andere sorgen. Geben ist seliger als Nehmen. Geben macht glücklich. Und es muss ja nicht immer Geld sein, das man gibt. Man kann auch anderen zuhören, die Enkelkinder betreuen und so die Kinder entlasten, sich beim Seniorenkaffee einbringen, beim Besuchsdienst, oder mit Flüchtlingskindern Deutsch lernen. Es gibt viele Möglichkeiten. Und eigentlich alle, die sich irgendwo engagieren, sagen: Es tut mir gut, dass ich das kann. Geben macht selig!

Eigentlich komisch, dass es auch das andere gibt: Wohlhabende, die nichts geben wollen. Dass sie es nicht können, kann man ja nicht sagen. Ich habe mir erarbeitet was ich habe, sagen sie. Wieso sollen jetzt andere auf meine Kosten leben? Ich bin doch nicht Schuld, dass es anderen nicht so gut geht wie mir. Und ich kann mich nicht um das Elend der ganzen Welt kümmern. Außerdem: Wer weiß, was die Zukunft bringt. Ich muss vorsorgen, wer weiß, ob es mir morgen noch so gut geht wie heute. Dann fangen die Sorgen an. Die Sorgen um den eigenen Wohlstand. Wie kann ich mein Geld anlegen, dass es nicht an Wert verliert? Es gibt kaum noch Zinsen, Immobilien sind überteuert. Was also tun? Manche bringen ihr Geld in die Schweiz. Da kann ich es zwar nicht nutzen. Es ist sozusagen totes Kapital. Aber ich habe es! Bloß: Freuen kann man sich meistens nicht so richtig über das, was man hat. Wohlstand kann unruhig machen, wenn man ihn für sich behält. Geben dagegen macht selig.
Soviel zu den vielen Reichen, denen Jesus zuschaut, wie sie viel geben.

Aber dann kommt eine arme Witwe. Eine Frau, die eigentlich nichts geben kann. Sie hat nur das allernötigste. Solche Frauen verstecken sich in der Regel. Solche Männer meistens auch. Sie schämen sich, weil sie nichts haben. Wohlstand gilt als Zeichen der eigenen Tüchtigkeit. Wer nichts hat - war der oder die etwa zu bequem? Oder faul? Nicht clever genug? Wer nichts hat, hält sich möglichst im Hintergrund. Es soll ja keiner merken, wie es mir geht. Wer nichts hat, kann sich nicht beteiligen am Leben. Hat kein Geld für Urlaub, kein Geld für modische Kleidung, kein Geld für neue Zähne. Die Kinder können nicht in einen Sportverein, können nicht mithalten mit den anderen und ihren teuren Turnschuhen und den Smartphones. Wer nichts hat, tröstet sich mit billigem Fastfood, das ist ungesund und macht dick. Die Armen sind häufiger auch noch krank, weil sie sich aufgegeben haben und keine Vorsorge betreiben können. Man sieht es ihnen an, dass sie arm sind.
Die Witwe, die Jesus beobachtet, die ist anders. Sie will sich beteiligen. Sie will auch selig werden. Sie will spüren, wie gut das tut, wenn man für andere etwas gibt. Deshalb gibt sie, was sie kann: Zwei Scherflein. Das ist, was sie für einen Tag zum Leben bräuchte. Die Bibel erzählt: Das ist alles, was sie hat. Aber sie will beteiligt sein. Sie zeigt mit ihrer Spende: Dieser Tempel ist auch mein Tempel. Nicht bloß der Tempel der Wohlhabenden. Ich trage auch dazu bei, dass er unterhalten werden kann. (Was in den Gotteskasten eingelegt wurde war eine Art Kirchensteuer. Zu einem Teil für die Unterhaltung des Tempels und die Bezahlung der Priester und Angestellten. Ein anderer Teil war für die Armenfürsorge.) Es ist wenig, was sie beiträgt, aber sie trägt etwas bei. Sie hält sich nicht raus. Ihre Armut hat sie nicht passiv gemacht. Vielleicht ist sie sogar ein bisschen stolz, dass sie auch etwas geben kann. Ein bisschen glücklich. Selig eben.
Aber, sagen Sie jetzt vielleicht: Ist das nicht schlicht leichtsinnig und leichtfertig, was sie tut? Wie kann sie alles weggeben, was sie hat? Morgen wird sie womöglich betteln müssen – und für den Tempel haben ihre zwei Scherflein eigentlich doch gar nichts gebracht. Solche Sorgen macht die Frau sich anscheinend nicht. Sie denkt offensichtlich nicht an morgen. Die Sorgen um das Morgen sind es ja, die das Herz eng machen und geizig. Ich habe nichts abzugeben, ich muss sehen, wie ich selber durchkomme. So reden alle, die sich Sorgen machen. Und viele sehen gar nicht, wie gut es ihnen eigentlich geht. Sehen nur ihre Sorgen – und haben nichts übrig für die Hilfsbedürftigen. Kein Geld. Kein Mitgefühl. Keine Zeit.
Die Frau mit den zwei Scherflein macht sich offenbar keine Sorgen. Oder vielleicht doch? Aber das Geben ist ihr wichtiger. Dass sie sich freuen kann, weil sie sich beteiligt hat an einer guten Sache.
Wie kann sie das? Wie kann man so sorglos leben? Ich weiß es nicht. Ich kann nur vermuten. Ich glaube, sie vertraut auf Gott. Er hat sie bisher versorgt. Nicht mit viel – aber immerhin hat es immer zum Leben gereicht. Sie hat erfahren, dass es immer gereicht hat. Vielleicht auch, dass zur rechten Zeit Hilfe kam. Wer geben kann, der kann auch Hilfe annehmen, glaube ich. Leichter als der, der immer meint: Ich brauche nichts und niemanden. Die arme Witwe kannte wahrscheinlich das Gefühl schon, dass man aus eigener Kraft nicht mehr weiter kann. Und doch ging es irgendwie. Vielleicht, weil zur rechten Zeit jemand da war, der geholfen hat. Diese Erfahrung haben die nicht, die immer für sich selber sorgen können. Die meinen, sie müssen immer für sich selber sorgen, weil es ja sonst niemand tut. Die deshalb alles, was übrig ist, auf die hohe Kante legen. Die deshalb nie Hilfe brauchen. Die auch keine Hilfe wollen. Die haben diese Erfahrung nicht: Wenn es darauf ankommt, wird mir Gott Hilfe schicken. Das ist ja eigentlich traurig. Wo die Menschen für sich selber sorgen können, da gibt es keine Hilfe für die Bedürftigen. Aber auch kein Vertrauen in die Zukunft. Menschen sind eigenartig…
Die arme Witwe, die Jesus beobachtet, die ist anders. Sie gibt, weil sie etwas geben kann. Und weil sie mithelfen möchte, dass das soziale Gefüge ihrer Welt intakt bleibt. Dass es Hilfe gibt, wo Hilfe gebraucht wird.

Ob ich nun wirklich den Armen raten will, alles herzugeben? Die arme Witwe von damals als Vorbild?
Nein, das will ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass Jesus das wollte. Er hat ja auch nicht gesagt, die arme Frau sei der bessere Mensch und die Wohlhabenden irgendwie schlecht, weil sie nicht mehr geben. Er hat beobachtet. Und darauf hingewiesen, was selig macht.
Ich nehme die Frau deshalb zuerst einmal als Vorbild für mich. Ich bin nicht arm. Wahrscheinlich näher bei den Wohlhabenden dort im Tempel als bei der armen Witwe. Aber von der Frau lerne ich: Geben tut gut. Geben macht Freude. Geben macht stolz. Wer geben kann, kann sich aufrichten. Und es muss ja nicht Geld sein. Ich kann auch Zeit geben, Mitgefühl, Fürsorge, Arbeitskraft. Wer gibt, kann wahrscheinlich auch leichter nehmen, wenn es nötig ist.
Das alles lerne ich von jeder armen Witwe. Und vielleicht finden auch Sie sich wieder in dieser Geschichte. Mehr bei ihr – oder mehr bei den Wohlhabenden. Jesus sieht beide.
Amen