Wie lange noch? - Predigt zu Jakobus 5,7-11 von Christian Stasch
5,7-11

Wie lange noch? - Predigt zu Jakobus 5,7-11 von Christian Stasch

Liebe Gemeinde!

Ich höre diese Bibelworte aus dem Brief des Jakobus: „Seid nun geduldig.“ Und ich blättere etwas in meinem inneren Familienalbum. Drei Bilder:

Meine Großmutter. Sie hat ihren Mann 1944 zum letzten Mal gesehen. Da war sie 39 Jahre alt. Das nächste, was sie über ihn hörte: Vermisst. In Rumänien. Weitere Informationen gab es nicht. Nur: Vermisst. Mein Bruder und ich haben sie später oft gefragt:  „Du bist so allein. Willst du nicht nochmal wen heiraten?“ Und sie sagte, bis ins hohe Alter, immer das gleiche: „Nein, vielleicht kommt er ja eines Tages wieder.“

Mein Vater.  Da ging Zeit drauf, wenn ich mit einem Zettel aus der Schule kam und mein Vater musste am Abend nur den Satz unterschreiben: „Die Einladung zum Elternabend der Klasse 6 b habe ich zur Kenntnis genommen“, und er das dann, wie ich fand, unnötig in die Länge zog. Er nahm mir das Blatt mit den Worten, „Immer schön langsam“ aus der Hand, studierte es lange und mehrmals. Ich wurde ungeduldig.  Erst am nächsten Morgen hatte ich dann die Unterschrift.

Mein Sohn: Als Kind hat er eine Redewendung kreiert. Er hatte sich irgendwann angewöhnt, auf alle möglichen Bitten sofort zu antworten: „Ja, warte kurz“. Große Bitten , kleine Bitten, egal. Kannst du mir helfen, das Sofa zu verrücken - Ja, warte kurz. Gibst du mir mal bitte die Erdbeermarmelade rüber - Ja, warte kurz. Oft hatte der Satz gar keine aufschiebende Wirkung mehr, er wurde eher automatisch und beiläufig gemurmelt, und zwar in zunehmendem Tempo. Aus „Warte kurz“ wurde im Laufe der Zeit „Wadde kurz“ – und alle Geschwister machten mit.

Vielleicht kommt er ja wieder. Immer schön langsam. Wadde kurz. Einige alte und frische Prägungen meines Lebens. Insgesamt bin ich nicht besonders (!) geduldig und auch nicht besonders (!) ungeduldig. Mal so, mal so. Weder Fels in der Brandung noch nervöser Pinsel. Irgendwas dazwischen. Das geht Ihnen vielleicht ähnlich.

Nun leben wir aber seit neun Monaten in einer Dauergeduldsprobe: Corona hat dazu geführt, dass sich alles verlangsamt, verschoben wird, ausfällt, umgeplant werden muss. Aus „Wadde kurz“, was ja noch ginge, wird ein schier endloses Warten, die Geduld wird auf eine harte Probe gestellt. Warten auf den Impfstoff. Vielleicht kommt er ja wirklich bald. Aber ist das Warten auf Normalität dann schon zu Ende?

Frank Walter Steinmeier sprach Ende Oktober davon, dass der erneute Teil-Lockdown Belastung und neues Verzichten mit sich bringe. Aber, so sagte er dann: "Trotzdem rate ich uns allen dazu, nicht zu resignieren und vor allen Dingen nicht die Geduld zu verlieren." Hier klingt der evangelisch-reformierte Bundespräsident ganz ähnlich wie Jakobus.

Kopf hoch, nicht aufgeben, lasst euch nicht unterkriegen. So seid nun geduldig.

Ich schaue mit Ihnen auf die damalige Geduldsprobe zur Zeit des Jakobus. Und danach auf unsere heutige.

Jakobus, der Briefschreiber, wird sich ausgekannt haben über Geduld und Ungeduld in der Bibel. Er kannte die Geschichten von der Wüstenwanderung Israels. Dass es 40 Jahre werden würde, wusste keiner. Aber zwischendurch riss dem Volk der Geduldsfaden: „Wie lange soll das noch dauern? Wären wir mal lieber in Ägypten geblieben.“

Jakobus kannte die Propheten und den Hiob, allesamt Menschen, die einen langen Atem hatten, Widerstandskräfte, Geduld. „Der Herr hat´s gegeben, der Herr hat´s genommen.“

Und natürlich weiß Jakobus auch über Jesus gut Bescheid. Dass Jesus schon einmal gekommen war,  geboren, aufgewachsen, und dass er Menschen gesucht und besucht hatte, auch die, die sonst wenig Besuch bekamen. Hat sich ihnen geduldig zugewandt; in Gleichnissen von Gott gesprochen,  Menschen gesund gemacht; aber auch seine Meinung vertreten; nicht nur Ja und Amen gesagt. Mit den Händlern im Tempel z.B. hatte Jesus gar keine Geduld. Er hat Menschen beigebracht, wie man beten kann, ruhig auch mal hartnäckig und ungeduldig. Viele fanden ihn faszinierend, manche änderten ihr Leben, einige wenige folgten ihm nach. Doch er wurde verhaftet, verurteilt, getötet. Jakobus weiß auch, dass es Ostern gab, den Osterglauben: „Christ ist erstanden“. Nicht tot zu kriegen. Und Jakobus glaubt fest daran, dass Jesus nach seiner Himmelfahrt nicht auf ewig im Himmel bleibt sondern wiederkommt. „Seid nun geduldig, liebe Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn.“

Das „Kommen“ des Herrn (Jesus) ist der Hauptinhalt der Adventssonntage.

Aber: Wie lange dauert das denn noch?

Darüber bestand schon zur Zeit des Jakobus Uneinigkeit. Eigentlich dachte man, das geht ganz schnell. Aber nun zog es sich schon über Jahrzehnte hin. „Wo bleibst du, Trost, der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt?“ Jakobus appelliert an die Geduld. Jesus wird wieder kommen, er ist ganz nah, steht quasi schon vor der Tür.

Wann kommt Jesus wieder? Ich habe dazu im Internet die Andacht eines jungen, frommen Mannes  gefunden. Er sagt, in der Zeit kurz nach Jesus sei das schon hart gewesen, denn damals hätten die Leute auf Jesu Wiederkunft gewartet und gewartet und nichts sei passiert. Heute aber hätten wir es viel besser, denn Jesus komme nun wirklich bald. Und es würde jetzt nicht mehr lange dauern. Die Menschen damals waren also von Jesu Wiederkommen sehr weit entfernt, wir nicht. Das Meiste an Wartezeit ist inzwischen geschafft.

Ich zerbreche mir den Kopf darüber nicht. Kommt er wieder? Oder nicht? Und wann? Und wie? Denn für mich ist Jesus eh nicht „weg“, sondern er ist „da“. Hier und heute. Mitten unter uns – denn wir  sind ja in seinem Namen versammelt. Und bei uns, „bis ans Ende der Welt“.

Soviel zu Jakobus, der zur Geduld aufruft. Geduld, das Megathema unserer Tage. Wie lange dauert es noch? Wann können wir wieder alle Plätze in der Kirche besetzen. Wann können wir wieder singen? Wie lange dauert es noch? Wann können sich Großeltern und Enkel wieder unbeschwert besuchen, wann junge Leute wieder feiern gehen? Wann können wir  einander wieder die Hand geben, uns umarmen? Ins Konzert gehen, ins Museum, ins Restaurant. Wie lange noch auf all das verzichten?

Manche fordern deshalb: „Schluss damit. Schluss mit den Einschränkungen. Mit den Verboten. Mit den Eingriffen in die persönliche Freiheit.“ Das sind die, die gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen. Sie könnten wütend auf das Virus sein, aber ihre Wut richtet sich gegen die Politik und die Viren-Experten. Ich teile die Ansicht der Demonstrierenden nicht. Ich bin froh, dass wir Wissenschaftlerinnen und Politiker haben, die sich jeden Tag dafür einsetzen, unser Land durch diese Krise zu steuern. Und dass es in der Regierung keine „Corona-Leugner“ gibt.

Was ich aber nachvollziehen kann: Dass einem die Geduld mit der Zeit abhandenkommt.

Kann Geduld gestärkt werden?

Es gibt Verkehrsampeln, da ist eine Sekundenanzeige drunter montiert. Ich weiß dann genau, in 18, 17, 16 Sekunden (Countdown) springt die Ampel wieder auf grün und mein Warten hat ein Ende. Der Adventskalender mit seinen 24 Türchen hat eine ähnlich Funktion: den Zeitraum klar markieren, das Warten bis zum Weihnachtsfest erleichtern und versüßen. Leider geht das bei Corona nicht. Weil es ein unbefristetes Warten ist. Und jeder, der sagt: „Spätestens im Februar sind wir über den Berg“, verbreitet damit falsche Hoffnungen. Wir wissen nicht, wie lange wir noch geduldig sein müssen.

Was mir hilft in dieser Krise: mich mit anderen auszutauschen, reden, telefonieren, schreiben. Wie läuft es bei dir? Kann ich dir helfen? Trotz Kontaktbeschränkung wird mir klar: Ich bin nicht allein. Wir stärken und ermutigen uns gegenseitig. Tun, was wir können.

Nicht von Kontaktbeschränkung betroffen ist der Kontakt zu Gott. Das Beten, Klagen, Flehen, nicht weiter wissen, das Herz ausschütten, ehrlich sein, sich die eigene Ungeduld bewusst machen. „Gott, das Warten fällt so schwer!“ Und ich weiß: Viele beten so. Wir sind nicht allein.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pastor Christian Stasch: 

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Gottesdienst mit coronabedingt reduzierter Teilnahmerzahl. Kleine niedersächsische Dorf-gemeinde. Ich habe Gemeindeglieder vor Augen, die mir nach Predigten oft kurze Rückmeldun-gen zu lebensnahen (nie exegetisch-dogmatischen) Aussagen der Predigt geben.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Stichwort „geduldig“ im Predigttext war der Schlüssel, der alles andere eröffnet und befördert hat.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Mir ist aufgegangen, dass im Predigttext zwar eindeutig zu Geduld aufgerufen wird, die Lage aber gesamtbiblisch schillernder ist: auch Ungeduld kann ihren berechtigten Platz haben. Das kommt meinem eigenen Seelenleben nahe: Die Geduld und die Un-geduld sind zwei Stimmen des inneren Teams.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich habe nichts überarbeitet. Das soll nicht abschätzig oder tollkühn wirken. Ein Todes-fall in der Familie sorgte für andere Schwerpunktsetzungen. Die Rückmeldungen des Predigtcoaches waren dennoch in hohem Maße einfühlend, klug und hilfreich, auch sprachwitzig. Großes Dankeschön dafür! Das Nicht-Überarbeiten war mit ihm abgespro-chen.

 

Perikope
Datum 06.12.2020
Bibelbuch: Jakobus
Kapitel / Verse: 5,7-11