Wie Paulus Eulen nach Athen trug - Predigt zu Apostelgeschichte 17,22-28a von Wolfgang Gerts
17,22-28

Vorbemerkung: Der Sonntag Jubilate ist ein beliebter Konfirmationssonntag. Die Predigt stellt Vergleichsmomente zwischen der Rede des Paulus auf dem Areopag einerseits und den Bekenntnissen der Konfirmanden bei ihrer Konfirmation andererseits her. Verwendbar ist sie mit oder ohne Konfirmation; doch der Autor empfiehlt eine Bearbeitung durch Einarbeitung örtlicher Bezüge zur eigenen Gemeindesituation.

Wie Paulus Eulen nach Athen trug

Liebe Gemeinde,

heute werden landauf landab junge Menschen zu mündigen Christen (ggf. Hinweis auf die eigene Gemeinde). Sie legen am Tage ihrer Konfirmation ihr Glaubensbekenntnis ab. Viele das gute Bekenntnis, das wir alle gelernt haben, und das in keinem unserer Gottesdienste fehlt. Viele aber auch ein eigenes, während des Unterrichtes oder während einer Konfirmandenfreizeit unter großer Anstrengung und mit Zittern und Zagen selbst formuliert. Da wird manche Gemeinde aufmerksam den manchmal sehr schüchtern vorgetragenen Worten lauschen, und Eltern werden sehr stolz sein auf ihre Kinder. Sie selbst mussten das nicht so, sie mussten nur viel mehr auswendig lernen als ihre Kinder. Recht haben sie, wir sollten diese jungen Bekenntnisse und die, die sie vortragen, sehr schätzen.

Da sind wir gleich bei Paulus auf dem Areopag angekommen. Man merkt es den Worten, die wir in der Bibel lesen, nicht so an, aber ich glaube, auch er musste seinen ganzen Mut zusammen nehmen. Man kann ihn ohnehin schon wegen seiner unablässigen Missionsreisen bewundern. Er hat die Brücke zwischen Israel und Europa geschlagen und das Christentum hergebracht. Aber seine Besuche gingen doch sonst eher sehr unauffällig ab und unter wenig erregenden Bedingungen. In der Regel suchte er sich eine jüdische Synagoge, und er predigte vor Glaubensgenossen. Wenn es hoch kam, waren auch Neugierige dabei, die sich mit der fremden Religion befassten. Aber alles war „kein großer Aufstand“. Der christliche Glaube zog eher leise einher.

Hier in Athen war das ganz anders! – Keine schützenden Wände einer Synagoge, keine Glaubensgenossen! Hier wehte ein anderer Wind.

Der Areopag unterhalb der Akropolis! Eine uralte Gerichtsstätte, von den Göttern begründet, heiliger Boden! Ich muss gestehen, auch ich habe ihn einmal besuchen dürfen, und es überkamen mich Schauer, an dieser Jahrtausende alten historischen Stätte zu stehen, wo Jahrhunderte über Menschenleben entschieden wurde. Athen, Stadt der griechischen Götter, Weltstadt der Antike, Ort der Philosophie und der höchsten Geisteswissenschaften, Medizin, Mathematik, Physik, Rechte, die immer noch in unsere eigene Kultur hineinwirken. Man muss kein Gläubiger sein, um diesen Ort als einen heiligen Ort zu empfinden.

Die Kehrseite. Athen, schon seit 180 Jahren unter den fremden römischen Herrschern. Tief gedemütigt. Bedeutungslos geworden wie ein betagter Greis. Nur noch alte Scherben statt imposanter Götterdramen. Die Menschen dort werden gelitten haben unter dieser Demütigung. Aber neugierig, wissensbegierig und durstig nach neuen Hoffnungen, das waren sie noch immer. Wenn jemand sich mit weisen Gedanken und Worten an kluge Leute heranwagt, die das eigentlich nicht nötig hätten, nennt man das „Eulen nach Athen tragen“. Ein altes Sprichwort. Wie kann man große Weisheit zu den Weisen bringen? – Genau das aber tat Paulus. Und auch mit einem Glaubensbekenntnis. Wie sollte ihm da nicht die Knie gezittert haben? Schauen wir uns die Eulen mal an, die Paulus nach Athen trug.

Paulus knüpft an ein Bildnis an, das er in einer Athener Straße gesehen hat, vielleicht einen kleinen Steinaltar. Da wird „die unbekannte Gottheit“ verehrt. Wohl Folge eines alten Aberglaubens, dass es nicht gut ist, einen mächtigen Gott zu übersehen oder zu missachten. Als er später auf dem Areopag auf einen Hocker steigt und seine Rede beginnt, knüpft er an diese Beobachtung an. Offenbar nehmen es die Athener ihm nicht übel. Er darf seine Predigt entfalten, und die ist eine der ersten zusammenhängenden Darstellungen christlicher Lehre, die wir besitzen.

Er beschreibt den unbekannten Gott als den Schöpfer des Himmels und der Erde. Wie vertraut uns das doch ist. Er spricht auch von der Erschaffung des Menschen und von ihrem Sinn. Er erzählt vom Lebensraum und den Grenzen, die Gott den Menschen gesetzt hat, um die Erde zu bewohnen. Er spricht von der Nähe Gottes zu den Menschen. Ganz neue Töne für die Athener, die sich seit 180 Jahren von allen Göttern verlassen fühlen. Und dann ein großer, großer und doch ganz einfacher Satz: Wir sind seines Geschlechtes. In ihm leben und weben und sind wir. Von einem Gott, der aus seinem Olymp zu den Menschen herabsteigt, um ihnen nahe, ja stets bei ihnen zu sein, haben die Athener bei allen klugen Philosophien, Dramen und Wissenschaften erst recht noch nie etwas gehört. Ich stelle mir vor, wie der erst zaghafte kleine Paulus innerlich an Größe gewinnt. Er hat den richtigen Ton für diese Menschen getroffen, überzeugt, aber nicht überheblich. Sie sind stehen geblieben. Sie laufen nicht weg. Sie wollen hören, was da noch kommt. Und dann spricht er von Jesus Christus. Auch von Umkehr und von Auferstehung. Das Thema, an dem sich immer die Geister scheiden. Er weiß das. Die Vorbereitung war schon brillant, aber jetzt kommt er zur Sache. Am Ende wird berichtet, dass auch genau über diese Frage sich die Menschen in Athen scheiden werden. Und es klingt von ferne zu uns herüber, wie Paulus in seinen Briefen sich ereifert: Ohne die Auferstehung sind wir nur getäuschte Narren und die ärmsten von allen Menschen. Ohne die Auferweckung Christi und die Auferstehung der Toten ist das alles nichts wert. Allein, dass es genau an diesem Punkt selbst hier in Athen, genauso wie brieflich in Rom oder Korinth zur entscheidenden Frage kommt, zeigt sich, dass dieser Erzähler der Apostelgeschichte wirklich von Paulus spricht und ihn uns nacherleben lässt. Doch ist das für uns nicht längst alt und Tradition? Für die Menschen in Athen, die seit Generationen nur darauf warten, dass endlich etwas geschieht, das die Welt verändert, die Beschämung und Bedrückung durch Besatzer aufhebt, etwas unvorstellbar Neues, kaum Begreifliches, ist das neu. Paulus hält sich an die Regeln: Es bleibt „der unbekannte Gott“, von dem er spricht. Er gibt ihm keine Eigennamen, wie auch ganz Israel das ja nie getan hat. Und damit hat er eine Brücke geschlagen, die trägt. Eulen nach Athen getragen, die ankommen und willkommen sind.

Liebe Gemeinde, ich weiß, es ist unmöglich, zwischen dieser weit, weit fernen Situation und uns hier in unserer Gemeinde einfach Vergleiche anzustellen. Das sollte verboten sein. So etwas kann doch nicht gut gehen. Ich weiß, ich weiß. Und doch, einen stelle ich nicht an. Er drängt sich mir auf. Ich kann nicht dagegen ankommen.

Paulus setzt einen Zukunftsgedanken. Er – Gott – wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit. Mit anderen Worten: Er wird allen Menschen Recht schaffen. Lassen wir das ganze wie und was weg: DASS Gott die Welt nicht so enden lässt, wie sie sich entwickelt; DASS Gott eingreift und eingreifen wird. Für alle, die unter Unrecht und Unterdrückung, unter Miss- und Verachtung leiden, die gedemütigt werden, weil ihnen das, was sie zu einem einfachen Leben brauchen, vorenthalten wird, auch für Athener, die nicht mehr als Sklaven Roms mehr sind, ist das ein Signal. Dieser Gott ist uns Menschen nicht nur nah. Er steht auch ein für unser Recht. Für uns. Für mich.

Ein kleiner wichtiger Gedanke mehr bei Paulus, als ein schön sortiertes braves christliches Lehrgebäude. Etwas Zündstoff!

Da muss ich an Andrea denken, die in ihrem Glaubensbekenntnis geschrieben hat: „Ich glaube an das Reich Gottes, in dem die Menschen derart zur Liebe fähig sind, dass sie die neue Schöpfung bewahren werden.

Oder an Vanessa. Sie sagte:  Und als letztes, die für mich wichtigste Erkenntnis ist, dass selbst Gott stärker ist als der Tod und uns auch in dieser vielleicht schweren Zeit nicht alleine lässt und zu uns steht und vielleicht holt er uns ja sogar zu sich!

Schließlich Worten von Alissa: Du bist die Luft, die wir zum Atmen brauchen, das Wasser, das wir zum Überleben brauchen, und die Liebe, ohne die wir nicht leben können.

Die mutige Rede des Paulus auf dem Areopag war vielleicht der Durchbruch. Das, was wir in diesem Gottesdienst hier und anderswo erleben dürfen, ist bei allen fernen Unterschieden eine klare Fortsetzung: Gott kommt zu uns, aus dem fernen namenlosen Gott ist einer geworden, der uns nah ist, der mit uns mitgeht.

Paulus hat eine tiefe Sehnsucht der Menschen in Athen angesprochen und neu geweckt. Wir kennen es auch. Da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott, nach dir, dich zu sehn, dir nah zu sein. Es ist ein Sehnen ist ein Durst nach Glück, nach Liebe, wie nur du sie gibst.

Dieses Sehnen ist nicht vergeblich. Mein Dank an Paulus, unser Dank an junge Menschen in unserer Gemeinde, die unser Sehnen teilen, es wachhalten und mit uns den Weg auf das Reich der Gerechtigkeit zu in Gott beschreiten.

Der Friede Gottes…. Amen

Der Liedvorschlag ergibt sich aus der Predigt:

There is a longing (Da wohnt ein Sehnen)

Unter anderem in: Lebensweisen (Beiheft 05 zum Evangelischen Gesangbuch, Ausgabe Niedersachsen-Bremen) Nr. 19