Wie soll es weitergehen? - Predigt zu 2. Korinther 13,11-13 von Florian Wilk
13,11-13

„Wie soll es weitergehen?“

Liebe Gemeinde!

Was nun? Es gibt Situationen im menschlichen Zusammen­leben, da stellt sich diese Frage. Oft genug erweist es sich als ziemlich kompliziert: Missverständnisse, Entfremdungsprozesse, Zerwürfnisse. Zaghafte, bisweilen hilflose Verständigungsbemühungen laufen ins Leere – wir kennen das …
Und dann fragt sich, wie es weitergehen soll.
Auch der Apostel Paulus hat sich das, wie seine Briefe zeigen, öfter fragen müssen. Wiederholt sah er sich Konflikten ausgesetzt, die kaum lösbar schienen.

Er sollte ja die frohe Botschaft in die Völkerwelt tragen. Petrus und andere übernahmen diese Aufgabe im jüdischen Volk; er wusste sich von Gott zu den Nichtjuden gesandt. So zog er im Mittelmeerraum umher, um Griechen, Römer und andere für Christus zu gewinnen. „Lasst euch versöhnen mit Gott!“, verkündete er – und hatte Erfolg. Immer wieder fand seine Predigt Gehör. Und mancherorts entstanden Gemeinschaften von Christusgläubigen: zuerst in der heutigen Türkei, wo er auf Geheiß seiner langjährigen Heimatgemeinde tätig war; später, als er selbständig missionierte, auch auf griechischem Boden. Bald reichte das Netzwerk seiner Gemeinden bis nach Korinth.

Mit der Gründung einer Gemeinde war es freilich nicht getan. Sie sollte wachsen und gedeihen, musste gehegt und gepflegt werden; auch dafür trug Paulus die Verantwortung. Gerade wenn er nicht vor Ort war, durfte die Beziehung zu ihm nicht abreißen. Glücklicherweise war er findig: Er schulte Menschen, die mit ihm zusammenarbeiteten, schrieb Briefe, die offene Fragen klärten, schickte Boten, die seine Weisungen erläuterten; hin und wieder kam er dann selbst zu Besuch.

Dennoch konnte er nicht verhindern, dass sich Probleme ergaben. In Korinth passierte das gleich mehrfach. Einige verglichen ihn mit anderen Aposteln, die einen gelehrteren Eindruck machten, und fraktionierten dadurch die Gemeinde. Manche hörten seine biblisch fundierten Weisungen mit Ohren, die eher Griechisches gewöhnt waren, und verfremdeten so ihren Sinn. Etliche maßen ihn an seinen eindrücklichen Briefen und waren daraufhin von seinem persönlichen Auftreten enttäuscht. Viele störten sich daran, dass er seine Reisepläne mehrfach änderte, und hielten ihn für unzuverlässig. Befremdlich wirkte auch, dass er zunächst jedes Ansinnen, ihn finanziell zu unterstützen, zurückwies – dann aber alle Gemeindeglieder aufrief, ihm Spenden für die Gemeinde im fernen Jerusalem anzuvertrauen.

Und dann traten mehrere Jahre nach der Gemeindegründung auch noch Konkurrenten auf. Sie wussten die Gläubigen in Korinth zu beeindrucken: Empfehlungsbriefe, Erinnerungen an den großen Mose, ekstatische Erlebnisse, kühnes Auftreten – Vieles sprach für sie und ließ sie Paulus und seinen Gehilfen überlegen erscheinen. Die Gemeinde war drauf und dran, sich von ihm abzuwenden. Entsprechend nachdrücklich versuchte er, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen, und schrieb einen langen Brief: den zweiten Korintherbrief. In ihm zieht Paulus, unterstützt von seinem Mitarbeiter Timo­theus, alle Register: Er bittet und erklärt, mahnt und argumentiert, lobt und tadelt, schimpft und ironisiert – immer in der Absicht, das wechselseitige Verstehen zu befördern. Letztlich eine einzige lange Werbeschrift: dafür, dass die Gemeinde und ihr Apostel beisammen bleiben. Gegen Ende kündigt er den lange erhofften, mehrfach verschobenen Besuch an. Und dann kommt er zum Schluss.

Der gerät nun freilich überraschend kurz und umfasst gerade einmal vier Sätze. Diese Sätze bilden den Predigttext, der für heute vorgesehen ist; sie lauten:
„11 Im Übrigen, Geschwister: Freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch zureden, seid eines Sinnes, haltet Frieden; und der Gott der Liebe und des Friedens wird mit euch sein. 12 Grüßt einander mit dem heiligen Kuss! Es grüßen euch alle Heiligen. 13 Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes (seien) mit euch allen.“

Was nun? Wie kann es weitergehen? Diese Fragen sucht Paulus mit seinem Brief zu beantworten. Und der Briefschluss zeigt, unter welchem Vorzeichen, in welchem Geist und auf welchem Weg er nach einer Lösung des Konflikts sucht. Vor allem nimmt er sich selbst zurück und nennt die Adressaten „Geschwister“. Der Brief als ganzer lässt keinen Zweifel daran, dass Paulus sich als Vater der Gemeinde begreift, dem sie besonders verpflichtet ist. Doch am Ende pocht er nicht auf seine Autorität. Vielmehr erinnert er daran, was ihm und den Korinthern gemeinsam ist: die Erwählung zur Gotteskindschaft, die sie und ihn zu Geschwistern gemacht hat.

Eben deshalb kann er seinen Schlussappell mit dem Ruf „Freut euch!“ eröffnen. Das klingt zwar zunächst merkwürdig. Welchen Anlass zur Freude bietet denn die verfahrene Konfliktlage? Und ist es überhaupt sinnvoll, jemanden zur Freude aufzufordern? Aber im Zusammenhang des Briefes hat der Aufruf seinen tiefen Sinn. Denn Freude entsteht nach Paulus dort, wo beide Seiten vor Gott einander wahrnehmen – und erkennen, was sie aneinander haben: ein Gegenüber, von Gott bereitet.

Die nächsten beiden Wendungen widersprechen dem nur scheinbar. „Lasst euch zurechtbringen, lasst euch zureden!“ – da könnte man natürlich einen reichlich selbstgewissen Ton heraushören; als ob der Apostel doch nichts anderes verlangte, als dass die Adressaten ihm endlich Recht gäben. Die Formulierung ist jedoch sorgsam gewählt. Denn Menschen wirklich zurechtbringen, ihnen so zureden, dass es zu Herzen geht, das vermag alleine Gott – so, wie Jesus Christus uns Gott erschlossen hat: als „Vater des Erbarmens und Gott allen Zuspruchs“ (2Kor 1,3), sei er nun tröstend oder mahnend. Und so bittet Paulus die Korinther am Ende ihres Streitgesprächs darum, sich für solch einen Zuspruch vonseiten Gottes zu öffnen.

Wenn es weiter heißt: „Seid eines Sinnes, haltet Frieden!“, so verweist dies auf die Notwendigkeit, auch die Zwistigkeiten innerhalb der Gemeinde beizulegen. Nach Meinung des Paulus tragen sie erheblich zu dem Konflikt zwischen den Korinthern und ihm bei. Gewiss lässt ein äußerer Gegner bisweilen interne Streitereien vergessen. Doch echte Verständigung mit einem Gegenüber kann nur gelingen, wenn man – als Gruppe oder als Individuum – auch mit sich selber im Reinen ist.

Die folgende Beistandszusage erinnert dann an das bewegende Moment aller Verständigungsbemühungen: „Und der Gott der Liebe und des Friedens wird mit euch sein.“ Dabei entspricht der Gedankengang des Paulus dem Gotteswort, das einst, wie die Bibel erzählt, dem Erzvater Isaak zuteil wurde: „Als Fremder wohne in diesem Land, und ich werde mit dir sein …“ (Gen 26,3). Wann immer Menschen Gottes Ruf und Weisung folgen, dürfen sie dieser Zusage trauen: „Ich werde mit dir sein“; in jedem Fall dann, wenn es um den Frieden geht.

Mit der Bitte, einander zu grüßen und die Grüße „aller Heiligen“ entgegenzunehmen, stellt Paulus sein Schlusswort zudem in einen ökumenischen Horizont. Sein Konflikt mit den Korinthern ist keine Privatangelegenheit, sondern vollzieht sich innerhalb der Gemeinschaft aller Christusgläubigen. Das lässt eine Verständigung umso dringlicher erscheinen, aber auch umso eher möglich.

Am Ende aber steht der Segenswunsch: „Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes seien mit euch allen.“ In keinem anderen Brief gerät er so ausführlich. Gerade die Korinther, die ihm so viel Mühe bereiten, vertraut Paulus mit großem Nachdruck dem Wirken Gottes an. Denn eben darin wurzelt seine Hoffnung auf Verständigung: dass Gott der Gemeinde nicht anders als ihm selbst mit Gnade und Liebe begegnet – und sich mit beiden so verbindet, dass auch die Gemeinschaft zwischen ihnen Bestand hat.

Wie also kann es weitergehen? Im geschwisterlichen Vertrauen auf den Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

Perikope
15.06.2014
13,11-13