Wie soll ich dich empfangen? - Predigt zu Lukas 3,1-14 von Tanja Schmidt
3,1-14

Wie soll ich dich empfangen? - Predigt zu Lukas 3,1-14 von Tanja Schmidt

Liebe Gemeinde,

was tun Sie, wenn Sie liebe Gäste erwarten? Das Haus gründlich von oben bis unten putzen? Oder reicht es ihnen, einmal kurz durch zu saugen? Kochen Sie etwas Besonderes? Oder darf es auch etwas Schnelles und Bequemes sein? Welchen Aufwand Sie betreiben, hängt sicher auch von dem Gast ab, der da bald kommt.

Wie soll ich dich empfangen? Diese Frage stellt auch ein berühmtes Adventslied von Paul Gerhard. Wir werden es nachher singen. Auch in diesem Lied wird die Frage gestellt, was für Gastgeber wir sind. Der, den wir erwarten, ist in diesem Lied Jesus Christus. Welchen Empfang bereiten wir dem kommenden Herrn?

Wie sollen wir ihn empfangen? Auf diese Frage antwortet unser heutiger Predigttext.
(Verlesen des Predigttextes Lk 3,1-14)

Unser Predigttext nimmt uns mit in die Provinz Juda, also an den Rand des damaligen römischen Weltreichs. Wir befinden uns am Fluss Jordan. Dort, wo er durch die Wüste fließt. Die Wüste ist ja ein ganz besonderer Ort. In ihr gelten die vertrauten Regeln und Gewissheiten unseres Alltags nicht. In der jüdischen und christlichen Religion ist die Wüste ein spiritueller Ort. Ein Ort der Besinnung und der Gottesbegegnung. In der Wüste kann Gott sich offenbaren und dem Leben eine Wende geben.

Eine solche besondere Gottesbegegnung in der Wüste hatte auch Johannes der Täufer. Gott hat zu ihm gesprochen. Seitdem predigt er in der Wüste. Und er hat ganz offensichtlich etwas zu sagen. Denn die Menschen kommen in Scharen zu ihm um seine Botschaft zu hören. Sie spüren ganz offensichtlich, dass er in besonderer Nähe zu Gott lebt.

Was sagt Johannes zu ihnen? Zunächst einmal ein Zitat des Propheten Jesaja. „Bereitet dem Herrn den Weg und macht seine Steige eben! Was krumm ist soll gerade werden und was uneben ist, soll ebener Weg werden.“ (Jes 40,3f)

Heute können wir uns die Freude, die diese Verse bei seinen Zuhörern ausgelöst haben, kaum vorstellen. Seit Jahrhunderten wartete das Volk Israel auf das Kommen Gottes. Können Sie sich das vorstellen? Wie das ist, wenn uns von unseren Großeltern und Eltern aufgetragen wird zu warten und wachsam zu sein über Jahrzehnte und Jahrhunderte von Familie zu Familie. Was für eine Spannung sich da ansammelt, was für eine Sehnsucht!

Und nun ist er endlich nahe, der Herr. Ganz nahe.

In Scharen strömen die Menschen in die Wüste zu Johannes. Sie wollen diese freudige Nachricht hören. Und sie wollen vorbereitet sein auf das Kommen Gottes. Sie lassen sich mit Wasser taufen, wie Johannes es fordert. Die Taufe des Johannes ist ein Ritual der Reinigung von den Sünden. Alles, was zwischen ihnen und Gott steht, soll bereinigt werden. Nichts soll zwischen ihnen und Gott stehen, wenn er kommt.

Wie soll ich Gott empfangen? Die Menschen sind sich sicher: Mit der Taufe ist alles getan, um sich für diesen besonderen Besuch als würdig zu erweisen.
Aber da redet Johannes weiter: „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; es ist schon die Axt an die Wurzel gelegt, jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“ (Lk 3,7f)

Das klingt wie eine Drohung: „Pass auf, dass du dich durch dein gerechtes Tun als würdig erweist. Mit Gott ist nicht zu spaßen. Du hast nur noch wenig Zeit, dich auf sein Kommen vorzubereiten.“ Das ist alles andere als beruhigend, das macht Angst.

In der evangelischen Tradition galt Johannes daher lange als Vertreter einer Angstreligion, wie sie typisch für das Alte Testament sei. Diese sei durch Jesu Liebesreligion überwunden. Auf diese Weise musste man sich nicht weiter mit den Worten des Johannes auseinandersetzen. Man musste sie nicht auf sich beziehen. Zugleich zeigt eine solche Sicht einen bedenklichen Hochmut und ein großes Unwissen in Blick auf das Judentum.
Denn nach jüdischer Vorstellung kommt Gott nicht mit dem vordringlichen Ziel, Gericht zu halten und die Menschen zu strafen. Nach jüdischer Vorstellung ist das Kommen Gottes vielmehr mit einer allumfassenden Verwandlung dieser Welt in ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit verbunden. Durch das Tun der Gerechtigkeit und der Liebe lässt sich der einzelne Mensch in diese Bewegung mit hinein nehmen. Er hat Teil an der großen Verwandlung der Welt.

Deshalb fordert Johannes die Menschen auf: Kehrt um. Überdenkt eure Maßstäbe, ändert euer Verhalten. So nehmt ihr teil an der Verwandlung der Welt. So bereitet ihr dem Herrn den Weg.
Aber Johannes lässt keinen Zweifel, dass es auch ein „zu spät“ gibt. Gott ist für ihn wie ein loderndes Feuer ethischer Energie, die den Menschen entweder durchglüht und verwandelt oder eben auch als „Höllenfeuer“ mit der Möglichkeit eines für immer verfehlten Lebens konfrontiert.

Johannes Worte wirken wie der Ausdruck einer Religion der Angst. Und ganz fraglos setzt er den Akzent stärker auf das Gericht Gottes als es später Jesus tun wird. Aber wir sollten seine Worte nicht einfach wegschieben. Sie spiegeln eine Erfahrung wieder, die wir oft genug machen müssen: die Erfahrung, dass es ein „zu spät“ gibt. Die Erfahrung, dass einiges im Leben irreversibel ist.

In seinem Auftreten und seiner Radikalität erinnert mich Johannes der Täufer an die „Propheten“ meiner Jugendzeit. Wissenschaftler wie der „Club of Rome“ oder Hoimar von Ditfurth warnten eindringlich vor einem „weiter so“ in Hinblick auf das Wirtschaftswachstum und den damit verbunden Verbrauch und die Verschmutzung unserer ökologischen Ressourcen. Sie riefen zur Umkehr auf, zu einer Änderung des Verhaltens und einem Überdenken der Maßstäbe. Sie lehrten uns, dass ein immer mehr und immer billiger unser Ökosystem kaputt macht. Damals wurden sie von vielen verlacht. Man wollte sie nicht hören. Sie galten als Spaßverderber, dabei ging es ihnen um unsere Zukunft und das Leben auf diesem Planeten.

Heute wissen wir, wie Recht sie mit ihren Warnungen hatten. Der vom „Club of Rome“ angekündigte Klimawandel ist eingetreten und droht schlimmer zu werden als die Wissenschaftler es sich damals vorstellen konnten. Wir alle ahnen: Es kann ein „zu spät“ geben.
Und auch bei uns kommt es erst angesichts dieser Bedrohungslage zu einem Umdenken, zu einer Umorientierung. Viele Menschen überdenken ihre Lebensweise, üben sich in Konsumverzicht, fragen sich, ob ein immer mehr und immer billigeres Einkaufen wirklich richtig ist. Immer mehr Menschen machen sich über die Nebenkosten unseres westlichen Lebensstils Gedanken. Zum Beispiel versuchen sie, Produkte zu erwerben, die unter fairen und ökologischen Bedingungen erzeugt wurden.

Kehrt um, bevor es zu spät ist.

Genau dazu lädt uns Johannes ein: Um zu denken, um zu kehren auf den Weg des Lebens, der Gerechtigkeit und des Friedens. Und so dem Kommen Gottes den Weg zu bereiten.
Seine Zuhörer damals haben anscheinend gespürt, dass sein Ziel nicht die Angst und der Tod sind, sondern das Leben. Sie haben sich nicht die Ohren zugehalten, sie sind nicht weggelaufen.
Ganz offensichtlich haben sich mindestens einige seiner Zuhörer seine Worte zu Herzen genommen. Sie haben tatsächlich ihr Leben kritisch in den Blick genommen und dem vom Täufer erkannten Änderungsbedarf zugestimmt.
Auch Jesus muss die Predigt des Johannes als große Befreiung, als Aufbruch in ein neues Leben mit Gott empfunden haben. Denn er hat sich von Johannes taufen lassen. Das zeigt uns, dass es durchaus Übereinstimmungen zwischen Johannes und Jesus gegeben haben muss. Bis in den Wortlaut hinein knüpft Jesus an Johannes an. Auch er ruft bei seinem erstem öffentlichen Auftreten: „Tut Buße, denn das Reich Gottes ist nahe herbei gekommen.“ (Mt 4,17)

Zwar weist Jesus viel stärker als Johannes darauf hin, dass Gott die Liebe ist und nichts als die Liebe.
Aber auch für ihn enthält Gottes Liebe zu uns die Verpflichtung, diese Liebe nicht für uns zu behalten, sondern sie weiterzugeben an unseren Nächsten. Jesus lässt keinen Zweifel daran, dass Gott seinen Willen zur Liebe nicht über unsere Köpfe hinweg durchsetzt. Gott hat uns als freie, mündige und verantwortungsfähige Menschen geschaffen. Er will unsere Mitarbeit an seinem Reich und traut uns zu, dass wir seine Liebe weitergeben. Wir sind dazu aufgefordert, als Boten Gottes die Welt nach Gottes Willen zu gestalten.

„Wie soll ich dich empfangen?“, so fragten wir zu Anfang.
Die Antwort Jesu lautet: Indem wir uns für den öffnen, der da kommt. Indem wir seiner Liebe vertrauen. Und indem wir diese von Gott empfangene Gabe weitergeben an unsere Nächsten. Ganz langsam, das ist die Hoffnung Jesu, wird die Liebe Gottes durch unser Tun die Welt verwandeln. Es wird dabei zu Rückschlägen kommen. Das Chaos und die Gewalt werden trotz des guten Willens und des Bemühens vieler die Zivilisation immer wieder zu zerstören suchen. Aber die Mächte des Chaos und Zerstörung haben nicht das letzte Wort. Das letzte Wort ist das Wort, das auch am Anfang steht: die Liebe Gottes.

Sich für das Geschenk dieser göttlichen Liebe zu öffnen und sie dann weiterzugeben an unsere Nächsten, dafür wirbt Johannes, dafür wirbt Jesus, darauf kommt es an. Heute und alle Tage unseres Lebens. Amen