„Es ist kaum auszuhalten!“, erzählt die junge sozialpädagogische Kraft in einer vertraulichen Runde. Sie wirkt nervös. Ihr Gesichtsausdruck ist angespannt. Sie sitzt aufrecht. Mal zupft sie an ihrer Kleidung, mal spielt sie mit ihren Fingern. Ihr Atem geht schnell. „Wir reden bei der Arbeit kaum noch miteinander. Jede macht da ihr eigenes Ding. Am meisten leiden darunter die Kinder. Sie fühlen sich sichtlich unwohl, weinen viel öfter als vorher. Auch die Eltern merken schon, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich habe den Eindruck, dass sich jede Mitarbeiterin auf Kosten der anderen mit den Erzieherinnen vergleicht.“ Während sie das sagt, klingt ihre Stimme leise und unsicher. „Die eine kommt gebürtig aus dem Ausland, die andere ist eine langjährige Mitarbeiterin aus dem Nachbardorf. Dauernd gibt es Kompetenzgerangel und Streit.“ Da bemerkt jemand aus der Runde: „Nichts ist wohl schlimmer als ein vergiftetes Klima in einer Gruppe!“. Die junge Frau antwortet spontan: „Da sagst Du was! Nur – wie kann das aufgelöst werden?“ Darauf antwortet ein junger Mann in der Runde: „Ihr seid eine Kita, die sich ganz bewusst christlich nennt. Woran erkennt man eigentlich, dass ihr Christen seid? Wäre das nicht ein Ansatz zur Lösung der Situation?“
Diese kleine Einstiegserzählung mag uns helfen, zu verstehen, was das Thema ist, von dem Paulus im ersten Brief an die Korinther schreibt:
12Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist. 13Und davon reden wir auch nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. 14Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden. 15Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt. 16Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen«? Wir aber haben Christi Sinn.
Worum geht es in diesen anspruchsvollen Worten und Gedanken? Ein gewisses Problem ist in der Gemeinde entstanden. Da gibt es Gemeindeglieder, die fühlen sich sichtlich unwohl. Der Eindruck ist entstanden, dass sich einzelne Gemeindeglieder auf Kosten anderer in der Gemeinde vergleichen. Konkret geht es darum, dass ein bestimmtes religiöses Wissen, gesellschaftlicher Einfluss und die Herkunft der Gemeindeglieder als Mittel zur eigenen Statussteigerung dienen. Dies vergiftet das Klima in der Gemeinde und spaltet sie. Paulus kritisiert ein solches Verhalten und hält es für nicht angebracht. Die Herkunft aus einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht, Bildung oder materielle Güter sind nicht die entscheidenden Kriterien für eine Gemeindezughörigkeit. Nein, der daraus entstehende Dünkel führt in kürzester Zeit zu Konkurrenz und Selbstbehauptung auf Kosten anderer in der Gemeinde. Am Ende führt das zu Zwist und Spaltung. Paulus verweist auf Jesus Christus. „Wir haben Christi Sinn“!, sagt er. Jesus hat gebildete, begüterte und angesehene Personen seiner Zeit nicht ausgeschlossen, abgewiesen oder abgelehnt. Aber gerade die, die wenig Einfluss haben, die ärmeren Menschen, und die, die wenig bis keine Bildung haben, werden von Gott als gleichwertig wahrgenommen. In Gottes Herrlichkeit sind Unterschiede, Herkunft oder der Bildungsgrad nicht relevant, sondern die Zusage, dass Jesus der Heiland, Retter und Erlöser aller Menschen ist. Um diese Einsicht wirbt der Apostel in Korinth.
Paulus greift dabei auf eine gemeinsame Erfahrung der angeschriebenen Gemeindeglieder zurück:
1Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam und euch Gottes verborgenen Plan zur Rettung der Menschen verkündete, habe ich euch doch nicht mit tiefsinniger Weisheit und geschliffener Redekunst zu beeindrucken versucht. 2Ich hatte mir vorgenommen, unter euch nichts anderes zu kennen als Jesus Christus, und zwar Jesus Christus, den Gekreuzigten. 3Als schwacher Mensch trat ich vor euch und zitterte innerlich vor Angst. 4Mein Wort und meine Botschaft wirkten nicht durch Tiefsinn und Überredungskunst, sondern weil Gottes Geist sich darin mächtig erwies. 5Euer Glaube sollte sich nicht auf Menschenweisheit gründen, sondern auf die Kraft Gottes. (Textfassung: Gute Nachricht)
Worauf Paulus hinaus will: Der Heilige Geist offenbart den Unmündigen, was den Weisen und Klugen dieser Welt verborgen ist. Er nimmt damit eine Passage auf, von der uns im Evangelium nach Matthäus berichtet wird: „Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies Weisen und Klugen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart. Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen.“ (Matthäus 11,25–26)
Die Weisheit Gottes, um die es Paulus geht, nennt der Apostel das „Wort vom Kreuz“. Dieses Wort steht im Kontrast zur Weisheit dieser Welt. Im Kreuz Jesu Christi hat Gott die weltliche Weisheit ad absurdum geführt. Gott erwählt das Törichte und Schwache, damit sich die Christen nur in Christus Jesus rühmen können. In ihm erlangen sie Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung.
Paulus macht in seinem Brief an die Christen in der Gemeinde in Korinth deutlich, dass zur Lösung der eingetreten Konfliktsituation Gott seinen Heiligen Geist immer wieder aufs Neue wirksam werden lässt. Voller Hoffnung und Zuversicht auf Gottes Wirken kann es gelingen, neu anzusetzen. Der Heilige Geist ist schon gegeben. Allen, die in der Gemeinde getauft sind. Ohne Unterschied. Ohne Ansehen der Person. Es gibt da nicht welche, die den Heiligen Geist haben und andere nicht. Es gilt auch nicht, als hätten einige mehr oder weniger geistliche Bildung und Wissen. Es dreht sich nicht so sehr um Einzelne in der Gemeinde und deren Ansichten, sondern darum, was die Gemeinde eint und was sie ausmacht. Sie leben ja nicht einfach nur vor sich hin. Solche Menschen halten Gottes Geist und die Botschaft vom Gekreuzigten oft für dumm oder überflüssig. Im Gegenteil: Weil sie Gottes Heiligen Geist empfangen haben, haben sie ein besonderes Urteilsvermögen geschenkt bekommen. Sie können geistesgegenwärtige Entscheidungen treffen.
Wie gehen wir mit einer verfahrenen, um nicht zu sagen, einer vergifteten Situation in einer Gemeinde um? Wir haben den Erfahrungsreichtum christlicher Gemeinden wie aus der Gemeinde in Korinth damals oder im Verlauf der Kirchengeschichte, aus dem wir Schätze heben können. Das Gebet füreinander und die Bitte um das Wirken des Heiligen Geistes sind dabei durchgängig ein erster Zugang. Die Besinnung auf das, was uns zugutekommend am Kreuz geschah, mag dann zu erneuter Buße führen. Paulus macht Mut dazu: Er regt an, geistliche Dinge als geistliche Menschen im Sinne von Jesus Christus zu deuten und zu beurteilen. Ein richtiggehender Mut-Macher-Satz lautet: „Wir haben Christi Sinn!“ (1. Kor. 2,16b). Wir sind von Gott beschenkt worden, mit Gaben, die der Heilige Geist in uns fruchtbar werden lässt. „Wir haben den Geist aus Gott empfangen“ (1. Kor 2,9.12). Nicht nur eine Elite, nicht nur einige Wenige haben den Heiligen Geist bekommen, sondern die ganze Gemeinde. Damit kann sich jede und jeder in der Gemeinde zutrauen, auch von geistlichen Dingen zu reden.
Die Eingangs geschilderte Situation aus der Kita geht auf echten Begebenheiten zurück. Wäre es nicht geradezu denkbar, einen Ansatz zur Lösung der Konfliktsituation zu suchen, weil man sich als Christen miteinander verständigen kann? Auf gemeinsamer Basis?
Pragmatisch gedacht gäbe es drei mögliche Wege aus einer verfahrenen Situation mit vergifteter Gesprächsatmosphäre herauszukommen:
a) Wenn alle Beteiligten offen und ehrlich miteinander sprechen und aufeinander hören könnten, könnte sich die eingetretene Situation entspannen. Die ehrliche Suche nach einer gemeinsamen Lösung könnte neue Vertrautheit schaffen;
b) Klar, manchmal geht es nicht ohne klare Regeln für den Umgang miteinander. Diese sollten für alle verbindlich sein und auch Konsequenzen bei Nichteinhaltung beinhalten;
c) Wenn es schwierig ist, ein Problem innerhalb einer Gruppe zu lösen, sucht man sich Unterstützung von außen. Das kann zum Beispiel ein Mediator oder eine Supervision sein.
„Wir haben Christi Sinn!“ Dieser Mut-Mach-Satz aus dem Abschnitt könnte als Basis für die Lösung interner Gemeindeangelegenheiten ein erster, befreiender Schritt sein. Im Rückblick könnte dann eine gefundene Lösung befriedigend wirken, verstanden als konkretes geistgewirktes Handeln.
Die junge Frau hatte in der Gesprächsrunde ihre Sorgen angesprochen. Dabei hat sie gemerkt, wie sehr das vergiftete Klima die Arbeit und das Wohlbefinden aller beeinträchtigt hat. Doch anstatt sich davon entmutigen zu lassen, beschließt sie, aktiv etwas zu verändern. Sie ergreift erneut das Wort, nun mit fester, klarer Stimme: "Ich glaube fest daran, dass wir dieses Problem gemeinsam lösen können. Wir konzentrieren uns neu darauf, eine positive und unterstützende Arbeitsatmosphäre zu schaffen, in der wir alle an einem Strang ziehen." Während sie spricht, spürt sie förmlich, wie sich die Stimmung verändert. Ein Hauch von Hoffnung liegt in der Luft. Die anderen Teilnehmer nicken zustimmend. Kommunikation ist der Schlüssel, um Vertrauen und die Zusammenarbeit wiederherzustellen. Der junge Mann bietet an: „Ich werde für euch beten!“ Die junge Frau hört es, lächelt und drückt ihm kurz an den Arm. „Danke!“ sagt sie, „Das wird mir helfen!“. Am nächsten Tag wird das Gesagte in die Tat umgesetzt.
Genutzt habe ich sowohl „Predigtmediationen im christlich-jüdischen Kontext“ Zur Perikopenreihe 5, Berlin, 2022, als auch Anregungen aus einem Online-Predigtimpuls am 23. Mai 2023 des Theologischen Studienseminars der VELKD, Pullach, und des Zentrum für evangelische Gottesdienst- und Predigtkultur, Wittenberg (Prof. Vogel / Pfarrerin Dr. Weber).
Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich predige in einer Gemeinde, in deren Gottesdienst sich gut 50 alt-eingesessene Gemeindeglieder aus unserem Ort und Nachbardörfern, eine Gruppe von etwa 20 Personen aus Südafrika und einige Menschen aus der Ukraine häufig treffen. Da fiel bei den Einheimischen schon mal das Wort von "so vielen Fremden" im Gottesdienst - und was das bei uns auslöst. Das wollte ich nicht direkt als Beispiel nutzen. Wohl aber wollte ich darauf hinaus: "Wir haben Christi Sinn!"
Was hat sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ein Erlebnis, dass es tatsächlich möglich ist, einen eingetretenen Konflikt – sofern ich das beurteilen kann – in einer Kita, in der ich ein Jahr lang wöchentlich als Superintendent zu tun hatte, friedlich beizulegen. Es hat aber weitaus länger gedauert, mir den Predigttext selbst zu erschließen, als es zu anderen Sonntage der Fall ist. Ein Ansporn aus dem genannten Online-Impuls aus dem Studienseminar in Pullach ("Was macht euch zu Christ:innen?") löste das Nachdenken aus: Als diese Idee in mir heranwuchs, hatte ich den länger gesuchten Schlüssel zur jetzt 'fertigen' Predigt in der Hand.
Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Gemeinsam mit meinen Gemeinden, in denen ich arbeite, Themen in Gesprächskreisen oder im Kirchenvorstand aufzugreifen, die zu ähnlichen Spannungen führen könnten wie in Korinth. Konkret: Migranten in der Gemeinde, deutliche Bildungsunterschiede, Herkunft einiger Gemeindeglieder aus sehr unterschiedlichen Milieus
Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ein ausgiebiges Predigtgespräch mit einem Kollegen aus Frankfurt half mir, mich auf eine (die in der Predigt genannte) Beispielgeschichte zu beschränken. Lernerfahrungen aus anderen Coachings sind sicher auch eingeflossen, wie z.B. die Nutzung der fünf Sinne in der Beispielgeschichte, und die anfangs erzählte Geschichte am Ende wieder aufzugreifen.