„Wir sind alle da!“ - Konfirmation Predigt zu Apostelgeschichte 16,23 von Martin Schewe
16,23-34

„Wir sind alle da!“ - Konfirmation Predigt zu Apostelgeschichte 16,23 von Martin Schewe

Konfirmationspredigt zu Apostelgeschichte 16,23-34

In der Apostelgeschichte im Neuen Testament wird erzählt, wie der Apostel Paulus und sein Reisegefährte Silas in Philippi verhaftet und eingesperrt werden.

„Nachdem man ihnen viele Schläge gegeben hatte, warf man sie ins Gefängnis und trug dem Gefängniswärter auf, sie in sicherem Gewahrsam zu halten. Auf diesen Befehl hin führte der sie in den innersten Teil des Gefängnisses und legte ihnen die Füße in den Block. Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas zu Gott und stimmten Lobgesänge an, und die anderen Gefangenen hörten zu. Da gab es auf einmal ein starkes Erdbeben, und die Grundmauern des Gefängnisses wankten; unversehens öffneten sich alle Türen, und allen Gefangenen fielen die Fesseln ab. Der Gefängniswärter fuhr aus dem Schlaf auf, und als er sah, dass die Türen des Gefängnisses offen standen, zog er sein Schwert und wollte sich das Leben nehmen, da er meinte, die Gefangenen seien entflohen. Paulus aber rief mit lauter Stimme: Tu dir nichts an, wir sind alle da! Jener verlangte nach Licht, stürzte sich ins Innere und warf sich, am ganzen Leib zitternd, Paulus und Silas zu Füßen. Er führte sie ins Freie und sagte: Große Herren, was muss ich tun, um gerettet zu werden? Sie sprachen: Glaube an Jesus, den Herrn, und du wirst gerettet werden, du und dein Haus. Und sie verkündigten ihm und allen, die zu seiner Familie gehörten, das Wort des Herrn. Und er nahm sie noch zur gleichen Nachtstunde bei sich auf und wusch ihre Wunden und ließ sich und alle seine Angehörigen unverzüglich taufen. Dann führte er sie in seine Wohnung, ließ den Tisch bereiten und freute sich mit seinem ganzen Haus, weil er zum Glauben an Gott gekommen war.“

(1) Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, die Geschichte des Gefängniswärters aus der Bibel ist eure Geschichte. Ihr seid natürlich keine Gefängniswärter, und ich habe keine Ahnung, ob gerade das euer Traumberuf ist. Es geht mich auch nichts an. Eure Berufswünsche sind eure Sache. Ich kann euch allenfalls raten, euch eine Tätigkeit zu suchen, die nicht nur krisenfest ist und regelmäßig bezahlt wird, sondern euch vor allem erfüllt. Aber das habt ihr vermutlich ohnehin vor. Zum Glück könnt ihr euch mit eurer Entscheidung noch ein bisschen Zeit lassen. Auf den Beruf des Gefängniswärters aus der Bibel kommt es also im Moment nicht an, sondern darauf, was euch jetzt schon mit ihm verbindet. Seine Geschichte handelt davon, warum ihr heute konfirmiert werdet und Max getauft. Um die Geschichte besser zu verstehen, werfen wir zunächst einen Blick auf die Vorgeschichte.

Paulus und Silas reisen als Missionare durch das Römische Reich. Sie wollen das Evangelium von Jesus Christus unter die Leute bringen und gelangen dabei in die Stadt Philippi in Makedonien. Dort entsteht die erste christliche Gemeinde Europas. In Philippi gibt es eine Frau, die von einem Geist besessen ist, einem Dämon, der wahrsagen kann. Die Frau ist Sklavin und bringt ihren Herren eine Menge Geld ein. Denn was sie wahrsagt, oder vielmehr der Dämon, der in ihr wohnt, stimmt tatsächlich – auch als sie hinter Paulus und Silas herläuft und immerfort schreit: „Diese Menschen sind Knechte des höchsten Gottes!“ So geht es vier Tage lang. Dann platzt Paulus der Kragen. Eine derartige Reklame ist ihm nicht recht. Er befiehlt dem Dämon, die Frau zu verlassen, und der Dämon gehorcht. Die Besitzer der Sklavin sehen sich um ihre Einkünfte gebracht. Sie zeigen Paulus und Silas bei den Behörden der Stadt an und beschuldigen die beiden, die öffentliche Ordnung zu stören und unrömische Sitten zu verbreiten. Paulus und Silas werden festgenommen, öffentlich verprügelt und ins Gefängnis geworfen.

Später werden sich die Richter bei ihnen entschuldigen müssen. Paulus und Silas besitzen das römische Bürgerrecht und hätten darum nicht geschlagen werden dürfen. Doch so weit ist es noch nicht. Einstweilen kommt der Gefängniswärter ins Spiel. Er sorgt dafür, dass die Häftlinge nicht entkommen können, lässt Paulus und Silas in den tiefsten Keller des Gefängnisses bringen und ihre Füße in den Block schließen. Dann legt sich der Gefängniswärter ins Bett. Dort verschläft er den ersten Höhepunkt seiner Geschichte. „Um Mitternacht aber“, geht die Erzählung nämlich weiter, „beteten Paulus und Silas zu Gott und stimmten Lobgesänge an, und die anderen Gefangenen hörten zu.“

(2) Wir wollten herausfinden, warum ihr getauft seid und heute konfirmiert werdet. Weil Paulus und Silas um Mitternacht singen, lautet die erste Antwort, die uns die Geschichte des Gefängniswärters gibt. Sie singen, obwohl sie verprügelt wurden und im Gefängnis sitzen. Ihre Wunden schmerzen; sie sind gefesselt; und was aus Paulus und Silas wird, ist völlig unklar. Dennoch loben sie Gott. Zu ihm gehören sie. Auf Gott können sie sich verlassen – sogar jetzt. Deshalb singen sie, dass es durchs ganze Gefängnis schallt. Nicht, dass man sich nicht beklagen darf, wenn es einem schlecht geht. Paulus und Silas hätten allen Grund, sich zu beklagen. Ich an ihrer Stelle würde den Mut verlieren. Paulus und Silas sind sich sicher: Gott lässt sie nicht im Stich. Darum geht es bei eurer Taufe und Konfirmation: dass Gott bei euch ist, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, was auch geschieht.

Diesen Teil der Erzählung verschläft der Gefängniswärter. Aber er schläft nicht mehr lange. Nachdem Paulus und Silas ihr Loblied angestimmt haben, passiert der nächste Höhepunkt der Geschichte. Ein Erdbeben erschüttert die Mauern des Gefängnisses. Die Türen öffnen sich. Den Häftlingen fallen die Fesseln ab. Ein Wunder. Wieder geht es um eure Taufe und Konfirmation. Gott schickt nicht bei jeder Taufe und jeder Konfirmation ein Erdbeben. Aber er tut jedes Mal ein Wunder. In der Erzählung aus der Bibel befreit er die Gefangenen. Das Wunder, das Gott für euch tut, ist genauso groß und fröhlich. Gott verspricht euch, dass er viel mit euch vorhat. Er wartet nicht, bis ihr etwas für ihn tut. Gottes Versprechen gilt immer schon. Das ist das Zweite, was wir aus der Geschichte des Gefängniswärters erfahren: dass ihr von Gott etwas zu erwarten habt.

Der Gefängniswärter selbst weiß noch nichts von seinem Glück. Im Gegenteil. Als ihn das Erdbeben weckt und die Gefängnistore offen stehen, erschrickt der Gefängniswärter zu Tode – im wahrsten Sinn des Wortes. Er nimmt an, die Häftlinge sind geflohen, und zieht sein Schwert, um sich das Leben zu nehmen. So gehört es sich für einen römischen Offizier. Wenn er seine Pflicht verletzt hat, muss er Selbstmord begehen. Bevor es dazu kommt, geschieht noch eine Überraschung, die dritte nach dem Loblied, das Paulus und Silas singen, und dem Erdbeben. Die dritte Überraschung steckt in den Worten, mit denen Paulus den Gefängniswärter daran hindert, sich umzubringen. „Tu dir nichts an“, ruft Paulus, „wir sind alle da!“

Er meint damit, der Gefängniswärter kann beruhigt sein, denn seine Gefangenen sind nicht fortgelaufen. Zugleich wendet sich Paulus an euch Konfirmandinnen und Konfirmanden und redet über die Kirche, zu der ihr seit eurer Taufe gehört und deren erwachsene Mitglieder ihr heute werdet. Der Satz „Wir sind alle da“ gilt auch für die Kirche, die „Gemeinschaft der Heiligen“, wie sie im Glaubensbekenntnis genannt wird, das wir gleich sprechen werden. Die Heiligen, von denen im Glaubensbekenntnis die Rede ist, sind wir – alle, die getauft sind. Jede und jeder von uns ist heilig, weil wir Gott am Herzen liegen, und gehört mit den anderen zusammen, die ihm genauso am Herzen liegen. Ihr müsst nicht für euch allein glauben und die Antworten auf eure Fragen und Zweifel nicht auf eigene Faust suchen. Die anderen können euch dabei helfen, und umgekehrt könnt ihr ihnen beim Glauben helfen. Zusammen glauben wir besser. Darum gibt es die Kirche, und darum ist es wichtig, dass Paulus in der Erzählung sagt: „Wir sind alle da.“

(3) Falls ihr bisher noch skeptisch seid, ob die Geschichte des Gefängniswärters eure Geschichte ist, obwohl ihr keine Gefängniswärter seid, und ob sie wirklich von eurer Taufe und Konfirmation handelt, wird euch der Schluss der Erzählung überzeugen. Zum Schluss wird auch der Gefängniswärter getauft. Außerdem erhält er Konfirmandenunterricht. Sein Konfirmandenunterricht ist zwar viel kürzer als bei euch. Er dauert nur eine einzige Nacht, aber eine besonders dramatische Nacht. Das genügt in diesem Fall.

Paulus hat den Gefängniswärter davon abgehalten, sich in sein Schwert zu stürzen, und gerufen: „Wir sind alle da!“ Darauf lässt sich der Gefängniswärter ein Licht bringen und vergewissert sich, dass Paulus und Silas tatsächlich noch da sind, wirft sich vor ihnen nieder und fragt: „Große Herren, was muss ich tun, um gerettet zu werden?“ Was er eigentlich wissen möchte, ist: „Wie soll ich die ganze Sache bloß meinen Vorgesetzten erklären?“ Paulus und Silas jedoch verstehen die Frage anders, viel grundsätzlicher. Sie antworten: „Glaube an Jesus, den Herrn, und du wirst gerettet werden, du und dein Haus.“ Darin besteht der Konfirmandenunterricht, den der Gefängniswärter erhält. Paulus und Silas erzählen ihm seine eigene Geschichte, wer dahinter steckt und was sie zu bedeuten hat, also das, was wir schon gehört haben, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden: dass Gott bei euch ist, dass er viel mit euch vorhat und dass ihr damit nicht allein steht, sondern heute zu erwachsenen Mitgliedern der Kirche werdet.

„Glaube an Jesus, den Herrn“, sagen Paulus und Silas, denn so ist Gott für uns da. In dem Menschen Jesus Christus kommt er zu uns, stirbt als ein Mensch und ersteht wieder auf, damit wir mit ihm leben. Spätestens jetzt merkt ihr, dass es nicht darauf ankommt, welchen Beruf einer ausübt, damit die Geschichte aus der Bibel von ihm handelt, und dass Gott kein Erdbeben schicken muss, um etwas für euch zu tun. Ihr alle habt eure eigenen Pläne und Träume vom Leben. Jede und jeder von euch wird sie auf andere Weise verwirklichen als alle anderen, und ich wünsche euch dabei Erfolg und Glück. Dass Gottes Liebe euch begleitet, ist noch mehr; immer noch mehr, als wir planen, träumen und wünschen können. Lasst euch überraschen.

(4) Der Rest ist rasch erzählt. Der Gefängniswärter holt Paulus und Silas in sein Haus, versorgt ihre Wunden und lässt sich und seine Familie noch in derselben Nacht taufen. Dann lädt er Paulus und Silas zum Essen ein und feiert ein Fest. Das empfehle ich euch auch, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden. Feiert ein Fest und freut euch.