Wir warten auf das Happy End - Predigt zu Jes 54,7-10 von Bert Hitzegrad
54,7-10

Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus!

Liebe Gemeinde!

Ich mag Filme mit einem Happy End! Ja, ich brauche es auch, dieses glückliche Ende, wo Held oder Heldin doch noch siegt, die Welt rettet, die große Welt der Katastrophen oder wenigstens die kleine der zerbrochenen Herzen und der Sackgassen des Lebens. Ich glaube, ich hätte es kaum ausgehalten, wenn ich nicht gewusst hätte, dass die beiden Schwestern Sarah und Yusra Mardini trotz vieler Hindernisse ihr Ziel erreichen  – Deutschland, das Land, in dem sie Asyl beantragen. Der Film „Die Schwimmerinnen“ aus dem Jahr 2022 beschreibt eindrucksvoll ihren Weg mit so viel Hoffnung und zugleich mit  so vielen Rückschlägen.

Die Schwestern stammen aus Syrien und haben nur den einen Wunsch, ein normales Leben zu führen. Doch sie leben mit der täglichen Bedrohung durch den Krieg. Beide sind große Schwimm-Talente, ihr Vater trainiert sie. Yusra trainiert sogar für Olympia. Bei einem Wettkampf wird die Schwimmhalle von Bomben getroffen, eine Bombe fällt ins Schwimmbecken ohne zu explodieren. Die Vorstellung ist unerträglich, was wäre wenn… die Spannung kaum zu überbieten – aber: Gott sei Dank, es wird ja ein Happy End geben. Die beiden jungen Frauen beschließen, ihr Heimatland zu verlassen. Der Vater lässt es nur zu, wenn der Cousin Nizat sie begleitet. Und so beginnt die bewegende Geschichte der Flucht über das Mittelmeer und auf der Balkanroute, auf der niemand wusste, ob er das Ziel seiner Träume erreichen würde. Ein dramatisches Road-Movie über die Flüchtlingsströme im Jahr 2015. Es ist die wahre Geschichte von Sarah, Yusra und Nizat. Die drei hatten kaum mehr Kraft im überfüllten Schlauchboot auf dem Mittelmeer oder auf der Ladefläche eines Kleinlasters, der sie irgendwo aussetzt, an ein Happy End zu glauben. Doch selbst die Behörden-Hürden in Berlin, das sie überglücklich erreicht hatten, können ihnen die letzte Hoffnung nicht nehmen. Und schließlich steht Yusra auf der Siegestreppe bei den olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro, was dann doch dem Happy End und dem Genre „Film“ geschuldet ist. Tatsache ist aber, dass sie als Mitglied des „Refugeeteams“ an den Spielen teilgenommen hat.

Welch ein glückliches Ende! Ein glückliches Ende – anders als die vielen Geschichten von Flucht und Gewalt, von menschenverachtenden Schleppern und Profiteuren der Not. „Alles wird gut!“ An diesem Strohhalm haben sich die drei festgehalten, als das Boot zu kentern drohte. „Alles wird gut!“ Das Mantra der Zuschauer auf den weichen Sofas vorm Fernseher, die mitfiebern mit den Menschen auf der Flucht, wie sie über meterhohe Zäune klettern, weil Europa sie nicht haben will. „Alles wird gut“ – wie eine kurze Liturgie, in die die damalige Kanzlerin einstimmte, mit dem Credo, das die Gemüter bewegte: „Wir schaffen das!“

Angesichts der Massen an Menschen, die 2015 nach Deutschland kamen, um hier zu bleiben, war es kaum zu glauben, dass dies zu schaffen ist. Aber nur selten endete die Flucht so glücklich wie im Film „Die Schwimmerinnen“. Und doch ist vieles gut geworden, besser als in dem Land, aus dem sie uns gekommen sind. Daran haben auch die ihren Anteil, die damals an den Grenzen standen – mit Decken, heißem Tee und einem guten Wort: „Alles wird gut!“ Und auch, wenn diese Worte nicht in Arabisch oder Farsi waren, sie wurden verstanden und sie gaben neue Hoffnung.

„Alles wird gut!“ Ich würde es gern dem 49jährigen Krebspatienten sagen, damit er die Zuversicht behält, trotz dieser schweren Diagnose – doch ist das nicht billiger Trost?

Ich würde es gern als Willkommensgruß Wolodomir ans Herz legen, der erst seit ein paar Tagen in der Nachbarschaft wohnt – aus dem Donbas geflohen, sein Auto trägt noch Einschusslöcher. Doch ich fürchte seine Frage: „Wann?“

„Alles wird gut!“ So knapp lässt sich das Prophetenwort zusammenfassen, das die Israeliten in dunkelster Nacht in der Geschichte ihres Volkes hören. Sie warten sehnsüchtig auf ein Happy End in ihrem Leiden, da spricht Gott durch seinen Propheten (Jes 54, 7-10):

7Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
8Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.
9Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.
10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

„Alles wird gut!“ Das bedeutet Glauben gegen den Augenschein, Zuversicht, auch wenn alles dagegen spricht, Hoffnung in noch so großer Hoffnungslosigkeit.

Jahre und Jahrzehnte lebten die Israeliten schon in der Verbannung. Die Babylonier hatten das kleine Volk überrollt, die Bewohner verschleppt, den Tempel zerstört, Städte unbewohnbar gemacht – ähnlich wie heute Städte in Tschetschenien, Afghanistan oder in der Ukraine. Orte, an denen die Stimmen derer verhallen, die trösten wollen: „Alles wird gut!“

„Wann wird das sein?“  Wie oft werden die Israeliten an den Wassern Babylons gefragt, geweint, geklagt haben. Wie oft werden sie zum Himmel geschrien haben: „Warum? Warum wir? Wo ist Deine Barmherzigkeit geblieben?“ Diese Fragen haben all diejenigen im Marschgepäck des Lebens, die leiden müssen, deren Leben von Krieg, Unrecht und Gewalt bedroht ist. Die Antworten darauf sind der Versuch, Gott zu erklären.

Warum hat er das Kind, das über die Straße lief, nicht zurückgehalten?
Warum hat der Allmächtige nicht die einstürzenden Häuser festgehalten, als die Erde erbebte und zigtausende unter den Trümmern begraben wurden. Warum musste der Motorradfahrer sterben? …

War es sein Zorn über den menschlichen Egoismus und die so große Gottvergessenheit? Hat er einen Augenblick wegeguckt, geschlafen und nicht aufgepasst … und da war es passiert?

Nicht alles ist gut. Aber wird es gut?

Die Israeliten weinten nicht nur an den Wassern von Babylon, sie klagten nicht nur und suchten nach Antworten auf ihre Fragen, nein, sie erinnerten sich auch: An Noah, der auf dem trockenen Land ein Schiff baute, um der Sintflut zu entkommen, und dem Gott das Versprechen gab: „Nie wieder!“
Eine Katastrophe mit Happy End.

Sie erinnerten sich an Abraham, der aufbrach mit Hoffnung und Zuversicht im Herzen, weil er auf Gottes Wort hörte.
Ein Drama mit Happy End.

Sie erinnerten sich an Mose, der die Israeliten freipresste aus der eisernen Hand des Pharaos und der durch das Rote Meer sein Volk in die Freiheit führte.
Ein Historienspektakel mit Happy End.

Sollten diese „Alles-wird-gut-Erinnerungen“ nicht auch die Hoffnung nähren, dass dieser Weg in die Fremde zu einem guten Ziel führt? Allerdings: Mehrere Jahrzehnte mussten sie warten, bis ein mächtigerer Perserkönig das babylonische Reich zerstörte und die Knechtschaft am Ende war. Auch wenn vieles anders geworden ist – alles ist doch wieder gut geworden.

Das haben auch die Millionen von Flüchtlingen erlebt, die am Ende des 2. Weltkrieges aus Ostpreußen, Schlesien oder Hinterpommern  vertrieben wurden, in langen Trecks von Ost nach West zogen, entsetzliche Bilder sehen mussten und ihre Kinder jeden Abend bei klirrender Kälte und mit hungrigen Mägen trösteten: „Alles wird gut!“ Sie haben es erlebt, dass die Berge der Heimat wichen und die Hügel hinfielen. Sie mussten alles zurücklassen und den Neuanfang fern der Heimat wagen. Sie wurden nicht immer mit offenen Armen empfangen, doch in den Gottesdiensten hörten sie dieselben „Alles-wird-gut-Geschichten“ wie früher. Sie sangen inbrünstig den Choral „In dir ist Freude in allem Leide“ und spürten darin neue Hoffnung aufkeimen. Der Gott der Heimat war auch der Gott hier im Westen. Noch kein Happy End, aber der Anfang eines neuen Glücks.

Der Sonntag heute heißt „Lätare“ – übersetzt aus dem Lateinischen bedeutet es: „Freuet Euch!“ Das scheint widersprüchlich zu sein – Leidenszeit, Passion Christi und Freude…? Doch unser Blick ist ein anderer als der der Jünger an Jesu Seite. Sie waren schockiert über den Ausgang der Geschichte mit ihrem Herrn und Meister, sie wollten ihn sogar abbringen von seinem Weg ans Kreuz. Ihnen fehlte der Blick vom Ende her. Denn am Ende steht der Ostermorgen mit dem leeren Grab, am Ende steht die Zusage des Auferstandenen: „Ich werde bei euch sein bis an der Welt Ende. Auch wenn Berge weichen und Hügel hinfallen, ich bin da, an eurer Seite. Alles wird gut!“

Und so leuchtet hier schon ein wenig das Licht der Osterfreude hinein in die Passionszeit – in einigen Kirchen gibt es deshalb für diesen Sonntag Altarbehänge in Rosa. Das Violett der Leidenszeit wird aufgehellt mit dem Vertrauen: Alles wird gut. „Klein Ostern“ wird dieser Tag auch genannt. Fingerzeig für das, was kommt: nach Leiden und Sterben doch ein Happy End!“ Amen .

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus zum ewigen Leben. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pastor Bert Hitzegrad

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
An diesem Sonntag Laetare steht mir die Kerngemeinde vor Augen, die den Kirchenjahreskreis noch bewusst wahrnimmt und entsprechend auch die Passionszeit. Vielen ist die Aktion 7 Wochen Ohne bekannt. Einige sind in der Arbeit mit Geflüchteten engagiert, z.T. mit frustrierenden Erfahrungen bei Behörden etc. Ihnen allen möchte ich an „Klein-Ostern“ ein Stück Hoffnung vermitteln.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich mich habe ich zunächst schwer getan mit der Aktualisierung des AT-Textes. Dann sah ich zufällig den Film „Die Schwimmerinnen“ und erinnerte mich daran, dass ich bei Trauerfeiern für Menschen, die mit dem 2. Weltkrieg ihre Heimat verlassen mussten, oft zu Jes 54,10 gepredigt hatte. Damit war mein Thema gefunden! Das österliche Weiß, das am Sonntag Laetare dem Violett der Passionszeit einen „rosa Anstrich“ verleiht, tat meiner Seele und der Predigtvorbereitung gut.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Frage bleibt natürlich, wie in einer konkreten Leidenssituation Hoffnung entstehen kann,  damit aus dem Blick auf das „Happy End“ nicht billiges Vertrösten wird. Das ist letztendlich die Grundfrage der täglichen Seelsorge und wird nie aufhören, bis Leid, Krieg und Gewalt tatsächlich ein Ende haben. Bis dahin ist es ein oft auch ein tränenreicher Weg… „In dir ist Freude in alle Leide“ ist ein Blick auf das Leben,  der viel Vertrauen braucht und nur aus eigener Erfahrung gelingt.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Zunächst eine wohltuende und wohlwollende Rückmeldung und eine Analyse, die dem Prediger und der Predigt mit ihrem Anliegen völlig gerecht wurde. Ein sachlicher Fehler konnte korrigiert werden, Hinweise auf Satzbau, mehr Punkte als Kommata werden über die konkrete Predigtarbeit hinaus bleiben. DANKE!

 

Perikope
19.03.2023
54,7-10