Wirf die Gnade nicht weg - Predigt zu Galater 2, 16-21 von Christiane Quincke
2, 16-21

I.

Petrus bekommt auf einmal Muffensausen.

Ja, ja - er hatte ja damals in Antiochien zugestimmt:

die Neuen gehören genauso zur christlichen Gemeinde wie die, die er besser kennt und die von Anfang an dabei waren, die Judenchristen.

Ob sie nun schon immer dabei waren und zum Volk Israel gehören oder ob sie neu dazu gekommen sind, weil sie keine Juden waren - in der Gemeinde sind sie alle eins. Und alle gleichwertig.

Doch was auf dem Papier so gut aussieht, ist in der Praxis schwierig:

Beide Gruppen folgen Jesus nach. Nur müssen die Nichtjuden, die zu Jesus gehören, auch die jüdischen Regeln befolgen?

Und ist es für die Judenchristen zumutbar, mit den Neuen Abendmahl zu feiern, obwohl diese sich nicht an die Regeln halten, die für sie lebenswichtig sind?

Petrus will die besonders Frommen und Wichtigen,

die schon immer Da-Gewesenen nicht verärgern

….

und darum feiert er nicht mehr mit den Neuen.

Einfach so gehört man eben doch nicht zu Gott.

 

Paulus ist sauer.

Und sagt: Wirf die Gnade nicht weg.

Du, Petrus, baust Schranken auf, die für Gott nicht gelten.

Gott hat alle Schranken, die wir Menschen brauchen, abmontiert.

Da braucht es nichts mehr, was uns aufhält und abhält voneinander.

Und von ihm.

Und das gilt für Neue und Die-schon-immer-dabei-gewesenen gleichermaßen.

 

II.

Im Brief an die Gemeinde in Galatien schreibt Paulus:

Wir wissen: Kein Mensch gilt vor Gott als gerecht, weil er das Gesetz befolgt.

Als gerecht gilt man nur, wenn man an Jesus Christus glaubt.

Deshalb kamen auch wir zum Glauben an Jesus Christus.

Denn durch diesen Glauben an Christus werden wir vor Gott als gerecht gelten –

und nicht, weil wir tun, was das Gesetz vorschreibt.

Schließlich spricht Gott keinen Menschen von seiner Schuld frei,

weil er das Gesetz befolgt.

 

Nun wollen wir ja durch Christus vor Gott als gerecht gelten.

Wenn sich nun aber zeigt, dass wir trotzdem mit Schuld beladen sind –

was bedeutet das dann?

Etwa, dass Christus die Schuld auch noch fördert?

Auf gar keinen Fall!

Wenn ich nämlich das Gesetz wieder einführe, das ich vorher abgeschafft habe,

dann heißt das:

Ich selbst stelle mich als jemand hin, der es übertritt.

Das Gesetz hat mir den Tod gebracht.

Deshalb gelte ich für das Gesetz als gestorben, damit ich für Gott leben kann.

 

Mit Christus zusammen wurde ich gekreuzigt.

Deshalb lebe ich nicht mehr selbst – sondern Christus lebt in mir.

Mein jetziges Leben in diesem Körper lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes.

Er hat mir seine Liebe geschenkt und sein Leben für mich hergegeben.

Ich werfe die Gnade Gottes nicht weg.

Denn wenn wir durch das Gesetz vor Gott als gerecht gelten,

dann ist Christus ohne Grund gestorben.

 

III.

Wirf die Gnade nicht weg.

 

Schau dich mit den Augen Gottes an. Es sind Augen der Liebe.

Petrus hat das vergessen. Oder nicht mehr gespürt.

Aber auch du hast das verlernt, oder?

 

Sie ernährt sich gesund und trainiert ihre Bauchmuskeln für die Bikinifigur.

Und doch traut sie sich nicht ins Schwimmbad, weil sie sich für ihre Figur schämt.

Und sie will „normal“ sein - so wie die anderen alle.

Und doch merkt sie, dass sie auf Mädchen steht.

Sie traut sich nicht, offen zu sein.

Die anderen könnten blöde Sprüche klopfen. Und Schlimmeres.

Und sagt nicht auch die Bibel, dass das falsch ist?

Darf sie so sein?

 

Er sieht die Bilder von den Flüchtlingen in den libyschen Lagern.

Ihre Augen lassen ihn nicht los.

Und er erträgt es kaum, dass er so wenig tun kann.

Dass die NGOs nicht mehr aufs Meer fahren dürfen, um die Flüchtlinge zu retten.

Und selbst seine Regierung will diese Ärmsten der Armen ihrem Schicksal überlassen.

So scheint es ihm.

Und dann noch die Sprüche derer, die ständig rufen „Wir sind das Volk“.

Ist es so?

Gehört er nicht mehr zu diesem Volk,

weil er den Fliehenden ein Dach über dem Kopf geben will

und weil er sein Land für reich und stabil genug hält, dass es das tun kann?

Und er wird immer kleiner und mutloser.

 

IV.

Wirf die Gnade nicht weg.

Schau dich mit den Augen Gottes an.

 

Dieser Gott sieht den Zöllner und wie alle ihn verachten. Keiner will sein wie dieser Zöllner.

Aber Gott sieht: Dieser Zöllner ist ein Suchender und Fragender und er will ein anderes Leben führen, aber weiß noch nicht, wie.

Gott sieht, dass Petrus nicht nur der Feigling ist, der die neuen Christen versetzt, weil er mit ihnen kein Abendmahl feiern will.

Er sieht die Sorge von Petrus, dass die Gemeinde auseinanderbrechen könnte. Und er sieht in ihm den Menschenfischer. Und dieser Menschenfischer steht immer wieder neu auf.

Und er sieht, dass Paulus längst nicht nur der ist, der mächtige Worte findet, die er seinen Gegnern um die Ohren haut.

Er sieht auch: Paulus leidet darunter, nicht so gut reden zu können wie andere. Und er kommt körperlich an seine Grenzen. Und Gott sagt zu diesem Paulus zu:  meine Kraft ist in den Schwachen mächtig, also auch in dir.

 

Wirf die Gnade nicht weg.

Gott hat sich in dich verliebt von Anbeginn an.

Du gehörst zu ihm, egal was du tust.

Und wirf nicht weg, dass er dir viel mehr zutraut als du dir selbst.

Vielleicht ist das was ganz anderes, als du denkst.

 

V.

Wirf die Gnade nicht weg.

Sie wohnt in dir. Lebt in dir.

Gott ist so verliebt in dich, dass er dich ganz ausfüllt.

 

Und dann fragst du nicht mehr, ob du schön genug bist.

Du bist schön. Und das darfst du zeigen.

Und wenn du dein Spiegelbild nicht magst, lächelt er dir zu.

 

Du bist feige und mutlos?
Gottes Gnade lebt in dir!
Du bist verzweifelt und denkst: Ich bin eine Versagerin!?
Gottes Gnade lebt in dir!
Und dann stehst du auf und tust dich mit anderen zusammen.

Du betest und singst und protestierst und lädst ein.

Das, wozu du gerade die Kraft hast, das tust du.

Weil Gott es dir zutraut.

 

Gottes Gnade lebt in dir.

Selbst dann, wenn du dich für was Besseres hältst oder für besonders fromm.

Er riskiert dabei sehr viel. Sein ganzes Leben. Seine ganze Liebe.

Er hat selbst die Schranke abgebaut, dass du ganz zu ihm gehörst.

Und vielleicht denkst du:  dir fehlt diese Schranke. Sie hat dir Halt gegeben.

Nun ist sie nicht mehr da. Und du schaust anders auf dich.

Und das macht dir manchmal Angst.

Aber Gott schaut dich liebevoll an.

Und traut dir zu, dass du die Welt mit seinen Augen sehen wirst.

 

VI.

Wirf die Gnade nicht weg.

Erkenne die Spuren der Gnade inmitten einer gnadenlosen Welt.

Menschen, die die Liebe Gottes leben.

Da ist der Kapitän Claus-Peter Reisch: Der lässt sich nicht abschrecken und riskiert sogar Gefängnisstrafe, um Ertrinkende zu retten.

Da ist die Pfarrerin: sie hat die Gebärdensprache gelernt, um mit Gehörlosen Gottesdienst zu feiern.

Und da sind Jesiden, Juden, Christen und Muslime in Pforzheim: sie setzen sich gemeinsam für eine interreligiöse Kita ein. Und in eineinhalb Jahren ist es soweit.

Da ist die Hochzeit im Rahmen der Vesperkirche.

Da ist ein Lied, das dich beschwingt, ein Gespräch im Kirchkaffee.

Und jemand lächelt dir zu jetzt -  in deiner Sitzbank.

 

Spuren der Gnade.

Gottes verliebte Augen.

Sie schauen dich an.

Und du lächelst zurück.

Amen.

 

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Anmerkungen:

  1. Ich würde den Predigttext durch eine andere Person lesen lassen.
  2. Ich könnte mir vorstellen, nach Teil II „Amazing grace“ singen zu lassen.
  3. Als Evangeliumslesung würde ich statt Lk 18,9-14 eher Lk 7,26-50 wählen.
  4. Liedvorschläge: „Gott ist gegenwärtig“ (EG 165,1.5-6.8); Ist Gott für mich, so trete… (EG 351,1-2,5.7); Nun jauchzt dem Herren alle Welt (EG 288); Nun danket alle Gott (EG 321); Hilf mir und segne meinen Geist (EG 503,13-15); Mercy is falling/Herr, deine Gnade sie fällt auf mein Leben (FreiTöne 76); Meine engen Grenzen (z.B. in: Kommt, atmet auf 083); Wir strecken uns nach dir (z.B. in: Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder 90)
Perikope
12.08.2018
2, 16-21