Wo Gott seine Hand im Spiel hat - Predigt zu Apg 8, 26-39 von Rudolf Rengstorf
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Wo Gott seine Hand im Spiel hat - Predigt zu Apg 8, 26-39 von Rudolf Rengstorf

Liebe Leserin, lieber Leser!

Wie eine Kalendergeschichte kommt sie daher, eine Geschichte im Sonntagskleid, auf dem kein Stäubchen liegt. Nichts ist dem Zufall überlassen - alles läuft wie am Schnürchen. Gott selbst führt die Regie: bietet am Anfang gleich einen Engel auf, um Philippus in Marsch zu setzen. Später spricht Gott Philippus sogar direkt an. Er sorgt dafür, dass Philippus aufmerksam wird auf den Mann aus dem Morgenland, der bei seiner Lektüre der hebräischen Bibel an einer Stelle angelangt ist, an die ein Christ sofort anknüpfen kann. Schließlich ist selbst in der Wüste plötzlich Wasser da, als es für die Taufe benötigt wird. Und unmittelbar nach dem erfolgreichen Einsatz wird Philippus aus dem Geschehen herausgenommen und an eine andere Stelle gesetzt. Der richtige Mann zum richtigen Augenblick zur richtigen Stelle.

Was sollen wir anfangen mit einer so märchenhaften Geschichte? Wir, die Gott nicht mit Engeln und Erfolgen nach Philippus-Art verwöhnt. Das hat Gott damals auch nicht getan. Die Christen der Anfangszeit, die hier auf Goldgrund erscheinen, hatten ihre Tage nicht anders zu bestehen als wir:  im Durcheinander des Lebens mit unzulänglichen Mitteln, die nie genau das zustandebringen, was man eigentlich will und mit denen man am Anfang auch nie so richtig weiß, was am Ende denn wohl herauskommt. Aber am Ende hat sich dann manches eben doch so entwickelt, dass etwas ganz Erstaunliches herausgekommen ist: Menschen, die sich immer ängstlich aus dem Wege gegangen sind, kommen am Ende gut miteinander zurecht und können sogar lachen über das, was sie auf Abstand gehalten hat.; Arme Teufel, an denen Hopfen und Malz verloren schien, kamen wieder auf die Beine und kriegten ihr Leben in den Griff. Geizhälse, die sich bisher an Geld und Gut festgekrallt hatten, erwiesen sich plötzlich als großherzige Spender. Ist da nicht Gottes Geist am Werk gewesen?

Philippus war einer der Diakone, die die Apostel eingesetzt und damit beauftragt hatten, sich um die Notleidenden in den jungen christlichen Gemeinden zu kümmern. Philippus hatte an der Küste in Gaza zu tun und war nun auf dem Weg in die hochgelegene Stadt Jerusalem... Da kam ihm eine prächtige Staatskarosse entgegen mit einem ganzen Tross von Menschen und Tieren. Eine bedeutende Persönlichkeit musste da unterwegs sein. Ehrerbietig trat Philippus zur Seite, wollte von der Vorhut des Zuges aber doch wissen, wer da kam und wohin die Reise ging. Der Herr Finanzminister ihrer Majestät der Königin von Äthiopien - so wurde ihm gesagt - war zum Tempel in Jerusalem gekommen und befand sich jetzt auf der Heimreise. Himmel, anderthalb tausend Meilen lagen noch vor ihm! Was mochte ihn bewogen haben, sich auf diese wochenlange Reise zu machen?

Aber Moment mal, Finanzminister einer Königin? Dann musste das doch ein Eunuch sein. Denn ein hohes Staatsamt durften bei ausländischen Königinnen nur Männer bekleiden, die sich ihre Männlichkeit hatten nehmen lassen, um mögliche Intimitäten und Kompromittierungen von vornherein auszuschließen. Was mag das für ein Mann sein, fragte sich Philippus, und ging ganz nah an den Wagen heran, um sich den Mann näher anzusehen Und da saß er, wie man sie sich vorstellte die Eunuchen: fettleibig, über und über mit Schmuck behangen, und mit einer Fistelstimme. Mit der las der Mann laut vor sich hin. Ihm war die Gebrochenheit seiner Person anzusehen und anzuhören. Auf der einen Seite eine glanzvolle Karriere: Bis ins Zentrum der Macht hinein war er gelangt. Geld spielte keine Rolle, es gab keinen Luxus, den er sich nicht leisten konnte. Auf der anderen Seite verstümmelt bis in den Kern seiner Person hinein. Warum war dieser Mann zum Tempel gekommen, was hatte er dort erwartet? Vielleicht hatte er von der Barmherzigkeit des Gottes Israels gehört, der ein Herz hat für gebrochene Menschen. Doch verschnittenen Männern war nach jüdischem Gesetz der Tempel verschlossen. Er war noch nicht einmal in die für Heiden erlaubte Vorhöfe gelangt. Der Mann musste wieder umkehren. Und selbst die großen Apostel waren nicht frei davon.

Philippus aber wendet sich nicht kopfschüttelnd oder achselzuckend ab, sondern bleibt ganz nah dran an dem Mann, hört, was er liest, wie er sich abmüht mit einer Stelle aus dem Buch des Propheten Jesaja, von dem sich der Mann offenbar eine Buchrolle gekauft hatte, um nicht ganz mit leeren Händen nach Hause zu kommen. Er liest über den geheimnisvollen Gottesknecht, der sich wehr- und widerspruchslos seinen Mördern überlässt, denen, die ihn aller Ehre und Würde berauben. Wie sollte der Mann in der Staatskarosse das verstehen?

Und so spricht Philippus ihn an: „Brauchst du Hilfe, Herr?“ Der Mann ist daran gewöhnt, dass man ihm voller Scheu und Ehrerbietung begegnet. Hier aber läuft ihm einer über den Weg, der seine Ratlosigkeit und seine Suche nach Gott wahrnimmt, der sich offenbar auskennt mit dem Gott der Juden und ihn, den heidnischen Verschnittenen, dennoch nicht zurückweist. „Ja komm, steig ein, setz dich zu mir, und erkläre mir, von wem hier die Rede ist und was das soll.“

Für die Wächter geheiligter Ordnungen mag es weiterhin Schranken und Tabus geben. Dieser Bote Jesu Christi aber kennt keine Berührungsängste, weil sein Herr es ist, von dem da geschrieben steht. Sein Herr, der nicht nur aus der Distanz heraus verkündigt, sondern der durch Nähe und Zuwendung bezeugt werden will. Durch Menschen, die eine Strecke mitfahren auf dem Wagen des Lebens, Bis der andere merkt: Ich bin miteinbezogen in die Geschichte des Gottes, der sich klein macht, so niedrig und gering, dass er in unseren geheimsten Schwächen und Ängsten bei uns ist und uns hinausführt ins Weite.

In der Taufe wird uns das auf den Leib geschrieben: Du gehörst zu dem, der dem Leid nicht aus dem Weg gegangen ist, und dir wird Leiden auch nicht erspart bleiben. Aber ins Leben Gottes ist er gedrungen, und dich nimmt er mit! Keine Frage, das will der Kämmerer sich zueigen machen. Zu diesem Herrn gehörig ist er nun kundig und frei. Da braucht er keinen Philippus mehr, und Gebrauchsanweisungen, wie man denn nun mit der Taufe zu leben hat, erst recht nicht. Bedenkenträger hätten hier viel auszusetzen.: Man könne doch nicht nach so kurzer Zeit taufen. Und man könne den Mann doch nicht in eine heidnische Umgebung entlassen, ohne ihm die Adresse der nächsten christlichen Gemeinde mitzugeben oder ihm das Versprechen abzunehmen, regelmäßig zurückzukommen und sich fortbilden zu lassen. Aber Christus braucht Menschen wie Philippus, die dem, was sie in Gottes Namen sagen und leben, auch etwas zutrauen.

Die beiden in der Kutsche – für mich sind sie ein Bild für die christliche Gemeinde. In Ihr treffen Schicksal und Auftrag aufeinander und zwar so, dass wir uns mal auf der einen und dann wieder auf der anderen Seite befinden. Wer dazu gehört, ist immer mal wieder darauf angewiesen, dass ein anderer aufspringt, bis Not beseitigt ist und Klarheit einzieht. Und wer dazu gehört, muss darauf gefasst sein, Vorbehalte und Bedenken hintanzustellen, wo Menschen – aus welchen Gründen auch immer – auf Hilfe und Verständnis angewiesen sind. In beiden Fällen hat Gott seine Hand im Spiel.

Amen.