Wohlan - Predigt zu Jesaja, 55,1-5 von Frank Muchlinsky
55,1-5

Wohlan, liebe Gemeinde, gut dass Ihr da seid, denn ich habe Euch Gutes zu sagen.

Haben Sie, habt Ihr eigentlich ein göttliches Berufungserlebnis, an das Ihr Euch erinnern könnt? Könntet Ihr von diesem Erlebnis berichten? Keine Angst, es muss jetzt niemand nach vorn kommen, das Mikro in die Hand nehmen und davon erzählen, wie er oder sie ihren göttlichen Ruf bekam. In unseren verfassten Kirchenkreisen wäre das recht ungewöhnlich. Es würde sicherlich zu gehobenen Augenbrauen und gerunzelten Stirnen führen. In kirchlichen Kreisen, die sich als "erweckt" verstehen, ist das anders. Da erzählt man wie selbstverständlich von dem Moment, in dem einem klar wurde: Gott will etwas von mir. Eine wunderschöne Überspitzung eines solchen Erlebnisses läuft derzeit auf Netflix. Dort hat man die "Blues Brothers" ausgegraben, das etwas andere Musical. In einer entscheidenden Szene steht John Belushi als "Jake Blues" in einer Kirche, in der gerade James Brown eine ausgesprochen mitreißende Predigt hält. Mitreißend vor allem, weil während der Predigt ein Gospelchor singt und tanzt. Dann geschieht das Wunderbare: Ein Lichtstrahl fällt durch ein Fenster in die Kirche und trifft Jake, der sofort bekehrt wird, anfängt zu tanzen und weiß, was von diesem Moment an seine Aufgabe ist.

Wie gesagt, eher eine Zuspitzung. Es gibt aber durchaus eine Reihe von Menschen, die mit ähnlichen Erlebnissen aufwarten können. Sie können Tag und Stunde nennen, an denen ihnen klar wurde, dass sie von nun an "im Namen des Herrn unterwegs" sein wollen. Als Pfarrer bekommt man diese Frage nach dem Berufungsmoment durchaus mal gestellt. Die klingt dann so: "Wie kommt es, dass du Pfarrer geworden bist?" Manchmal wünsche ich mir, ich könnte dann mit einer spektakulären Geschichte aufwarten, à la Jake Blues. Denn so wundersam sie auch klingt, wenn man so etwas erlebt hat, glauben die Leute einem wenigstens, dass man es ernst meint mit dem Glauben. Aber bei mir war es wie mit den meisten Menschen, die in einem irgendwie christlichen mitteleuropäischen Umfeld aufgewachsen sind. Wir sind irgendwie hineingewachsen in das Christentum. Mein Entschluss, Theologie zu studieren, Pfarrer zu werden, kam auch nicht plötzlich, er reifte in mir.

Im Kontakt mit Brüdern und Schwestern, denen die bewusste Entscheidung für Jesus Christus sehr wichtig ist, habe ich es manchmal bedauert, "nur" als Vierzehnjähriger bei der Konfirmation mal "Ja, mit Gottes Hilfe" gesagt zu haben. Andere haben ihre Leben Gott übergeben. Haben sich ganz bewusst für Jesus Christus entschieden. Andere waren irgendwie "echt berufen".

Lasst uns noch an anderer Stelle schauen, was so eine Berufung ausmacht. Diesmal nicht im Film, diesmal in der Bibel. Da beruft Jesus den Simon, der später Petrus heißen darf, weil er so felsenfest ist. Die Geschichte wird mehrfach in den Evangelien erzählt, und immer in kleinen Varianten. Besonders gut gefällt mir die Variante bei Markus, wo Jesus an Simons Boot vorbeikommt, ihm und seinem Bruder Andreas sagt: "Kommt, folgt mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen!" Und dann heißt es: "Und sogleich verließen sie ihre Netze und folgten ihm nach." Beeindruckend! Die beiden lasen buchstäblich alles stehen und liegen und folgen Jesus nach. Ihre Arbeit, ihre Familie, ihr Hab und Gut. Alles lassen sie hinter sich. Kein Wunder, dass das Maßstäbe gesetzt hat für die Art und Weise der Nachfolge. Wir können festhalten: Wer berufen ist, handelt augenblicklich und radikal. Wen das Licht sieht, fängt an zu tanzen und lässt sein altes Leben hinter sich, ohne zu zögern.

Wohlan, was bleibt da noch für uns "Hineingewachsene"? Was ist möglich für die, die Gott lieben und immer noch mit ihren Familien leben? Uns bleibt eine wunderbare Verheißung, und die beginnt mit "Wohlan!"

Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben. Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat. (Jes 55,1-5)

Das sind Worte, die der Prophet Jesaja im Namen Gottes sagt. Sie beginnen mit diesem wunderschönen hebräischen Wort "Hoj", das Luther mit dem ebenso schönen "wohlan" übersetzt hat. Hoj, durstige! Kommt und trinkt Wasser! Hoj, Arme, kommt und kauft ein ohne Geld! Hoj, hört auf mich, wenn ihr wirklich satt werden wollt! Hoj, hört und lebt! Ich will mit Euch einen Bund schließen, ich will einen ewigen Vertrag unterzeichnen. Ich, Gott selbst, sage Dir: Es wird auf der Erde ein Heil entstehen, wie es noch niemals da war. Kein Volk bleibt außen vor. Komm! Hoj!

Wohlan, liebe Gemeinde, was uns bleibt, ist dieser Ruf. Es ist die Aufforderung an die Zögerlichen, an diejenigen, die lieber zweimal nachdenken, bevor sie handeln. Gott ruft uns, und er hat einen ausgesprochen langen Atem. Was Jesaja da in Gottes Namen sagt, ist nicht weniger anspruchsvoll, als das "Komm mit!" von Jesus. Denn auch hier heißt es: "Halt dich an mich! Vertraue mir doch! Hör auf, dich vollzustopfen mit dem, was dich niemals wirklich satt macht!" Aber bei Jesaja hört man die Zeit mit, die Gott uns lässt. Dies ist nicht die erste Aufforderung Gott zu vertrauen. Und darum tut diese Verheißung so gut. Sie ist keine "Jetzt oder nie"-Situation. Gott ruft: "Vertraut mir" Und Vertrauen darf wachsen. Es muss nicht sofort und vollständig da sein. Es darf auch immer wieder erschüttert oder sogar verschüttet werden. Du darfst zweifeln, du darfst wieder vertrauen, und dann wirst du schon sehen!

Was traust du Gott zu? Dass du satt wirst? Dass dir schmeckt, was du isst und trinkst? Traust du Gott zu, dass du leben wirst? Versuch es! Wohlan, trau Gott so viel zu, wie du kannst. Das ist kein Wettbewerb und keine Leiter, die du emporklimmen müsstest. Nur die Verheißung kennt kein Limit. Und wenn die Enttäuschungen kommen, wenn die Zweifel groß werden, dann schau, was noch da ist. Wenn da noch Durst ist, dann komm zum Wasser. Wenn du nichts mehr hast, mit dem du etwas kaufen kannst, lass dich beschenken.

Und da diese Verheißung keine Grenzen kennt, lasst uns zusammen vertrauen, dass wir nicht allein sind. Lasst uns gegenseitig Hoffnung geben, dass Gott es unendlich gut meint mit uns. Darum kommen wir doch zusammen, damit wir einander gut sind! Hoj! Denn es geht nicht nur um jede und jeden von uns allein. Jesaja spricht im Namen Gottes in der Mehrzahl: Hoj, ihr! Wenn Ihr miteinander vertraut, wenn ihr miteinander Gott zuhört, dann soll es gut werden – letztendlich mit der ganzen Welt. Fangt schon mal an zu tanzen!

Amen

Perikope
30.06.2019
55,1-5