Wollen und Nicht-Können. Und danken - Predigt zu Röm 7, 14-25 von Ferenc Herzig
7, 14-25

Wollen und Nicht-Können. Und danken - Predigt zu Röm 7, 14-25 von Ferenc Herzig

Liebe Gemeinde, der Predigttext steht im Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom im 7. Kapitel:


14 Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. 15 Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich. 16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut ist. 17 So tue ich das nicht mehr selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 18 Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. 19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. 20 Wenn ich aber tue, was ich nicht will, vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 21 So finde ich nun das Gesetz: Mir, der ich das Gute tun will, hängt das Böse an. 22 Denn ich habe Freude an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. 23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Verstand und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes? [PAUSE] 25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!

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Die 26jährige Schriftstellerin Ronja von Rönne notiert am 15. August: „Das eklige an der Depression ist, wie wenig originell sie ist. Im Bett liegen. Weinen. Auf irgendwas treten. Nicht mehr weinen können. Anrufe ignorieren. Kolumnen absagen […], zwei halbgare Anrufe bei Psychiatern, die nie zurückrufen. Ich weiß, ich weiß, das klingt alles wieder zu zynisch, zu sarkastisch, zu wenig nach dem bewährten ‚Ich bin eine Betroffene‘ – Geständnis-Duktus. Dabei ist die Depression ganz genauso […] lächerlich und sarkastisch wie ich gerade.  Die Depression ist kein bunter Bento-Artikel, sie hat keine flickernden GIFs und kein Happy End, das mit dem Aufruf endet, sich einfach Hilfe zu suchen, Krönchen richten, Bussi, weiter gehts, bloß nicht aufgeben, ihr Süßen. Die Depressionen sind viel zu viele viel zu laute Stimmen.“

       Und die Poetry-Slammerin und Dichterin Julia Engelmann – ungefähr gleich alt und ihres Zeichens selbst ehemalige Psychologiestudentin – hat ein Album veröffentlicht mit dem Titel „Poesiealbum“. In der Albuminformation schreibt sie, dass ihr das Thema „Mental Health“ am Herzen liege, weil „vor allem junge Menschen zunehmend unter Depressionen leiden“. Auf ihrem Album singt sie dann in einem wenig originellen Lied davon, dass man doch gar nicht traurig sein mss – gibt’s ja auch gar keinen Grund ‘für! Einfach das Fenster aufmachen, Coldplay im Radio laut aufdrehen, frischen Wind herein und die Zweifel rauslassen und sich einreden, dass ja die Sonne scheint und man also auch einfach glücklich sein kann.

       Und Paulus schreibt: 14 Wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. 15 Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich.

       Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom: ‚Ich kenne das. Das gehört dazu, das muss man nicht wegreden. Gott nimmt das ernst und Gott nimmt Dich ernst auch dann, wenn die Sonne gerade nicht scheint und die Vögel mit ihrem Gezwitscher stark an Deinen Nerven zehren, wenn Du morgens einfach nicht aus dem Bett kommst. Das ist manchmal so, und das ist nicht Deine Schuld. Gott kennt das.‘

       Und Paulus schreibt: 16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut ist. 17 So tue ich das nicht mehr selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 18 Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht.

       Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom: ‚Ich kenne das. Das gehört dazu, das muss man nicht wegreden. Gott nimmt das ernst und Gott nimmt Dich ernst auch dann, wenn Du die Vorhänge zuziehst und den ganzen Tag nur hoffst, dass da keine Mails oder Anrufe kommen. Das ist manchmal so, und das ist nicht Deine Schuld.‘

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       Das andere gibt es auch, und auch das gehört einfach dazu, wenn man Mensch ist. Tun, wollen, lassen, können, und zwar am besten alles auf einmal und sofort. Euphorie, die ins Enthusiastische umschlägt, drei Projekte gleichzeitig und noch zwei in Planung, ein weiteres für nächste Woche zugesagt und am Wochenende die Familie ins Auto gepackt und ins Blaue gefahren; und es funktioniert: Nichts. Und die zweite Frist verstreicht und aus dem Ofen quilt der Qualm des verbrannten Kartoffelauflaufs. Weil alles zu viel ist.

       Weil Leben so nicht in den Griff zu bekommen ist, wenn man vor Arbeitsbeginn um Punkt 9 Uhr dringend noch exakt eine halbe Stunde joggen gehen und die Tageszeitung gelesen haben muss. Und zwischen Punkt 9 Uhr und 12 Uhr dann die ersten 30 von hundert Mails geschrieben werden müssen, tausende Zeichen getippt im Sekundentakt. Und dann das Meeting zum Mittagessen mit dem Kollegen, fünf weitere Mails mit der Verwaltung wechseln, zwischendurch und eher aus schlechtem Gewissen statt aus Leidenschaft noch Konzertkarten für das Theater gebucht, zum Wohle der Beziehung und zur Begradigung des Haussegens – was läuft da noch mal? Dann eine Präsentation gehalten und wieder Mails mit den Kollegen aus Übersee gewechselt. Zwischendurch das mittlerweile sehr pappige belegte Brötchen vom Bäcker gegessen, zum Abendbrot im Büro. Dann Theater und nach Hause an den Schreibtisch, Präsentation für morgen vorbereiten. 1 Uhr schlafen. 7.30 Uhr aufstehen, joggen, Zeitung abarbeiten, Emailpostfach öffnen.

       Und Paulus schreibt: 19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. 20 Wenn ich aber tue, was ich nicht will, vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 21 So finde ich nun das Gesetz: Mir, der ich das Gute tun will, hängt das Böse an.

       Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom: ‚Ich kenne das. Auch das gehört dazu, wenn man Mensch ist. Das ist manchmal so, und das ist nicht Deine Schuld. Gott kennt das.‘

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Und dann gibt es auch das – und vielleicht geht auch nur das – was Paulus macht: Laut klagen und sich vor Gott werfen in dieser menschlich-allzumenschlichen Zerrissenheit: Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft; und anders geht’s ja nicht. Ich will ja, aber ich kann es nicht – und alleine schon gar nicht. Zwölf Verse lang verzweifeln daran, dass ich so bin, wie ich bin, weil ich ein Mensch bin. Und dann abbrechen. Ausbrechen aus dem Denkzirkel der eigenen Unfähigkeit. Pause machen, das Unmögliche tun.

       Danke sagen.

             22 Denn ich habe Freude an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. 23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Verstand und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes? [PAUSE] 25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!

Danke sagen. Oder singen:

Es ist das Heil uns kommen her von Gnad und lauter Güte; die Werk, die helfen nimmermehr, sie können nicht behüten. Der Glaub sieht Jesus Christus an, der hat für uns genug getan, er ist der Mittler worden.

Amen.