"Worüber wir uns freuen können" - Predigt über Apostelgeschichte 8,26-39 von Martin Schewe
8,26
Worüber wir uns freuen können
Der Predigttext steht in der Apostelgeschichte im achten Kapitel.
„Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, welcher ihren ganzen Schatz verwaltete, der war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. Der Inhalt aber der Schrift, die er las, war dieser: ‚Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.’ Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem? Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert’s, dass ich mich taufen lasse? Und er ließ den Wagen halten, und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus, und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich.“
(1)Der Kämmerer freut sich, liebe Gemeinde. Er freut sich mit Recht. Wer getauft ist, hat allen Grund sich zu freuen. Worüber, wollen wir uns mit Hilfe der Erzählung aus der Apostelgeschichte klar zu machen versuchen.
Die Erzählung beginnt mit einem Wunder. Gott selber hat seine Hand im Spiel. Er schickt seinen Engel zu Philippus, und der Engel schickt Philippus auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza führt. Die Straße ist einsam; es herrscht dort wenig Verkehr. Aber Philippus macht sich nicht umsonst auf den Weg. Das ist schon der erste Grund, aus dem wir uns über die Taufe freuen dürfen. Denn jede Taufe beginnt mit einem Wunder. Jedes Mal hat Gott seine Hand im Spiel. Er ergreift die Initiative und kümmert sich persönlich darum, wie es weitergeht.
In der Erzählung geht es so weiter, dass auf der einsamen Straße ein Wagen vorbeikommt. In dem Wagen fährt der Kämmerer der Kandake. Die Kandake ist die Königin von Äthiopien, der Reisende ihr Finanzminister. Ein Eunuch, erfahren wir im griechischen Text der Apostelgeschichte. Der Kämmerer ist entmannt – im damaligen Äthiopien offenbar eine Voraussetzung dafür, um am königlichen Hof ein hohes Amt zu bekleiden. In Israel, wo die Erzählung spielt, war die Kastration verboten.
Obwohl kein Jude, ist der Kämmerer nach Jerusalem gereist, um Israels Gott im Tempel anzubeten. Jetzt befindet er sich auf dem Heimweg. In Jerusalem hat er sich eine Schriftrolle mit dem Buch des Propheten Jesaja gekauft. Darin liest er unterwegs, und zwar laut. „Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird“, liest der Kämmerer, „und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf.“ Philippus steht am Straßenrand und hört den Kämmerer lesen.
(2)An dieser Stelle der Erzählung greift Gott zum zweiten Mal ein. Diesmal redet er durch seinen Geist zu Philippus. „Geh hin und halte dich an diesen Wagen!“, sagt Gottes Geist. Wieder gehorcht Philippus und fragt den vorbeifahrenden Kämmerer: „Verstehst du auch, was du liest?“ Der zweite Grund, sich über die Taufe zu freuen. Der Kämmerer muss nicht auf eigene Faust herausfinden, was Gott mit ihm vorhat und dass er es gut mit ihm meint. Wer getauft wird, gehört zur Kirche Jesu Christi, der Gemeinschaft der Heiligen. So wird die Kirche im Apostolischen Glaubensbekenntnis genannt: die Gemeinschaft der Heiligen. Die Heiligen sind wir alle, liebe Gemeinde, alle Getauften – und zusammen sind wir klüger als allein. In der Erzählung ist es der Diakon Philippus, der dem Kämmerer anbietet, mit seiner Hilfe klüger zu werden.
„Verstehst du auch, was du liest?“, fragt Philippus also im Auftrag Gottes; und der Kämmerer fragt zurück: „Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet?“ So viel hat er bereits verstanden: Der Glaube an Gott ist keine Privatsache, die jeder mit sich selbst abmachen und für sich selbst behalten muss. Der Glaube ist öffentlich. Wir können dafür eintreten, darüber streiten und etwas von anderen lernen, die vielleicht ganz anders glauben als wir.
Deshalb setzt sich Philippus zu dem Kämmerer in den Wagen und erteilt ihm Konfirmationsunterricht. Denn genau das, was in der Erzählung passiert, passiert ja im Konfirmationsunterricht; ich hoffe es wenigstens: Mit der Hilfe von Philippus erfährt der Kämmerer, was in der Bibel steht und warum es wichtig ist. „Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird“, hat der Kämmerer bei Jesaja gelesen, „und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf.“ Nun möchte er von Philippus wissen: „Ich bitte dich, von wem redet der Prophet?“ Eine kluge Frage. Die Theologen sind sich bis heute nicht darüber einig, wer der Gottesknecht ist, von dem Jesaja schreibt. Philippus ergreift die Gelegenheit und erzählt dem Kämmerer von Jesus Christus: dass in ihm Gott Mensch geworden, gestorben und auferstanden ist, damit wir mit ihm leben.
(3)Der Konfirmationsunterricht im Reisewagen des Kämmerers aus Äthiopien ist viel kürzer als bei euch, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden. Möglicherweise beneidet ihr ihn darum. Bei euch dauert der Unterricht fast zwei Jahre. In der Erzählung endet er am nächsten Wasserloch. Denn das Wichtigste hat der Kämmerer inzwischen gelernt. Er lässt den Wagen halten und fragt Philippus: „Siehe, da ist Wasser; was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?“ Noch ein Grund zur Freude. Der Kämmerer hat gelernt: Um getauft zu werden und zu Jesus Christus zu gehören, muss ich nichts tun. Was Gott für mich tut, genügt.
Die beiden steigen ins Wasser. Dort tauft Philippus den Kämmerer. So war es im frühen Christentum üblich: Der Täufer tauchte den Täufling im Wasser unter. Einige Kirchen machen es immer noch so. In der Evangelischen Kirche von Westfalen reichen drei Wasserspritzer auf den Kopf – drei, weil Gott dreifach für uns da ist: als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Nicht auf die Wassermenge kommt es an. Hauptsache, getauft auf den Namen des dreieinigen Gottes. Philippus fragt auch nicht, ob sich der Kämmerer die Sache gründlich überlegt hat, und verlangt keine Beweise dafür, dass er richtig glaubt. Was Gott tut, genügt tatsächlich.
Zum Schluss der Erzählung zeigt sich noch einmal, dass er selber die Hand im Spiel hat. Die Erzählung endet, wie sie begonnen hat: mit einem Wunder. Nachdem Philippus seine Aufgabe erfüllt hat, lässt ihn Gott vor den Augen des Kämmerers verschwinden. Mit den Worten der Apostelgeschichte: „Als sie aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus, und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich.“
(4)Wir haben drei Gründe gehört, liebe Gemeinde, warum sich der Kämmerer freut. Erstens weil die Taufe nicht unsere Erfindung ist. Gott hat sie erfunden und erfindet sie jedes Mal neu. Beim Kämmerer aus Äthiopien und bei jeder anderen Taufe verspricht Gott: „Ich bin bei dir“, und meint immer genau die Person, die gerade getauft wird: „Bei dir.“
Zweitens müssen der Kämmerer und alle anderen Getauften nicht allein glauben. Glauben ist zwar nicht schwer, sondern ein Geschenk Gottes. Aber besser verstehen, was wir glauben – dabei helfen uns die anderen, die glauben. Darum könnt ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden euch sogar über euren Konfirmationsunterricht freuen, obwohl er fast zwei Jahre dauert. Ich wünsche euch, es lohnt sich und ihr erfahrt tatsächlich mehr darüber, wie gut es ist, dass ihr euch auf Gott verlassen könnt. Umgekehrt könnt ihr uns Erwachsenen etwas davon beibringen, was glauben heißt.
Schließlich der dritte Grund, warum sich der Kämmerer aus der Apostelgeschichte am Ende der Erzählung freut: weil Gott keine Bedingungen stellt. Gott findet es schön, wenn wir besonders fest an ihn glauben, und er freut sich bestimmt auch mit uns, wenn wir sonst etwas sehr gut können und stolz darauf sind. Aber Gott verlangt nicht, dass wir etwas vorzuweisen haben, worauf wir stolz sein können. Für seine Liebe müssen wir uns nicht qualifizieren. „Siehe, da ist Wasser“, sagt deshalb der Kämmerer; „was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?“ Bei Gott gibt es keine Hindernisse. Ihm ist durchaus nicht alles recht, was wir tun. Aber wir sind Gott recht – immer schon.
(5)Über einen Unterschied zwischen der Taufe des äthiopischen Finanzministers und der Taufe in der Evangelischen Kirche von Westfalen müssen wir noch nachdenken. Die meisten von uns wurden als kleine Kinder getauft. Der Finanzminister ist ein erwachsener Mann. Manche Eltern warten auch bei uns mit der Taufe ihrer Kinder, bis die Kinder größer sind, zum Beispiel bis zur Konfirmandenzeit. Dafür gibt es vor allem zwei Argumente: Der Täufling soll die Taufe wirklich ernstnehmen, oder die Eltern möchten, dass ihre Kinder selbst entscheiden, in welchem Glauben sie aufwachsen.
Dieses zweite Argument spielte bei dem Urteil eine Rolle, das ein Kölner Gericht kürzlich über die Beschneidung eines muslimischen Jungen gefällt hat. Seine Beschneidung, hat das Gericht entschieden, war eine strafbare Körperverletzung, denn der Junge war nicht alt genug, um zuzustimmen. Das Urteil hat heftigen Widerspruch gefunden, in jüdischen und islamischen Religionsgemeinschaften, in der evangelischen und katholischen Kirche und bei vielen Politikern und Publizisten. Im Judentum und im Islam ist die Beschneidung der Jungen ein wichtiges Gebot. Sie gehört dort zum Glauben wie zum Christentum die Taufe.
Mich haben in dieser Diskussion die Überlegungen des Philosophen Robert Spaemann besonders überzeugt. In einem Artikel für die Wochenzeitung „Die Zeit“ stellt Robert Spaemann zunächst klar, dass die Entfernung der Vorhaut ein äußerst geringfügiger Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist; so geringfügig, dass er gegenüber der Bedeutung, die die Beschneidung für das Judentum und den Islam hat, nicht ins Gewicht fällt. Dann geht der Autor auf das Argument ein, das auch für die christliche Taufe eine Rolle spielt: dass die Eltern ihren Kindern nicht vorschreiben dürften, was sie glauben. Dagegen wendet Robert Spaemann ein, die Eltern könnten gar nicht anders, als anstelle der Kinder zu entscheiden. Eine religiös neutrale Erziehung gebe es nicht. Sie wäre gleichbedeutend mit einer nicht-religiösen Erziehung. Ein Verbot der Beschneidung jüdischer und muslimischer Jungen bedeute daher eine erhebliche Einschränkung der Religionsfreiheit.
Das heißt für christliche Eltern zwar nicht, dass sie ihre Kinder unbedingt als Säuglinge taufen lassen müssen. Gottes Zuwendung hängt von der Taufe nicht ab. Eins aber macht die Säuglingstaufe besonders deutlich: dass die Zuwendung Gottes sein Geschenk ist – dass Gott sich schon für uns entschieden hat, bevor wir selber irgendetwas entscheiden können. Damit kommen wir noch einmal auf die Erzählung aus der Apostelgeschichte zurück.
(6)„Als sie aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus, und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich.“
Ob wir schon als Säuglinge getauft wurden, liebe Gemeinde, während der Konfirmandenzeit oder als Erwachsene – den Kämmerer können wir uns zum Vorbild nehmen und uns genauso freuen, dass wir getauft sind und zu Jesus Christus gehören. Denn was für den Kämmerer gilt, das gilt genauso für uns und unsere Taufe: Gott selber hat seine Hand im Spiel, und wie! In Jesus Christus ist er Mensch geworden, gestorben und auferstanden, damit wir mit ihm leben.
(Der Artikel von Robert Spaemann erschien unter dem Titel „Der Traum von der Schicksallosigkeit“ in der „Zeit“ vom 5. Juli 2012 (Nr.28/S.46).)
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