Wunderbares: im Entstehen begriffen - Predigt zu Jesaja 9,1-6 von Markus Nietzke
9,1-6

Wunderbares: im Entstehen begriffen - Predigt zu Jesaja 9,1-6 von Markus Nietzke

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth. (Lutherbibel 2017)

I.

„Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort“ heißt es im Weihnachtsevangelium nach Johannes. Immer, wenn Gott spricht, ist Wunderbares im Entstehen begriffen. So war es, als alles anfing. Als Gott sprach: „Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis...“ Da wurde aus Abend und Morgen der erste Tag.  Mal entsteht Wunderbares mit Blitz und Donner und Erdbeben und großem Hagel, wenn ein Kind geboren wird (Offb. 11,19-12,2), mal geschieht es in einer stillen, ja heiligen, Nacht.

II.

In einem Raum mit abgetönten Licht wiegt eine junge Mutter ihr Kind im Arm sanft hin und her. Das Kind schmiegt sich an die Brust der Mutter. Die durch die tägliche Arbeit auf dem Feld rau gewordenen Finger der Frau streifen kurz das Gesicht des Kleinen. Sie hat ihr Kind mit warmen Wasser gewaschen. Alles riecht frisch und neu. Sie wiegt ihr Kind im Arm und leise spricht die junge Mutter auf ihr Kind ein und flüstert: „Aus Dir wird mal ein großer, starker Junge. Du wirst wunderbare Pläne ausdenken! Du bist jetzt schon ein Held. Du sorgst dich um die Deinen. Treu und zuverlässig. Du bist einer, der sich für den Frieden einsetzt. Für Recht und gerechtes Handeln im Reden und Tun. Nicht aus Dir selbst – aus Gott.“ Dann drückt sie das Kind, dass über diese herrlichen Zusagen der Mutter sanft eingeschlafen ist, kurz an sich und legt es in die Wiege. In ihren Augen spiegelt sich die Hoffnung, das durch dieses Kind endlich alles anders werden wird. Die Mutter sagt das, obwohl in unmittelbarer Nähe Stiefel von Soldaten auf der Straße dröhnen, schwer bewaffneten Soldaten mit grauen Mänteln bekleidet eilig vorüberziehen. Angetrieben von  Befehlen von Männern mir grober Stimme. Trotz solch widriger Umstände durch Unterdrückung und Fremdherrschaft: Die Hoffnung bleibt: Durch die Geburt eines Kindes ist Wunderbares im Entstehen begriffen.

III.

So mag es gegenwärtig sein, in Ländern, wo heute keine friedlichen Weihnachten, sondern Krieg herrscht. So mag es heute sein in Ländern, in denen Christen Anfeindungen und Übergriffen anderer ausgeliefert sind. So mag es 1939 an der Oder und Neiße, so mag es 1917/18 an der Somme und Marne gewesen sein. So mag es zur Zeit des Pharao gewesen sein, als Mose geboren wurde, zur Zeit des Herrschers Herodes als Jesus geboren wurde. So mag es zur Zeit der Propheten Israels gewesen sein. Eine Mutter, die fast gedankenverloren ihr kleines Kind in den Armen wiegt, allen Umständen zum Trotz. Immer wieder voller Hoffnung auf Neues, auf Veränderung. Befreiung von aller Not.

IV.

„Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben“ Wer mag dieses Kind sein? Hiskia, ein König zur Zeit des Propheten Jesaja (so Rashi, Ibn Ezra)? Jemand anderes? Auf wenn auch immer diese Aussage: „Uns ist ein Kind geboren“ zur Zeit des Propheten zutreffen mag -  es schwingen eine Reihe von Erwartungen mit. Er wird als Befreier erwartet, als Hoffnungsträger, der durch sein Auftreten als erwachsener Mann wie ein König und Herrscher mit Macht Wunderbares entstehen lässt.

V.

Wir sind jetzt da, bei der Krippe, am Tannenbaum und haben den Altar in der Kirche vor Augen. Wir sind da in „unserer“ Kirche, die das ganze Jahr über tagsüber geöffnet ist. Pilgerinnen und Touristen gehen hier ein und aus, Gäste und Besucher aus aller Welt tragen sich im Gästebuch ein. Sie ist ja irgendwie immer da, die Kirche, bzw. das Kirchengebäude. Ob wir selbst hingehen oder nicht. Jetzt feiern wir Gottesdienst. Hier, in dieser Kirche. Herrlich geschmückt ist sie. Müde und zugleich aufgeregt, ungeduldig und voller Erwartung sind wir hier. Wir suchen den Weg zur Krippe. Wir kommen herzu und bestaunen Wunderbares, dass im Entstehen begriffen ist, weil diese Worte im Raum nachklingen: „...uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben...“ Wir schauen in die Krippe und sehen weit darüber hinaus ein Kind, das uns als erwachsener, 33-jähriger Mann durch seinen Tod am Kreuz von Golgatha befreit. Von Sünde. Von Schuld. Seine offenen Arme am Kreuz wollen sich um uns schließen, er will uns annehmen, wo wir rot vor Scham erkennen: Ich habe ihn durch mein Verhalten beschämt.

VI.

„Große Freude" verkündet der Engel den Hirten auf den Feldern von Bethlehem. Von „großer Freude“ weiß auch schon der Prophet Jesaja. Gott macht sie möglich, in beiden Fällen. Wir kennen das: Geteilte Freude ist doppelte Freude. Jeder und jedem im Land gilt diese große Freude, die Gott schenkt. So sagt der Engel es den Hirten an. Geteilte Freude ist doppelte Freude, wenn gemeinsam geteilt wird, was geerntet wurde. So erleben es die Menschen zur Zeit des Propheten Jesaja. Geteilte Freude ist doppelte Freude, wenn die Hirten später anderen von dieser Erfahrung mit dem Kind in der Krippe berichten. Geteilte Freude ist doppelte Freude, wo wir uns gegenseitig beschenken. Geteilte Freude ist dankbare Freude, wo wir uns freuen vor Gott. In dieser Kirche, in dieser Gemeinde. Wir freuen uns miteinander über das, was Gott tut. Was er uns schenkt. Uns. Ausgerechnet uns. „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben“. Dieser Sohn Gottes, - er ist für jede, für jeden da - aber für keinen nur allein.

VII.

Wir beziehen den Jubel und die Freude darüber, dass Gott ein Kind schafft, „das uns gegeben ist“ auf Jesus Christus. Wir halten uns damit die Hoffnung auf Gottes immer neues Handeln offen. Selbst wenn es Befreiung aus Unterdrückung und Fremdherrschaft gibt, und schon oft gegeben hat, wird sie weiterhin von Gott erhofft und erwartet, von uns:  jetzt, hier und heute, und von Menschen, die heute Bedrückung erleiden und darunter am Heiligen Abend eher seufzen und leiden als jubeln und singen.

VIII.

Was sind das für Namen für dieses Kind? Kosenamen? Vielleicht. Anhand der vier Namen des Kindes, für uns das Christuskind ist, lässt sich Hoffnung vierfach durchbuchstabieren:

a) Planer von Wundertaten: Erwarten wir sie noch, Wundertaten? Rechnen wir damit, das wunderbare Dinge im Entstehen begriffen sind? Erwarten wir sie noch, solche wunderbaren Dinge, von Gott? Rechnen wir damit, dass wunderbare Dinge von Gott her im Entstehen begriffen sind? Das mag ein unverhoffter Anruf eines Angehörigen sein. Ein unerwartet friedliches Zusammentreffen in der Großfamilie. Kurze, fröhliche Festmomente, trotz Krankheit.„Fröhliche Weihnachten“, während wir das Sterben eines Menschen in der Weihnachtsstube oder am Bett im Krankenhaus begleiten: Als Ehepartner. Als Kinder und Schwiegerkinder. Als Enkel. Als Gemeindeglieder, die daran Anteil nehmen, wenn einer von uns in diesen Tagen stirbt und uns vorausgeht und erlebt wie Wunderbares im Entstehen begriffen ist.

b) Starker Gott: Was für ein Name! Ein Gott voller Macht und Kraft und Stärke. Allerdings, Gott, der seine Stärke ganz anders zeigt als erwartet. Da, wo wir wir die Krippe vor Augen haben, und trotzdem unser Kreuz im Alltag tragen. Starker Gott, der verspricht: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig!" (2. Kor. 12,9)

c) Ewig-Vater: Was schwingt da nicht alles mit? Ein Attribut Gottes: Von Ewigket zu Ewigkeit ist er Gott. Treu. Voller Fürsorge. Wir bitten ihn im Vater Unser um alles, wir zum Leben brauchen – und er ermöglicht es – auch in diesem Weihnachtstagen.

d) Fürst des Friedens: Groß ist die Sehnsucht nach Frieden, Frieden in den Familien, Frieden zwischen Einheimischen und Zugewanderten, Migranten und Geflüchteten. Groß ist die Sehnsucht nach Frieden in Syrien und Myanmar und anderswo. Auch nach dem Frieden auf Erden, von dem die Engel zu Weihnachten singen. Frieden bei Gott und den Menschen seines Wohlgefallens.

IX.

Weihnachten als Fest der Freude ist für die meisten Menschen ein Ereignis.  Weihnachten ist auch ein Fest ehrlicher Erfahrungen. Gott macht einen den Glauben nicht unbedingt leicht. Manchmal fällt die Hoffnung schwer. Sehr, sehr schwer. Wir leiden an Gott, seinen Engeln, die versprochen sind und die doch so weit entfernt sind. Gerade dann, wenn wir  in den Strudel der Untergänge geraten. Es gibt sie, die großen und unüberbrückbaren Widersprüche zwischen den Versprechungen und Verheißungen Gottes und den Zustand dieser Welt. Hoffnung garantiert nicht immer einen guten Ausgang aller Dinge. Aber sie bleibt uns bei, die Hoffnung, dass es möglich wäre. Weil Weihnachten in uns diese Hoffnung bestärkt. Wir bleibe (als Christen und Juden) voller Hoffnung. Offen für Gottes Handeln. Voller Hoffnung für diese Welt. Voller Erwartung, was Gott, der Ewige, tun kann und tun wird. So wie Gott es getan hat, als er sein Volk aus der Sklaverei in die Freiheit führt. So wie Gott am Sinai versprochen hat: Ich bin der Herr, dein Gott. So wie er garantiert: „ich bin bei euch, alle Tage!“

X.

Noch einmal schaut die junge Mutter in die Wiege, in der ihr kleiner Junge liegt. Mit der Geburt des Kindes wird es hell. Jedenfalls im Leben dieser Familie. Ein Ende der Finsternis ist abzusehen. Ein Ende von Gewalt wird erhofft. Eine Befreiung. Wir schauen  in die Krippe, sehen im übertragenen Sinne, wie es hell wird. In unseren Leben. Durch Jesus Christus. Amen.

Benutzte Literatur:

Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe IV. Plus. Nun gehe hin und lerne! Herausgegeben von Studium in Israel e.V. Berlin, 2017.

Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe I. Plus. Jüdische Theologinnen und Theologen liegen die Bibel aus: Die neuen alttestamentlichen Texte der Reihe 1. Herausgegeben von Studium in Israel e.V. Berlin, 2018.

Goldschmidt, Stephan: Denn du bist unser Gott. Gebete, und Impulse für die Gottesdienste des Kirchenjahres. Zur neuen Perikopenordnung 2018. Neukirchen-Vluyn, 2018.

Steffensky, Fulbert: Was unsere Hoffnung nährt. Vortrag am 11. Juni 2016 auf dem 7. Ostfriesischen Kirchentag in Rhauderfehn.